Belast­bar­keit von Beinorthesen

D. Sabbagh, J. Fior, R. Gentz
Für die Herstellung einer belastbaren und trotzdem funktionalen Beinorthese ist eine Vielzahl patienten- und orthesenbezogener Daten entscheidend. Die mechanischen Einflussgrößen zur Ermittlung der Belastung einer Orthese lassen sich auf „Kraft“, „Hebelarm“ und „Anzahl der Lastwechsel“ reduzieren. Aus den bei der Anamnese erhobenen patientenbezogenen Daten können diese Einflussgrößen abgeleitet werden. Einzelne Parameter wie z. B. ein Genu recurvatum haben dabei mitunter einen maßgeblichen Einfluss. Werden beim Orthesenbau rigide Konstruktionsmethoden für die Orthesenschalen und das Fußteil gewählt, etwa die Faserverbundtechnik, erhöht sich die Funktionalität, aber auch die Belastung in den mechanischen Gelenken der Orthese. Bei der Versorgungsplanung kann durch eine individuelle Konfiguration der orthesenbezogenen Daten die Belastbarkeit der Orthese gesteuert werden.

Ein­lei­tung

Für vie­le Pati­en­ten mit neu­ro­lo­gi­schen Indi­ka­tio­nen sind Bein­or­the­sen geeig­ne­te Hilfs­mit­tel, um das Gehen zu ermög­li­chen oder ein feh­ler­haf­tes Gang­bild zu ver­bes­sern. Ziel der moder­nen Ortho­pä­die-Tech­nik ist es, funk­tio­nel­le Orthe­sen her­zu­stel­len, die allen auf­tre­ten­den Belas­tun­gen stand­hal­ten und ihren Ver­wen­dungs­zweck erfül­len. Wäh­rend Funk­ti­on und Zweck durch die Indi­ka­ti­on und die Bedürf­nis­se des Pati­en­ten defi­niert wer­den, müs­sen bei der Ermitt­lung der Belast­bar­keit einer Orthe­se vie­le pati­en­ten- und orthe­sen­be­zo­ge­ne Para­me­ter berück­sich­tigt werden.

Anzei­ge

In Zei­ten, in denen Kran­ken­kas­sen bzw. Kos­ten­trä­ger jede geplan­te Ver­sor­gung im Sin­ne einer Maß­an­fer­ti­gung vor einer Geneh­mi­gung kri­tisch hin­ter­fra­gen, soll­ten Funk­ti­on und Zweck klar defi­niert sein – sowohl bei der Ver­ord­nung als auch bei der Ver­sor­gungs­pla­nung sei­tens des Ortho­pä­die-Tech­ni­kers. Dank neu­er mecha­ni­scher Gelen­ke, moder­ner Mate­ria­li­en und inno­va­ti­ver Arbeits­tech­ni­ken neh­men Funk­tio­na­li­tät und Akzep­tanz orthe­ti­scher Ver­sor­gun­gen ste­tig zu. Die Her­stel­lung einer belast­ba­ren Orthe­se ist eben­falls im Inter­es­se des jewei­li­gen Fach­be­trie­bes, da durch Brü­che beding­te Ersatz- oder Repa­ra­tur­ar­bei­ten in den sel­tens­ten Fäl­len vom Kos­ten­trä­ger über­nom­men werden.

Obers­te Prio­ri­tät hat jedoch die Ver­mei­dung von Risi­ken, die durch die Benut­zung des Hilfs­mit­tels für den Pati­en­ten ent­ste­hen kön­nen (z. B. ein Sturz). Denn aus­schließ­lich belast­ba­re Orthe­sen bie­ten die gefor­der­te Sicher­heit, durch die fol­gen­schwe­re Brü­che im Vor­feld ver­mie­den wer­den können.

