Behand­lung von Muskelverletzungen

M. Engelhardt, C. Grim
Muskelverletzungen sind eine häufige Sportverletzung. Die Therapie basiert auf Erfahrungsmedizin. Bei einem Muskelriss wird eine mit Eiswasser getränkte Binde unter Druck großflächig angewickelt, der Muskel entlastet und die Extremität hochgelagert. Über 98 % der Muskelverletzungen werden konservativ behandelt. Bei kompletten Muskelrupturen und Abrissen von Knochenvorsprüngen wird insbesondere bei Leistungssportlern operativ rekonstruiert. Nicht ordnungsgemäß behandelte Muskelverletzungen bedingen ein deutlich erhöhtes Rezidivrisiko und können zum Karriereende des Sportlers führen.

Die Ske­lett­mus­ku­la­tur des Men­schen macht über 40 % des Kör­per­ge­wich­tes aus. Mus­kel­ver­let­zun­gen sind eine häu­fi­ge Sport­ver­let­zung ins­be­son­de­re in Ball­sport­ar­ten (z. B. 30 bis 35 % aller Ver­let­zun­gen im Fuß­ball) und der Leichtathletik.

Die Ter­mi­no­lo­gie bezüg­lich der Mus­kel­ver­let­zun­gen war bis­her nicht stan­dar­di­siert. Die Arbeits­grup­pe um Mül­ler-Wohl­fahrt hat im Rah­men einer Con­sen­sus-Kon­fe­renz 2011 einen Klas­si­fi­ka­ti­ons­vor­schlag erar­bei­tet, der 2013 ver­öf­fent­licht wur­de 1 (Abb. 1).

Die The­ra­pie von Mus­kel­ver­let­zun­gen kann wei­ter­hin als Erfah­rungs­me­di­zin beschrie­ben wer­den. Die vor­lie­gen­den wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en über die ver­wen­de­ten the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men haben nur gerin­ge Evi­denz 2. Nicht ein­mal für die bewähr­ten ein­fa­chen Erst­maß­nah­men nach Mus­kel­ver­let­zun­gen (PECH-Sche­ma) gibt es eine ran­do­mi­sier­te Stu­die 3.

Ursa­chen

Die meis­ten Mus­kel­ver­let­zun­gen las­sen sich auf plötz­li­che, über die Tole­ranz­gren­zen hin­aus­ge­hen­de Mus­kel­deh­nun­gen sowie auf direk­te Anprall­trau­men zurück­füh­ren. Für Ver­let­zun­gen prä­de­sti­niert sind über zwei Gelen­ke ver­lau­fen­de und häu­fig ant­ago­nis­tisch wir­ken­de Mus­keln (z. B. Mus­cu­lus rec­tus femo­ris, Mus­cu­lus semi­ten­di­no­sus und Mus­cu­lus gastrocnemius).

Eine erhöh­te Ver­let­zungs­emp­find­lich­keit ergibt sich durch unge­nü­gen­des Auf­wär­men, bei ermü­de­ter oder unter­kühl­ter Mus­ku­la­tur sowie durch einen schlech­ten Trai­nings­zu­stand. Ein erhöh­tes Risi­ko ent­steht auch durch Infek­ti­ons­krank­hei­ten, Flüs­sig­keits­ver­lust mit Elek­tro­lyt­stö­run­gen, mus­ku­lä­re Dys­ba­lan­cen und unge­eig­ne­te Sportausrüstung.

Nicht aus­ge­heil­te Mus­kel­ver­let­zun­gen sowie der Über­gang der Nar­be zum intak­ten Mus­kel­ge­we­be stel­len beson­de­re Gefähr­dun­gen für eine erneu­te Ver­let­zung dar.

