Anpas­sung einer myo­elek­tri­schen Unter­arm­pro­the­se – Ver­sor­gungs­ver­lauf nach dem „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich der Pro­the­tik der obe­ren Extremität”

B. Bertram, M. Alimusaj
Anhand einer Fallbeschreibung wird der Versorgungsablauf gemäß „Qualitätsstandard im Bereich der Prothetik der oberen Extremität" dargestellt und zeitgemäße Versorgungsschritte erläutert. Der Artikel soll dabei insbesondere das strukturierte Vorgehen zur Erreichung eines gemeinsamen Versorgungsziels darlegen und die Möglichkeiten für eine adäquate Qualitätssicherung aufzeigen.

Ein­lei­tung

Pati­en­ten mit Ampu­ta­ti­on oder ange­bo­re­ner Fehl­bil­dung haben einen gesetz­li­chen Anspruch auf einen funk­tio­nel­len Aus­gleich, der sich an der Funk­ti­on eines Nicht­be­trof­fe­nen ori­en­tiert. Für den Bereich der obe­ren Extre­mi­tät ist dies nach aktu­el­lem Stand der Tech­nik eine immer noch unge­lös­te Her­aus­for­de­rung: Kei­ne tech­ni­sche Lösung hält dem Ver­gleich mit der natür­li­chen Hand stand. Die Bestre­bung der Ortho­pä­die-Tech­nik kann daher nur lau­ten, mit allen aktu­ell ver­füg­ba­ren Mit­teln den Kom­pro­miss zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit so gering wie mög­lich aus­fal­len zu las­sen. Zeit­ge­mä­ße Mate­ria­li­en und Fer­ti­gungs­me­tho­den ermög­li­chen dabei in der Tat Hilfs­mit­tel, die in der Lage sind, den Funk­ti­ons­um­fang zu erwei­tern, ohne die vor­han­de­ne Funk­ti­on zu limitieren.

Anzei­ge

Der Ver­ein zur Qua­li­täts­si­che­rung in der Arm­pro­the­tik e. V. ist der Urhe­ber eines Qua­li­täts­stan­dards, in dem alle Min­dest­an­for­de­run­gen an Pro­the­sen für die obe­re Extre­mi­tät detail­liert auf­ge­führt sind. Gleich­zei­tig hat ein Exper­ten­gre­mi­um erar­bei­tet, wel­che Arbeits­schrit­te im Ver­sor­gungs­ver­lauf erfor­der­lich sind, um dem Qua­li­täts­stan­dard nach aktu­el­lem Stand der Tech­nik zu ent­spre­chen. Im Fol­gen­den wer­den anhand des Ver­sor­gungs­ab­laufs bei einer myo­elek­tri­schen Unter­arm­pro­the­se exem­pla­risch die Arbeits­schrit­te dar­ge­stellt, die gewähr­leis­ten, dass Pati­en­ten eine aus­rei­chen­de und zweck­mä­ßi­ge pro­the­ti­sche Ver­sor­gung erhalten.

Ver­sor­gungs­pla­nung

Im ers­ten Gespräch mit dem Pati­en­ten dür­fen nicht nur medi­zi­ni­sche Fra­ge­stel­lun­gen Beach­tung fin­den, son­dern es müs­sen im Sin­ne einer aus­rei­chen­den und zweck­mä­ßi­gen Ver­sor­gung die Ansprü­che des Pati­en­ten an sein Hilfs­mit­tel defi­niert wer­den. Dabei muss der Pati­ent über aktu­el­le Ver­sor­gungs­kon­zep­te auf­ge­klärt wer­den; zudem müs­sen Vor- und Nach­tei­le der ver­schie­de­nen Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten in Bezug auf sei­nen indi­vi­du­el­len Ein­satz­be­reich gegen­ein­an­der abge­wo­gen wer­den. Dabei soll der Pati­ent so umfas­send auf­ge­klärt wer­den, dass er die Ent­schei­dung über die Kon­fi­gu­ra­ti­on sei­nes Hilfs­mit­tels selbst­stän­dig tref­fen kann.