Belas­tung und Belastbarkeit

Da die Belast­bar­keit einer Orthe­se nicht ohne Kennt­nis­se über die zu erwar­ten­den Belas­tun­gen bestimmt wer­den kann, muss man sich zunächst mit Kräf­ten und Momen­ten beschäf­ti­gen. Beim Gehen tre­ten sowohl inter­ne als auch exter­ne Kräf­te auf 1. Inter­ne Kräf­te wer­den haupt­säch­lich durch akti­ve Mus­kel­kon­trak­ti­on ver­ur­sacht. Zu den exter­nen Kräf­ten zählt in ers­ter Linie die Boden­re­ak­ti­ons­kraft (BRK), die als Gegen­kraft zur Gewichts­kraft des mensch­li­chen Kör­pers auf­tritt. Die­se Gesetz­mä­ßig­keit ist als Drit­tes Newton’sches Axi­om bekannt. Auf das obe­re Sprung­ge­lenk wirkt zum Bei­spiel beim „push-off“ sowohl die BRK als exter­ne Kraft (im Sin­ne einer Dor­sal­ex­ten­si­on) als auch die iso­me­tri­sche Mus­kel­kraft der Plant­ar­flex­o­ren als inter­ne Kraft (im Sin­ne einer Plant­ar­fle­xi­on) 23.

Die im drei­di­men­sio­na­len Raum auf­tre­ten­den sagit­ta­len, fron­ta­len und trans­ver­sa­len Antei­le der BRK wer­den im BRK-Vek­tor zusam­men­ge­fasst, der Rich­tung und Grö­ße aller Antei­le auf­zeigt. Durch die­se Cha­rak­te­ris­tik des Vek­tors las­sen sich die Dreh­mo­men­te an belie­bi­gen Stel­len eines Kör­pers über die For­mel M = F * l berech­nen. Dar­in stellt M das zu errech­nen­de Dreh­mo­ment und F die vor­lie­gen­de Kraft dar. Die Varia­ble l bezeich­net den Hebel­arm, also die Ent­fer­nung vom senk­recht ver­lau­fen­den Vek­tor zu der Stel­le des zu berech­nen­den Dreh­mo­men­tes 4. Nach einem ähn­li­chen Modell wer­den bei instru­men­tier­ten Gang­ana­ly­sen die in den Gelen­ken auf­tre­ten­den Momen­te berechnet.

Die­se Grund­la­gen las­sen sich selbst­ver­ständ­lich auch auf das Gehen mit einer Orthe­se anwen­den, wobei deren Belas­tung schluss­end­lich davon abhän­gig ist, wie das Kör­per­ge­wicht auf die Orthe­se über­tra­gen wird. Bei Ganz­bein­or­the­sen mit Tuber­auf­sitz wird bei­spiels­wei­se ein grö­ße­rer Teil der Gewichts­kraft in die Orthe­se ein­ge­lei­tet als bei Unter­schen­kel­or­the­sen. Durch die feh­len­de Ver­bin­dung zum Boden spielt die BRK bei Knie­or­the­sen hin­ge­gen kei­ne Rol­le. Ent­spre­chend hängt es vom Orthe­sen­typ ab, wie hoch die auf­tre­ten­den Kräf­te sind.

