Bila­te­ra­les Exo­ske­lett bei inter­ner Hemi­pel­vek­to­mie nach Ewing-Sar­kom — Der beson­de­re Fall

J. Schickert
Folgt man den aktuellen Zahlen der Webseite der Deutschen Krebsgesellschaft aus dem Februar 2018, erkranken in Deutschland jährlich rund 800 Menschen neu an Knochenkrebs; davon wird bei rund 54 ein Ewing-Sarkom diagnostiziert. Die Lokalisation des Ewing-Sarkoms am Becken führt dabei jedoch häufig zu enormen Problemen bei der Rehabilitation und Mobilisierung der Betroffenen. Der Artikel stellt den Fall einer komplexen Versorgung mit einem bilateralen Exoskelett vor.

Ein­lei­tung

Die inter­ne Hemi­pel­vek­to­mie wird beschrie­ben als teil­wei­se oder voll­stän­di­ge chir­ur­gi­sche Ent­fer­nung der ossär ein­ge­grenz­ten sar­kom­be­fal­le­nen Becken­hälf­te unter Erhalt aller angren­zen­den Weich­teil­struk­tu­ren und ggf. auch angren­zen­der Struk­tu­ren der unte­ren Extre­mi­tät 1. Der kom­plet­te Erhalt des Femurs wird in der Regel jedoch zur pro­xi­ma­len End­be­las­tung – z. B. mit einer Gird­le­s­tone-Plas­tik – angestrebt.

Häu­fi­ge Ursa­chen für die­se Ampu­ta­ti­ons­tech­nik sind Osteo­sar­ko­me, Chon­dro­sar­ko­me oder – wie im vor­lie­gen­den Fall – ein Ewing-Sar­kom, das eine Resek­ti­on Typ III mit Ent­fer­nung des Os pubis umfass­te 2. Dabei wer­den Os ili­um, Ace­tabu­lum, die Becken­schau­fel und der Ramus ischia­di­cum rese­ziert 3. Dar­über hin­aus wur­de im vor­lie­gen­den Fall noch das Caput femo­ris ent­fernt. Die Bän­der- und Mus­kel­struk­tu­ren wur­den funk­tio­nal angebunden.

Wer­den exo­ske­letta­le Orthe­sen häu­fig nur im Zusam­men­hang mit der robo­ti­schen Mobi­li­sa­ti­on von Para­ple­gi­kern, von Spi­na-bifi­da-Pati­en­ten oder zur Unter­stüt­zung im Arbeits­pro­zess 4 gese­hen, stellt im vor­lie­gen­den beson­de­ren Fall das Exo­ske­lett die sta­ti­sche und dyna­mi­sche Ver­bin­dung über die feh­len­den knö­cher­nen Antei­le des Beckens und des Femurs als in den Boden kraft­ab­tra­gen­des mehr­ge­len­ki­ges Mobi­li­sa­ti­ons­sys­tem dar. Die Kom­ple­xi­tät von Last- und Bewe­gungs­über­nah­me, gelenkt über die nicht betrof­fe­ne Kör­per­sei­te, fin­det sich in der begriff­li­chen Defi­ni­ti­on als Exo­ske­lett 5 6 wie­der, wobei die Gren­zen der Defi­ni­ti­on nicht mit abschlie­ßen­der Sicher­heit gezo­gen wer­den kön­nen 7 8.