Der Pati­ent des vor­lie­gen­den Fall­bei­spiels wur­de als Dys­me­lie­pa­ti­ent mit dem Wunsch nach einer hoch­funk­tio­nel­len Erst­ver­sor­gung vor­stel­lig. Dabei leg­te er gro­ßen Wert auf eine viel­sei­tig ein­setz­ba­re Arm­pro­the­se. Nach­dem er über drei Jahr­zehn­te viel­fäl­ti­ge Stra­te­gien ent­wi­ckelt hat­te, um sei­ne Behin­de­rung aus­zu­glei­chen und ein selbst­stän­di­ges Leben zu füh­ren, stieß er im All­tag zuneh­mend an gewis­se Gren­zen, die die Ver­sor­gung mit einer funk­tio­nel­len Pro­the­se erwei­tern soll­te. Die Pro­the­se soll­te aber nicht nur als ein­fa­ches Greif­werk­zeug die­nen, son­dern auch im beruf­li­chen Umfeld des Pati­en­ten, der als Indus­trie­me­cha­ni­ker arbei­tet, kom­ple­xe Auf­gaben über­neh­men und die Gegen­sei­te maxi­mal entlasten.

Kli­ni­sche Anamnese

Die kli­ni­sche Ana­mne­se beinhal­tet mehr als die Maß­do­ku­men­ta­ti­on und die Doku­men­ta­ti­on der Stump­f­er­schei­nung für die rich­ti­ge Wahl des Schaft­sys­tems und sei­ner Kon­struk­ti­ons­kri­te­ri­en. Im Rah­men der Ermitt­lung des Mus­kel­sta­tus (Abb. 1) kön­nen ers­te Aus­sa­gen über in Fra­ge kom­men­de Steue­rungs­pa­ra­me­ter und Pass­teil­kon­fi­gu­ra­tio­nen getrof­fen werden.

Gleich­zei­tig muss der all­ge­mei­ne phy­sio­lo­gi­sche Zustand des Pati­en­ten erho­ben wer­den, um Erkennt­nis­se dar­über zu gewin­nen, in wel­chem Maße die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung Auf­ga­ben der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te über­neh­men soll und kann. Der Bewe­gungs­um­fang der obe­ren Extre­mi­tä­ten spielt dabei kol­la­te­ral eine wich­ti­ge Rol­le. Bei Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen der Gegen­sei­te muss das Hilfs­mit­tel funk­tio­nell grob- und fein­mo­to­ri­sche Auf­ga­ben über­neh­men kön­nen. Dabei ist es eben­so wich­tig, die gesam­te Rumpf­funk­ti­on zu beur­tei­len, da die­se hoch­re­le­vant für die Ansteue­rung und Funk­ti­on der obe­ren Extre­mi­tät ist und damit eine spä­te­re pro­the­ti­sche Lösung beein­flusst. Dies wirkt sich einer­seits auf die Pass­teil­kon­fi­gu­ra­ti­on aus, bedingt ande­rer­seits aber auch ein beson­de­res Augen­merk auf die Schaft­kon­struk­ti­on, die das vor­han­de­ne Bewe­gungs­aus­maß der betrof­fe­nen Extre­mi­tät nach Mög­lich­keit nicht ein­schrän­ken und ana­to­mi­schen sowie funk­tio­nel­len Ansprü­chen glei­cher­ma­ßen gerecht wer­den soll. Als Beson­der­hei­ten der Ana­mne­se im Fall­bei­spiel sind begin­nen­de Über­las­tungs­er­schei­nun­gen der Gegen­sei­te, die hohen Umfangs­dif­fe­ren­zen des dys­melen Stump­fes sowie die phy­sio­lo­gisch nicht umsetz­ba­re Pro- und Supi­na­ti­ons­be­we­gung hervorzuheben.

Erar­bei­tung der Schaftkonstruktion

Zum hand­werk­li­chen Ver­sor­gungs­be­ginn wur­den die kon­kre­ten Elek­tro­den­po­si­tio­nen bestimmt. Deren prä­zi­se Bestim­mung ist nicht nur für eine akku­ra­te Ansteue­rung der Pro­the­se erfor­der­lich, son­dern bedingt auch den Ver­lauf von Schaft­rän­dern oder Span­gen­area­len. Die com­pu­ter­un­ter­stütz­te Bestim­mung mit­tels EMG-Signal­kur­ven ist dabei für kla­re Aus­sa­gen unum­gäng­lich; zusätz­li­che Video­si­mu­la­tio­nen oder die Umset­zung der Signa­le in rea­le Funk­ti­ons­kom­po­nen­ten kön­nen ins­be­son­de­re im Fal­le von Kin­der- und Erst­ver­sor­gun­gen hilf­reich sein, um dem Pati­en­ten eine deut­li­che und klar ver­ständ­li­che Rück­mel­dung über sei­ne Signa­le zu geben. Die Be- und Ent­las­tungs­zo­nen müs­sen gemäß der Phy­sio­lo­gie unter Berück­sich­ti­gung der zu erwar­ten­den Belas­tung durch das Hilfs­mit­tel auf den Stumpf bestimmt wer­den. Hier­aus ergibt sich die spä­te­re Kon­struk­ti­on der Pro­the­se in Abhän­gig­keit von den indi­vi­du­el­len Bedürfnissen.

