Einleitung
Ich wurde 1976 mit einem angeborenen Defekt rechts geboren (Abb. 1 a u. b). In 40 Jahren als Prothesenträger habe ich viele Erfahrungen mit Oberarmprothesen sammeln und deren Weiterentwicklung buchstäblich am eigenen Leib verfolgen können. Meiner Ausbildung zum Orthopädie-Techniker und der darauffolgenden Spezialisierung auf dem Gebiet der oberen Extremität kamen die eigenen Erfahrungen sehr zugute. Durch diese Konstellation bin ich mir umso bewusster, wie schwer es manchmal für den Orthopädie-Techniker ist, dem individuellen Anforderungsprofil des jeweiligen Anwenders gerecht zu werden. Der folgende Überblick über meine eigenen Versorgungen zeigt auf, wie sich die Anforderungsprofile im Laufe der Zeit verändern und inwiefern – unter Berücksichtigung der technischen Weiterentwicklung – darauf jeweils reagiert werden kann.
Habitusprothese/ Patschhand
1978, also mit zwei Jahren, erhielt ich meine erste prothetische Versorgung in Form einer Habitusprothese mit einer Patschhand. Das damalige Ziel war die langsame Gewöhnung an eine Prothese sowie der damit verbundene Gewichtsausgleich, um die Wirbelsäule im Wachstum gleichmäßig zu belasten. Die Prothese bestand aus einem Lederschaft, einer geschäumten Innenhand sowie einem PVC-Prothesenhandschuh als Überzug.
Kosmetische Oberarmprothese
Meine erste kosmetische Oberarmprothese erhielt ich zur Einschulung im Jahr 1982. Anforderungen an die Prothese waren zum einen ein kosmetischer Ausgleich, zum anderen wiederum ein Gewichtsausgleich. Die Prothese wurde mit einem Lederinnenschaft, einem Ellenbogengelenk aus Holz und einer Schmuckhand angefertigt. Aus ähnlichen Bauteilen bestand auch die zweite kosmetische Oberarmprothese, eine Schmuckprothese, die ich 1989 erhielt. Auch hierbei stand der kosmetische Ausgleich im Vordergrund.
Erste myoelektrische Oberarmprothese
Diese Versorgung im Jahr 1993 bedeutete eine wichtige Veränderung. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Ausbildung zum Orthopädie-Techniker begonnen. Mir wurde klar, welche konkreten Anforderungen ich an meine Prothese stellen muss und was zu dieser Zeit technisch machbar war. In diesem Rahmen war es möglich, verschiedene Lösungen auszuprobieren – seitens der Technik, aber auch der Schaftgestaltung. Für diese erste myoelektrische Versorgung wurde ein Gießharzschaft mit frontaler Klappe gefertigt (Abb. 2). Als Ellenbogen wurden Sperrschienen verbaut. Dies war notwendig, weil mit einem Ellenbogenpassteil eine Überlänge entstanden wäre. Der Ellenbogen konnte mit Hilfe einer herkömmlichen Achterbandage gesperrt werden. Dieses System wurde bis zur heutigen Versorgung beibehalten. Da zu diesem Zeitpunkt nur ein Muskelsignal bestand, wurde die Hand per Doppelkanalsteuerung betrieben. Ein wichtiges Ziel dieser Versorgung bestand darin, mit der Prothese Fahrrad fahren zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte dies ohne Prothese stattgefunden, was immer wieder zu Rückenproblemen führte.
Zweite myoelektrische Oberarmprothese
Bei dieser Versorgung 1999 hatte sich das Anforderungsprofil deutlich vergrößert: Das Anziehen der Prothese sollte verbessert werden, es sollte eine Umstellung von der Doppelkanalsteuerung auf eine Vierkanalsteuerung stattfinden, zudem sollte der Tragekomfort der Achterbandage im Achselbereich optimiert werden. Die Umstellung auf eine Steuerung mit zwei Elektroden bedeutete eine starke Verbesserung: Die Prothesenhand konnte nun viel besser und präziser gesteuert werden. Um das Anziehen der Prothese zu optimieren, wurde die Klappe nach ventral verlegt (Abb. 3). Dadurch konnte ich von hinten in die Prothese einsteigen, und das Tragegefühl verbesserte sich deutlich. Um den Tragekomfort der Bandage zu verbessern, wurde im Bereich der Achsel ein Silikonpolster angebracht.