Erst­ver­sor­gung

Bei Anwe­sen­heit eines Arz­tes oder eines Phy­sio­the­ra­peu­ten soll­te der Sport­ler bei auf­tre­ten­den Mus­kel­ver­let­zun­gen mög­lichst sofort unter­sucht wer­den. Dabei geht es zunächst um die Ein­schät­zung, ob es sich um eine funk­tio­nel­le Mus­kel­stö­rung oder eine struk­tu­rel­le Ver­let­zung han­delt. Bei Ver­dacht auf einen Mus­kel­fa­ser­riss wird eine mit Eis­was­ser getränk­te Bin­de unter Druck groß­flä­chig ange­wi­ckelt. Der Mus­kel wird ent­las­tet und die betrof­fe­ne Extre­mi­tät hoch­ge­la­gert. Bei Mus­kel­ver­let­zun­gen muss mit einer (u. U. umfang­rei­chen) Blu­tung an der Ver­let­zungs­stel­le gerech­net werden.

Der Hei­lungs­pro­zess wird durch das Häma­tom ver­lang­samt. Je umfang­rei­cher das Häma­tom, des­to grö­ßer die Bin­de­ge­webs­nar­be, und des­to ungüns­ti­ger wird die funk­tio­nel­le Wie­der­her­stel­lung des Mus­kels sein. Daher ist es Haupt­zweck der Erst­be­hand­lung, die Blu­tung ein­zu­schrän­ken. Nach Mül­ler-Wohl­fahrt 1 bedeu­tet jede ver­säum­te Minu­te (inner­halb der ers­ten 10 Minu­ten) bei der Pri­mär­ver­sor­gung des Mus­kel­fa­ser­ris­ses einen Tag Zeit­ver­lust bis zur Wie­der­her­stel­lung der vol­len Belastungsfähigkeit.

Kon­ser­va­ti­ve Behandlung

Mus­kel­ver­let­zun­gen wer­den zu über 98 % kon­ser­va­tiv behan­delt. Wäh­rend die oben beschrie­be­ne Erst­be­hand­lung all­ge­mein akzep­tiert ist, gibt es teil­wei­se unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen bezüg­lich der wei­te­ren The­ra­pie­maß­nah­men. Mül­ler-Wohl­fahrt et al. 1 emp­feh­len für den ver­letz­ten Leis­tungs­sport­ler geziel­te Injek­tio­nen zur Tonus­re­gu­la­ti­on des Mus­kels. In das Ver­let­zungs­zen­trum sowie pro­xi­mal und distal davon wer­den 5 bis 7 Nadeln mit einem Lokal­an­äs­the­ti­kum (Mea­verin 1 %) in das Mus­kel­bün­del ein­ge­bracht. Über die­se Nadeln wird eine Mischung aus Trau­meel S und Acto­ve­gin (pro Nadel 2 ml) im Ver­hält­nis 1:2 infil­triert. Dies wird ggf. am 2. und 4. Tag nach dem Unfall noch­mals durch­ge­führt. Damit soll der Mus­kel­to­nus nor­ma­li­siert, der Ener­gie- und Struk­tur­stoff­wech­sel unter­stützt und die Ent­zün­dungs­re­ak­ti­on sowie die Ödem­bil­dung gering gehal­ten wer­den. Wird als Ursa­che der Mus­kel­ver­let­zung die unte­re Len­den­wir­bel­säu­le und das Ile­osa­kral­ge­lenk ange­se­hen, erfolgt die Infil­tra­ti­ons­be­hand­lung auch an der Wirbelsäule.

Zur Abkür­zung der ent­zünd­li­chen Pha­se wer­den fibri­no­ly­ti­sche Enzy­me – Bro­me­lain (z. B. Wob­en­zym, Phlo­g­en­zym etc.) – hoch­do­siert per os gege­ben. Wund­hei­lungs­för­dernd soll die Gabe von Zink und Magne­si­um in den ers­ten Tagen nach der Ver­let­zung sein. Sal­ben­um­schlä­ge mit einer Kom­bi­na­ti­on aus Arni­ka und Heil­erde (z. B. Enel­bin) kom­men vor­wie­gend zur Nacht zum Ein­satz und haben ent­zün­dungs­hem­men­de und schmerz­lin­dern­de Wir­kung. Der Ein­satz nicht­ste­ro­ida­ler Anti­phlo­gis­ti­ka in den ers­ten 5 bis 7 Tagen wird kon­tro­vers dis­ku­tiert. Der anti­in­flamm­a­to­ri­schen und schmerz­lin­dern­den Wir­kung steht ein nega­ti­ver Effekt auf den Hei­lungs­ver­lauf gegen­über. Zur Ossi­fi­ka­ti­ons­pro­phy­la­xe wird Indo­me­ta­cin bevor­zugt ein­ge­setzt. Für die Maß­nah­men der phy­si­ka­li­schen Medi­zin und der Phy­sio­the­ra­pie gibt es kei­ne Stan­dards. Sie rich­ten sich nach Art und Aus­maß der Ver­let­zun­gen sowie nach der Erfah­rung des Behand­lers (Lite­ra­tur aus 4).