Ein beson­de­res Augen­merk muss dabei auf die Ver­sor­gung von Kin­dern gelegt wer­den, die nur spie­le­risch an die The­ma­tik her­an­ge­führt wer­den kön­nen. Zudem bestehen beson­de­re Ansprü­che bei Vor­lie­gen einer Dys­me­lie, die neben den indi­vi­du­el­len Gege­ben­hei­ten in Bezug auf mög­li­che Rudi­men­te zumeist eine sehr indi­vi­du­el­le Mor­pho­lo­gie auf­weist, die nicht nur in der rein geo­me­tri­schen Schaft­ge­stal­tung wie­der­zu­fin­den ist, son­dern auch im Hin­blick auf das spä­te­re Hand­ling, z. B. das An- und Aus­zie­hen der Pro­the­se, einen emi­nen­ten Ein­fluss hat.

Bei einer Stumpf­län­ge an der Gren­ze zum dista­len Drit­tel emp­fiehlt der Qua­li­täts­stan­dard bei Ampu­tier­ten die Ver­sor­gung mit einem Sili­kon­schaft ohne Ellen­bo­gen­ein­fas­sung. Grund hier­für ist die Nutz­bar­keit der gro­ßen Stumpf­flä­che zur siche­ren Adap­ti­on, ohne Pro- und Supi­na­ti­on ein­zu­schrän­ken. Im vor­lie­gen­den Fall­bei­spiel wur­de bei der Kon­zep­ti­on des Schaf­tes aller­dings von die­ser Emp­feh­lung abge­wi­chen: Einer­seits muss der beson­de­ren Phy­sio­lo­gie und Form sowie der Kom­pres­si­ons­to­le­ranz des dys­melen Stump­fes Rech­nung getra­gen wer­den, ande­rer­seits ist dem Pati­en­ten Pro- und Supi­na­ti­on phy­sio­lo­gisch nicht mög­lich. Hin­zu kommt ein hohes Sicher­heits­be­dürf­nis hin­sicht­lich des Halts der Pro­the­se beim Tra­gen schwe­rer Las­ten. Um all die­se Kri­te­ri­en zu erfül­len, wur­de eine Schaft­aus­füh­rung als Sili­kon­haft­kon­takt­schaft mit Ellen­bo­gen­ein­fas­sung gewählt.

Hand­werk­li­cher Versorgungsbeginn

Die Erkennt­nis­se der gesam­ten Ver­sor­gungs­pla­nung flos­sen beim fol­gen­den Gips­ab­druck mit ein; ins­be­son­de­re Belas­tungs­zo­nen wur­den durch Abgrei­fen und Anmo­del­lie­ren prä­zi­se abge­formt (Abb. 2).

Beson­de­re Nar­ben­ver­hält­nis­se oder Rudi­men­te wer­den an die­ser Stel­le durch den Ein­satz von Algi­nat oder ­Sili­kon berück­sich­tigt, um eine unphy­sio­lo­gi­sche Ver­schie­bung wäh­rend des Abdrucks zu ver­mei­den. Eben­so sind erneut Elek­tro­den­po­si­tio­nen in Rela­ti­on zu den belas­te­ten Weich­tei­len zu über­prü­fen. Eine erneu­te Sicher­stel­lung der Rand­ver­läu­fe und Elek­tro­den­po­si­tio­nen soll­te dabei­eben­falls erfolgen.

