Arm­pro­the­ti­sche Ver­sor­gun­gen bei Kindern

B. Bertram, M. Alimusaj
Die Versorgung von Kindern mit Armprothesen stellt eine besondere Herausforderung dar: Die Passteilauswahl ist begrenzt; klassische Prothesenkonzepte berücksichtigen nicht immer den tatsächlichen Bedarf. Auch die Wünsche dieser Patientengruppe verdienen Gehör. Der Beitrag vermittelt einen Überblick über die Herausforderungen und Chancen der verschiedenen Versorgungsoptionen bei Armprothesen für Kinder.

Ein­lei­tung

Bei der Ver­sor­gung von Pati­en­ten mit Pro­the­sen für die obe­re Extre­mi­tät hat die Funk­ti­on in der Regel einen hohen Stel­len­wert, an dem sich die aktu­el­le tech­ni­sche Ent­wick­lung mes­sen las­sen muss. Die ver­wen­de­ten Pass­tei­le spie­len dabei eine gro­ße Rol­le. Aber sosehr aktu­el­le Pass­tei­le auch dem natür­li­chen Vor­bild der Hand nach­ei­fern, wenn es um Griff­geo­me­trien oder Griff­ge­schwin­dig­keit geht – dem direk­ten Ver­gleich mit der natür­li­chen Hand hal­ten sie wei­ter­hin nicht stand. Und obwohl es viel­ge­len­ki­ge Greif­kom­po­nen­ten zur Abbil­dung unter­schied­li­cher Griff­mus­ter und Pro­the­sen­hän­de mit rela­tiv hohen Geschwin­dig­kei­ten für schnel­le Reak­ti­ons­zei­ten gibt, blei­ben die­se doch nur Werk­zeu­ge, die nicht die glei­che Sta­bi­li­tät, Fle­xi­bi­li­tät und Fein­mo­to­rik, geschwei­ge denn Sen­si­bi­li­tät auf­wei­sen wie eine natür­li­che Hand. Den­noch: All das soll nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass es sich dabei um nütz­li­che Werk­zeu­ge han­delt, die Pati­en­ten ein hohes Maß an Selbst­stän­dig­keit, Selbst­be­stimmt­heit und Teil­ha­be ermöglichen.

Der tech­ni­sche Auf­wand, durch eine weit­ge­hen­de Minia­tu­ri­sie­rung der Bau­tei­le ein hohes Maß an Funk­tio­na­li­tät bei annä­hernd phy­sio­lo­gi­schen Dimen­sio­nen zu erzie­len, darf selbst­ver­ständ­lich gewür­digt wer­den. Eine Markt­ana­ly­se gibt aber schnell Auf­schluss dar­über, dass die­se Optio­nen tech­nisch-mecha­nisch bedingt nur in bestimm­ten Grö­ßen zur Ver­fü­gung ste­hen und damit nicht oder nicht hin­rei­chend imstan­de sind, die rea­len Bedürf­nis­se von Men­schen mit Ampu­ta­ti­on abzudecken.

In die­sem Kon­text gibt es eine Ziel­grup­pe, die nicht oder nur unzu­rei­chend durch indus­tri­ell gefer­tig­te Kom­po­nen­ten berück­sich­tigt wird: Kin­der. Dabei haben ins­be­son­de­re Kin­der einen hohen Funk­ti­ons­an­spruch und wol­len in kom­pro­miss­lo­ser Wei­se von einer pro­the­ti­schen Ver­sor­gung pro­fi­tie­ren. Myo­elek­tri­sche Pro­the­sen sind der aner­kann­te Stand der Tech­nik zur Sicher­stel­lung von Selbst­stän­dig­keit und Teil­ha­be 1. Bei der Ver­sor­gung von Kin­dern mit der­ar­ti­gen Kon­zep­ten exis­tie­ren aber kei­ne Lösun­gen, die sta­bil, kräf­tig und hoch­funk­tio­nell genug sind, um deren spe­zi­el­len Anfor­de­run­gen Rech­nung zu tra­gen. Auf dem deut­schen Markt steht fak­tisch nur ein ein­zi­ges dezi­dier­tes Kin­der-Sys­tem zur Ver­fü­gung, das tat­säch­lich bei Kin­dern ab dem Vor­schul­al­ter ange­wen­det wer­den kann. Mit Aus­nah­me eines aktua­li­sier­ten Elek­tro­mo­tors und neu­er Steue­rungs­ein­hei­ten sowie Akkus wird das Sys­tem im Kern seit über drei­ßig Jah­ren im Prin­zip unver­än­dert her­ge­stellt (Abb. 1). Kei­ne der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen hat dabei die Greif­funk­ti­on ver­bes­sert; die­se Kin­der­hand bil­det ledig­lich einen Drei­punkt­griff mit ein­ge­schränk­ter Griff­geo­me­trie ab. Zwar bie­tet sie durch­aus einen Funk­ti­ons­vor­teil im Sin­ne einer akti­ven Greif­funk­ti­on, des Hal­tens von Gegen­stän­den und bima­nu­el­ler Tätig­kei­ten, lässt aber Geschwin­dig­keit, Kraft und Adap­ti­vi­tät ver­mis­sen. Aspek­te wie feh­len­de Was­ser­dich­tig­keit und nur beding­te mecha­ni­sche Belast­bar­keit kom­men erschwe­rend hinzu.

Span­nungs­feld der Bedürfnisse

Wäh­rend Erwach­se­ne nach einer ein­ge­hen­den fach­li­chen Bera­tung häu­fig in der Lage sind, Vor- und Nach­tei­le ein­zel­ner Sys­te­me für ihre jewei­li­ge All­tags­an­wen­dung in reflek­tier­ter Wei­se abzu­wä­gen, und dabei auch bereit sind, Kom­pro­mis­se zu schlie­ßen, ist die Com­pli­ance bei Kin­dern in hohem Maße davon abhän­gig, wie gezielt ihre Bedürf­nis­se adres­siert und die Ein­schrän­kun­gen in der Kom­po­nen­ten­aus­wahl durch mög­lichst kom­pro­miss­lo­se Schaft­kon­struk­tio­nen und hoch­gra­dig indi­vi­du­el­le Son­der­lö­sun­gen kom­pen­siert wer­den. Dies schließt auch beson­de­re kos­me­ti­sche Anfor­de­run­gen nicht aus.