Da bei struk­tu­rel­len Mus­kel­ver­let­zun­gen auf­grund des Weich­teil­trau­mas die Gefahr einer het­e­ro­to­pen Ossi­fi­ka­ti­on besteht, soll­te der ver­letz­te Bereich anfangs nicht mecha­nisch bean­sprucht und auch nicht mas­siert wer­den. Ein zu frü­her Belas­tungs­be­ginn, ins­be­son­de­re schnel­le und explo­si­ve Bewe­gun­gen, ist zu vermeiden.

Im Ver­lauf der The­ra­pie kom­men Elek­tro­the­ra­pie, Ultra­schall­the­ra­pie, manu­el­le Lymph­drai­na­ge zur Ent­sor­gung des Häm­a­toms, klas­si­sche Mas­sa­ge zur Lösung von Ver­span­nun­gen, kran­ken­gym­nas­ti­sche Übungs­be­hand­lung, Aqua­the­ra­pie und Trai­nings­the­ra­pie zum Ein­satz. Wich­tig ist ein schritt­wei­ser Belas­tungs­auf­bau unter kli­ni­schen (auch pal­pa­to­ri­schen) Verlaufskontrollen.

Ope­ra­ti­ve Behand­lung – falls erfor­der­lich, mög­lichst früh

Das chir­ur­gi­sche Vor­ge­hen ist bei kom­plet­ter Mus­kel­rup­tur, ins­be­son­de­re bei Mus­keln, die über kei­ne ago­nis­ti­schen Mus­keln ver­fü­gen, indi­ziert. Bei Mus­kel­ab­ris­sen von Kno­chen­vor­sprün­gen, ins­be­son­de­re bei Mus­keln, die bei der Becken­sta­bi­li­sie­rung mit­wir­ken, ist die Indi­ka­ti­on zur chir­ur­gi­schen Refix­a­ti­on ins­be­son­de­re im Leis­tungs­sport groß­zü­gig zu stel­len 5. An der unte­ren Extre­mi­tät betrifft die chir­ur­gi­sche Ver­sor­gung vor­wie­gend die Adduk­to­ren, die ischio­cr­ura­le Mus­ku­la­tur, den Mus­cu­lus gas­tro­c­ne­mi­us und den Mus­cu­lus quad­ri­ceps femo­ris. Der Vor­teil des ope­ra­ti­ven Vor­ge­hens ergibt sich durch eine wesent­lich höhe­re wie­der­erziel­te maxi­ma­le Kon­trak­ti­ons­kraft im Ver­gleich zur kon­ser­va­ti­ven früh­funk­tio­nel­len Behand­lung und gegen­über einer Immo­bi­li­sa­ti­on 6.

Nach dem chir­ur­gi­schen Ein­griff wird die Extre­mi­tät min­des­tens 7 Tage teil­ent­las­tet bzw. immo­bi­li­siert. Das Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramm wird indi­vi­du­ell nach Aus­maß der Ver­let­zun­gen und der Funk­ti­on des jewei­li­gen Mus­kels fest­ge­legt. Eine Beson­der­heit des ope­ra­ti­ven Vor­ge­hens stel­len Ein­ker­bun­gen und Sti­mu­la­ti­ons­an­boh­run­gen am Mus­kel­an­satz bei Mus­kel­an­satz-Enthe­sio­pa­thien dar. Dies kann über klei­ne Sti­chin­zi­sio­nen bild­wand­ler­ge­stützt durch­ge­führt werden.

