Einleitung
Der therapeutische Nutzen von Wasser wird schon seit Pfarrer Kneipp genutzt 1; die Immersionseffekte (das lateinische Wort immersio bedeutet „Eintauchen“) und ihre Wirkung auf Lymph- bzw. Lipödeme stehen dagegen erst seit einigen Jahren im Blickpunkt des Interesses. Vor allem Patientinnen und Patienten, die an einem Lymphödem, einem Lipödem oder an entsprechenden Kombinationsformen leiden, beschreiben eine Aktivierung des Lymphflusses und eine Linderung ihrer Schmerzen im Wasser, was in der Summe ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität verbessert 2 3 4. Bei den meisten Patientinnen und Patienten mit Lipödem ist der arteriovenöse Reflex verloren gegangen. Dieser Reflex sorgt dafür, dass die Druckverhältnisse in den Blutkapillaren reguliert werden. Der arteriovenöse Reflex schützt die Gefäße vor dem großen Druckanstieg, der beim Positionswechsel von der horizontalen in die vertikale Körperstellung aufgrund der Schwerkraft in den Beinen entsteht. Genau hier setzt der Immersionseffekt des Wassers bei den Patienteninnen und Patienten an: Der hydrostatische Druck in Kombination mit Bewegung reduziert die Tendenz eines venösen Poolings, d. h. die Verlagerung großer Blutmengen in die Kapazitätsgefäße des Niederdrucksystems.
In Bezug auf den Metabolismus besonders interessant sind die von Karnahl 5 beschriebenen Immersionseffekte, die durch Aquacycling noch verstärkt werden können: Während die Glukose- und Laktatkonzentration durch die Immersion ins Wasser im Vergleich zur Landbelastung signifikant gesenkt wird (p = 0.015), steigt die Konzentration freier Fettsäuren während der körperlichen Belastung im Wasser im Vergleich zur Landbelastung signifikant an (p = 0.012) 6. Weiterhin wird durch das Eintauchen ins Wasser der Adrenalin- und Noradrenalinspiegel im Blut gesenkt; hingegen steigt die Produktion von ANP (Atriales Natriuretisches Peptid) während des Trainings an 7. Die normalerweise belastungsbedingte Erhöhung endokriner Parameter (vor allem Adrenalin und Noradrenalin) ist durch das Eintauchen ins Wasser weniger ausgeprägt als an Land, was einen Trainingsunterschied bewirkt. Besonders bedeutsam erscheint hierbei der Zusammenhang des ANP-Anstiegs einerseits mit der Regulierung des Fettstoffwechsels andererseits 8. Bei einer optimalen Eintauchtiefe (Immersionstiefe) und einer dem Krankheitsbild angepassten Belastung sind beim Aquacycling ein gesteigerter Lymphfluss und ein vermehrter Harndrang zu erwarten 9 (Abb. 1).
Wirkungsweise des Aquacyclings
Der durch das Training erzielte Effekt der Entstauung ist durch verschiedene Faktoren erklärbar. So ist beispielsweise beim Bewegen im Wasser laut einer Studie von Sheldahl und Kollegen unter bestimmten Voraussetzungen (aufrechte Körperposition im Wasser und steigende Belastungsintensitäten) die Ausschüttung von ANP um etwa 65 % höher als beim Radfahren an Land 10. ANP spielt eine bedeutende Rolle im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) zur Steuerung der Wasserregulation im Körper: Wenn Angiotensin II in seiner Wirkung auf die Nebennierenrinde reduziert wird, kommt es zu einer Blutdrucksenkung, was reaktiv die Salz- und Wasserausscheidung über die Nieren stimuliert, da weniger Flüssigkeit im Interstitium zurückgehalten wird 11. Eine Steigerung der renalen Flüssigkeitsausscheidung entsteht zudem durch die Dehnung der Typ-B-Vorhofrezeptoren, die eine Drosselung der ADH-Ausschüttung (ADH = Antidiuretisches Hormon) aus der Neurohypophyse nach sich zieht. So kommt es zu einer verstärkten Diurese 12 13. Zu den genannten diuresesteigernden Faktoren kommt die hohe Bewegungsgeschwindigkeit auf dem sogenannten Aquarider hinzu: Die Verwirbelungen des Wassers lassen Strömungen entstehen, die einen intensiven, der MLD ähnlichen Mikromassageeffekt an der Körperoberfläche erzeugen (Abb. 2).