Die zuver­läs­sigs­te Quel­le für die Bedürf­nis­se des Kin­des ist dabei das Kind selbst. Nicht die Eltern und Betreu­er und auch nicht der Ortho­pä­die­tech­ni­ker wis­sen, wel­che kon­kre­ten Anfor­de­run­gen an die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung bestehen. Das Kind muss daher als selbst­stän­di­ge Per­son betrach­tet und sei­nen Wün­schen Gehör geschenkt wer­den. Dabei müs­sen auch die bestehen­den Funk­tio­nen der vor­han­de­nen oder ver­blie­be­nen Extre­mi­tä­ten berück­sich­tigt wer­den. Denn nicht sel­ten sind Kin­der in der Lage, mit Hil­fe ihres Stump­fes Auf­ga­ben schnell, gezielt und geschickt zu lösen, wäh­rend eine Pro­the­sen­ver­sor­gung durch ihr Gewicht, die man­geln­de Geschwin­dig­keit und Adap­ti­vi­tät und den Ver­lust des Tast­sinns im Ein­zel­fall hin­der­lich sein kann (Abb. 2). Zwar kann eine funk­tio­nel­le myo­elek­tri­sche Ver­sor­gung in das täg­li­che Spie­len, Bas­teln, selbst­stän­di­ges Anklei­den oder Essen ziel­füh­rend inte­griert wer­den, jedoch muss die Ent­schei­dung für die Nut­zung einer Pro­the­se beim Kind selbst lie­gen. Die­ses soll­te daher mög­lichst selbst­stän­dig sei­ne funk­tio­nel­len Defi­zi­te benen­nen und die erar­bei­te­te Lösung dar­auf ein­ge­hen. Dabei ist dar­auf zu ach­ten, dass eine Über­ver­sor­gung oder eine Über­for­de­rung ver­mie­den wer­den, denn soll­te selbst die auf­wen­digs­te elek­tri­sche Pro­the­se – bei­spiels­wei­se zur Ermög­li­chung des Rad­fah­rens – als hin­der­lich wahr­ge­nom­men wer­den, so kann davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass das Kind den Auf­wand des Anle­gens der Pro­the­se zumin­dest für kur­ze Fahrt­stre­cken scheu­en und die Pro­the­se somit nicht anle­gen wird.

Unbe­nom­men davon bleibt bei der Ver­sor­gung die For­de­rung, Kin­der zwar kind­ge­recht, aber eben­so gründ­lich wie Erwach­se­ne über die Mög­lich­kei­ten der Pro­the­se auf­zu­klä­ren, ihnen damit Chan­cen zu eröff­nen und Ange­bo­te zu unter­brei­ten, ohne dabei jedoch „Hor­ror­sze­na­ri­en“ in Bezug auf redu­zier­te Teil­ha­be, Spät­fol­gen oder ähn­lich Ein­schüch­tern­des auf­zu­bau­en. Die Ent­schei­dung für die Nut­zung einer Pro­the­se obliegt schließ­lich genau­so in letz­ter Kon­se­quenz dem­je­ni­gen, der die Pro­the­se tra­gen soll – dem Kind. Dies soll jedoch nicht als Pflich­tent­bin­dung der Fach­leu­te aus Ortho­pä­die-Tech­nik, The­ra­pie und Medi­zin ver­stan­den wer­den. Viel­mehr soll es auf­zei­gen, wie kom­plex sich der Wer­de­gang einer pro­the­ti­schen Ver­sor­gung gestal­ten kann und wie wich­tig es ist, sich dabei mit dem Pati­en­ten – also dem Kind – aus­ein­an­der­zu­set­zen. Nicht die Fach­lich­keit der Ver­sor­gung wird am Ende im Vor­der­grund ste­hen, son­dern der rea­le Nut­zen der Pro­the­se im All­tag. Dies ist ein häu­fig lang­wie­ri­ger Pro­zess, den das Ver­sor­gungs­team fach­lich ver­siert und empa­thisch beglei­ten muss – macht doch die Betrof­fen­heit selbst einen Pati­en­ten eben nicht auto­ma­tisch zum „Fach­mann“ und obliegt die ver­sor­gungs­sei­ti­ge Ent­schei­dung über die zweck­mä­ßi­ge und wirt­schaft­li­che Aus­füh­rung in letz­ter Kon­se­quenz dem Kom­pe­tenz­team aus Ortho­pä­die­tech­ni­ker, ver­ord­nen­dem Arzt und The­ra­peu­ten 2.

Ins­be­son­de­re bei der Ver­sor­gung von Kin­dern müs­sen dar­über hin­aus auch deren Eltern berück­sich­tigt wer­den. Sie die­nen als Schnitt­stel­le, „Dol­met­scher“ und Moti­va­tor und haben selbst vie­le Fra­gen, Ängs­te und Ideen, die beant­wor­tet, ernst genom­men und dis­ku­tiert wer­den müs­sen. Sie sind unter Umstän­den auch gute Beob­ach­ter und erken­nen funk­tio­nel­le Defi­zi­te, die man anspre­chen, veri­fi­zie­ren und in der Pla­nung adres­sie­ren kann.

You­Tube, Goog­le & Co.

In die­sen ver­netz­ten Zei­ten gibt es vie­le Ideen und media­le Ein­drü­cke zum The­ma Arm­pro­the­sen, die bewer­tet und im Ver­sor­gungs­team bespro­chen wer­den soll­ten. Nicht alles, was in den Medi­en gezeigt wird, ist in der Rea­li­tät so, wie es dort erscheint; nicht jede Hoff­nung, die dort geweckt wird, ist in der Rea­li­tät und im Ein­zel­fall wie dort sug­ge­riert umzu­set­zen. Somit gewinnt die Auf­klä­rung im Sin­ne der Umsetz­bar­keit und Nach­hal­tig­keit unter Berück­sich­ti­gung regu­la­to­ri­scher Anfor­de­run­gen an Bedeu­tung. Bei elter­li­cher Unsi­cher­heit und Selbst­zwei­feln soll­te sich daher auch der Ortho­pä­die­tech­ni­ker der Auf­ga­be anneh­men, die­se zu ana­ly­sie­ren, ggf. zu zer­streu­en und dar­zu­le­gen, dass das Kind eine eige­ne star­ke Per­sön­lich­keit auf­bau­en und sein Leben unge­ach­tet aller Umstän­de selbst­be­stimmt füh­ren kann. Hilfs­mit­tel sol­len dabei das sein, was sie sind – eine Hil­fe und ein Werkzeug.

