Im gemeinsamen Interview geben Carsten Strangmann, Leiter der Abteilung W&V, und Albin Mayer in seiner Funktion als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses Auskunft über das aktuelle Vertragsgeschehen und künftige Strategien. Beide mahnen einen notwendigen Bürokratieabbau an, dessen überbordender Aufwand auf Kosten aller Beteiligten gehe.
OT: Herr Strangmann, Sie leiten seit November 2021 die Abteilung „Wirtschaft & Verträge“ im BIV-OT. Hätten Sie sich vor fünf Jahren in dieser Position gesehen und was hat Sie motiviert, die Nachfolge von Helmut Martus anzutreten?
Carsten Strangmann: Ich war bereits seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich in verschiedenen Positionen für das Fach tätig. Ich habe auf Landesebene schon sehr viele Verträge verhandelt und bin in diesem Fach „zu Hause“. Ich bin ein Mensch, der etwas bewegen will und weiß, dass man dafür nicht nur meckern darf, sondern selbst in den Ring steigen muss. Der Bundesinnungsverband hat eine große Verantwortung für die Versorgung in Deutschland. Das bedeutet ganz konkret, dass man in der Lage sein muss, Kostenträger, die auf Beitragsstabilität achten müssen, davon zu überzeugen, warum sie in handwerkliche Leistung und Dienstleistung investieren müssen. Das Ringen um Kompromisse, das Ziehen von roten Linien verlangt viel Erfahrung und man muss tief im Fach verankert sein. Ich weiß, was Betriebe im Versorgungsalltag leisten müssen und welche Steine ich ihnen aus dem Weg räumen muss, damit sie ihren gesetzlichen Auftrag gut erfüllen können. Und ich weiß, welche Kompetenzen gefragt sind, um eine Versorgung nach Stand der Technik sicherstellen zu können. Nachdem der BIV-OT inzwischen mit allen Kostenträgern sehr gute Verhandlungsergebnisse erzielt hat, habe ich mir vor allem eines vorgenommen: Ich will diese Verträge in ihren Rahmenbedingungen vereinheitlichen. Denn die Bürokratie, die unsere Betriebe stemmen, ist der größte Diebstahl an der Patientenzeit.
OT: Sie haben selbst lange Jahre als Geschäftsführer einen OT-Betrieb geleitet und haben die Innung Niedersachsen/Bremen als Obermeister ehrenamtlich angeführt. Wie haben Sie in dieser Zeit die Arbeit des BIV-OT wahrgenommen?
Strangmann: Als Innungsobermeister habe ich mich immer als Teil des BIV-OT gefühlt und ich bin dankbar, dass mich mein Betrieb für diese Arbeit freigestellt hat. Es ist noch immer nicht selbstverständlich, dass Betriebe sich für die Branche einsetzen. Viele Betriebe sehen nicht, dass sie nur dann leistungsgerechte Preise abrechnen können und einen sicheren Marktzugang haben, wenn sie sich in einem Verband zusammenschließen und dort auch aktiv mitwirken. Ich habe in diesem Sinne nie etwas als selbstverständlich hingenommen. Der BIV-OT kann seine Arbeit nur so gut machen, wie sich seine Mitglieder auch einbringen und den Verband mitgestalten. Nachdem wir 2006 die Zulassung durch die Vertragspflicht mit den Krankenkassen und der Präqualifizierung erhalten haben, war mir klar, dass der Verband alles dran setzen muss, eine professionelle Verhandler-Mannschaft aufzustellen. Der damalige Präsident Klaus-Jürgen Lotz hat das zusammen mit Helmut Martus im Hauptamt wirklich toll gemacht und ich kann heute auf ein tolles Team und viele Experten aus dem Fach zurückgreifen. Wir sind gut aufgestellt.
OT: Herr Mayer, als Vizepräsident des BIV-OT und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses sitzen Sie oft mit Carsten Strangmann zusammen am Verhandlungstisch mit den Kostenträgern. Wie sieht hier Ihre Arbeitsteilung untereinander aus?