Während der Therapie im Bewegungsbad bzw. beim Sport im Wasser kann aufgrund der erhöhten ANP-Konzentration ein zusätzlicher positiver Effekt genutzt werden: Eine gesteigerte ANP-Konzentration zieht eine hohe Ketonkonzentration nach sich, die außerdem durch die hohe Wassertemperatur (29–30 °C) gefördert wird. Daraus entsteht ein lipolytischer Effekt, der die Verstoffwechselung der Fettsäuren in den Muskeln steigert und vermehrt freie Fettsäuren aus dem Fettgewebe abtransportiert 14 15. Somit zeichnet sich Aquacycling nicht nur durch eine erhöhte Diurese aus – es regt außerdem, abhängig vom Insulinspiegel, den Fettstoffwechsel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vermehrt an.
Das „LymphCycling®“-Verfahren und seine Varianten
Auf der Basis der oben beschriebenen physiologischen Effekte 16 17 18 wurde das Verfahren des sogenannten LymphCyclings® in unterschiedlichen Belastungsformaten entwickelt. Dieses Verfahren stellt aus Sicht der Autoren die schonendste Trainingsform innerhalb des Aquacyclings dar. Eine Steigerung der Belastung findet beim sogenannten ImPulsCycling® und noch intensiver beim sogenannten CoreCycling® statt. Im Rahmen dieser drei Trainingsvarianten sind demgemäß unterschiedliche Wirkungen zu erwarten:
- „LymphCycling®“ hat in erster Linie eine Steigerung des Lymphflusses und eine Entstauung zum Ziel. Um diese Ziele zu erreichen, werden jeweils spezielle Trainings- und Bewegungsformen eingesetzt. Dazu gehört eine weiterentwickelte Atemtechnik, die auf der bekannten Bauchatmung basiert, aber durch die Aktivierung des gesamten Diaphragmas eine weitaus stärkere Saug-Druck-Wirkung auf die Lunge erzeugen soll. Außerdem zählen spezielle Übungen zur Hüftaufrichtung, zur BWS-Beweglichkeit sowie zur Schulterblattfixierung dazu. Mit einer gezielten Trainingssteuerung kann man dabei messbare Effekte erzielen. Erfahrungen bestehen hierzu an der anaeroben Schwelle und zum maximalen Ausbelastungsbereich 19. Sowohl physikalisch (Immersionseffekte, zyklische Bewegungen im Wasser zur Stimulation von Haut und Unterhautgewebe) als auch physiologisch (normale Reaktion des Körpers auf das Eintauchen) ist es gut erklärbar, warum gerade bei dieser Bewegungsform hohe Lymphfluss- oder Ketonbildungs- bzw. Muskelaktivierungsraten erzielt werden 20 21 22.
- Beim „ImPulsCycling®“ ist speziell die Anregung des Fettstoffwechsels, vor allem für Adipositas-Patientinnen und ‑Patienten, das Primärziel. Aus diesem Grund ist die Trainingsintensität dabei höher als beim „LymphCycling®“.
- Beim „CoreCycling®“ schließlich wird die Priorität auf die Aktivierung und Kräftigung der haltungsrelevanten Muskulatur gesetzt. Hauptzielgruppe sind hier vor allem Menschen mit einer Haltungsinsuffizienz. Dabei geht es in erster Linie um die intra- und intermuskuläre Koordination.
Üblicherweise konzentriert sich die von Übungsleitern bzw. Übungsleiterinnen oder Therapeutinnen bzw. Therapeuten vorgenommene Steuerung des Trainings auf einen der drei genannten Schwerpunkte. Die entsprechenden Aquacycling-Kurse finden an den jeweiligen Standorten einmal pro Woche für 60 Minuten statt. Der Ablauf der Kurse ist standardisiert; lediglich die Trainingsintensität wird anhand der jeweiligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesteuert – Intensität und Trainingsinhalte sind also zielgruppenbezogen unterschiedlich. Für Therapeutinnen und Therapeuten bzw. Orthopädietechnikerinnen und ‑techniker, die an der Versorgung von Patientinnen und Patienten mittels Komplexer Physikalischer Entstauungstherapie (KPE), Manueller Lymphdrainage (MLD) oder Bandagierung beteiligt sind, bzw. für Medizinerinnen und Mediziner, die invasiv bzw. operativ tätig sind, gilt „LymphCycling®“ als effektive und aktive Therapieergänzung 23 24 25. Sie stellt aus Sicht der Autoren zudem eine geeignete Bewegungsform für das Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten dar, die als 5. Säule in der Therapie chronisch kranker Menschen in der S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Lymphödeme“ enthalten ist. Zwei Aspekte werden in diesem Zusammenhang gefordert:
- entstauungsfördernde Sport-/Bewegungstherapie sowie
- Aufklärung und Schulung zur individuellen Selbsttherapie 26.
