Beispielsweise sollen mehr als 58 Millionen gesetzlich Versicherte bis 2025 die elektronische Patientenakte (ePA) bekommen bzw. nutzen. Bisher scheitert eine weite Verbreitung an der aufwendigen Freischaltung der ePA. Eine Gesetzesänderung soll nun die Startvoraussetzungen ändern. Statt einer aktiven Entscheidung für die elektronische Patientenakte (Opt-in) müssen sich die Versicherten zukünftig aktiv gegen eine Anlage der Patientenakte (Opt-out) entscheiden. Dadurch wird grundsätzlich für alle gesetzlich Versicherten eine ePA angelegt und befüllt.
„Unausgereift“ und „überhastet“
Diese radikale Wende ruft ein geteiltes Echo hervor. So veröffentlichten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner, eine gemeinsame Presseerklärung, in der es unter anderem heißt: „Es kann Gründe dafür geben, jeden Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte auszustatten, sofern dieser dem nicht aktiv widerspricht (Opt-out). Das derzeitige Vorgehen von Politik und Gematik erinnert jedoch fatal an die Fehler der vergangenen Jahre bei der Digitalisierung, in denen Anwendungen teilweise unausgereift als verbindlich erklärt wurden. Die ePA und das, was sie für eine noch bessere Versorgung leisten kann, ist zu wichtig, um überhastet angestoßen zu werden – ohne Ziele, Abläufe, geschweige denn die Versorgungsrealität in den Praxen ausreichend einzuplanen und abzubilden und darüber hinaus als eine Art Zwangsbeglückung für die Versicherten.“ Eine verpflichtende Einführung zum Stichtag 1. Juli 2024 halten die KBV-Vorstände ebenfalls „für jeden erkennbar unrealistisch“. So verwundert es auch nicht, dass der KBV den vorgelegten Beschlussvorschlag der Gematik im Rahmen der letzten Gesellschafterversammlung ablehnte. Trotz dieser Ablehnung erhielt die Gematik den Auftrag, die Spezifikation für die Opt-out-Variante der elektronischen Patientenakte vorzubereiten. Nach der Arbeit an einem Prüfauftrag wird nun der Bauplan für die „ePA für alle“ erstellt.
Bitkom-Präsident Achim Berg warb dagegen dafür, dank guter Aufklärung für eine breite Akzeptanz der ePA-Nutzung bei den Patient:innen zu sorgen: „Die verbindliche Einführung der elektronischen Patientenakte ist ein Durchbruch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die elektronische Patientenakte ist das Kernstück einer digitalen Gesundheitsversorgung. Mit ihr erhalten die Versicherten einen schnellen Zugriff auf ihre medizinischen Daten und Diagnosen, Ärztinnen und Ärzte können sich ein viel besseres Bild über die Krankengeschichte ihrer Patientinnen und Patienten machen. Wichtig ist jetzt vor allem, dass die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung gesteigert wird. Aktuell können sich sechs von zehn Deutschen vorstellen, die elektronische Patientenakte zu nutzen – das ist noch zu wenig, kann aber durch gute Aufklärungsarbeit und maximale Transparenz in der Kommunikation gesteigert werden. Hier sind Politik und Akteure des Gesundheitswesens gemeinsam gefordert, offen und für die Breite der Gesellschaft gut verständlich zu kommunizieren.“
Digitalgesetz soll kommen
Die flächendeckende Einrichtung der elektronischen Patientenakte ist ein Teil des Gesetzesvorhabens „Digitalgesetz“ aus dem Gesundheitsministerium. Weiterhin wird beispielsweise das E‑Rezept genannt, das zum 1. Januar 2024 zum verbindlichen Standard in der Arzneimittelversorgung werden und dank der Einlösung mit der Gesundheitskarte oder ePA-App auch deutlich vereinfacht werden soll. Auch die Gematik wird im Zuge des Gesetzes zur Digitalagentur in 100-prozentiger Trägerschaft des Bundes umgewandelt. Außerdem soll ein interdisziplinärer Ausschuss mit Vertreter:innen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), aus Medizin und Ethik sowie mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) künftig die Digitalagentur bei allen Entscheidungen mit Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.
Forschungsförderung durch Datennutzung
Ein Eckpfeiler der Digitalisierungsstrategie ist auch die Nutzbarmachung von Gesundheitsdaten für die Forschung. Im Rahmen des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG) soll eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle aufgebaut werden. Diese soll dann den Zugang zu Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen (z. B. Register oder Kostenträgerdaten) ermöglichen. Außerdem soll die federführende Datenschutzaufsicht für bundesländerübergreifende Forschungsvorhaben auf alle Gesundheitsdaten erweitert werden, d. h. die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen soll dann nur noch durch eine/einen Landesdatenschutzbeauftragte:n erfolgen.
Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) soll weiterentwickelt werden. Künftig soll dort auch die forschende Industrie Anträge auf Datenzugang stellen können. Entscheidend für die Anfragen soll der Nutzungszweck sein, nicht der Absender.
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