Ver­sor­gungs­stu­fen je nach Alter

Alters­ab­hän­gig sind Kin­der mehr oder weni­ger imstan­de, ihre Bedürf­nis­se zu arti­ku­lie­ren; manch­mal ent­beh­ren dabei ein­zel­ne Ein­drü­cke ver­meint­li­cher Defi­zi­te einer rea­len Grund­la­ge. Jedes Kind hat sei­ne indi­vi­du­el­le Ent­wick­lungs­ge­schwin­dig­keit, und nicht immer gibt es einen kau­sa­len Zusam­men­hang zwi­schen zeit­li­chen Abwei­chun­gen von Ent­wick­lungs­schrit­ten in Bezug auf Lehr­buch-Sta­tis­ti­ken und dem Feh­len phy­sio­lo­gi­scher Strukturen.

Ins­be­son­de­re die ers­ten Ver­sor­gun­gen kön­nen in einem Alter statt­fin­den, in dem die Eltern allein die Ent­schei­dung tref­fen, eine Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung zu initi­ie­ren. Dabei muss die­se zunächst als Ange­bot gegen­über dem Kind betrach­tet wer­den, mit des­sen Hil­fe zwang­los die ers­ten Ein­drü­cke zur Nut­zung einer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung ver­mit­telt wer­den kön­nen. Wäh­rend eine ers­te Habi­tus­pro­the­se bereits Klein­kin­dern demons­triert, wie hilf­reich eine Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung zum Abstüt­zen oder als Gegen­halt sein kann, und die Kör­per­wahr­neh­mung hin­sicht­lich der Pro­the­sen­nut­zung, aber auch der Eigen­wahr­neh­mung selbst stärkt, hat der Ablauf des Ver­sor­gungs­pro­zes­ses bei Kin­dern einen ande­ren Stel­len­wert als bei Erwach­se­nen: Je nach­dem, wie koope­ra­tiv das Kind bereits beim Gips­ab­druck und den Anpro­ben ist und wie sehr alle Betei­lig­ten mög­li­cher­wei­se bestehen­de Ängs­te ernst neh­men, kann die­se Ver­sor­gung nicht nur posi­ti­ve, son­dern auch nega­ti­ve Ein­drü­cke manifestieren.

Es ist also dar­auf zu ach­ten, dass eine Ver­sor­gung mit einer Pro­the­se nicht gegen den aus­drück­li­chen Wil­len des Kin­des durch­ge­führt wird, um nicht im spä­te­ren Ver­lauf eine grund­sätz­lich ableh­nen­de Hal­tung gegen­über hilf­rei­chen Ver­sor­gun­gen zu pro­vo­zie­ren. Wie Koope­ra­ti­on sei­tens der Kin­der aus­ge­drückt wird, ist dabei lei­der nicht immer gut ein­zu­ord­nen – bekann­ter­ma­ßen fol­gen nicht alle Kin­der den ver­meint­li­chen Gesetz­mä­ßig­kei­ten in Bezug auf Geduld, Kom­mu­ni­ka­ti­on oder das Erken­nen von Kau­sal­zu­sam­men­hän­gen, die sich Erwach­se­ne wün­schen (Abb. 3).

Im Fol­gen­den wer­den die wich­tigs­ten Stu­fen einer Ver­sor­gung von Kin­dern mit einer Arm­pro­the­se ide­al­ty­pisch vor­ge­stellt. Dazu zäh­len die Schrit­te Erst­ver­sor­gung, Ver­sor­gung ab zwei Jah­ren sowie Ver­sor­gung ab vier Jahren.

Erst­ver­sor­gung

Die Emp­feh­lung zur ers­ten Ver­sor­gung sieht je nach Ent­wick­lungs­stand des Kin­des den Beginn etwa um die Voll­endung des ers­ten Lebens­jah­res vor. Zuvor hat das Kind genü­gend Zeit gehabt, eige­ne Kör­per­er­fah­run­gen und sei­nen Tast­sinn aus­zu­bil­den 3. Um die­sen Zeit­punkt her­um ist das Kind zudem in der Lage, frei zu sit­zen und sich auf­zu­rich­ten, sodass es vom Hebel und Gegen­halt der Pro­the­se funk­tio­nell pro­fi­tie­ren kann. Eine sol­che soge­nann­te Habi­tus­pro­the­se wird auch als „Patsch­hand“ bezeich­net, die deut­lich mehr Funk­tio­nen auf­weist, als es der alt­her­ge­brach­te Begriff ver­mu­ten lässt (Abb. 4). Auf­grund des hohen Wachs­tums­po­ten­zi­als in die­ser Pha­se ist eine ver­gleichs­wei­se schnel­le, unkom­pli­zier­te und nach­pass­ba­re Ver­sor­gungs­lö­sung emp­feh­lens­wert. Hoch­fle­xi­ble Ther­mo­plast­schäf­te berück­sich­ti­gen dies. Zwar steht die­se Lösung ande­ren Mate­ria­li­en in Sachen Elas­ti­zi­tät funk­tio­nell nach, jedoch über­wie­gen die Vor­tei­le hin­sicht­lich Nach­pass­bar­keit und beschleu­nig­ter Fer­ti­gungs­zei­ten, die eine län­ge­re Nutz­bar­keit der Ver­sor­gung sicherstellen.