Stu­di­en­la­ge

Robin­son und Lack­man beschrei­ben in einer Betrach­tung der Reha­bi­li­ta­ti­on anhand zwei­er Pati­en­tin­nen unter­schied­li­cher Alters­ko­hor­ten im Jahr 2001 die auf­tre­ten­den Pro­ble­me im Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess 9 nach inter­ner Hemi­pel­vek­to­mie. Dabei wer­den psych­ia­tri­sche, lym­pho­lo­gi­sche und mobi­li­sa­to­ri­sche Schwie­rig­kei­ten genannt. Die Mobi­li­sa­ti­on wur­de dabei orthe­sen­frei initia­li­siert; der Gegen­halt zum Femur­kopf wur­de in bei­den Fäl­len durch eine Gird­le­s­tone-Plas­tik belas­tungs­fä­hig her­ge­stellt. Im Vor­der­grund der Reha­bi­li­ta­ti­on stan­den dabei Kon­di­ti­ons­trai­ning und Ver­bes­se­rung der Schwung­pha­se sowie der Hüft­beu­gung, dar­über hin­aus wur­de Wert auf eine bal­di­ge Roll­stuhl­ver­sor­gung gelegt und ein Roho-Kis­sen zum Form­aus­gleich und zur Unter­stüt­zung der Sitz­sym­me­trie gewählt. Der Ver­lauf bei der rund 40 Jah­re älte­ren Pati­en­tin wur­de als wesent­lich lang­wie­ri­ger und pro­ble­ma­ti­scher beschrie­ben: Eine Sitz­po­si­ti­on konn­te für nur 4 Stun­den am Tag erar­bei­tet wer­den, Ste­hen und Gehen konn­ten nicht ermög­licht wer­den, viel­fäl­ti­ge Kom­pli­ka­tio­nen führ­ten in der Fol­ge zu wei­te­ren Ein­grif­fen und zur Ver­sor­gung mit einer KAFO auf der ampu­tier­ten Sei­te; im wei­te­ren Ver­lauf wur­den Roll­stuhl, Roho-Kis­sen und dau­er­haf­te Pfle­ge not­wen­dig 10.

Bezüg­lich der Ver­sor­gung ver­gleich­ba­rer inter­ner Hemi­pel­vek­to­mien ver­weist die Lite­ra­tur auf die Mobi­li­täts­ver­sor­gung mit Pro­the­sen (nach sekun­dä­rer exter­ner Kom­plett­am­pu­ta­ti­on), Roll­stüh­len oder Ach­sel­stüt­zen. Im Jahr 2000 wird von Pant et al. die Rekon­struk­ti­on des Becken­rin­ges mit Tei­len der Fibu­la bei Typ I und Typ I A beschrie­ben, für Typ II A wird die Super-Gird­le­s­tone-Tech­nik ange­führt, für Typ III eine Ilio-Femo­ral-Arthro­­de­se als Mög­lich­keit beschrie­ben 11. In die­sem Über­blick wird nur ein Typ-III-Ein­griff unter ins­ge­samt 13 beschrie­ben; die Alters­ko­hor­te ist dabei nahe­zu homo­gen und liegt deut­lich unter 30 Jah­ren; die Pro­ban­den sind über­wie­gend männ­lich. Drei Pati­en­ten aus der Unter­su­chung konn­ten knö­chern sta­bi­li­siert wer­den, einer pro­the­tisch; auch hier wur­den kei­ne exo­ske­letta­len Mobi­li­sa­tio­nen genannt. So blei­ben auch für die Grup­pe der Typ-III-Hemi­pel­vek­to­mier­ten bei Schwartz und Kol­le­gen in der Gang­ana­ly­se-Betrach­tung von 2009 Hilfs­mit­tel wei­test­ge­hend obso­let 12.

Ins­ge­samt zeigt sich die Lite­ra­tur in der wei­ter­füh­ren­den Betrach­tung zur Mobi­li­sie­rung intern Hemi­pel­vek­to­mier­ter spär­lich; der Blick zielt ver­mehrt auf die exo­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung komplett/extern Hemi­pel­vek­to­mier­ter. Zhou et al. füh­ren an, dass der Erhalt der Extre­mi­tät immer­hin auf eine ver­bes­ser­te Lebens­qua­li­tät nach Becken- und Hüft­ge­len­k­re­kon­struk­ti­on oder ‑pro­the­se ver­wei­se 13. Eine kur­ze und nicht reprä­sen­ta­ti­ve Tele­fon­um­fra­ge bei aus­ge­wähl­ten nam­haf­ten Ver­sor­gern im Bun­des­ge­biet (Janu­ar und Febru­ar 2018) för­der­te kei­ne ver­läss­li­che Daten­la­ge zu Anzahl, Art und Umfang exo­ske­letta­ler Orthe­sen bei inter­nen Hemi­pel­vek­to­mien Typ III zuta­ge; Nach­wei­se über Qua­li­tät und eine Lang­zeit­be­trach­tung zu Tra­ge­dau­er und ‑qua­li­tät sowie zur All­tags­taug­lich­keit las­sen sich nur exem­pla­risch anfüh­ren; eine umfas­sen­de neu­tra­le Betrach­tung fehlt offenbar.