Albin Mayer: In den von Ihnen genannten Funktionen verantworte ich die Verhandlungsstrategie und stelle sicher, dass der Vorstand und Lenkungsausschuss immer eng eingebunden sind. Der Vizepräsident stellt auch das Team für Verhandlungen mit auf. Carsten Strangmann stellt als Vertreter des Hauptamtes sicher, dass die Strategie von der Angebotserstellung bis zur Kommunikation etc. entsprechend umgesetzt werden kann. Der Aufwand wird gern – auch von den eigenen Leuten – unterschätzt. Es müssen Kalkulationen gegengeprüft, Rücksprache mit entsprechenden Expertengremien gehalten, Leistungsbeschreibungen durchdekliniert und rechtliche Fallstricke identifiziert werden. Eine Mannschaft, die nicht professionell agiert, wird nicht ernst genommen und hat schon verloren, bevor sie an den Verhandlungstisch kommt.
OT: Die Aktualisierung der PG 24 im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) ist vom BIV-OT in großen Teilen begrüßt worden, gleichzeitig steht der Verband vor der Herausforderung, die angepassten Richtlinien in Verträgen mit den Krankenkassen neu zu verhandeln. Wie fortgeschritten sind Sie in dieser Hinsicht?
Mayer: Eigentlich sind wir damit durch. Die Krankenkassen haben verstanden, dass es nur mit der neuen Systematik möglich ist, den Versicherten eine Versorgung auf Stand der Technik zur Verfügung zu stellen. Jetzt müssen wir unsere Betriebe schulen. Viele haben noch ihre alten Prozesse und Kalkulationen im Kopf und müssen die neue Struktur auch in der Erstellung der Kostenvoranschläge erst erlernen. Über 80 Prozent der bundesweiten Krankenkassen haben die neue PG 24 bereits vertraglich mit dem BIV-OT vereinbart. Und es läuft sehr gut.
OT: Was war das Hauptaugenmerk der Arbeitsgruppen im Wirtschaftsausschuss in den vergangenen Monaten und welche Ergebnisse können Sie daraus präsentieren?
Mayer: Es war eine riesen Herausforderung, den Normalbetrieb der Verhandlungen aufrecht zu erhalten und gleichzeitig das Thema Corona sauber zu bearbeiten. Man darf ja nicht vergessen, dass der Gesetzgeber es in die Hände der Vertragsparteien gelegt hat, sich über die Marktverwerfungen, zu denen es durch Corona gekommen ist, zu verständigen. Frachtkosten, Preissteigerungen und PSA sind also „oben drauf“ gekommen – eigentlich hätten wir alle Verträge dazu neu verhandeln müssen. Da die Krankenkassen aber nicht auf uns zugekommen sind, hätte das auch bedeutet, dass wir die Verträge alle erst einmal hätten kündigen müssen – es hat mit Verantwortung während einer Krise zu tun, dass man dies nicht oder nur im absoluten Ausnahmefall tut. Im Bereich Reha-Technik ist es mitten in der Pandemie dazu gekommen. Landesinnungen mussten ihre Versorgungsverträge kündigen. Diese Einordnung von Corona in das „normale Vertragsgeschehen nach § 127“ war unmöglich und der Gesetzgeber hat uns und die Kostenträger vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Hier muss der Gesetzgeber politisch nachbessern, damit wir in Krisensituationen nicht auf diese Lösung zurückfallen. Mit der Ukraine-Krise laufen wir hier in eine ähnliche Situation, für die der § 127 keine Lösungsoption bietet.
OT: Sie haben als Verband sehr viel Zeit und Arbeit in die Neukalkulation der Handbücher investiert. In welchem Maße hat sich dieses Engagement ausgezahlt und wie konkret profitieren die Betriebe in der Praxis?