Dritte myoelektrische Oberarmprothese
Bei dieser Prothese, die 2006 entstand, bestand die Anforderung, den Schaft noch weiter zu verbessern. Das Tragegefühl war noch nicht optimal. Also bestand die Überlegung, einen geschlossenen Schaft aus Gießharz zu bauen. Nach einigen Schwierigkeiten gelang es, einen geschlossenen Schaft zu fertigen, in den ich mittels einer Anziehhilfe hineinfahren konnte. Zugleich hatte ich das Gefühl eines Vollkontaktschaftes – ein großer Fortschritt, um die Prothese noch präziser steuern und bewegen zu können. Da dies nun gegeben war, konnte erstmalig eine „SensorHand Speed“ von Otto Bock mit Drehsteuerung verbaut werden.
Vierte myoelektrische Oberarmprothese
Bei dieser Versorgung im Jahr 2011 ging es darum, das Schaftprinzip zu erhalten, aber das Material von Innenschaft und Bandage zu verbessern. Also wurde von der Firma Otto Bock ein HTV-Innenschaft angefertigt (Abb. 4a u. 4b). Darüber wurde dann in Eigenleistung ein Carbonrahmen gegossen, um die Verbindung zum Unterarm zu schaffen. Das Gefühl in diesem Innenschaft war völlig anders als beim Gießharzschaft: Es ergab sich eine höhere Haftung und vor allem weniger Schweißbildung. Das weichere Material erzeugte ein sehr angenehmes Tragegefühl. Nun war die Frage, ob man mit dem HTV-Silikon auch eine Tragebandage herstellen kann, um dort ebenfalls eine Verbesserung zu erreichen. Wiederum mit Hilfe der Firma Otto Bock gelang dies. Hieraus resultierte ein ganz neues Tragegefühl. Das Verschwinden der Achselschlinge auf der Gegenseite ist für mich bis heute einer der größten Vorteile der Silikonbandage (Abb. 5). Von technischer Seite änderte sich nur, dass die SensorHand Speed gegen eine VariPlus-Speed-Hand ausgetauscht wurde. Die Drehsteuerung blieb erhalten.
Aktuelle Versorgung
Mit der aktuellen Versorgung (Abb. 6), die 2013 entstand, änderte sich das Anforderungsprofil nochmals deutlich. Nur die Silikontragebandage blieb erhalten. Der HTV-Innenschaft wurde weiter optimiert und diesmal mit Myokontaktflächen gefertigt. Somit erhielt man einen Innenschaft, der jetzt komplett aus Silikon besteht. Dadurch wurde das Reinigen der Prothese viel einfacher. Außerdem ergab sich durch die Myokontaktflächen ein besseres und saubereres Myosignal. Das war auch notwendig, um die nunmehr verwendete Michelangelo-Hand (ebenfalls Otto Bock) optimal ansteuern zu können. Ein wesentlicher Vorteil der Michelangelo-Hand ist das Handgelenk, das viele Greifpositionen einfacher umsetzbar macht. Dadurch hat sich auch das Tragegefühl der Prothese völlig verändert. Das Zusammenspiel zwischen Schaft, Tragebandage und Hand ist momentan optimal, aber es ist davon auszugehen, dass sich das Anforderungsprofil auch weiterhin verändern wird und dass sich mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung weitere Verbesserungsmöglichkeiten ergeben werden.
Fazit
Jeder Anwender stellt unterschiedliche Anforderungen an seine Prothese, weil jeder Anwender individuelle Ansprüche hat und die Prothese für sehr unterschiedliche Situationen benötigt. Für mich war und ist ein optimal passender Prothesenschaft das Wichtigste. Nur wenn der Prothesenschaft die Anforderungen erfüllt, kann der Anwender die technischen Prothesenpassteile in ihrer Funktion optimal nutzen. Somit können wir als Orthopädie-Techniker durch eine optimale Passform des Schaftes zu einem großen Teil gewährleisten, dass die Versorgung vom Anwender auch tatsächlich getragen wird und nicht im Schrank liegt.
Der Autor:
Jan Walkowski
Reha-aktiv GmbH
Dörnerzaunstraße 1, 09599 Freiberg
Jan.Walkowski@reha-aktiv-chemnitz.de
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