Aquacycling kann zudem als aktive Maßnahme zur Vorbereitung auf eine Liposuktion eingesetzt werden 27. Während bei anderen Anwendungen die Patientinnen und Patienten nur „behandelt“ werden und sich eher in der passiven Rolle einer Leistungsempfängerin bzw. eines Leistungsempfängers befinden, ist die Teilnahme an einem „LymphCycling®“-Kurs eine aktive, die Selbstwirksamkeit stärkende Maßnahme mit einem großen Teilhabeeffekt 28 29. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ein positives Gruppenerleben und befinden sich, so die Erfahrung der Autoren, trotz eines möglicherweise schon veränderten Körperbildes wieder „mitten im Leben“. Dies könnte einer der Gründe für die verbesserte gesundheitsbezogene Lebensqualität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer „LymphCycling®“-Gruppe in einer Studie von Kronimus und Kollegen aus dem Jahr 2020 über Effekte von Aquacycling bei einem Lipödem gewesen sein 30 31.
Das Hauptaugenmerk beim „LymphCycling®“ ist auf die Entstauung des Körpers gerichtet. Bei einer aufrechten Körperhaltung im Wasser wird diese hauptsächlich aufgrund einer vermehrten ANP-Ausschüttung erreicht. ANP ist ein Hormon, das in den Kardiomyozyten der Vorhöfe aufgrund einer volumenbedingten Dehnung des rechten Vorhofs oder durch eine Sympathikusaktivierung gebildet wird. Zu seinen für diese Patientinnen und Patienten besonders bedeutsamen Wirkungen zählen:
- eine Herzentlastung,
- eine Senkung des Blutvolumens und des Blutdrucks,
- eine Steigerung der Diurese sowie
- eine erhöhte Natriumchlorid- und Wasserausscheidung 32.
Therapieerweiterung durch eine spezielle Atemtechnik
Um die genannten Wirkungen zu verstärken, haben die Autoren die Erfahrung gewonnen, dass das schrittweise Erlernen einer zusätzlichen neuen Atemtechnik während des Kurses bei den Kursteilnehmerinnen und ‑teilnehmern im Rahmen von „LymphCycling®“ die Ergebnisse zusätzlich verbessert. Diese von den Trainerinnen und Trainern der AquaFitnessClub-Akademie entwickelte „Ho-Atmung“ basiert auf der üblichen Bauchatmung, wurde aber um Akzente aus fernöstlichen Kampfkünsten, aus dem Kraftdreikampf, aus dem „Gyrotonic®“-Verfahren, aus dem Apnoetauchen, aus dem Qi Gong sowie aus der Geburtsvorbereitung erweitert 33 34. Der Begriff „Ho“ wird in diesem Zusammenhang verwendet, weil dabei die Lippen locker aufeinander liegen, ähnlich einer „dosierten Lippenbremse“ in der Atemtherapie. Diese neuen Atemübungen werden dabei im Wechsel mit kurzen, leichten Ausdauereinheiten geübt. Nach und nach – trotz zunehmender körperlicher Belastung – sollen diese Atemübungen in die gesamte Übungseinheit integriert werden. Die Autoren vermuten aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungswerte, dass diese Technik, wenn sie zusätzlich in den Alltag integriert wird, nach dem Kurs zur Aufrechterhaltung hoher Diurese-Werte führt.
Die Atemtechnik findet in Kombination mit einer Beckenaufrichtung, einer Aktivierung der Core-Muskulatur (Muskulatur zwischen Zwerchfell und Hüfte), einer Vergrößerung der Schultermobilität und einer Stärkung der Schulterblattfixierung statt. Durch die Schulterblattfixation in posteriorer Depression wird nicht nur der Bewegungsradius der Schultergelenke vergrößert, es kommt auch zu einer Brustkorbentfaltung. Die vermehrte Ansteuerung der Rhomboiden-Muskulatur und anderer an der Schulterblattfixierung beteiligter Muskeln bewirkt, dass es letztendlich zu einer Streckung in der Brustwirbelsäule kommt. Dies schafft in Verbindung mit der Brustkorbentfaltung die Möglichkeit größerer atemwegssynchroner Bronchialkaliberschwankungen (Thoraxexkursionen) und damit tieferer Atemzüge. In der Folge werden die Venenwinkel geöffnet und der Lymphfluss verbessert 35.