Fall­be­schrei­bung

Rah­men­be­din­gun­gen

Der Pla­nung der Orthe­se ging im Som­mer 2017 eine sorg­fäl­ti­ge Ana­mne­se vor­aus. Die Kli­en­tin wohnt rund 600 km vom Ver­sor­ger ent­fernt. Neben der regu­lä­ren Sta­tus­be­fun­dung und der Erar­bei­tung einer Ziel­set­zung für das orthe­ti­sche Ver­sor­gungs­kon­zept galt es zu die­sem Zeit­punkt zu klä­ren, in wel­chem Zeit­rah­men unter den gege­be­nen beson­de­ren räum­li­chen Vor­aus­set­zun­gen Gips­maß­nah­me, Her­stel­lung der Test­ver­sor­gung, Über­prü­fung der All­tags­taug­lich­keit und die dar­auf­fol­gen­de Rea­li­sa­ti­on der Defi­ni­tiv­ver­sor­gung erfol­gen kön­nen, um den Auf­wand an Anfahr­ten und Auf­ent­hal­ten abzu­schät­zen, zumal für die Defi­ni­tiv­ver­sor­gung die Ein­bin­dung der werk­statt­na­hen Phy­sio­the­ra­pie als uner­läss­lich betrach­tet wurde.

Ana­mne­se

Bei der heu­te 35-jäh­ri­gen Kli­en­tin wur­de im Okto­ber 2010 ein Ewing-Sar­kom dia­gnos­ti­ziert. Eine zehn­mo­na­ti­ge Che­mo­the­ra­pie beglei­te­te die inter­ne Hemi­pel­vek­to­mie mit Hüft­ver­schie­be­plas­tik und Spa­cer­ein­bau im März 2011, dar­an schlos­sen sich zwei Mona­te Strah­len­the­ra­pie an. Die Ampu­ta­ti­on ent­spricht dem Typ III A mit Ent­nah­me des Os pubis und groß­räu­mi­ger Resek­ti­on der anlie­gen­den Weich­teil­struk­tu­ren 14; zudem wur­de das Caput femo­ris ent­nom­men; eine end­be­las­tungs­fä­hi­ge Weich­teil­plas­tik kann so als Opti­on zur Mobi­li­sie­rung als wenig ver­läss­lich ange­nom­men wer­den. Die mus­ku­lä­ren und Bän­der­in­ser­tio­nen wur­den funk­tio­nal adres­siert, um eine Bewe­gung in Rich­tung Hüft­fle­xi­on und ‑exten­si­on zu ermög­li­chen (Abb. 1).

Der Spa­cer wur­de im Okto­ber 2012 ent­nom­men und eine Mut­ars-Pro­the­se mit Duo-Kopf ein­ge­setzt. Unter ande­rem auf­grund von Wund­hei­lungs­stö­run­gen folg­ten ver­schie­de­ne Revi­si­ons­ein­grif­fe. Die Mut­ars-Pro­the­se wur­de im Novem­ber 2012 erneut durch einen Spa­cer ersetzt, die­ser im Mai 2013 wie­der explan­tiert und eine modi­fi­zier­te Gird­le­s­tone-Situa­ti­on geschaf­fen. Die Kli­en­tin blieb so rund 6 Jah­re lang auf die Nut­zung eines Roll­stuhls beschränkt. Ver­schie­de­ne von ihr gestar­te­te Initia­ti­ven zu einer mög­li­chen orthe­ti­schen Ver­sor­gung bei erfah­re­nen Zen­tren wur­den dort zurück­hal­tend beant­wor­tet. Auf Nach­fra­ge stan­den dabei Befürch­tun­gen hin­sicht­lich einer zu erwar­ten­den mög­li­cher­wei­se nicht aus­rei­chen­den Mobi­li­sier­bar­keit, bezüg­lich der Com­pli­ance und im Hin­blick auf Pro­ble­me mit dem Hand­ling im Vor­der­grund. Die­se nähr­ten sich zum einen aus exem­pla­ri­schen ungüns­ti­gen Erfah­run­gen aus ver­gleich­ba­ren Ver­sor­gungs­an­sät­zen und zum ande­ren aus rela­tiv suf­fi­zi­en­ten pro­the­ti­schen Reha­bi­li­ta­tio­nen nach exter­nen Hemipelvektomien.