Der in die­sem Fall zu schlie­ßen­de Kom­pro­miss besteht aus einem mög­li­cher­wei­se redu­zier­ten Bewe­gungs­aus­maß durch die zumeist unum­gäng­li­che Umgrei­fung des Ole­cra­nons durch weni­ger dehn­ba­re Ther­mo­plas­te, die ins­be­son­de­re in der Stre­ckung einen frü­he­ren Anschlag bedin­gen als dehn­ba­res HTV-Sili­kon. Die­se Umgrei­fung kann bei Bedarf durch ther­mo­plas­ti­sche Ver­for­mung gedehnt und damit dem Wachs­tum ein Stück weit ange­passt wer­den. Im Ein­zel­fall ist abzu­wä­gen, ob auch Kon­struk­tio­nen mit HTV-Sili­ko­nen und ein­ge­ar­bei­te­ten Wachs­tums­area­len durch wei­che Sili­ko­ne mit grö­ße­rer Dehn­fä­hig­keit oder fle­xi­blen Rah­men­kon­struk­tio­nen dien­lich sein kön­nen. Ziel soll­te aber eine mög­lichst lan­ge nach­pass­ba­re Umset­zung und Nut­zung sein, ohne jedoch dabei dem funk­tio­nel­len Aspekt einer anschmieg­sa­men Sili­kon­lö­sung durch ein Maß an Rigi­di­tät der­art nach­zu­ste­hen, dass der Nut­zen der Pro­the­se anzu­zwei­feln wäre.

Ver­sor­gung ab zwei Jahren

Unab­hän­gig von der Erst­ver­sor­gung mit einer Patsch­hand kann ab einem Alter von etwa zwei Jah­ren eine Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung mit pri­mär funk­tio­nel­lem Cha­rak­ter erfol­gen. Dabei geht es weni­ger um phy­sio­lo­gisch-ästhe­ti­sche Aspek­te als viel­mehr um geziel­te Unter­stüt­zung bei funk­tio­nel­len Defi­zi­ten, die in die­sem Alter bereits dem Kind selbst auf­fal­len kön­nen oder die bestimm­te alters­ent­spre­chen­de Akti­vi­tä­ten erschwe­ren oder sogar ver­hin­dern. Ins­be­son­de­re Lenk- oder Besteck­ad­ap­tio­nen (Abb. 5) kön­nen einen situa­tiv geziel­ten Gebrauchs­vor­teil mit sich brin­gen, kon­zen­trie­ren sich allein auf die mög­li­chen Vor­tei­le einer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung und ver­ein­fa­chen die Anwen­dung und Nut­zung ohne lang­wie­ri­ge Anle­ge­pro­zes­se, Gewichts­be­las­tung im Tages­ver­lauf oder Wär­me­stau außer­halb der Nut­zungs­zei­ten. Dies kann Ängs­te abbau­en und all­ge­mein Ver­trau­en zur The­ma­tik der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung und zum zunächst als Fremd­kör­per emp­fun­de­nen Hilfs­mit­tel schaffen.

In der Ver­gan­gen­heit bestan­den gera­de in der Dis­kus­si­on mit ärzt­li­chen Fach­kol­le­gen, im kli­ni­schen All­tag und zum Teil noch heu­te mit Gut­ach­tern unter­schied­li­cher Insti­tu­tio­nen For­de­run­gen, den Wech­sel zwi­schen Habi­tus- bzw. Patsch­hand­pro­the­se und funk­tio­nel­ler myo­elek­tri­scher Pro­the­se über den Zwi­schen­schritt einer tra­di­tio­nel­len mecha­ni­schen Pro­the­se zu durch­lau­fen, um die funk­tio­nel­le Nut­zung zu eva­lu­ie­ren. Die­se Sys­te­me benö­ti­gen aber ein Maß an Kör­per­kraft und eine Weg­ver­län­ge­rung der Ban­da­gen­kom­po­nen­te durch Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen des Rump­fes, die von Kin­dern typi­scher­wei­se nicht oder nur schwer­lich erzeugt wer­den kön­nen. Der Ein­satz sol­cher Sys­te­me schei­tert daher häu­fig an der kind­li­chen phy­si­schen Struk­tur und Mor­pho­lo­gie. Die Ban­da­ge, sofern nicht ander­wei­tig erfor­der­lich, schränkt zudem die Bewe­gungs­frei­heit ein, und nicht zuletzt ist die Optik funk­tio­nel­ler mecha­ni­scher Kom­po­nen­ten im hie­si­gen Kul­tur­kreis mit Stig­ma­ta und einer ent­spre­chen­den Abschre­ckungs­wir­kung belegt. Da mecha­ni­sche und myo­elek­tri­sche Pro­the­sen unter funk­tio­nel­len und steue­rungs­sei­ti­gen Aspek­ten zudem kaum ver­gleich­bar sind, ist der Wert einer sol­chen Eva­lu­ie­rung ohne­hin zwei­fel­haft. Die­ser Schritt wird daher nach heu­ti­gem Stand grund­sätz­lich nicht mehr emp­foh­len, um das Kind nicht unnö­tig zu ver­schre­cken und über­flüs­si­ge Umlern­pha­sen zu vermeiden.

Ver­sor­gung ab vier Jahren

Ab einem Alter von etwa vier Jah­ren – wie­der­um je nach dem per­sön­li­chen Ent­wick­lungs­stand – ist die Ver­sor­gung mit einer myo­elek­tri­schen Pro­the­se erfolg­ver­spre­chend (Abb. 6). Ab die­sem Alter sind Kin­der in der Lage, ihre Bedürf­nis­se bes­ser zu for­mu­lie­ren und Außen­ste­hen­den zu ver­mit­teln. Gleich­zei­tig sind sie emp­fäng­lich für Erläu­te­run­gen etwa von Tech­ni­kern oder The­ra­peu­ten. Häu­fig wird der Wunsch nach einer akti­ven funk­tio­nel­len Ver­sor­gung von den Kin­dern selbst geäu­ßert, was sich im Ver­sor­gungs­ver­lauf posi­tiv aus­wir­ken kann, da even­tu­el­le Rück­schlä­ge auf­grund der intrin­si­schen Moti­va­ti­on häu­fig bes­ser ver­ar­bei­tet wer­den und mehr Durch­hal­te­ver­mö­gen demons­triert wird. Selbst­ver­ständ­lich kann der Ver­sor­gungs­be­ginn im Ein­zel­fall auch frü­her oder spä­ter – je nach der men­ta­len Rei­fe der jewei­li­gen Pati­en­ten und den indi­vi­du­el­len Erfor­der­nis­sen – statt­fin­den. Es ist dabei jedoch emp­feh­lens­wert, dass eine Ver­sor­gung idea­ler­wei­se vor dem Schul­ein­tritt oder dem Wech­sel auf die wei­ter­füh­ren­de Schu­le abge­schlos­sen sein soll­te, damit die Pro­the­se bereits sinn­voll in den All­tag inte­griert wer­den kann und die Lern­pha­se nicht mit den Ein­drü­cken einer neu­en Umge­bung, neu­en Ansprech­part­nern und neu­en Anfor­de­run­gen kon­kur­rie­ren muss. Die­se Emp­feh­lung bedeu­tet jedoch nicht, dass nicht auch ander­wei­tig Erfol­ge erzielt wer­den können.