Chro­ni­sche Muskelverletzungen

Mus­kel­ver­let­zun­gen haben eine hohe Rezi­div­ra­te und kön­nen bei unsach­ge­mä­ßer Behand­lung zum Kar­rie­re­en­de füh­ren. Nur weni­ge Sport­ler sind sich des­sen bewusst, dass eine nicht ord­nungs­ge­mäß behan­del­te Mus­kel­ver­let­zung das Risi­ko einer erneu­ten Ver­let­zung deut­lich erhöht.

Unzu­rei­chen­de Aus­hei­lung der Mus­kel­ver­let­zun­gen oder zu frü­he Wie­der­auf­nah­me der Sport­ak­ti­vi­tät kann eine erneu­te Ver­let­zung des Mus­kels begüns­ti­gen. Ver­nar­bun­gen kön­nen zu neu­ro­mus­ku­lä­ren Koor­di­na­ti­ons­stö­run­gen oder Kramp­f­er­schei­nun­gen füh­ren, das gestör­te Kon­trak­ti­ons­ver­hal­ten der Mus­keln und die ver­än­der­te Elas­ti­zi­tät von Fas­zi­en und Gleit­schich­ten lösen beim Sport­ler Schmer­zen aus und wer­den nicht sel­ten als Druck, Krampf oder Zie­hen empfunden.

Zu den chro­ni­schen Mus­kel­ver­let­zun­gen zäh­len auch intra­mus­ku­lä­re Ver­knö­che­run­gen (Myo­si­tis ossi­fi­cans). Die Ver­kal­kung von Mus­kel­ge­we­be durch Meta­pla­sie der His­tio­zy­ten in Oste­oblas­ten kann post­trau­ma­tisch bei aus­ge­präg­ter Häma­tom­bil­dung und Behand­lungs­feh­lern entstehen.

Hier­zu zäh­len etwa früh­zei­ti­ge Mas­sa­ge des Ver­let­zungs­ge­bie­tes, unge­nü­gen­de Ruhig­stel­lung sowie früh­zei­ti­ger Trai­nings­be­ginn unter Nicht­be­rück­sich­ti­gung der Schmer­zen. Füh­ren die Ver­knö­che­run­gen zu Ein­schrän­kun­gen der Gelenk­be­weg­lich­keit und Schmer­zen oder zu star­ken Beein­träch­ti­gun­gen der kör­per­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit, kön­nen sie ope­ra­tiv ent­fernt wer­den (Abb. 2a u. b).

Der Ein­griff soll­te erst dann erfol­gen, wenn die Ent­zün­dungs­pa­ra­me­ter und die alka­li­sche Phos­phat­a­se rück­läu­fig sind.

Für die Autoren:
Priv.-Doz. Dr. med. Mar­tin Engelhardt
Kli­ni­kum Osnabrück
Am Fin­ken­hü­gel 1
49076 Osna­brück
martin.engelhardt@klinikum-os-de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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  2. Reu­rink G, Gouds­waard GJ, Toll JL, et al. The­ra­peu­tic inter­ven­ti­ons for acu­te ham­string inju­ries: a sys­te­ma­tic review. Br J Sports Med, 2012; 46 (2): 103–109
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  4. Mül­ler-Wohl­fahrt HW, Ueb­la­cker P, Hän­sel L. Mus­kel­ver­let­zun­gen im Sport. 2. Auf­la­ge. Stutt­gart: Thie­me, 2014
  5. Engel­hardt M (Hrsg.). Sport­ver­let­zun­gen. Mün­chen: Else­vier, 2009
  6. Mene­trey J, Kasem­ki­j­watt­a­na C, Fu FH, et al. Sutu­ring ver­sus immo­bi­liza­ti­on of a mus­cle lace­ra­ti­on: a mor­pho­lo­gi­cal and func­tion­al stu­dy in a mou­se model. Am J Sports Med, 1999; 27 (2): 222–229
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