Kon­zep­ti­on der Versorgung

Der Ver­fas­ser hat sich gemein­sam mit der Kli­en­tin und ihrer behan­deln­den The­ra­peu­tin nach Abwä­gung aller Risi­ken und Beden­ken den­noch für die Umset­zung der geplan­ten Ver­sor­gung ent­schie­den. Es galt einer ungüns­ti­gen dau­er­haf­ten Sitz­si­tua­ti­on 15 mit ent­las­ten­den Lage­al­ter­na­ti­ven ent­ge­gen­zu­steu­ern. Dafür spra­chen die enor­me Moti­va­ti­on bei Kli­en­tin und The­ra­peu­tin, das jun­ge Alter und die rela­tiv guten kör­per­li­chen Vor­aus­set­zun­gen, aber auch das gera­de­zu idea­le häus­li­che Umfeld und die von ihr geschil­der­te gute sozia­le Inte­gra­ti­on der Kli­en­tin am Heimatort.

In der Gips­maß­nah­me herrsch­te im Herbst 2017 die nach­fol­gend beschrie­be­ne Aus­gangs­la­ge vor: Mut­maß­lich nicht ohne Kor­re­spon­denz zur lang­an­dau­ern­den Inak­ti­vi­tät lässt sich in der rech­ten Hüft­re­gi­on eine lon­gi­tu­di­na­le Ver­kür­zung um rund 6 cm und eine in der Akti­vi­tät kaum rück­führ­ba­re Außen­ro­ta­ti­on ver­fol­gen. Die Auf­rich­tung des Rump­fes im unter­stütz­ten Stand ten­diert erkenn­bar nach links; eine mani­fes­te sko­lio­ti­sche Ver­än­de­rung ist gering­gra­dig nicht sicher aus­zu­schlie­ßen, der Rumpf jedoch pas­siv über die Unter­stüt­zung der Rip­pen­bö­gen rela­tiv sym­me­trisch auf­richt­bar. Für die Unter­stüt­zung der akti­ven Dor­sal­ex­ten­si­on mit einem 6 cm hohen Schuh­un­ter­bau wur­de ein Knö­chel­ge­lenk mit Dor­sal­ex­ten­si­ons­fe­der als sinn­voll erach­tet (Abb. 2).

Die lin­ke Kör­per­hälf­te ist funk­tio­nal ohne nen­nens­wer­te Ein­schrän­kung. Mus­ku­lär sind alle Beu­ger und Stre­cker mit 5 zu bewer­ten 16; funk­tio­nel­le Ein­schrän­kun­gen erge­ben sich man­gels Gegen­halt am rech­ten Hüft­ge­lenk und im wei­te­ren Ver­lauf in der Dys­ba­lan­ce der Rumpfmuskulatur.

Zie­le der Ver­sor­gung soll­ten min­des­tens sein: Sta­gna­ti­on der Bein­ver­kür­zung sowie Ver­bes­se­rung der All­tags­mo­bi­li­tät durch sym­me­tri­sches Ste­hen und Gehen, mög­lichst mit nur einer sichern­den Geh­stüt­ze, mög­li­cher­wei­se auch ohne Geh­stüt­ze. Aus der Erhö­hung des Akti­vi­täts­po­ten­zi­als und einer dar­aus resul­tie­ren­den Gewichts­re­duk­ti­on sol­len wün­schens­wer­ter­wei­se ver­bes­ser­te Vital­funk­tio­nen resul­tie­ren, zudem soll mani­fes­ten sko­lio­ti­schen Ver­än­de­run­gen und einer bestehen­den Frak­tur­ge­fähr­dung am rech­ten Bein bei osteo­po­ro­ti­scher Beein­träch­ti­gung ent­ge­gen­ge­tre­ten werden.

Durch­füh­rung der Versorgung

Die Her­stel­lung des Exo­ske­letts wur­de auf drei Blö­cke aufgeteilt:

  1. Gips­ab­druck, Test­or­the­se und Test aller all­tags­re­le­van­ten Situationen
  2. Über­nah­me der Erkennt­nis­se und Ände­run­gen in die Definitivversorgung
  3. End­kon­trol­le, Über­prü­fen des Ergeb­nis­ses und Anwen­der­schu­lung 17

Für Block 1 wur­den 4 Tage ein­ge­plant. Eine mehr­sei­ti­ge „Regie­an­wei­sung“ regelt im Halb­stun­den­takt den Ablauf von Gips­ab­druck über Modell­tech­nik und Her­stel­lung der Pro­be­scha­len bis zum Aus­rich­ten der Gelen­ke (Abb. 3). Teil­wei­se sind im Team 6 Tech­ni­ke­rin­nen und Tech­ni­ker par­al­lel eingebunden.

