Dieser Geschäfstbericht dokumentiert den außergewöhnlichen Einsatz von Ehren- und Hauptamt. Im Interview schildert Kirsten Abel, Sprecherin des Präsidiums und Leitung Verbandskommunikation, die Idee hinter der Veröffentlichung und gibt Einblicke in die Arbeit des Verbandes im zurückliegenden Geschäftsjahr.
OT: Der BIV-OT hat anlässlich der Frühjahrsdelegiertenversammlung erstmals in seiner Geschichte einen Geschäftsbericht veröffentlicht. Was waren die Beweggründe dafür?
Kirsten Abel: Der Bundesinnungsverband vertritt die Interessen der (Landes-)Innungen. Zudem sind die Fachverbände im BIV-OT als Gastmitglieder vertreten. Gemäß Satzung legt der BIV-OT zwei Mal im Jahr im Rahmen der Bundesdelegiertenversammlung Rechenschaft über seine Geschäfte, die Jahresrechnung, den Haushalt etc. ab. In diesem Sinne wurde schon immer ein Geschäftsbericht präsentiert. Wirklich neu sind zwei Dinge: die Art der Präsentation und die Ausweitung des Empfängerkreises an die Mitgliedsbetriebe der Innungen und Fachverbände. Zudem ist der Geschäftsbericht auf der Website des BIV-OT öffentlich abrufbar. Was die Art der Präsentation betrifft, haben wir uns dafür entschieden, deutlich zu machen, wie sehr das Ehrenamt unsere Arbeit prägt und die Meilensteine des BIV-OT mitgestaltet. Wir haben alle Mitglieder des Vorstandes zu Wort kommen lassen, damit deutlich wird, wie sie ihre Arbeit für den Verband verstehen und wo sie die Herausforderungen sehen. Zudem wollten wir uns fokussieren, um die wirklichen Weichenstellungen zu zeigen, die in diesem Jahr gestellt wurden und was uns wirklich bewegt hat. Es war ja ohne Zweifel ein verrücktes Jahr, denn durch die Pandemie wurden sämtliche Vorhaben unter ein neues Vorzeichen gesetzt. Daher auch das Motto des Jahres: „Krise meistern“. Ich glaube, das ist uns gut gelungen.
OT: Mit Alf Reuter hat im März 2020 ein neuer Kapitän das Steuerrad übernommen. Auf welche besondere Art gestalten der Präsident und seine Vorstandskollegen das Ehrenamt im Verband?
Abel: Erst einmal möchte ich sagen, dass es eine große Ehre für mich war, Klaus-Jürgen Lotz neun Jahre begleiten zu dürfen. Er hat zusammen mit dem Vorstand dem Verband eine Stimme und Richtung gegeben. Um solche großen Veränderungen durchzusetzen, musste er polarisieren. Das hat viel Kraft gekostet – sein Engagement hatte für ihn einen hohen Preis: seine Gesundheit. Diesen unbeirrbaren Willen und auch diese Kraft, sich für den Verband unbedingt einzusetzen, haben die Delegierten nicht zuletzt mit der einstimmigen Wahl zum Ehrenpräsidenten am Tag seines Rücktritts gedankt. Alf Reuter und Albin Mayer haben mit ihrem Amtsantritt ein neues Versprechen gegeben: die starke Stimme des Verbandes weiter zu stärken. Wir müssen alle mitnehmen. Zusammenhalt braucht Transparenz und jeder muss verstehen, was wir warum tun. Dabei legen sie größten Wert darauf, dass der Verband seine alleinige Berechtigung darin hat, die Interessen der Betriebe zu vertreten. Die Kommunikation darf daher auch nicht bei den Delegierten aufhören, sondern muss die Betriebe erreichen.
Kommunikation auf allen Ebenen
OT: Sie selbst haben sich nach der Delegiertenversammlung im Frühjahr 2020 von Ihren Aufgaben als Leiterin des Verlags Orthopädie-Technik verabschiedet und konzentrieren sich als Sprecherin des Präsidiums seitdem zu 100 Prozent auf die Verbandskommunikation. Wie lässt sich Ihr Aufgabenbereich zusammenfassen?