Die in den mecha­ni­schen Gelen­ken auf­tre­ten­den Dreh­mo­men­te wer­den am Bei­spiel einer KAFO in „ter­mi­nal stance“ deut­lich (Abb. 1). Wie beschrie­ben ist ein Dreh­mo­ment das Pro­dukt aus Kraft und Hebel­arm. Die Boden­re­ak­ti­ons­kraft F kann ent­lang des BRK-Vek­tors in ihrer Wir­kungs­rich­tung frei ver­scho­ben wer­den. Der zwei­te wich­ti­ge Para­me­ter ist der Hebel­arm: Auf Knö­chel­hö­he ist ein Hebel­arm von der Län­ge des akti­ven Vor­fuß­he­bels vor­han­den. Einen akti­ven Vor­fuß­he­bel erreicht man durch einen sta­ti­schen oder dyna­mi­schen Dor­sal­an­schlag in Kom­bi­na­ti­on mit einem lan­gen rigi­den oder teil­fle­xi­blen Fuß­teil. Mit die­sen bei­den Para­me­tern kann das Dreh­mo­ment ent­lang des Pro­fil­ker­nes vom Fuß­teil bis zum Knie­ge­lenk an jeder belie­bi­gen Stel­le berech­net wer­den (MB = F * l). Da bei glei­cher BRK der Abstand zum Knie­ge­lenk (l1) kür­zer ist als der Abstand zum Knö­chel­ge­lenk (l2), ist in „ter­mi­nal stance“ das Dreh­mo­ment im Knö­chel­ge­lenk (MB2 = F * l2) grö­ßer als im Knie­ge­lenk (MB2 = F * l1).

Defi­ni­ti­on von Belas­tung in der tech­ni­schen Mechanik

In der tech­ni­schen Mecha­nik wird der Begriff „Belas­tung“ unter zwei ver­schie­de­nen Gesichts­punk­ten defi­niert: nach der Last­ver­tei­lung und nach dem zeit­li­chen Ver­lauf. Wäh­rend die Belas­tung nach Last­ver­tei­lung in Punkt­last, Stre­cken­last und Flä­chen­last dif­fe­ren­ziert wird, fin­det nach dem zeit­li­chen Ver­lauf eine Ein­tei­lung in sta­ti­sche und dyna­mi­sche Belas­tung statt 5. Hier kommt der Begriff „Bean­spru­chung“ hin­zu, der den Angriffs­punkt und die Wir­kungs­rich­tung der Kraft beschreibt (Abb. 2).

Sta­ti­sche Belas­tun­gen, auch „ruhen­de Belas­tun­gen“ genannt, sind durch eine kon­stant hohe Bean­spru­chung gekenn­zeich­net, die im zeit­li­chen Ver­lauf nicht vari­iert (Abb. 3a). In einer Orthe­se tritt die­se Belas­tung bei­spiels­wei­se beim Ste­hen auf, wenn das Fuß­teil einem gleich­blei­ben­den Druck aus­ge­setzt ist. Wenn sich der Pati­ent leicht nach vor­ne neigt und so sein Kör­per­ge­wicht in die ven­tra­le Unter­schen­kel­scha­le der Orthe­se drückt, liegt im mecha­ni­schen Knö­chel­ge­lenk augen­schein­lich eben­falls eine sta­ti­sche Belas­tung vor. Von einer kon­stan­ten Bean­spru­chung kann man hier aller­dings nicht spre­chen, da selbst beim Ste­hen gerin­ge Bewe­gun­gen auf­tre­ten, die bei­spiels­wei­se durch ein Vor- und Zurück­schwan­ken des Kör­per­schwer­punk­tes, dem soge­nann­ten „pos­tu­ral sway“, gekenn­zeich­net sind 6. In die­sem Fall liegt bereits eine dyna­mi­sche Belas­tung vor (Abb. 3b).

Bei dyna­mi­schen Belas­tun­gen ver­än­dert sich die ein­wir­ken­de Kraft im zeit­li­chen Ver­lauf. Man unter­schei­det zwi­schen schwel­len­den Belas­tun­gen (Abb. 3c; Kraft vari­iert zwi­schen einem oder meh­re­ren Wer­ten, kein Wech­sel zwi­schen zwei Bean­spru­chungs­ar­ten) und wech­seln­den Belas­tun­gen (Abb. 3d; Kraft vari­iert zwi­schen einem oder meh­re­ren Wer­ten, dabei Wech­sel zwi­schen zwei Bean­spru­chungs­ar­ten). Bei­de Belas­tungs­ar­ten kön­nen einen har­mo­ni­schen Ver­lauf auf­wei­sen, bei dem die Bean­spru­chung zyklisch zuund abnimmt und häu­fig einen sinus­för­mi­gen Ver­lauf auf­weist. Dyna­mi­sche Belas­tun­gen tre­ten sowohl beim Ste­hen als auch beim Gehen auf, ins­be­son­de­re beim Wech­sel zwi­schen Stand- und Schwung­pha­se im Bereich der mecha­ni­schen Knie- und Knöchelgelenke.