Mayer: Die Handbücher sind Grundlage von jedem Angebot, weil sie Transparenz in die Leistung bringen. In einer Verhandlung muss klar sein, worüber man spricht – erst dann kann ein Kostenträger bewerten, welche Leistungen er seinem Versicherten zugänglich machen möchte und wo er Leistungskürzungen sieht. Daraus resultiert dann das Ergebnis. Ohne eine solche Transparenz ist man im Wunschkonzert: „Wir wollen alle alles billiger und besser.“ Das geht nicht. Also müssen Fakten auf den Tisch. Die Betriebe profitieren durch eine saubere Leistungsbeschreibung und den dazugehörenden wirtschaftlichen Preis.
OT: Herr Strangmann, Sie verstärken bereits seit zwei Jahren die Abteilung „Wirtschaft & Verträge“. Nun liegen die Führung des Teams und die Zusammenarbeit mit dem Ehrenamt federführend in Ihren Händen. Worauf können Sie aufbauen und an welchen Stellschrauben setzen Sie an, um der Abteilung neue Impulse zu verleihen?
Strangmann: Besonders liegt mir der enge Kontakt meiner Mitarbeiter mit den Mitgliedsbetrieben am Herzen. Ein Hauptaugenmerk liegt darauf, den Mitarbeitern mit der Erfahrung aus der operativen Tätigkeit die Zusammenhänge näher zu bringen. Sie sollen verstehen, was für ein „Rattenschwanz“ an der Umsetzung eines Vertrags durch einen Mitgliedsbetrieb hängt. Das bedeutet insbesondere, dass wir derzeit unsere Datenbank „Mein Sanitätshaus“ auf Herz und Nieren prüfen, um unseren Mitgliedsbetrieben künftig den Vertragsbeitritt so einfach wie möglich zu gestalten. Wir dürfen nicht nur an gute Vertragspreise denken, wir müssen auch die Kosten in der Verwaltung berücksichtigen, die wir mit der Vielfalt der Verträge auslösen.
OT: Die Aktualisierung der PG24 im Hilfsmittelverzeichnis bietet den Betrieben neue Möglichkeiten in der Versorgung. Gleichzeitig stellt sie diese aber auch vor Herausforderungen bei der korrekten Abrechnung. Welche Rückmeldungen erhalten Sie in dieser Hinsicht aus den Häusern und von Seiten der Krankenkassen?
Strangmann: Ich persönlich empfinde es als größtes Lob, dass die Barmer Ersatzkasse inzwischen mit der prothetischen Versorgung ihrer Versicherten aktiv wirbt und ihre Werbung darauf eingestellt hat. Unsere Häuser haben durchweg positive Rückmeldungen, insbesondere auf die Schulungen gegeben. Sie profitieren hier deutlich und verstehen auch den Zusammenhang von Verhandlungen und der leistungsgerechten Kostenerstattung durch Krankenkassen besser. Wir sind daher auf einem sehr guten Weg.
OT: Wie kann das Schulungsangebot des BIV-OT und der Confairmed hier unterstützen und was sind Ihre Erfahrungen als Referent der Seminare?
Strangmann: Unsere Betriebe erfahren aus erster Hand, wie Kostenträger die Versorgung der PG 24 sehen. Damit können sie besser verstehen, wie sie Absetzungen vermeiden und die Kostenerstattung für ihre Versorgungen optimal aufsetzen. Leider sind wegen der Pandemie nur digitale Schulungsformate möglich. Wir beschränken die Teilnehmerzahl, um den direkten Kontakt zu haben – als Referent brauche ich den persönlichen Austausch. Auch das haben wir, die Teilnehmer und wir als Referenten, gelernt.
OT: Als Teilnehmer einer öffentlichen Diskussionsrunde zur Aktualisierung der PG 24 haben Sie im vergangenen Jahr hervorgehoben, dass Sie die Vertreter der Kostenträger weniger als Gegner, sondern vielmehr als Partner betrachten. Lässt sich diese Haltung auf alle Verhandlungsrunden übertragen und wann muss im Zweifel auch einmal Härte vor Milde gelten?