Schaft­ge­stal­tung

Der Schaft­ge­stal­tung als Schnitt­stel­le zwi­schen Mensch und Tech­nik muss bei Kin­dern beson­de­re Auf­merk­sam­keit zukom­men. Wäh­rend man sich bei Patsch­pro­the­sen und All­tags­hil­fen zumin­dest zu Beginn ver­gleichs­wei­se ein­fa­cher Mate­ria­li­en und Kon­struk­ti­ons­wei­sen bedie­nen kann (aber nicht muss), ohne dabei nega­ti­ve Fol­gen in Kauf neh­men zu müs­sen, ist spä­tes­tens im Fal­le funk­tio­nel­le­rer Pro­the­sen eine kom­pro­miss­lo­se Schaft­ge­stal­tung drin­gend indi­ziert. Die­se beschränkt sich nicht län­ger auf ver­gleichs­wei­se ein­fa­che Mate­ria­li­en, son­dern nutzt das vol­le Spek­trum tech­ni­scher Mög­lich­kei­ten mit hoch­fle­xi­blen Sili­ko­nen und Faser­ver­bund­ma­te­ria­li­en und berück­sich­tigt jede ziel­füh­ren­de funk­tio­nel­le Erwä­gung hin­sicht­lich Rand­ver­läu­fen und Be- und Ent­las­tungs­zo­nen, statt pri­mär das Stumpf­vo­lu­men zu bet­ten. Ins­be­son­de­re die im Ver­gleich zu Kom­po­nen­ten für Jugend­li­che oder Erwach­se­ne funk­tio­nell ein­ge­schränk­ten Pass­tei­le dür­fen nicht zusätz­lich durch Defi­zi­te der Schaft­ge­stal­tung beein­träch­tigt wer­den. Wie auch bei der hoch­funk­tio­nel­len Ver­sor­gung Erwach­se­ner ist bei der Schaft­ge­stal­tung auf ein maxi­ma­les phy­sio­lo­gi­sches Bewe­gungs­aus­maß und einen opti­ma­len Halt und Schaft­kom­fort in allen Posi­tio­nen und bei sämt­li­chen Akti­vi­tä­ten zu ach­ten – Aspek­te, die sich im Grun­de nur mit hoch­elas­ti­schen, aber sta­bi­len Mate­ria­li­en wie hoch­tem­pe­ra­tur­ver­net­zen­den (HTV-)Silikonen ange­mes­sen umset­zen lassen.

Die kli­ni­sche Erfah­rung zeigt dabei, dass eine mitt­le­re Nut­zungs­dau­er von 18 bis 24 Mona­ten auch bei Kin­dern im Wachs­tum mög­lich ist und dass somit unter Berück­sich­ti­gung des hohen Funk­ti­ons­an­spruchs auch bei einer auf­wen­di­gen Sili­kon­schaft­ver­sor­gung das Wirt­schaft­lich­keits­ge­bot berück­sich­tigt wird – zumal eine sol­che in erheb­li­chem Maße Gebrauchs­vor­tei­le gegen­über allen sons­ti­gen Mate­ria­li­en der moder­nen Ortho­pä­die-Tech­nik bie­tet. Nicht alle Schaft­sys­te­me sind dazu jedoch glei­cher­ma­ßen geeignet:

  • Sys­te­me wie Roll-Liner, die auf ein hohes Maß an Kom­pres­si­on ange­wie­sen sind, bie­ten bei der Ver­sor­gung der obe­ren Extre­mi­tät unter Berück­sich­ti­gung des kind­li­chen Wachs­tums oft kei­ne aus­rei­chen­de Nutzungsdauer.
  • Sili­kon-Schlupf- und ‑Voll­kon­takt­schäf­te hin­ge­gen kön­nen die Anfor­de­run­gen in der Regel umfas­send erfüllen.

Fol­gen­de Kon­struk­ti­ons­merk­ma­le soll­ten dabei in Betracht gezo­gen werden:

  • geziel­te Elastizitäten,
  • Berück­sich­ti­gung der Weich­teil­ver­for­mung in der Dyna­mik sowie
  • geeig­ne­te Rahmenkonstruktionen.

Die­se Aspek­te soll­ten sogar noch detail­lier­ter ver­folgt wer­den als bei Erwach­se­nen, um das Wachs­tums­po­ten­zi­al der jun­gen Trä­ge­rin­nen und Trä­ger der Pro­the­sen beson­ders zu adres­sie­ren (Abb. 7).

Mit­tels der Schaft­ge­stal­tung muss zudem die Selbst­stän­dig­keit des Kin­des unter­stützt wer­den. Da dies das obers­te Ziel der Gesamt­ver­sor­gung ist, muss auch eine geeig­ne­te An- und Aus­zieh­tech­nik berück­sich­tigt wer­den, auch wenn ins­be­son­de­re das Anzie­hen einer Pro­the­se gera­de bei den Klei­nen und zu Beginn einer Ver­sor­gung Schwie­rig­kei­ten birgt. Dem­ge­gen­über soll­te das eigen­stän­di­ge Able­gen im Bedarfs­fall immer mög­lich sein.

Beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen bei Kinderversorgungen

Auf tech­ni­scher Sei­te stel­len die Grö­ßen­di­men­sio­nen eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung dar. Die­se gren­zen die Aus­wahl der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Bau­tei­le noch­mals mas­siv auf sehr weni­ge elek­tro­me­cha­ni­sche oder allen­falls mecha­ni­sche oder pas­si­ve Pro­duk­te ein. Nicht sel­ten genü­gen die­se aber nicht den funk­tio­nel­len, tech­ni­schen oder phy­sio­lo­gi­schen Anfor­de­run­gen und erfor­dern indi­vi­du­el­le Son­der­lö­sun­gen und Zurich­tun­gen. Dies schließt sowohl den Eigen­bau von Kom­po­nen­ten als auch ver­ein­zel­te Modi­fi­ka­tio­nen an Sys­tem­kom­po­nen­ten mit ein, um das Ver­sor­gungs­ziel zu errei­chen (Abb. 8). Natür­lich sind regu­la­to­ri­sche und haf­tungs­recht­li­che Fra­gen damit ver­bun­den. Das Wis­sen dar­um, wel­che Kom­po­nen­ten in wel­chem Rah­men modi­fi­ziert wer­den kön­nen, ist bereits bei der Kon­zep­ti­on der Ver­sor­gung und der Auf­klä­rung der Betei­lig­ten von gro­ßer Bedeu­tung, wenn es um den zu erwar­ten­den Grad der Ziel­er­rei­chung hin­sicht­lich Funk­ti­on und Gestal­tung geht. Das Gewicht spielt bei Kin­der­ver­sor­gun­gen eben­falls eine gro­ße Rol­le. Es ist so weit wie mög­lich zu redu­zie­ren und Kom­po­nen­ten mit ver­gleichs­wei­se hohen Mas­sen – wenn mög­lich – im Sin­ne der hebel­be­ding­ten Belas­tung und Gewichts­wahr­neh­mung mög­lichst nach pro­xi­mal ein­zu­pla­nen. Es ist daher im Ein­zel­fall und trotz der funk­tio­nel­len Vor­tei­le bes­ser, etwa auf eine Hand­ge­lenks­be­weg­lich­keit (z. B. Fle­xi­on) zu ver­zich­ten, um das Gewicht zu redu­zie­ren. Ins­be­son­de­re myo­elek­tri­sche Pro­the­sen mit ihren Ener­gie­trä­gern sind zumeist kaum leich­ter zu kon­stru­ie­ren; hier ist also wie oben erwähnt ver­mehrt auf eine akku­ra­te Plat­zie­rung der Kom­po­nen­ten in Kör­per­nä­he zu ach­ten, um zumin­dest ungüns­ti­ge Hebel zu reduzieren.

Gebrauchs­schu­lung

Die men­ta­le Rei­fe, die Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit und die indi­vi­du­el­le Geschwin­dig­keit von Kin­dern sind bei der Gebrauchs­schu­lung ganz beson­ders zu berück­sich­ti­gen. Zudem sind indi­vi­du­el­le Inter­es­sen­la­gen essen­ti­ell. Die Pass­form der Pro­the­se in Akti­on, also in der Dyna­mik, muss kri­tisch hin­ter­fragt wer­den, denn mög­li­che Druck­stel­len wer­den nicht tem­po­rär tole­riert. Eine adäqua­te und beque­me Pass­form ent­schei­det über die wei­te­re Moti­va­ti­on der Trä­ger einer Pro­the­se. Die unter­schied­li­chen Pha­sen der Gebrauchs­schu­lung müs­sen alters­ge­recht erfol­gen. Dazu gehö­ren die fol­gen­den Aspekte:

  • selbst­stän­di­ges An- und Ablegen,
  • wie­der­ho­len­de Übun­gen ohne und mit Gegenständen,
  • all­tags­be­zo­ge­ne Tätig­kei­ten sowie
  • die dazu­ge­hö­ri­gen Erklärungen.

Die zu trai­nie­ren­den Akti­vi­tä­ten des all­täg­li­chen Lebens müs­sen die tat­säch­li­che Lebens­si­tua­ti­on von Kin­dern wider­spie­geln (sie­he die Bei­spie­le in Abb. 9). So kann durch­aus die eige­ne Nase zum Ein­satz kom­men, um die Pro­the­sen­hand wie­der­holt zu schlie­ßen und zu öff­nen, das Lieb­lings­stoff­tier wird für das Hal­ten von Gegen­stän­den genutzt, und es ver­steht sich von selbst, dass ein vier­jäh­ri­ges Kind eher Pup­pen anklei­det, bas­telt und Bau­klöt­ze sta­pelt, als Wäsche zu bügeln und zu fal­ten oder Akten zu lochen. Ent­spre­chend sind die Trai­nings­ein­hei­ten auf eine spie­le­ri­sche Nut­zung abzu­stim­men. Dabei kann es hilf­reich sein, ers­te feh­ler­haf­te Erfah­run­gen zunächst zuzu­las­sen und anschlie­ßend durch geziel­te Hil­fe­stel­lung einen gemein­sa­men Fort­schritt zu erzie­len. Dabei dür­fen durch­aus auch eige­ne Wege und Stra­te­gien der Kin­der erar­bei­tet und zuge­las­sen wer­den. Aller­dings ist ange­sichts der unter­schied­li­chen Belast­bar­keit und Moti­va­ti­on der Kin­der oft mehr Geduld erfor­der­lich als bei Erwach­se­nen. Dabei ist es nicht ziel­füh­rend, Druck auf­zu­bau­en – ein Umstand, der auch mit den Eltern bespro­chen wer­den muss.

In die­ser Pha­se der Ver­sor­gung zeigt sich erst­ma­lig der funk­tio­nel­le Nut­zen der Pro­the­se in einem grö­ße­ren Rah­men. Ist die­ser Nut­zen für das Kind nicht ersicht­lich und ist es auf kei­nem Weg zu einer Nut­zung der Pro­the­se zu moti­vie­ren, müs­sen das Ver­sor­gungs­kon­zept und im Zwei­fel auch der Ver­sor­gungs­zeit­punkt hin­ter­fragt wer­den. Die Test­pha­se soll­te daher stets ergeb­nis­of­fen sein. Deren Ziel ist es, nicht nur das tech­ni­sche Kon­zept zu eva­lu­ie­ren und ggf. zu modi­fi­zie­ren, son­dern auch zu hin­ter­fra­gen, ob eine Pro­the­se im klas­si­schen Sin­ne für den jewei­li­gen Pati­en­ten zum jewei­li­gen Ent­wick­lungs­stand über­haupt eine geeig­ne­te Lösung dar­stellt. Denn funk­tio­niert eine wie auch immer gear­te­te Ver­sor­gung nicht, so ist es nicht sinn­voll, die­se bis zum Ende wei­ter­zu­ver­fol­gen 4. Dies erzeugt unter Umstän­den nur Frus­tra­ti­on und sinn­lo­se Kos­ten. Im wei­te­ren Ver­sor­gungs­ver­lauf wird sich eine sol­che Nega­tiv­erfah­rung zumeist rächen, und die klei­nen Pati­en­ten erin­nern sich eher an die weni­ger posi­ti­ven Aspek­te als an die Mög­lich­kei­ten, die sich aus einer Pro­the­sen­nut­zung her­aus für sie erge­ben kön­nen. Dies ist sicher ein Ver­lust für alle Betei­lig­ten, die sich zum Ziel gesetzt haben, Pati­en­ten ord­nungs­ge­mäß und nach­hal­tig zu versorgen.