Der ers­te Pro­be­schaft veri­fi­ziert gemäß Qua­li­täts­stan­dard im Fal­le von Erst­ver­sor­gun­gen die Pass­form und den Rand­ver­lauf sowie die Eva­lua­ti­on der Ansteue­rungs­area­le. Die Mate­ri­al­aus­wahl soll­te sich dabei am defi­ni­ti­ven Schaft­ma­te­ri­al ori­en­tie­ren, da sich unter­schied­li­che Fle­xi­bi­li­tä­ten jeweils anders auf die Weich­teil­ak­ti­vi­tä­ten des Stump­fes im Schaft in der simu­lier­ten Dyna­mik aus­wir­ken. Daher ermög­licht nur ein ver­gleich­bar fle­xi­bler Pro­be-/Test­schaft eine Aus­sa­ge. Ther­mo­plas­ti­sche Mate­ria­li­en emp­feh­len sich in die­ser Pha­se, da die Ände­rungs- und Anpas­sungs­ar­bei­ten dar­an tech­nisch mit ange­mes­se­nem Auf­wand durch­zu­füh­ren sind (Abb. 3).

Nach Bestim­mung von Volu­men und Rand­ver­lauf erfolg­te ein wei­te­rer Mus­kel­funk­ti­ons­test mit dem Schaft, da sich die Mus­kel­ak­ti­vi­tät im Schaft durch die Belas­tungs­si­tua­ti­on erheb­lich von einer unbe­las­te­ten Situa­ti­on unter­schei­den kann. Ent­spre­chend wur­den Elek­tro­den­po­si­tio­nie­rung, Anpress­druck und Elek­tro­den­ein­stel­lung ange­passt, um eine wei­ter­hin deut­li­che Signal­ab­gren­zung sicher­zu­stel­len. Der Qua­li­täts­stan­dard geht im Fal­le einer kon­for­men Fol­ge­ver­sor­gung oder Schaft­neu­an­fer­ti­gung davon aus, dass etwa­ige Beson­der­hei­ten – mit Aus­nah­me erheb­li­cher Stumpf­ver­än­de­run­gen – inso­fern bekannt sind, als der ers­te Test­schaft nicht als zusätz­li­cher Schaft in die­ser Aus­füh­rung erstellt wer­den muss.

Die Anpas­sung des ers­ten Pro­be­schaf­tes und das Nach­jus­tie­ren der Elek­tro­den­po­si­tio­nen machen den Schaft typi­scher­wei­se für die wei­te­re Anwen­dung am Pati­en­ten unbrauch­bar. Ein­ge­kleb­te Volu­men­aus­glei­che oder durch Ver­satz ver­grö­ßer­te Elek­tro­den­fens­ter heben ins­be­son­de­re in fle­xi­blen Saug- oder Haft­kon­takt­schäf­ten mit Unter­druck­kom­po­nen­te die Haft­funk­ti­on auf. Für die prak­ti­sche Erpro­bung der Pro­the­sen­funk­ti­on ist daher die erneu­te Her­stel­lung eines Schaf­tes erfor­der­lich. Bei Fol­ge­ver­sor­gun­gen oder Neu­an­fer­ti­gun­gen soll­te der Ände­rungs­um­fang des ers­ten Dia­gno­se­schaf­tes so gering aus­fal­len, dass er wei­ter­ge­nutzt wer­den kann. Neben der Pass­form des Schaf­tes müs­sen Last­über­nah­me, Sta­tik und Dyna­mik der Pro­the­se erprobt wer­den. Dazu wur­de im Faser­ver­bund­ver­fah­ren ein Gieß­harz­con­tai­ner her­ge­stellt, der stei­fe, fle­xi­ble und freie Area­le der geplan­ten Rah­men­kon­struk­ti­on der Defi­ni­tiv­pro­the­se wider­spie­gel­te. Es erfolg­ten der sta­ti­sche Auf­bau sowie die Elek­tro­in­stal­la­ti­on für die ers­te funk­tio­nel­le Anpro­be (Abb. 4).