Für dyna­misch bean­spruch­te Bau­tei­le ist die Dau­er­fes­tig­keit ein wich­ti­ger Para­me­ter. Er gibt Auf­schluss dar­über, wie vie­le Last­wech­sel ein Bau­teil aus­hält, bevor es zum Bruch kommt. Auch wenn bei der Nut­zung ortho­pä­die­tech­ni­scher Hilfs­mit­tel weni­ger Last­wech­sel auf­tre­ten als bei tech­ni­schen Maschi­nen, muss bei der Beur­tei­lung der Belast­bar­keit einer Orthe­se eben­falls die zu erwar­ten­de Nut­zungs­in­ten­si­tät berück­sich­tigt werden.

Bio­me­cha­ni­sche Ein­fluss­fak­to­ren auf die Belast­bar­keit einer Orthese

Beim Gehen erfol­gen die Bewe­gun­gen in den Gelen­ken der unte­ren Extre­mi­tät in drei Ebe­nen: Betrach­tet man das obe­re und unte­re Sprung­ge­lenk als Ein­heit, erge­ben sich Bewe­gun­gen in der Sagittal‑, der Fron­tal- und der Trans­ver­sal­ebe­ne. Die sagit­ta­len Bewe­gun­gen (Plant­ar­fle­xi­on und Dor­sal­ex­ten­si­on) ver­fü­gen über den größ­ten Bewe­gungs­um­fang. Die Bewe­gun­gen in den ande­ren Ebe­nen sind zwar glei­cher­ma­ßen für das Gehen rele­vant, fal­len aller­dings deut­lich gerin­ger aus. Glei­ches gilt für das Knie- und das Hüft­ge­lenk. Ent­spre­chend tre­ten nicht nur in der Sagit­tal­ebe­ne, son­dern auch in den bei­den ande­ren Ebe­nen – abhän­gig von der Gang­pha­se – in den Gelen­ken unter­schied­li­che Dreh­mo­men­te auf (Tab. 1). Die Belas­tung in der fron­ta­len Ebe­ne wird bei­spiels­wei­se durch Val­gus- und Varus­fehl­stel­lun­gen des Pati­en­ten ent­schei­dend beein­flusst und muss daher beson­ders berück­sich­tigt werden.

Wie bereits defi­niert, muss eine Orthe­se so gebaut wer­den, dass sie ihren Ver­wen­dungs­weck erfüllt und dabei allen zu erwar­ten­den Belas­tun­gen stand­hält. Wer­den die­se Belas­tun­gen zu hoch ein­ge­schätzt, weist die Orthe­se mög­li­cher­wei­se ein zu hohes Gewicht oder eine ein­ge­schränk­te Funk­tio­na­li­tät auf. Bei zu gering ein­ge­schätz­ten Belas­tun­gen kommt es im schlimms­ten Fall zum Mate­ri­al­ver­sa­gen und zum Bruch. Eine gute Vor­stel­lung über das kom­ple­xe Zusam­men­spiel der ein­zel­nen Para­me­ter ergibt sich aus den wäh­rend der Ver­sor­gungs­pla­nung erho­be­nen pati­en­ten­be­zo­ge­nen Daten und den dar­aus ermit­tel­ten orthe­sen­be­zo­ge­nen Daten.