Abel: Zum einen baue ich eine komplett neue Kommunikation auf, so dass alle Ebenen des Verbandes – vom Präsidium bis zum einzelnen Betrieb – alle nötigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt erhalten. Dabei geht es auch darum, zu entscheiden, welche Kanäle benötigt werden. Wenn es um eine regelmäßige strategische Abstimmung zwischen den Landesinnungen geht, dann kann man dies nicht per E‑Mail regeln, sondern braucht mindestens einmal funktionierende und gut vorbereitete Videokonferenzen. Wenn es darum geht, dass Betriebe auf einen Blick alle Musteranschreiben und Hilfestellungen in Sachen MDR erfassen können müssen, dann geht es um einen Mitgliederbereich. Das alles wird gerade systematisiert und nach und nach aufgebaut. Dabei ist mir auch wichtig, dass wir ein Controlling aufbauen, um auch wirklich entscheiden zu können, was sich gut eignet und was nicht. Daher sehen wir uns bspw. regelmäßig die Newsletterzugriffe an. Der zweite Teil – Sprecherin des Präsidiums – bedeutet schlicht, dass ich auf Seiten des Hauptamtes für das Präsidium sprechen darf. Wenn es um Gespräche mit der Presse, Politik oder anderen Verbänden geht, vertrete ich den Standpunkt von Alf Reuter und Albin Mayer. Das unterstellt großes Vertrauen und ich empnde es als große Ehre, dies tun zu dürfen.
OT: Das letzte Geschäftsjahr war geprägt von der Bewältigung der Corona-Pandemie. Wie wird dieser Kraftakt im Geschäftsbericht dokumentiert?
Abel: Schon das Motto des Geschäftsberichtes war von Corona geprägt: „Krise meistern“. Es galt für uns, die Herausforderungen auf allen Ebenen in Chancen zu überführen, damit wir gestärkt aus der Pandemie kommen. Wir haben für die Anerkennung unserer Systemrelevanz im GKV-System gekämpft, wir haben neue Verbündete gesucht und gefunden, wir haben uns für die Impfpriorisierung eingesetzt und den Mut aufgebracht, mitten in einer Pandemie einen Weltkongress anzubieten.
OT: Die politische Arbeit im Verband fokussiert sich traditionell auf die Versorgungsqualität der Leistungserbringer. Wie steht es um die aktuellen Rahmenbedingungen für das Fach?
Abel: Mit der Corona-Krise haben wir erstmals so richtig vor Augen geführt bekommen, dass nichts selbstverständlich ist. Wenn mir jemand z. B. vor zwei Jahren gesagt hätte, dass Krankenkassen und Politik uns in die Schublade „Drogerien und Tankstellen“ packen würden, wenn es um Krisenpläne geht, hätte ich es nicht für möglich gehalten. Nach gefühlten 100 und wahrscheinlich echten 500 Telefonaten und Videokonferenzen später können wir sagen, dass sowohl Politik als auch die ständige Impfkommission (STIKO) dies inzwischen anders sehen. Bei den Krankenkassen ist das noch etwas anders. Allerdings kann ich kaum glauben, dass dies nur an einem Missverständnis liegt. Sie wollen einfach die Mehraufwände in Sachen PSA nicht bezahlen. Denn in den Verträgen weiten sie ihre Ansprüche auf die Versorgungsqualität und die Nachweise bei der Versorgung immer weiter aus. Aber auch da sind wir dran.
Politische Rahmenbedingungen
OT: Die Abteilung „Wirtschaft & Verträge“ im BIV-OT hat unter schwierigen Bedingungen maßgebliche Abschlüsse mit den Krankenkassen erzielen können. In welcher Weise arbeiten Ehren- und Hauptamt im Interesse der Betriebe zusammen?