Bei der dyna­mi­schen Anpro­be in der Werk­statt wur­de der Rand­ver­lauf des Gieß­harz­con­tai­ners und mög­li­cher Span­gen auf ihre Nutz­bar­keit und ihren Ein­fluss auf die Weich­teil­ver­hält­nis­se über­prüft. Dabei soll­te die Pro­the­se einer­seits beschwer­de­frei an- und abge­legt wer­den kön­nen, ande­rer­seits soll­ten die Span­gen genü­gend Sta­bi­li­tät der Pro­the­se in der Dyna­mik gewähr­leis­ten. Die Pass­form des Schaf­tes wur­de erneut unter Berück­sich­ti­gung der ver­än­der­ten Belas­tungs­si­tua­ti­on durch das Gewicht der Struk­tur­tei­le und der neu ent­stan­de­nen Hebel geprüft. Auch die Bewe­gungs­aus­ma­ße wur­den mit den Wer­ten ohne Hilfs­mit­tel ver­gli­chen, um die Beein­träch­ti­gung bewer­ten zu kön­nen. Es folg­ten ers­te ein­fa­che Funk­ti­ons­tests der elek­tro­ni­schen Kom­po­nen­ten, aus denen sich neben der Ein­stel­lung der Soft­ware­pa­ra­me­ter auch eine erneu­te Anpas­sung der Elek­tro­den­po­si­ti­on, des Anpress­drucks oder ihrer Ein­stel­lung durch die geän­der­te Belas­tung ergab (Abb. 5). Etwa­ige Ände­run­gen erfolg­ten erneut unter Zuhil­fe­nah­me com­pu­ter­un­ter­stütz­ter EMG-Signalkurven.

Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung

Um die Nutz­bar­keit der Pro­the­se sicher­zu­stel­len, genügt es nicht, mit­tels geüb­ten Blicks Pass­form und Sta­tik für gut zu befin­den. Viel­mehr muss der Pati­ent aktiv in den Ent­wick­lungs­pro­zess des Hilfs­mit­tels ein­ge­bun­den wer­den. Das bedeu­tet, dass er in die Lage ver­setzt wer­den muss, alle rele­van­ten Fra­ge­stel­lun­gen rund um die Funk­ti­on sei­nes Hilfs­mit­tels deut­lich beant­wor­ten zu kön­nen. Dazu ist eine aus­führ­li­che Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung unum­gäng­lich. Im Rah­men der Nut­zung der Test­pro­the­se bedeu­te­te dies die aus­führ­li­che Ein­wei­sung in die tech­nisch nutz­ba­ren Details des Hilfs­mit­tels. Dazu zähl­ten neben der theo­re­ti­schen Ein­wei­sung auch das Beüben des selbst­stän­di­gen An- und Able­gens, das Steue­rungs­trai­ning in Belas­tungs­si­tua­tio­nen und die Simu­la­ti­on pati­en­ten­spe­zi­fi­scher All­tags­tä­tig­kei­ten. Alle Übun­gen wur­den dabei meh­re­re Male wie­der­holt, um den Lern­ef­fekt zu erhö­hen. Wäh­rend der Übun­gen wur­den die Para­me­ter erneut über­prüft und für die All­tags­an­wen­dung optimiert.

Durch das inten­si­ve Trai­ning erlern­te der Pati­ent nicht nur den Umgang­mit sei­ner Pro­the­se, son­dern konn­te am Opti­mie­rungs­pro­zess durch fun­dier­te Aus­sa­gen pro­duk­tiv mit­wir­ken. Eine Inten­si­vie­rung der Gebrauchs­schu­lung im Rah­men einer ergo­the­ra­peu­ti­schen Behand­lung wur­de dadurch nicht auto­ma­tisch obso­let, aber das inten­si­ve Trai­ning mit dem betreu­en­den Tech­ni­ker war für bei­de Sei­ten mit einem hohen Erkennt­nis­ge­winn ver­bun­den, wobei der Tech­ni­ker auf Fra­ge­stel­lun­gen schnel­ler reagie­ren und even­tu­el­le Pro­ble­me rascher besei­ti­gen konn­te, damit das geplan­te funk­tio­nel­le Ergeb­nis ohne Ver­zug ein­tre­ten konn­te. Auch hier gilt, dass die­ser Pro­zess bei der Ver­sor­gung von Kin­dern den beson­de­ren Anfor­de­run­gen die­ser Kli­en­tel unter­liegt und Rück­mel­dun­gen in ande­rer Form erfol­gen, als es bei Erwach­se­nen mög­lich ist. Im hier vor­ge­stell­ten Fall bestan­den die Beson­der­hei­ten vor allem in der spe­zi­el­len Ana­to­mie und den dar­aus resul­tie­ren­den Ein­flüs­sen auf die pro­the­ti­sche Funktion.