Ana­mne­se zur orthe­ti­schen Versorgung

Im Rah­men einer indi­vi­du­el­len Ver­sor­gungs­pla­nung wer­den bei einer aus­führ­li­chen Ana­mne­se pati­en­ten­be­zo­ge­ne Daten erho­ben, die sowohl den Bedarf an Funk­tio­na­li­tät einer orthe­ti­schen Ver­sor­gung als auch die zu erwar­ten­de Belas­tung defi­nie­ren. Die in die­sen Daten ent­hal­te­nen Fak­to­ren beein­flus­sen ent­we­der die auf­tre­ten­den Kräf­te, die vor­lie­gen­den Hebel­ver­hält­nis­se oder die Häu­fig­keit der Last­wech­sel (Nut­zungs­in­ten­si­tät).

  • Pati­en­ten­da­ten: Zu den Pati­en­ten­da­ten zäh­len z. B. Kör­per­ge­wicht und ‑grö­ße sowie Schuh­grö­ße. Die­se Daten stel­len die Basis jeder Ver­sor­gung dar und ent­hal­ten wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen zur vor­aus­sicht­li­chen Belastung.
  • Indi­ka­ti­on: Die Indi­ka­ti­on ist in den meis­ten Fäl­len bereits im Vor­feld bekannt. Die Dif­fe­ren­zie­rung einer vor­han­de­nen Läh­mung ist aller­dings für die orthe­ti­sche Ver­sor­gung unum­gäng­lich. Bei Läh­mun­gen wer­den je nach deren Ursprung zen­tra­le, spi­na­le, peri­phe­re und neu­ro­mus­ku­lä­re Läh­mun­gen unter­schie­den. Je nach Indi­ka­ti­on muss die Funk­tio­na­li­tät der geplan­ten Bein­or­the­se indi­vi­du­ell gegen die zu erwar­ten­de Belas­tung abge­wo­gen werden.
  • Akti­vi­tät: Bei der Beur­tei­lung der Akti­vi­tät ori­en­tie­ren sich die Ver­fas­ser an der für die Bein­pro­the­tik ent­wi­ckel­ten Klas­si­fi­zie­rung. Die­se umschreibt vier Akti­vi­täts­klas­sen vom Innen­be­reichs­ge­her mit einem gerin­gen Akti­ons­ra­di­us bis zum unein­ge­schränk­ten Außen­be­reichs­ge­her mit beson­ders hohen Ansprü­chen. Die ergän­zen­de Beur­tei­lung der vor­aus­sicht­li­chen Nut­zungs­häu­fig­keit und ‑inten­si­tät sowie des Umfel­des, in dem sich der Pati­ent vor­ran­gig bewegt, kann Auf­schluss über die in der Orthe­se auf­tre­ten­den Belas­tun­gen geben.
  • Stel­lung von Hüf­te, Knie und Sprung­ge­lenk: Zusätz­lich zur Haupt­in­di­ka­ti­on muss ermit­telt wer­den, ob wei­te­re ortho­pä­di­sche Ein­schrän­kun­gen wie bei­spiels­wei­se eine Val­gusstel­lung oder eine Hyper­ex­ten­si­on des Knie­ge­len­kes, eine Bein­län­gen­ver­kür­zung, Kon­trak­tu­ren oder Fuß­de­for­mi­tä­ten vor­lie­gen. Auch Beson­der­hei­ten im Gang­bild wir­ken sich maß­geb­lich auf die Belas­tung ana­to­mi­scher Struk­tu­ren aus 7. Wie sich eine ver­än­der­te bio­me­cha­ni­sche Situa­ti­on auf die Belas­tung im Knie­ge­lenk aus­wirkt, ist bei­spiel­haft in Abbil­dung  4 beschrie­ben. Durch die Ver­rin­ge­rung der Belas­tung im ana­to­mi­schen Knie­ge­lenk kann sich die Belas­tung des mecha­ni­schen Knie­ge­len­kes in der Orthe­se erhöhen.
  • Mus­kel­sta­tus: Mit Hil­fe eines Mus­kel­funk­ti­ons­tests nach Jan­da wird über­prüft, wie stark sich eine Läh­mung auf die für die Fort­be­we­gung rele­van­ten Mus­kel­grup­pen aus­wirkt. Alle sechs gro­ßen Mus­kel­grup­pen der unte­ren Extre­mi­tät wer­den ent­spre­chend ihrer Mög­lich­keit, einen manu­el­len Wider­stand zu über­win­den, in sechs Kraft­gra­de ein­ge­teilt: von Stu­fe null (kom­plet­te Läh­mung) bis Stu­fe fünf (nor­ma­le Kraft­ent­fal­tung gegen star­ken Widerstand).