Gestal­tungs­kri­te­ri­en

Je jün­ger Kin­der sind, des­to mehr Über­zeu­gungs­ar­beit kann not­wen­dig sein, um selbst bei intrin­si­scher Moti­va­ti­on zu Beginn eine lang­fris­ti­ge Nut­zung der Pro­the­se und Aus­dau­er im Lern­pro­zess zu för­dern. Dabei kann es hilf­reich sein, der Pro­the­se etwas Spie­le­ri­sches zu ver­lei­hen: Eine far­ben­fro­he Gestal­tung im Sin­ne der Lieb­lings­ver­eins­far­ben, ‑comic­fi­gur oder ‑fern­seh­se­rie oder das Ein­ar­bei­ten eines selbst erstell­ten oder zumin­dest selbst aus­ge­wähl­ten Motivs (Abb. 10) unter­stüt­zen einen selbst­be­wuss­ten Umgang und eine per­sön­li­che Iden­ti­fi­zie­rung mit der Pro­the­sen­ver­sor­gung – sicher Aspek­te, die auch dem Ziel eines hin­rei­chen­den „Embo­dy­m­ents“ zuträg­lich sind, also der vol­len Inte­gra­ti­on der Pro­the­se ins Kör­per­sche­ma. Die Berück­sich­ti­gung der Gestal­tungs­wün­sche unter­streicht zudem auch gegen­über dem Kind, dass sei­ne Bedürf­nis­se wahr- und ernst genom­men wer­den – so wird es „sei­ne“ Pro­the­se und im bes­ten Fall „sei­ne“ Hand.

Dys­me­lie vs. Amputation

Im Fal­le einer Ampu­ta­ti­on unter­liegt die Schaft­ge­stal­tung ande­ren Kri­te­ri­en als bei einer ange­bo­re­nen Fehl­bil­dung. Das trau­ma­ti­sier­te Gewe­be, Ver­nar­bun­gen oder Ner­ven­stümp­fe bedür­fen dabei einer beson­de­ren Berück­sich­ti­gung, wäh­rend im All­ge­mei­nen eine höhe­re Druck­to­le­ranz gegen­über einer Weich­teil­kom­pres­si­on besteht. Zudem ken­nen Kin­der mit einer Dys­me­lie kei­ne Phan­tom­phä­no­me­ne, und es besteht grund­sätz­lich eine voll­stän­di­ge kör­per­li­che Inte­gri­tät – etwas, was nie da war, fehlt auch nicht.

Ande­rer­seits zeigt die Erfah­rung klar und manch­mal hart auf, dass es sich eben doch um ein „Anders­sein“ han­delt und dass die von einer Ampu­ta­ti­on oder Dys­me­lie betrof­fe­nen Kin­der ihre beson­de­re Situa­ti­on nicht immer gut ein­ord­nen kön­nen. Hier spie­len die Fami­lie und das wei­te­re sozia­le Umfeld eine ent­schei­den­de Rol­le und beein­flus­sen erfah­rungs­ge­mäß deut­lich, wie das Kind die eige­ne Situa­ti­on wahr­nimmt und sich in der Gesell­schaft wie­der­fin­det – unab­hän­gig davon, ob es sich um eine ange­bo­re­ne Situa­ti­on oder eine Ampu­ta­ti­on handelt.

Bei einer Ampu­ta­ti­on lässt sich im Hin­blick auf tech­ni­sche Aspek­te fest­stel­len, dass Pro­the­sen funk­tio­nell betrach­tet eine bekann­te Funk­ti­on bis zu einem gewis­sen Maß wie­der­her­stel­len und damit die Pati­en­ten ein Stück weit aus ihrer zumin­dest anfäng­li­chen Hilf­lo­sig­keit erlö­sen. Pati­en­ten mit Dys­me­lie hin­ge­gen wei­sen in der Regel kei­ne phy­si­schen Patho­lo­gien auf – allein die Extre­mi­tät hat eine unge­wöhn­li­che Form oder fehlt mög­li­cher­wei­se ganz. Die Druck­to­le­ranz des gesun­den Gewe­bes unter­schei­det sich häu­fig von dem eines Ampu­ta­ti­ons­stump­fes; ins­be­son­de­re Rudi­men­te haben eine hohe Tak­ti­li­tät und sind, wie Fin­ger­kup­pen, beson­ders emp­find­lich gegen­über kon­ti­nu­ier­li­chem Druck. Gelenk­ach­sen und ‑beweg­lich­kei­ten sowie der Ver­lauf von Blut­ge­fä­ßen und weich­tei­li­gen Struk­tu­ren kön­nen von der durch­schnitt­li­chen Phy­sio­lo­gie abwei­chen. Die­se Aspek­te müs­sen sich auch in der Schaft­ge­stal­tung widerspiegeln.

Funk­tio­nell erler­nen Men­schen mit Dys­me­lie früh Kom­pen­sa­ti­ons­me­cha­nis­men und set­zen die betrof­fe­ne Extre­mi­tät ganz natür­lich so ein, wie sie es zulässt. Dabei spielt die ein­gangs erwähn­te psy­cho­lo­gi­sche Kom­po­nen­te eine ent­schei­den­de Rol­le – Kör­per­tei­le (dies gilt für eine dys­me­le Extre­mi­tät, aber auch für einen Ampu­ta­ti­ons­stumpf), die ver­steckt wer­den, weil man sich ihrer schämt, kön­nen nicht funk­tio­nell genutzt wer­den und füh­ren mög­li­cher­wei­se zu einer zusätz­li­chen Ein­schrän­kung. Fällt die Wahl auf eine Pro­the­sen­ver­sor­gung, so darf ange­nom­men wer­den, dass ins­be­son­de­re bei Kin­dern die men­ta­le, aber auch die kor­ti­ka­le Plas­ti­zi­tät hoch ist. Auch Pati­en­ten, bei denen in sehr jun­gem Alter eine Ampu­ta­ti­on vor­ge­nom­men wer­den muss­te, sind in der Lage, schnell Kom­pen­sa­ti­ons­me­cha­nis­men zu erar­bei­ten. Die­se Mecha­nis­men sind prin­zi­pi­ell begrü­ßens­wert: Auch bei einer regel­mä­ßi­gen Pro­the­sen­nut­zung wird es Epi­so­den geben, in denen durch eine wachs­tums­be­dingt man­gel­haf­te Pass­form oder einen Defekt auf die­se Mecha­nis­men zurück­ge­grif­fen wer­den muss, um eine gewis­se Selbst­stän­dig­keit zu erhal­ten. Damit sind sowohl All­tags­ak­ti­vi­tä­ten mit als auch ohne Pro­the­se zu beüben und Defi­zi­te für die eine oder ande­re Situa­ti­on nicht nur zu tolerieren.

