Bun­des­re­gie­rung: Min­dest­lohn auf zwölf Euro

„Die geplante Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro hat zum Teil erhebliche Folgen für alle Gesundheitsberufe – auch für unsere OT-Betriebe“, erklärt Lars Grun, Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT). Am 19. April legte die Bundesregierung, wie bereits in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, den Entwurf eines Mindestlohnerhöhungsgesetzes vor.

In der vor­an­ge­stell­ten Ana­ly­se des Gesetz­ent­wurfs ste­chen zwei Argu­men­te her­aus. Ers­tens: Die Ein­füh­rung des Min­dest­lohns im Jahr 2014 habe kei­ne „nega­ti­ven Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te“ her­vor­ge­ru­fen – sprich, es sei zu kei­nem Per­so­nal­ab­bau gekom­men, der mit dem Min­dest­lohn in Ver­bin­dung gebracht wer­den kann. Zwei­tens: Der bis­he­ri­ge Min­dest­lohn reicht in einer Welt mit stets stei­gen­den Kos­ten weder dafür aus, um „die Siche­rung einer ange­mes­se­nen Lebens­grund­la­ge zu gewähr­leis­ten“, noch „um eine armuts­ver­mei­den­de Alters­ren­te zu errei­chen“. Um dem zu begeg­nen, soll der Min­dest­lohn zum 1. Okto­ber 2022 – ein­ma­lig per Gesetz – auf zwölf Euro fest­ge­setzt wer­den. Wei­te­re Anpas­sun­gen des Min­dest­lohns sol­len anschlie­ßend weit­hin im Auf­ga­ben­be­reich der Min­dest­lohn­kom­mis­si­on lie­gen. Die­se Kom­mis­si­on hat­te am 30. Juni 2020 ursprüng­lich fest­ge­legt, dass der Min­dest­lohn in vier Stu­fen von 9,50 Euro auf 10,45 Euro (zum 1. Juli 2022) stei­gen soll­te. Die regie­ren­den Par­tei­en möch­ten nun die vor­ge­ge­be­ne Ziel­set­zung der Min­dest­lohn­kom­mis­si­on kor­ri­gie­ren. Ein­her­ge­hend mit dem stei­gen­den Min­dest­lohn soll auch die Gering­fü­gig­keits­gren­ze von 450 Euro auf 520 Euro erhöht werden.

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„Wir begrü­ßen grund­sätz­lich die Anhe­bung und damit die gesell­schaft­li­che Aner­ken­nung der Leis­tung. Mit der Anhe­bung des Min­dest­lohns ver­än­dert sich aller­dings das gesam­te Lohn­ge­fü­ge eines Betrie­bes. Schließ­lich muss ein Gesel­le deut­lich mehr ver­die­nen als ein Aus­zu­bil­den­der und ein Meis­ter deut­lich mehr als ein Gesel­le. Erhö­hen sich aber ins­ge­samt die Per­so­nal­kos­ten über­durch­schnitt­lich, funk­tio­nie­ren die mit den Kran­ken­kas­sen abge­schlos­se­nen Ver­trä­ge zur Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung nicht mehr,“ erklärt Grun. Da die Ver­trä­ge kei­ne dyna­mi­schen Preis­an­pas­sun­gen erlau­ben, müs­sen die Kos­ten der Lohn­er­hö­hun­gen zunächst kom­plett von den ein­zel­nen Betrie­ben geschul­tert werden.

Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Dr. Rai­ner Dul­ger erklär­te bereits am 23. Febru­ar im Zuge der Ver­öf­fent­li­chung des ers­ten Ent­wurfs der Bun­des­re­gie­rung für ein Min­dest­lohn­er­hö­hungs­ge­setz: „Mit dem heu­ti­gen Vor­schlag der Bun­des­re­gie­rung zur Ände­rung des Min­dest­lohn­ge­set­zes wird die ver­trau­ens­vol­le Zusam­men­ar­beit der ver­gan­ge­nen Jah­re in der Min­dest­lohn­kom­mis­si­on schwer gestört. Der damit vor­ge­nom­me­ne Sys­tem­wech­sel von einer tarif­po­li­tisch gepräg­ten Min­dest­lohn­ent­wick­lung hin zu einer Staats­lohn­ent­wick­lung ist fol­gen­schwer. Bei Ein­füh­rung des Min­dest­lohns hat die Poli­tik die Zusa­ge gege­ben, dass die Min­dest­lohn­kom­mis­si­on den Min­dest­lohn fest­legt. Die­ses Ver­spre­chen wird nun gebro­chen und macht den Min­dest­lohn zum Spiel­ball der Poli­tik. Die Poli­tik bleibt auf­ge­for­dert mit den Arbeit­ge­ber­ver­bän­den zurück an den Tisch zu kom­men, um eine fata­le Fehl­ent­wick­lung im sozia­len Gefü­ge der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu vermeiden.“

Es gehe, so Grun, um die Aner­ken­nung der Arbeits­leis­tung der Mitarbeiter:innen in den Gesund­heits­be­ru­fen – sei es in der Pfle­ge, Phy­sio­the­ra­pie oder Ortho­pä­die-Tech­nik. „Schließ­lich arbei­ten wir mit und am Men­schen. Die Poli­tik ist jetzt bei der Pfle­ge auf­ge­wacht – lei­der zu spät. Jetzt feh­len die Fach­kräf­te. ‚Hel­den‘ waren wäh­rend Coro­na nötig, die für ein Trink­geld und in defi­ni­ti­ver Unter­be­set­zung auf der Inten­siv­sta­ti­on die schma­le Gren­ze von Leben und Tod ver­ant­wor­ten muss­ten. Ortho­pä­die­tech­ni­ker ver­ant­wor­ten die schma­le Gren­ze zwi­schen Aus­gren­zung und Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben. Sie sind exis­ten­zi­ell für die Fra­ge, ob und wie viel Lebens­qua­li­tät nicht nur für Men­schen mit Han­di­cap mög­lich ist. Ein Leben mit ortho­pä­di­schen Hilfs­mit­teln kann sehr unter­schied­lich aus­fal­len“, erklärt Grun.

Der Ver.di-Vorsitzende Frank Wer­ne­ke for­dert: „Die Beschäf­tig­ten brau­chen jetzt eine kla­re Per­spek­ti­ve für die bal­di­ge Anhe­bung des Min­dest­lohns. Das ist auch ein wich­ti­ges Zei­chen gegen Alters­ar­mut. Falls die Arbeit­ge­ber – ob poli­tisch oder juris­tisch – wei­ter gegen die­ses Gesetz vor­ge­hen soll­ten, ist das nichts ande­res als der Ver­such, Armuts­löh­ne dau­er­haft zu zementieren.“

Für Lars Grun ist die Fra­ge der Ent­loh­nung auch immer eine Fra­ge: „Was wol­len wir uns als Gesell­schaft leis­ten und wie wol­len wir mit­ein­an­der umge­hen?“. Er sagt daher: „Statt Kro­ko­dils­trä­nen geht es um gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung. Daher sage ich klar: Die Anhe­bung des Min­dest­lohns kann nur ein Mosa­ik­stein in der Aner­ken­nung der Leis­tung von Gesund­heits­be­ru­fen sein. Es geht um die Aner­ken­nung im Soli­dar­sys­tem der Kran­ken­ver­si­che­rung und daher kön­nen die Kos­ten nicht allein auf den Schul­tern der Betrie­be abge­la­den werden.“

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