Der Gips­ab­druck wur­de in 4 Pha­sen z. T. im Sit­zen und im Steh­ge­rät (Abb. 4) durch­ge­führt, die Grif­fe im Vor­feld mehr­fach geprobt und die Über­gän­ge von Abdruck­seg­ment zu Abdruck­seg­ment durch vor­ge­fer­tig­te 3D-Kreu­ze aus Kork repro­du­zier­bar fixiert. Über den här­ten­den Gips wur­den noch wäh­rend der Abfor­mung Lote und Hilfs­li­ni­en von allen Sei­ten gelegt, um eine kor­rek­te Ein­ord­nung im Raum für die Kon­struk­ti­on ermit­teln zu kön­nen. Das Gip­sen des lin­ken Fußes zeigt Abbil­dung 5.

Die Seg­men­te wur­den in der Werk­statt kom­plet­tiert und ver­bun­den. Für die Fer­ti­gung muss­te das Modell in drei unab­hän­gig von­ein­an­der bear­beit­ba­re Werk­stü­cke geteilt wer­den; unter tech­ni­schen Gesichts­punk­ten wur­den die Bei­ne auf Schritt­hö­he abge­trennt (Abb. 6). Zum Aus­gie­ßen war eine Vier­kant-Auf­nah­me aus eige­ner Her­stel­lung not­wen­dig, in der das Auf- und Abneh­men der unte­ren Extre­mi­tä­ten repro­du­zier­bar und unpro­ble­ma­tisch mög­lich war (Abb. 7).

Für das Gips­po­si­tiv wur­den die Bei­ne im Ste­hen aus­ge­gos­sen; die vor­mon­tier­te Auf­nah­me schloss dabei prä­zi­se an der Ober­kan­te der Gip­se ab. Im zwei­ten Schritt wur­de über die iso­lier­ten Anschluss­flä­chen der Rumpf posi­tio­niert und gefüllt. Die Modell­be­ar­bei­tung begann am sel­ben Nach­mit­tag par­al­lel an drei Bau­tei­len (Abb. 8). Das Fügen der Bau­tei­le ließ eine Fer­ti­gung von Pro­be­scha­len im vaku­um­un­ter­stütz­ten Auf­le­ge­ver­fah­ren und das par­al­le­le Auf­brin­gen von Struk­tur­bau­tei­len an allen Seg­men­ten bin­nen 1,75 Tagen zu (Abb. 9).

Anpro­be und Schulung

Zu Beginn des vier­ten Tages konn­te eine ers­te sta­ti­sche Anpro­be durch­ge­führt wer­den, am sel­ben Mit­tag sogar ers­te dyna­mi­sche Anpro­ben, Ände­run­gen und Umbau­ten (Abb. 10). Das Orthe­sen­kon­zept durf­te aus Grün­den des ein­fa­che­ren und auto­no­men Hand­lings nur uni­la­te­ral geführt wer­den 18. Die last­über­neh­men­den Hüft­ge­len­ke wur­den aus dem Sor­ti­ment von Ortho­sys­tems, die fili­gra­ne­ren und nur in gerin­gem Maße last­ab­tra­gen­den Gelen­ke an Knie und obe­rem Sprung­ge­lenk aus Gewichts­grün­den mit Sys­te­men von Fior & Gentz aus­ge­stat­tet. Zur Ein­rich­tung der Hüft­ge­len­ke wur­de eine Jus­tier­hil­fe im eige­nen Haus her­ge­stellt, die es ermög­lich­te, am getrenn­ten Modell die Gelenk­auf­nah­men auf der Hüft­dreh­ach­se zu posi­tio­nie­ren (Abb. 11).