Strangmann: Die Partnerschaft mit den Kostenträgern ist die Grundlage für eine qualitätsorientierte Versorgung. Die Verträge müssen den Leistungserbringern auskömmliche Vergütungen garantieren. Insbesondere die allgemeinen Kostensteigerungen, wie etwa durch die Inflation etc. hervorgerufen, müssen sich hier wiederfinden. Wenn das nicht von den Kostenträgern mitgetragen wird, müssen Verhandlungen auch mal als gescheitert angesehen werden.
OT: Herr Mayer, Verträge zwischen Mandatsträgern von Leistungserbringern und Kostenträgern werden in verschiedenen Konstellationen verhandelt. Wo sehen Sie den BIV-OT zukünftig verstärkt in der Verantwortung und wie organisiert sich die Zusammenarbeit mit den weiteren Akteuren, z. B. im Austausch zwischen Bundes- und Landesinnungen?
Mayer: Der Bundesinnungsverband hat mit der Neubesetzung des Präsidiums entsprechend neue Wege eingeleitet. Genau an diesen Wegen wird auch in naher Zukunft so weitergearbeitet. Der BIV-OT erstellt die Kalkulationen und Handbücher wie auch die Preisangebote für die Krankenkassen. Er verantwortet sein Tun und Handeln und legt gegenüber den Obermeistern der Innungen und den Delegierten Rechenschaft ab. Die Zusammenarbeit mit den Innungen hat sich gut entwickelt und wird auch in Zukunft verstärkt gefragt sein. Wir als BIV-OT unterstützen die Landesinnungen in den Verhandlungen der Verträge und beim Erstellen der Angebote. Die Landesinnungen sind unsere Mitglieder und sie haben ein Recht darauf, dass wir sie aktiv unterstützen.
OT: Abschließende Frage: Was sind die aktuell größten Herausforderungen in der
Vertragslandschaft und wie stellt sich zu deren erfolgreichen Bewältigung die Abteilung „Wirtschaft & Verträge“ ausreichend robust auf?
Strangmann: Die Harmonisierung der Verträge und Vertragsinhalte sowie die Verwaltungsvereinfachung stehen für uns an erster Stelle.
Mayer: Die größten Herausforderungen liegen in der Wirtschaftlichkeit der Verträge. Bedingt durch die Corona-Pandemie sind die Herstellerpreise, Frachtkosten und der Hygieneaufwand enorm angestiegen. Nun kommt noch der nächste Schub mit den explodierenden Energiekos-ten hinzu. Der Krieg in der Ukraine und der Anstieg des Mindestlohns sind weitere Faktoren für Preissteigerungen. Der Kostenträger sieht eine Preiserhöhung nach der anderen, was ihn nicht erfreut und er versucht, die Preise zu drücken. Dieser Spagat erschwert die Verhandlungen und ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Mit Vernunft und Sachverstand wird es uns aber gelingen, um wirtschaftliche Verträge abzuschließen. Natürlich benötigen wir darüber hinaus eine Entbürokratisierung im Hilfsmittelbereich. Viele unsinnige Dokumente können entfallen. Einheitliche Rahmenverträge und Preisanlagen über alle Kassen hinweg würden vieles vereinfachen. Der Preis bleibt natürlich von Kasse zu Kasse anders. Auch die Leistungsbeschreibung und Qualitätssicherung könnten durchaus vereinheitlicht werden. Das spart Verwaltungskosten, die im Vertragspreis berücksichtigt werden können. Der Wirtschaftsausschuss engagiert sich bereits seit vielen Jahren in dieser Sache. Letztlich müssen wir den anstehenden Herausforderungen mit Vernunft und viel Feingefühl begegnen. Hauruckaktionen bringen uns langfristig nicht weiter.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
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