Pla­nung der Orthese

Bei der tech­ni­schen Pla­nung der Orthe­se wer­den gemäß der ange­streb­ten Ver­sor­gung die orthe­sen­be­zo­ge­nen Daten fest­ge­legt. Bei der Viel­zahl die­ser Daten gibt es zahl­rei­che Fak­to­ren, durch wel­che die spä­te­re Orthe­se und deren Belast­bar­keit beein­flusst und an die zu erwar­ten­den Belas­tun­gen ange­passt wer­den kann.

  • Fuß­teil: Die Wahl des Fuß­teils ist ent­schei­dend dafür, wie groß der Vor­aus­fällt. Das kur­ze und das lan­ge teil­fle­xi­ble Fuß­teil erzeu­gen einen kur­zen, das lan­ge rigi­de Fuß­teil erzeugt einen lan­gen Vor­fuß­he­bel. Neben funk­tio­na­len Gesichts­punk­ten wird durch die Län­ge des Vor­fuß­he­bels die Höhe des auf das Knö­chel­ge­lenk wir­ken­den Momen­tes maß­geb­lich gesteuert.
  • Dor­sal­an­schlag: Zur Unter­stüt­zung schwa­cher Plant­ar­flek­to­ren wird der Vor­fuß­he­bel des Fuß­teils im Stand sowie beim Gehen zwi­schen „mid stance“ und „ter­mi­nal stance“ durch einen Dor­sal­an­schlag akti­viert 8. Ob ein sta­ti­scher oder ein dyna­mi­scher Dor­sal­an­schlag ver­wen­det wird, hängt von der Indi­ka­ti­on und den bio­me­cha­ni­schen Anfor­de­run­gen ab. Ein dyna­mi­scher Dor­sal­an­schlag erfolgt im mecha­ni­schen Knö­chel­ge­lenk durch die Kom­pri­mie­rung einer ven­tra­len Feder, durch kom­pri­mier­ba­re pneu­ma­ti­sche oder hydrau­li­sche Dämp­fungs­ein­hei­ten oder auch durch den Ein­satz von Carbonfedern.
  • Orthe­sen­typ: Ob eine Orthe­se z. B. als AFO oder KAFO gebaut wird, ist für die Knie­si­cher­heit des Pati­en­ten ent­schei­dend. Die Rah­men- oder Scha­len­ge­stal­tung (ven­tra­le oder dor­sa­le Füh­rung), das Mate­ri­al (Poly­pro­py­len, Car­bon- oder Kev­lar­fa­sern, Epo­xy- oder Acryl­gieß­harz) und die Arbeits­tech­nik der Orthe­se (Tiefzieh‑, Strong-Light- oder Gieß­h­arz­tech­nik) sind eben­so fest­zu­le­gen wie die Ver­wen­dung mecha­ni­scher Hüft‑, Knie- und Knöchelgelenke.
  • Gelen­ke: Bei den ver­bau­ten Gelen­ken sind Gelenk­sei­te, ‑funk­ti­on (Knie: gesperr­te, auto­ma­ti­sche oder frei beweg­li­che Gelen­ke, mit oder ohne Rück­ver­la­ge­rung; Knö­chel: sta­ti­sche oder dyna­mi­sche Gelen­ke, mit oder ohne Fuß­he­ber­funk­ti­on), ‑mate­ri­al (z. B. Stahl oder Titan) und ‑form (der Ana­to­mie fol­gend gera­de oder gekröpf­te Vari­an­ten) sowie Sys­tem­brei­te und Aus­füh­rung von Anker und Fuß­bü­gel fest­zu­le­gen. Ein Punkt, der für die Belast­bar­keit einer Orthe­se nicht unter­be­wer­tet wer­den darf, ist die Wahl der Arbeits­tech­nik, mit der die Gelen­ke mit den Orthe­sen­scha­len ver­bun­den wer­den (z. B. Strong-Light-Tech­nik, Niet­tech­nik, Anker- oder Gelenk-Eingusstechnik).