Die opti­ma­le Nutz­bar­keit des Hilfs­mit­tels im All­tag kann jedoch nur im All­tag des Pati­en­ten bewer­tet wer­den. Die Werk­statt kann erfah­rungs­ge­mäß nicht alle indi­vi­du­el­len Facet­ten der All­tags­tä­tig­kei­ten des Pati­en­ten abbil­den. Daher muss ihm die Mög­lich­keit gege­ben wer­den, die Pro­the­se auch außer­halb zu nut­zen. Die Siche­rung der Test­pro­the­se und der Elek­tro­nik für den exter­nen Gebrauch stel­len die Sicher­heit des Anwen­ders und die wei­te­re Nutz­bar­keit der Kom­po­nen­ten in der Defi­ni­tiv­ver­sor­gung sicher. Dabei soll­te auch dem kos­me­ti­schen Aspekt Beach­tung geschenkt wer­den, um eine Stig­ma­ti­sie­rung des Pati­en­ten zu ver­mei­den und eine unbe­schwer­te Nut­zung in jeder all­täg­li­chen Lebens­la­ge zu ermög­li­chen. Im vor­lie­gen­den Fall war sei­tens des Pati­en­ten ein eher unbe­schwer­ter Umgang mit sei­ner Behin­de­rung erkenn­bar. Ins­be­son­de­re Kin­der und vie­le Ampu­tier­te haben jedoch hin­sicht­lich Kos­me­tik und Unauf­fäl­lig­keit hohe Ansprü­che, denen Genü­ge getan wer­den muss, um eine maxi­ma­le Hilfs­mit­tel­ak­zep­tanz bereits wäh­rend der Test­pha­se zu gewährleisten.

Her­stel­lung der defi­ni­ti­ven Prothese

Nach erfolg­rei­cher Test­pha­se begann die defi­ni­ti­ve Fer­ti­gung. Die Kri­te­ri­en für die Stel­lung der Greif­kom­po­nen­te zur Stumpfach­se ori­en­tie­ren sich dabei an den indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­sen des Pati­en­ten (Abb. 6).

Wäh­rend es in der Ver­gan­gen­heit eine klas­si­sche Bedin­gung war, dem Pati­en­ten durch eine Vor­fle­xi­on die Annä­he­rung der Pro­the­se an das ­Gesichts­feld zu ermög­li­chen, so legen eini­ge Pati­en­ten heu­te grö­ße­ren Wert auf ein kos­me­tisch unauf­fäl­li­ges Erschei­nungs­bild. Gesichts­na­he Tätig­kei­ten wer­den bevor­zugt kon­tra­la­te­ral durch­ge­führt, und eine phy­sio­lo­gi­sche Exten­si­on im Ruhe­zu­stand hat einen erhöh­ten Stel­len­wert. Lan­ge Stümp­fe hin­ge­gen geben durch ihre Ach­se die Aus­rich­tung der Greif­kom­po­nen­te wei­test­ge­hend vor. Die Anpas­sung von Vor­fle­xi­on oder ‑exten­si­on im Rah­men der Test­pro­the­sen­ver­sor­gung und die Stel­lung der Greif­kom­po­nen­te erfor­dern eine akku­ra­te Über­tra­gung des Ergeb­nis­ses in die Defi­ni­tiv­pro­the­se. Gleich­zei­tig fin­den bei der Über­tra­gung alle not­wen­di­gen Ände­run­gen bezüg­lich der Pass­form des Schaf­tes Berück­sich­ti­gung. Das Aus­gie­ßen der Test­pro­the­se in einem Über­tra­gungs­ge­rät schuf hier opti­ma­le Vor­aus­set­zun­gen, um das End­ergeb­nis nicht zu ver­fäl­schen. Im Rah­men der Vor­be­rei­tung auf die End­fer­ti­gung und der Demon­ta­ge der Test­pro­the­se wur­den zudem alle Kom­po­nen­ten auf ihre wei­te­re Funk­ti­ons­fä­hig­keit hin über­prüft. Deren Rei­ni­gung ist in die­sem Zusam­men­hang selbstverständlich.

Die Fer­ti­gung des Defi­ni­tiv­schaf­tes aus HTV-Sili­kon ori­en­tier­te sich am Ver­sor­gungs­plan. Alle Ergeb­nis­se von Anpas­sun­gen der Pass­form oder des Rand­zu­schnitts fan­den Ein­zug in die Fer­ti­gung des HTV-Sili­kon­schaf­tes. Dabei bedurf­te es bei der Über­tra­gung auch einer Berück­sich­ti­gung der geän­der­ten Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten gegen­über der Testversorgung.