Die end­gül­ti­ge Orthe­se konn­te nach rund 8 Wochen Bau­zeit fer­tig­ge­stellt wer­den (Abb. 12 u. 13). Im Janu­ar 2018 lie­ßen sich in einer nur ein­ein­halb­tä­gi­gen Ses­si­on mit Ehe­part­ner, The­ra­peu­tin und Reha-Tech­nik das Exo­ske­lett opti­mie­ren, Zuschnit­te anpas­sen, Druck­zo­nen ent­las­ten und die Dyna­mik 19 durch Ver­än­de­run­gen an der Soh­len­geo­me­trie unter den Schu­hen opti­mie­ren. Nach weni­gen Stun­den des ers­ten Tages hat­te die Kli­en­tin das eigen­stän­di­ge An- und Able­gen von Exo­ske­lett und Schu­hen erar­bei­tet (Abb. 14a–c), nach knapp einem Tag konn­te sie im Exo­ske­lett unter Zuhil­fe­nah­me von Unter­arm­geh­stüt­zen bei vol­ler Last­über­nah­me auf der ampu­tier­ten Sei­te und stim­mi­ger Sym­me­trie in Sta­tik und Dyna­mik gehen. Mit Ende des zwei­ten Tages hat­te die Kli­en­tin so weit Ver­trau­en gewon­nen, dass sie sich zutrau­te, kurz­zei­tig allei­ne nur auf der ampu­tier­ten Sei­te im Exo­ske­lett zu ste­hen. Die Tra­ge­dau­er liegt nach einem Monat Nut­zung bei weni­gen Stun­den pro Tag. Ihr Kör­per­ge­wicht konn­te die Kli­en­tin in die­ser Zeit um 5 kg reduzieren.

Fazit

Wie gezeigt wer­den konn­te, ist die Ver­sor­gung einer mecha­nisch insta­bi­len inter­nen Hemi­pel­vek­to­mie tech­nisch auch bei einem hohen Ampu­ta­ti­ons­grad mög­lich. Eine zufrie­den­stel­len­de Umset­zung, die opti­sche und tech­ni­sche Com­pli­ance erzielt und dabei noch auto­nom zu hand­ha­ben ist, soll­te von Anbe­ginn gewich­ti­ger Teil der Ziel­be­schrei­bung sein. Im Rück­blick auf die ers­ten Wochen mit dem beschrie­be­nen Exo­ske­lett und unter Ein­be­zie­hung von Erfah­run­gen aus ande­ren Werk­stät­ten bleibt aller­dings offen, in wel­chem Aus­maß die Orthe­se in Zukunft Akzep­tanz erfah­ren und wel­che Tra­ge­dau­er nach einem, fünf und mehr Jah­ren zu erwar­ten sein wird. Eine Lang­zeit­be­trach­tung steht noch aus.

Die orthe­tisch in die­ser Wei­se ver­ti­ka­li­sier­te Kli­en­tin erziel­te in den ers­ten Wochen enor­me Fort­schrit­te. Pro­spek­tiv ist die Frei­ga­be der Innen- und Außen­ro­ta­ti­on an bei­den Hüft­ge­len­ken geplant, jedoch von der Markt­ein­füh­rung aus­rei­chend aus­ge­leg­ter Hüft­ge­lenk­pass­tei­le abhän­gig. So wer­den auch bei kon­ti­nu­ier­li­chem Ver­lust an Kör­per­ge­wicht eine Nach­pas­sung des Rumpf­tei­les – bei wei­te­rer Auf­deh­nung des Nar­ben­ge­bie­tes im Ampu­ta­ti­ons­are­al – und eine Reduk­ti­on des Zuschnit­tes in der tho­ra­ka­len Ein­fas­sung uner­läss­lich werden.

Der Autor:
Jochen Schi­ckert, Team­lei­ter Orthetik/
Lei­ter For­schung und Entwicklung
Ort­ho­vi­tal GmbH
Mag­de­bor­ner Str. 19, 04416 Markkleeberg
schickert@ortho-vital.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Schi­ckert J. Bila­te­ra­les Exo­ske­lett bei inter­ner Hemi­pel­vek­to­mie nach Ewing-Sar­kom. Ortho­pä­die Tech­nik, 2018; 69 (6): 46–51

Gips­maß­nah­me:



  1. Fuß­gip­se bis Höhe Ank­le-Foot-Ortho­sis (AF0), rechts in Plant­ar­fle­xi­on mit Ver­kür­zungs­aus­gleich aus Schaum/Kork

  2. Öff­nen der Fuß­gip­se und Fixie­ren mit Folie; 1 Lage Gips mit dickem Schlauch