Funk­tio­na­li­tät und Belas­tung einer Beinorthese

Zu den Funk­tio­nen, die eine Orthe­se erfül­len muss, gehö­ren das Unter­stüt­zen, Kon­trol­lie­ren, Begren­zen und Sper­ren bestimm­ter Bewe­gun­gen. Da die­se Bewe­gun­gen in den Gelen­ken erfol­gen, muss sich die Funk­tio­na­li­tät einer Orthe­se auf die­se Berei­che kon­zen­trie­ren. Hier­für erwei­sen sich die Orthe­sen­scha­len als wich­ti­ges Merk­mal, mit dem die ein­ge­lei­te­ten Dreh­mo­men­te und somit die Bewe­gun­gen auf die mecha­ni­schen Gelen­ke über­tra­gen wer­den. Folg­lich besteht ein posi­ti­ver Zusam­men­hang zwi­schen der Stei­fig­keit und der Funk­tio­na­li­tät der Orthe­se. Aller­dings bedeu­tet die­ser Zusam­men­hang auch eine höhe­re Belas­tung der mecha­ni­schen Gelen­ke: Je grö­ßer die Stei­fig­keit der Orthe­sen­scha­len, des­to höher ist die Belas­tung in den Orthe­sen­ge­len­ken (Abb. 5). Die expe­ri­men­tel­le Ermitt­lung der Stei­fig­keit von Orthe­sen dient eher wis­sen­schaft­li­chen als kli­ni­schen Zwe­cken, kommt aller­dings auch der Ortho­pä­die-Tech­nik zugu­te 910.

Die­ser Zusam­men­hang wird am Bei­spiel zwei­er unter­schied­li­cher KAFOs deut­lich: Die in Abbil­dung 6a gezeig­te KAFO ver­fügt über Knie- und Knö­chel­ge­len­ke sowie Schel­len aus Poly­pro­py­len oder Leder. Die Gelen­ke sind über Sys­tem­schie­nen mit­ein­an­der ver­bun­den. Die Sys­tem­schie­nen sind wie­der­um mit­tels einer Niet­tech­nik mit den Schel­len und der Ober­schen­kel­scha­le ver­bun­den. Auf­grund der vor­lie­gen­den Bau­wei­se ist die Funk­tio­na­li­tät der Gelen­ke in der Sagit­tal­ebe­ne ein­ge­schränkt, da durch Rota­ti­ons­be­we­gun­gen der Kör­per­seg­men­te beim Gehen Tor­si­ons­be­we­gun­gen inner­halb der Orthe­sen­kon­struk­ti­on auf­tre­ten. Eine zu hohe Belas­tung führt haupt­säch­lich zu Ver­bie­gun­gen an den Sys­tem­schie­nen bzw. zum Bruch an den genie­te­ten Ver­bin­dungs­stel­len zwi­schen Sys­tem­schie­nen und Schellen.