Gleich­zei­tig kön­nen die­se Mecha­nis­men anfäng­lich eine Her­aus­for­de­rung bei der Auf­ga­be dar­stel­len, die Not­wen­dig­keit einer Pro­the­sen­ver­sor­gung fest­zu­stel­len. Oft erken­nen Kin­der nicht auf Anhieb mög­li­che Defi­zi­te, die über ihre eige­ne Kom­pen­sa­ti­ons­fä­hig­keit hin­aus­ge­hen, und es soll­ten ihnen weder Defi­zi­te ein­ge­re­det noch über­trie­be­ne Ängs­te vor Fol­ge­er­schei­nun­gen bei ihnen geweckt wer­den. Viel­mehr geht es in einer umfas­sen­den Auf­klä­rung dar­um, die Vor- und Nach­tei­le einer Ver­sor­gung trans­pa­rent auf­zu­zei­gen und ihnen die damit ver­bun­de­nen Chan­cen zu eröff­nen. Bereits klei­ne Anre­gun­gen (eine bes­se­re Kör­per­hal­tung und mehr Sta­bi­li­tät auf dem Rad erzie­len, die Gabel rutscht nicht mehr weg, Tasche und Kuschel­tier kön­nen gleich­zei­tig getra­gen wer­den etc.) wecken Neu­gier, bie­ten einen Ein­stieg in den All­tag und füh­ren dazu, dass Kom­pen­sa­ti­ons­me­cha­nis­men auf ihre Effi­zi­enz hin hin­ter­fragt werden.

Fazit

Die Ver­sor­gung von Kin­dern mit Arm­pro­the­sen birgt beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen. Oft steht dabei nicht allei­ne der Pati­ent im Fokus der Auf­merk­sam­keit. Das Umfeld – ins­be­son­de­re Eltern, aber auch Geschwis­ter – müs­sen für die beson­de­ren Anfor­de­run­gen, die damit zusam­men­hän­gen, sen­si­bi­li­siert wer­den. Es muss aber auch ver­deut­licht wer­den, dass dabei nicht die Wahr­neh­mung des ver­meint­lich Nor­ma­len sei­tens der Gesell­schaft, son­dern das Kin­des­wohl und die För­de­rung der per­sön­li­chen Ent­wick­lung im Vor­der­grund ste­hen. Dies schließt Ver­sor­gungs­kon­zep­te mit ein, die das Kind gezielt funk­tio­nell unter­stüt­zen, sich mit­un­ter von phy­sio­lo­gi­scher Ästhe­tik los­sa­gen oder Son­der­lö­sun­gen erfor­dern. Das Kind muss als eigen­stän­di­ge Per­son wahr­ge­nom­men und an Ent­schei­dun­gen betei­ligt wer­den. So kann sicher­ge­stellt wer­den, dass alle Betei­lig­ten gemein­sam das glei­che Ziel verfolgen.

Die Autoren:
Boris Bert­ram, OTM
Dipl.-Ing. (FH) Mer­kur Alimusaj
Kli­nik für Ortho­pä­die und Unfallchirurgie
Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Heidelberg
Schlier­ba­cher Land­stra­ße 200a
69118 Hei­del­berg
merkur.alimusaj@med.uni-heidelberg.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Bert­ram B, Ali­mus­aj M. Arm­pro­the­ti­sche Ver­sor­gun­gen bei Kin­dern. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (3): 30–39
  1. Ver­ein zur Qua­li­täts­si­che­rung in der Arm­pro­the­tik e. V. (Hrsg.). Kom­pen­di­um Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät. Dort­mund: Ver­lag Ortho­pä­die-Tech­nik, 2014
  2. Gemein­sa­mer Bun­des­aus­schuss (G‑BA). Richt­li­nie des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses über die Ver­ord­nung von Hilfs­mit­teln in der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung (Hilfs­mit­tel-Richt­li­nie/HilfsM-RL) in der Fas­sung vom 21. Dezem­ber 2011/15. März 2012, ver­öf­fent­licht im Bun­des­an­zei­ger (BAnz AT 10.04.2012 B2), in Kraft getre­ten am 1. April 2012, zuletzt geän­dert am 17. Sep­tem­ber 2020, ver­öf­fent­licht im Bun­des­an­zei­ger (BAnz AT 30.09.2020 B2), in Kraft getre­ten am 1. Okto­ber 2020. https://www.g‑ba.de/downloads/62–492-2260/HilfsM-RL_2020-09–17_iK-2020–10-01.pdf (Zugriff am 30.12.2020)
  3. James MA. Impact of pro­s­the­ses on func­tion and qua­li­ty of life for child­ren with uni­la­te­ral con­ge­ni­tal below-the-elbow defi­ci­en­cy. The Jour­nal of Bone and Joint Sur­gery, 2006; 88 (11): 2356–2365
  4. Rass E. Kon­takt­auf­nah­me mit der Wahr­neh­mungs­welt des Kin­des: (Uner­kann­te) Stö­run­gen in der Wahr­neh­mungs­or­ga­ni­sa­ti­on und deren Aus­wir­kun­gen auf die psy­chi­sche Ent­wick­lung. Theo­rie und Pra­xis für päd­ago­gi­sche und the­ra­peu­ti­sche Ver­ste­hens- und Inter­ven­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Nor­der­stedt: Books on Demand, 2013
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