Abel: Alles, was wir tun, muss einen positiven Effekt auf die Arbeit der Betriebe haben. Wenn wir über die politischen Rahmenbedingungen sprechen, geht es fast immer um die Sicherung des Marktzugangs, also dass wir bspw. sicherstellen, dass Apotheken durch das E‑Rezept keinen Wettbewerbsvorteil erhalten oder Krankenkassen und Ärzte keine Patientenlenkung betreiben dürfen. In den Verhandlungen mit den Krankenkassen geht es dann darum, dass wir für alle Betriebe eine faire Bezahlung für die qualitätsgesicherte Versorgung von Versicherten erhalten. Dabei berücksichtigen wir nicht nur Preissteigerungen, sondern auch den Stand der Technik und immer mehr die Bürokratie, die uns die Krankenkassen abverlangen.
OT: Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt verändert das Berufsbild des Orthopädietechnikers. Wie positioniert sich der BIV-OT in Bezug auf die nötigen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen?
Abel: Durch die besondere Ausbildung kann sich Deutschland die Nummer 1 weltweit in der Orthopädie-Technik rühmen. Kein anderes Bildungssystem bringt so gute Orthopädietechniker:innen hervor. Der Schlüssel ist der Meisterbrief. Daher ist er für uns das A und O und das Fundament für die Fort- und Weiterbildung. Da sich unser Berufsbild – nicht nur durch die Digitalisierung – dramatisch verändert, hat der Berufsbildungsausschuss gerade auch viel auf dem Schreibtisch. Unser Fach braucht gut ausgebildete Fachverkäufer:innen. Auch wenn diese in der Regel noch immer keine eigene, spezielle Ausbildung erhalten, können sie nun eine für sie spezialisierte durch die Handwerkskammern anerkannte Prüfung ablegen. Das sichert die Qualikation unserer Fachkräfte. Für die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Berufsbild hat der Berufsbildungsausschuss jetzt eine eigene Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die in diesem Jahr ihre Arbeit aufgenommen hat.
OT: Seit Ende Mai ist die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) für alle Betriebe zwingend anzuwenden. Hat der Bundesinnungsverband hier zuletzt eine ausreichende Unterstützung sein können?
Abel: In diesem Thema laufen wirklich alle Aktivitäten zusammen: Wir mussten uns eng mit der Politik abstimmen, damit sie versteht, dass man unser Fach nicht wie Serienhersteller unter die MDR subsummieren kann. Als Sonderanfertiger unterliegen wir bereits hohen regulatorischen Ansprüchen, so dass wir der Politik klar machen konnten: Wer zertiziert ist, sollte den Hauptteil der MDR erfüllt haben. An den bürokratischen Überbau, der ohne diese Korrektur entstanden wäre, mag ich überhaupt nicht denken. Auf dieser Grundlage haben wir uns dann entschieden, den Betrieben die nötigen Handreichungen zu geben, dass der Aufwand so gering wie möglich bleibt und sie sich auf die Versorgung konzentrieren können. Das Ergebnis konnten wir nur zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung (DGIHV) und weiteren Partnerverbänden erreichen.
OT: Das E‑Rezept wirft seinen Schatten voraus, erste Rahmenbedingungen werden auf den Weg gebracht. Wie präsent ist das Thema im Verband?
Abel: Unser Ideal ist ähnlich wie bei der MDR: Wir bereiten schon jetzt alles für unsere Betriebe vor, damit sie im Juli 2026 bestens vorbereitet sind und die Digitalisierung Schwung in unser Fach bringt und keine zusätzliche Bürokratie. Im Hintergrund haben wir daher verschiedene Arbeitsgruppen und ein großes Projekt, das alle Phasen des E‑Rezepts mit allen Partnern einem großen Feldversuch unterzieht. Wir justieren Gesetze nach und sprechen mit vielen Partnern, wie bereits ausführlich in der Mai-Ausgabe der OT zu lesen war.