Bei der aus Car­bon und Epoxid­harz in Faser­ver­bund­tech­nik gefer­tig­ten KAFO (eben­falls mit Knie- und Knö­chel­ge­lenk) sind die Gelen­ke in einer Ein­guss­tech­nik mit den Scha­len ver­bun­den. Durch das Mate­ri­al und die gewähl­te Arbeits­tech­nik kön­nen die Seg­men­te die­ser Orthe­se so steif gebaut wer­den, dass die Bewe­gun­gen in der Sagit­tal­ebe­ne zu einem gro­ßen Anteil in den mecha­ni­schen Gelen­ken erfol­gen kön­nen. Bei zu hoher Belas­tung tre­ten daher Schä­den und Mate­ri­al­ver­sa­gen zumeist im Bereich der Gelen­ke oder deren Ver­an­ke­run­gen auf (Abb. 6b).

Schluss­fol­ge­rung

Damit eine belast­ba­re Orthe­se gebaut wer­den kann, ist es wich­tig, die auf­tre­ten­den Belas­tun­gen mög­lichst genau zu bestim­men. Die­se Belas­tun­gen sind durch Ein­fluss­fak­to­ren cha­rak­te­ri­siert, die sich in den im Vor­feld erho­be­nen pati­en­ten­be­zo­ge­nen Daten wie­der­fin­den. Ent­spre­chend die­sen Belas­tun­gen wird durch die fest­zu­le­gen­den orthe­sen­be­zo­ge­nen Daten die Belast­bar­keit der Orthe­se und deren Funk­tio­na­li­tät defi­niert. Die Viel­zahl die­ser bei der Ver­sor­gungs­pla­nung rele­van­ten Daten macht eine pro­fes­sio­nel­le und sorg­fäl­ti­ge Kon­fi­gu­ra­ti­on der Orthe­se notwendig.

Für die Autoren:
Dipl.-Ing. (FH) Dani­el Sabbagh
Fior & Gentz Gesellschaft
für Ent­wick­lung und Vertrieb
von ortho­pä­die­tech­ni­schen Systemen
Wis­sen­schaft­li­che Redaktion
Doret­te-von-Stern-Stra­ße 5
21337 Lüne­burg
daniel.sabbagh@fior-gentz.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Sab­bagh D, Fior J, Gentz R. Belast­bar­keit von Bein­or­the­sen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2017; 68 (8): 18–23
GelenkGelenk

Gang­pha­se

Max. Moment Rich­tungMax. Moment (Peak)Wert [Nm/kg]
sagi­tallKnö­chelLR

Plant­ar­fle­xi­on

0,2

Tst

Dor­sal­ex­ten­si­on

1,3

Knie

LR

Fle­xi­on

(1.)

0,7

Tst

Exten­si­on

(1.)

0,2

PSw

Fle­xi­on

(2.)

0,3

TSw

Exten­si­on*

(2.)

0,3

Hüf­te

LR

Fle­xi­on

(1.)

0,4

Tst

Exten­si­on

0,7

TSw

Fle­xi­on**

(2.)

0,2

fron­tal

Knö­chel

LR

Inver­si­on

(1.)

0,1

Tst

Inver­si­on

(2.)

0,1

Knie

LR

Varus

(1.)

0,6

Tst

Varus (2.)

0,4

Hüf­te

LR

Adduk­ti­on

(1.)

1,0

Tst

Adduk­ti­on

(2.)

0,8

Tab. 1 Beim Gehen in Knö­chel, Knie und Hüf­te auf­tre­ten­de maxi­ma­le Dreh­mo­men­te [6]. LR = loa­ding respon­se, TSt = ter­mi­nal stance, PSw = pre-swing, TSw = ter­mi­nal swing. * und **: Alle in der Schwung­pha­se auf­tre­ten­den Dreh­mo­men­te sind als inter­ne Momen­te zu verstehen.
  1. Aber­nethy B, Han­ra­han SJ, Kip­pers V, Mack­in­non LT, Pan­dy MG. The Bio­phy­si­cal Foun­da­ti­ons of Human Move­ment. 2. Auf­la­ge. Cham­paign: Human Kine­tics, 2005
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