Erste interne Evidenz zeigt, dass es im Verlauf eines „LymphCycling®“-Kurses zu einer besseren Mobilität im Schultergürtel bei aufrechter Wirbelsäulenhaltung und gleichzeitig guter muskulärer Stabilisierung der Scapulae in posteriorer Depression kommt. Hier setzen die Wahrnehmungsschulung, das Bewusstmachen einer aufgerichteten Wirbelsäule und die Kontrolle der geraden Haltung an, und es wird versucht, diese immer stärker ins Körperbild einzuprägen. Am Ende einer Kursstaffel haben die Teilnehmenden eine neue Atemtechnik in aufrechter Wirbelsäulenhaltung erlernt und evtl. bereits automatisiert, sodass sie diese auch bei höheren Belastungen einsetzen können. Die erleichterten Lernbedingungen im Wasser könnten auch den Transfer in den Alltag erleichtern.
Fazit und Ausblick
Mehrere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Aquacycling eine gut geeignete Trainings- und Bewegungsform für Lymph- bzw. Lipödem-Betroffene ist und daher als elementarer Bestandteil eines adäquaten Selbstmanagements empfohlen werden kann 36 37. Für viele Patientinnen und Patienten ist der Aufenthalt im Bewegungsbad aufgrund der erhöhten Wassertemperatur und des Auftriebs mit einer Schmerzreduktion – vor allem durch die Gewichtsentlastung an den Gelenken und der Wirbelsäule – verbunden 38 39. Diese für die Patientinnen und Patienten angenehme Situation im Wasser wird mit einem Trainingsprogramm auf dem Aquarider verbunden, das unter anderem Knieschmerzen reduzieren kann 40 (Abb. 3).
Als passende Kombination zum Aquacycling hat sich zudem eine ketogene Ernährung herauskristallisiert, bei der die Kohlenhydrataufnahme pro Tag auf ca. 30 Gramm reduziert wird. Dadurch wird der Zustand der Ketose erreicht, bei dem der Körper und das Gehirn auf Fett als Energielieferant umstellen 41 42 43. Dies kann zu einer weiteren Erhöhung der Lebensqualität der Betroffenen führen. Dass dennoch weitere Effektivitätsstudien zur Erbringung von Wirksamkeitsnachweisen für das „LymphCycling®“ bzw. fürs Aquacycling allgemein als entstauende Maßnahme notwendig sind, zeigt die Literaturübersicht von Gebhard, Schäfer und Jung aus dem Jahr 2020 auf 44. Als erstes Fazit überwiegen aus Sicht der Autoren jedoch die positiven Tendenzen, die sie aus den Ergebnissen vorliegender Studien ziehen.
Hinweis
Die AquaFitnessClub-Akademie in Hanau hat in zwei Curricula („Basic-“ und „Master-Ausbildung“) die Kursinhalte für Trainerinnen und Trainer definiert. Eine dreimonatige Hospitationsphase schließt sich daran an. Des Weiteren werden Ausbildungen zum bzw. zur „CoreCycling“-Trainer bzw. ‑Trainerin sowie Weiterbildungen zum bzw. zur „LymphCycling“, „ImpulsCycling“- und „RheumaCycling“-Trainer bzw. ‑Trainerin angeboten. Die Bewegungskonzepte wurden von einem interdisziplinären Team aus Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern, Biologen sowie Therapeuten für Mikronährstoff- und Regulationsmedizin entwickelt.
Interessenkonflikt
Der Autor Michael Jung gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Der Autor Jörg Kleinschmidt gibt an, Geschäftsführer der AquaFitnessClub-Akademie zu sein, die die Aquacycling-Trainerausbildung anbietet.
Für die Autoren:
Prof. Dr. rer. medic. Michael Jung
Studiendekan Medizinpädagogik
Hochschule Fresenius
Marienburgstr. 6
60528 Frankfurt (Main)
jung.michael@hs-fresenius.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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