Anschlie­ßend wur­de der Auf­bau der Greif­kom­po­nen­te aus dem Über­tra­gungs­ge­rät repro­du­ziert und das Ver­bin­dungs­seg­ment zwi­schen Schaft und Hand­ge­lenks­an­satz gemäß dem Zuschnitt aus der Test­pro­the­se in Faser­ver­bund­tech­nik her­ge­stellt. Dabei wur­den Rand­ver­lauf, Rah­men­ge­stal­tung und gestaf­fel­te Fle­xi­bi­li­tä­ten beach­tet. Das Ver­bin­dungs­seg­ment spie­gel­te dabei nicht die exak­te ana­to­mi­sche Außen­form wider, da gemäß Qua­li­täts­stan­dard im spä­te­ren Ver­lauf ein ana­to­mi­scher Form­aus­gleich aus Schaum­stoff geschaf­fen wer­den soll­te. Viel­mehr berück­sich­tig­te es in beson­de­rem Maße Be- und Ent­las­tungs­zo­nen des Stump­fes sowie die Weich­teil­ver­schie­bung in der Dyna­mik. Mit Hil­fe von Platz­hal­tern (Dum­mys) fan­den die funk­tio­nel­len Bau­tei­le Berück­sich­ti­gung, damit sie spä­ter erschüt­te­rungs­frei und geschützt ver­baut wer­den konnten.

Zu den letz­ten Schrit­ten der hand­werk­li­chen Fer­tig­stel­lung gehör­ten die Mon­ta­ge des Schaf­tes mit dem Ver­bin­dungs­ele­ment, der Elek­tro­nik und der Greif­kom­po­nen­te mit Pro­the­sen­hand­schuh sowie des ana­to­mi­schen Form­aus­gleichs aus Schaum­stoff. Die Mon­ta­ge der Elek­tro­nik beinhal­tet zwin­gend eine Abschir­mung aller Kabel gegen ver­frem­den­de Inter­fe­ren­zen, denn wenn­gleich aktu­el­le Elek­tro­den eine Abschir­mung gegen stö­ren­de Fre­quen­zen besit­zen, so kön­nen im All­tag alle Kabel­ver­bin­dun­gen den Effekt einer Anten­ne auf­wei­sen und dadurch die prä­zi­se Ansteue­rung der Pro­the­se erschwe­ren. Dar­über hin­aus füh­ren frei ver­lau­fen­de Kabel bei Erschüt­te­run­gen zu sys­tem­be­ding­ten Arte­fak­ten, die eben­falls eine Fehl­funk­ti­on der Pro­the­se zur Fol­ge haben können.

Der ana­to­mi­sche Form­aus­gleich aus Schaum­stoff erfüllt gegen­über der klas­si­schen Scha­len­bau­wei­se aus Faser­ver­bund­ma­te­ria­li­en meh­re­re Aspek­te: Die pols­tern­den Eigen­schaf­ten schüt­zen die Pro­the­se und die ent­hal­te­nen Elek­tro­kom­po­nen­ten gegen stump­fe Gewalt­ein­wir­kung und tra­gen somit zu einer län­ge­ren Pro­dukt­le­bens­dau­er bei. Eine nach­ge­ben­de Ober­flä­che ver­rin­gert ein Ver­kip­pen der Pro­the­se bei Kon­takt etwa mit einer Tisch­ober­flä­che. Gleich­zei­tig ersetzt der Aus­gleich das klas­si­sche Ärmel­schutz­pols­ter zum Schutz der Klei­dung des Pati­en­ten. Schließ­lich redu­ziert eine annä­hernd phy­sio­lo­gisch wei­che Ober­flä­che die Auf­merk­sam­keit und Stig­ma­ti­sie­rung bei zufäl­li­gem Kon­takt im Umgang mit ande­ren Men­schen (Abb. 7).

Über­ga­be der defi­ni­ti­ven Pro­the­se und Eva­lua­ti­on des Versorgungsziels

Nach der Funk­ti­ons­kon­trol­le durch den Tech­ni­ker fan­den die End­an­pro­be sowie eine Auf­fri­schung des Steue­rungs­trai­nings statt. Dabei wur­den abschlie­ßend die Pass­form und der Ein­fluss des geän­der­ten Schaft­ma­te­ri­als auf die Weich­tei­le sowie die Sta­bi­li­tät und der Auf­bau der teil­fle­xi­blen Rah­men­kon­struk­ti­on geprüft. Erneut wur­den ins­be­son­de­re die All­tags­tä­tig­kei­ten mit der defi­ni­ti­ven Pro­the­se beübt und die Signa­le abschlie­ßend auf ihre kor­rek­te Ein­stel­lung hin über­prüft und nach­jus­tiert (Abb. 8). Im Rah­men der End­an­pro­be wur­den die Anfor­de­run­gen an die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung aus dem ers­ten Pati­en­ten­ge­spräch gemein­sam auf den Grad der Ziel­er­rei­chung für die All­tags­ak­ti­vi­tä­ten geprüft.