Kraftakt OTWorld.connect
OT: Die Confairmed GmbH als Veranstalter des Kongressprogramms der OTWorld musste zunächst den traditionellen Termin im Mai 2020 auf den Herbst verschieben und im Laufe des letzten Jahres aus einem hybriden Konzept die rein digitale OTWorld.connect entwickeln.
Abel: Während Messegesellschaften im letzten Jahr in Kurzarbeit gehen mussten, kann ich für die Confairmed sagen: So einen Kraftakt habe ich noch nie gesehen! Die Mannschaft hat quasi dreimal die komplette OTWorld umgeplant und auf neue Füße gestellt. Gemeinsam mit der Leipziger Messe hatten wir beschlossen, dass wir nur da, wo es unbedingt nötig ist, externe Dienstleister einbeziehen, damit wir das Maximale aus der Lernkurve Digitalisierung ziehen. Das hat dann auch den Erfolg gebracht und diese Erfahrung bringt das Team jetzt in die Veranstaltung 2022 ein. Ich bin wirklich mächtig stolz darauf, was die Damen und Herren hier gestemmt haben!
OT: Vor Ihrem Abschied aus dem Verlag OT haben Sie maßgeblich die Digitalisierung der Abteilung im BIV-OT gestaltet und vorangetrieben. Mit dem im Frühjahr 2020 gestarteten Fachportal 360-ot.de ist ein Prestigeprojekt erfolgreich an den Start gegangen. Welche Bedeutung hat das Portal sowohl für den Verlag als auch die Branche?
Abel: Das Portal hat eine neue Denke in den Verlag gebracht – es ist nicht entscheidend, ob wir unsere Erfahrungen im Fach auf Papier drucken, in ein Content-Management System eintippen oder ein Seminar anbieten. Entscheidend ist, dass wir unseren Fachkräften die beste Möglichkeit bieten, jederzeit und individuell über alle Neuigkeiten und den Stand der Versorgung up to date zu sein. Daher auch der Gedanke des Rundumblickes. Nichts ist so wichtig für die Zukunft der qualitätsgesicherten Versorgung wie Know-how! Wir stehen als Verband in der Verantwortung, unseren Fachkräften dieses Know-how auch in einer zeitgemäßen Form anzubieten. Hierzu muss sich auch ein Verlag neu ernden. Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, wie schnell sich Kommunikation verändert und sich neue Wege sucht. Da gilt es einen Gang zuzulegen, damit man nicht komplett auf der Strecke bleibt. Daher bin ich auch unglaublich froh, dass wir mit Susanne Böttcher eine Verlagsleiterin gefunden haben, die unsere Strategie, die bis 2024 beschrieben ist, professionell umsetzen kann. Sie hat tolle Ideen, einen unglaublich guten Blick für die Bedürfnisse der Betriebe, arbeitet kundenzentriert und kann die Ärmel hochkrempeln. Es macht viel Freude mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen.
OT: Der Geschäftsbericht schließt mit einer Liste von Partnern des BIV-OT. Welche Rolle spielen die genannten Akteure für die Erreichung der sich selbst gesteckten und von den Delegierten beauftragten Ziele des Bundesinnungsverbandes?
Abel: Kein Verband kann alles. Das Aufgabenspektrum verlangt, dass er weit mehr abdeckt als seine Kernkompetenzen. Daher brauchen wir Partner und sie brauchen uns. Auch in diesem Sinne muss man unser Motto „Kräfte bündeln“ verstehen. Ohne all die Partner wären wir nie so weit gekommen. Daher räumen wir ihnen in unserem Bericht auch extra Raum ein und sagen Danke!
OT: War der vorliegende Geschäftsbericht ein einmaliges Dokument zum Start des neugewählten Vorstandes oder ist eine Fortsetzung geplant?
Abel: Man kann Transparenz nicht zur Eintagsiege machen. Gerade in der Kontinuität kann man die Leistung des BIV-OT meines Erachtens erst richtig bewerten. Daher wird es auf jeden Fall eine Fortsetzung geben.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
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