  3. Rumpf­gips im Stand, Posi­tio­nie­ren im Steh­ge­rät, Fixie­ren über Tail­len­auf­nah­me (ggf. mit Gurt)

  4. Öff­nen Rumpf in Fixierung

  5. Bei­ne zeit­sym­me­trisch­gip­sen, Longuet­ten auf­le­gen, öff­nen und ablegen

  6. Rumpf­gips im Stand entfernen

  7. in Sitz­po­si­ti­on Fuß­gip­se entfernen

Mate­ria­li­en:



  • Fuß­brett Holz rutschsicher

  • Schaum­un­ter­bau links

  • Ver­bin­der

  • Tail­len­auf­nah­me

  • 4 m brei­ter Schlauch

  • 4 m Tro­len­strei­fen, 3 cm

  • 3 gro­ße Gipsscheren

  • 1 klei­ne Gipsschere

  • 2 Kar­tons Gips­bin­den 20 cm

  • 5 Elas­ti­sche Bin­den 30 cm

  • 8 Stück 15er Gipsbinden

  • 4 10er Gipsbinden

  • 2 Leg­gings 46/48

  • 2 Gips­un­ter­hem­den 46/48

  • 8 Straps­klam­mern

  • oszil­lie­ren­de Säge

  • Dusch­stuhl

  • Dusch­grif­fe

  • Pedi­lin-Posi­tio­nie­rungs­kreuz 6 Stück

Test:



  1. rechts Plant­ar­fle­xi­on ca. 10–15 Grad; links neu­tral in Physiologie

  2. Höhe rechts aus­glei­chen; PF ausgleichen

  3. Anla­gen Os pubis und Kreuz­bein aus­mo­del­lie­ren, Rip­pen­bö­gen, lin­ke Becken­schau­fel, klei­ne Glut­aen links, Tro­chan­ter major beid­seits und Anla­ge­flä­che late­ral akzentuieren;

  4. rechts Knie und 20 cm pro­xi­mal und distal; links Knie und 20 cm pro­xi­mal; Knie­dreh­punkt links

Abb. 3 Detail­lier­te „Regie­an­wei­sung“ von der Gips­maßnahme bis zum Test der Probeorthese.
  1. Lack­man RD, Craw­ford EA, Hosal­kar HS, et al. Inter­nal hemi­pel­vec­to­my for pel­vic sar­co­mas using a T‑incision sur­gi­cal approach. Clin Orthop Relat Res, 2009; 467 (10): 2677–2684
  2. Bickels J, Mala­wer M. Pel­vic resec­tions (inter­nal hemi­pel­vec­to­mies). In: Mala­wer M, Sugar­bak­er PH (eds). Mus­cu­los­ke­le­tal can­cer sur­gery. Tre­at­ment of sar­co­ma and allied dise­a­ses. Dor­d­recht: Sprin­ger Net­her­lands, 2001: 405–414
  3. Bickels J, Mala­wer M. Pel­vic resec­tions (inter­nal hemi­pel­vec­to­mies). In: Mala­wer M, Sugar­bak­er PH (eds). Mus­cu­los­ke­le­tal can­cer sur­gery. Tre­at­ment of sar­co­ma and allied dise­a­ses. Dor­d­recht: Sprin­ger Net­her­lands, 2001: 405–414
  4. Farin T. Ein Robo­ter für den Kör­per. FAZ, 20.12.17. http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/exoskelette-maschine-zum-anziehen-die-koerperliche-arbeit-erleichtern-15341414.html (Zugriff am 06.02.18)
  5. Sozi­al­ge­richt Spey­er 19. Kam­mer, Urteil vom 20.05.2016 (AZ S 19 KR 350/15). Anspruch eines Para­ple­gi­kers auf Kos­ten­über­nah­me für ein ReWalk-Exo­ske­lett (Motor­be­trie­be­ne Hüft-Knie­ge­lenk-Orthe­se) durch die Kran­ken­ver­si­che­rung – Unmit­tel­ba­rer Behin­de­rungs­aus­gleich – Gleich­zie­hen mit Nicht­be­hin­der­ten kei­ne Vor­aus­set­zung für die Ver­sor­gung. Reha­dat Recht, Urtei­le. https://bit.ly/2Lqssb8 (Zugriff am 01.05.18)
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