Die letz­te Ein­wei­sung ging erneut auf das selbst­stän­di­ge An- und Able­gen und die tech­ni­schen Details ein. Letz­te­re soll­ten den Pati­en­ten in die Lage ver­set­zen, die Pro­the­se einer­seits inner­halb des vor­ge­se­he­nen Rah­mens zu nut­zen, ande­rer­seits Feh­ler­quel­len zu erken­nen. Durch den Wech­sel des Schaft­ma­te­ri­als von Test- zu Defi­ni­tiv­schaft waren zudem ergän­zen­de Hin­wei­se zu Rei­ni­gung, War­tung und Hand­ha­bung erforderlich.

Fazit

Vie­le der beschrie­be­nen Arbeits­schrit­te fin­den sich selbst­ver­ständ­lich im ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gungs­all­tag wie­der und sind heu­te kla­re Bedin­gung bei zeit­ge­mä­ßen Pro­the­sen­kon­zep­ten jen­seits der Grund­la­gen der Bun­des­pro­the­sen­lis­te. Eini­ge Schrit­te hin­ge­gen wur­den im Rah­men des Qua­li­täts­stan­dards und anhäng­li­cher Arbeits­schrit­te neu defi­niert und inten­si­viert. Dies ist sicher­lich ein längst not­wen­di­ger Schritt und resul­tiert nicht zuletzt aus den deut­li­chen Fort­schrit­ten in Mate­ri­al­aus­wahl und Kom­po­nen­ten­ent­wick­lung. Ins­be­son­de­re die Zeit am Pati­en­ten und das Trai­ning mit dem Anwen­der erhal­ten daher einen höhe­ren Stel­len­wert und stel­len einen inte­gra­len Bestand­teil einer qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen und adäqua­ten Ver­sor­gung im Sin­ne der Qua­li­täts­si­che­rung dar.

Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Qua­li­täts­stan­dard ist loh­nens­wert. Er defi­niert den tat­säch­lich aktu­el­len Stand der Tech­nik und skiz­ziert die Mei­len­stei­ne in der Reha­bi­li­ta­ti­on Arm­am­pu­tier­ter oder von Dys­me­lie­pa­ti­en­ten sowie den Weg, die­se zu errei­chen. Gleich­zei­tig wer­den alle Bemü­hun­gen berück­sich­tigt, die sicher­stel­len und nach­wei­sen kön­nen, dass die geplan­te Ver­sor­gung den per­sön­li­chen, aber auch den gesetz­li­chen Anfor­de­run­gen ent­spricht. Jedes Abwei­chen vom Stan­dard for­dert eine kla­re Argu­men­ta­ti­on ein, wodurch sich jeder Tech­ni­ker, aber eben auch das gesam­te Ver­sor­gungs­team inten­siv mit der Ver­sor­gung sei­ner Pati­en­ten und den Anfor­de­run­gen an das Hilfs­mit­tel aus­ein­an­der­set­zen muss. Doch unab­hän­gig davon, ob man den Stan­dard trägt oder vor­an­treibt, muss der Pati­ent sicher sein kön­nen, dass alle Anstren­gun­gen unter­nom­men wur­den, um das bes­te Ergeb­nis für ihn zu erreichen.

Die Autoren:
Boris Bert­ram, OTM
Dipl.-Ing. Mer­kur Alimusaj
Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Heidelberg
Kli­nik für Ortho­pä­die und Unfallchirurgie
Tech­ni­sche Orthopädie
Schlier­ba­cher Land­stra­ße 200a
69118 Hei­del­berg
Boris.Bertram@med.uni-heidelberg.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Bert­ram B, Ali­mus­aj M. Anpas­sung einer myo­elek­tri­schen Unter­arm­pro­the­se – Ver­sor­gungs­ver­lauf nach dem „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich der Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät“. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (8): 42–46
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