„AMP-Regis­ter“ soll Pilot­pro­jekt sein

Mit dem „AMP-Register“ wagen sich das Universitätsklinikum Heidelberg und das Fraunhofer Institut IPA an ein Pilotprojekt der Registerforschung im Hilfsmittelsektor – ein Herzensprojekt von Dipl.-Ing. (FH) Merkur Alimusaj.

Das „AMP-Regis­ter“ ist ein vom Minis­te­ri­um für Sozia­les, Gesund­heit und Inte­gra­ti­on Baden-Würt­tem­berg mit rund 900.000 Euro geför­der­tes Pro­jekt des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Hei­del­berg (UKHD) in Koope­ra­ti­on mit dem Fraun­ho­fer Insti­tut IPA. Die UKHD steu­ert aus eige­nen Mit­teln noch ein­mal 100.000 Euro bei. Die Erkennt­nis­se aus dem Pro­jekt „AMP-Kom­pass“, das anläss­lich des Forums Gesund­heits­stand­ort Baden-Würt­tem­berg durch das Land bereits mit knapp 400.000 Euro finan­zi­ell unter­stützt wur­de, wer­den dabei in das „AMP-Regis­ter“ über­führt. Mit dem Vor­ha­ben sol­len der Aus­tausch und die Zusam­men­ar­beit von Patient:innen, der Akut­ver­sor­gung, reha­bi­li­ta­ti­ver Ein­rich­tun­gen, nie­der­ge­las­se­ner Ärzt:innen, Therapeut:innen, Orthopädietechniker:innen sowie ande­ren Leis­tungs­er­brin­gern wei­ter ver­bes­sert wer­den. Durch die Erhe­bung sta­tis­tisch hoch­wer­ti­ger Längs­schnitt­da­ten, die über einen län­ge­ren Zeit­raum erfasst wer­den, kön­nen damit bei­spiels­wei­se erfolg­rei­che und weni­ger erfolg­rei­che Behand­lungs­me­tho­den ermit­telt wer­den, sodass künf­ti­ge Patient:innen von den Erfah­run­gen pro­fi­tie­ren. „Nicht erst die Coro­na-Pan­de­mie hat uns gezeigt, dass wir bei der Gesund­heits­ver­sor­gung noch mehr auf Daten und Ver­net­zung set­zen müs­sen“, sag­te der baden-würt­tem­ber­gi­sche Gesund­heits­mi­nis­ter Man­fred „Man­ne“ Lucha anläss­lich der Prä­sen­ta­ti­on der Pro­jekt­för­de­rung im Mai in Stutt­gart. „Davon pro­fi­tie­ren am Ende alle Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Dass die­se Mög­lich­keit in Deutsch­land bei bein­am­pu­tier­ten Men­schen bis­her nicht genutzt wur­de, ist sehr bedau­er­lich. Gera­de bei der Doku­men­ta­ti­on von Krebs­er­kran­kun­gen haben wir mit soge­nann­ten Krebs­re­gis­tern bereits sehr gute Erfah­run­gen gemacht. Umso mehr freut es mich, dass wir jetzt einen Vor­stoß in die­ser Sache unternehmen.“

Das „AMP-Regis­ter“ kon­zen­triert sich in die­ser Pro­jekt­pha­se auf die Ampu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tä­ten. Dabei muss bzw. soll es aber laut Ali­mus­aj nicht blei­ben. „Wir wol­len mit den unte­ren Extre­mi­tä­ten hier in Baden-Würt­tem­berg anfan­gen. Am Ende des Pro­jekts wol­len wir mit der Ent­wick­lung aber so weit sein, dass wir die Erhe­bung der Daten auf ganz Deutsch­land aus­wei­ten kön­nen. Und auch der Ver­sor­gungs­be­reich ist exem­pla­risch gewählt und soll zukünf­tig mög­lichst das gesam­te Spek­trum der Ver­sor­gun­gen abde­cken“, erklärt Alimusaj.

Kon­kret sind der­zeit acht Sani­täts­häu­ser in Baden-Würt­tem­berg in das Pro­jekt invol­viert. Dort wird im Ver­lauf der Pati­en­ten­ana­mne­se mit­tels einer App am Tablet ein „dop­pel­ter“ Fra­ge­bo­gen an Patient:innen und Ver­sor­ger aus­ge­spielt. Einer­seits kön­nen die Patient:innen am Tablet Fra­gen rund um die „nor­ma­le“ Ana­mne­se beant­wor­ten und anschlie­ßend ver­sor­gungs­re­le­van­te Fra­gen gemein­sam mit ihrem Ver­sor­ger klä­ren. Ande­rer­seits wer­den bei­de Grup­pen zur Hand­ha­bung der App befragt. Die­se Ergeb­nis­se flie­ßen in das Pro­jekt „AMP-Regis­ter“ direkt ein und kön­nen – nach Abstim­mung – auch kurz­fris­tig zu Anpas­sun­gen der App füh­ren, um ein ste­ti­ges Ver­bes­sern zu gewährleisten.

„Ein Vor­teil für Patient:innen und die teil­neh­men­den Häu­ser ist, dass alle Pati­en­ten­da­ten, die in der App ein­ge­tra­gen wer­den, hin­ter­her als down­load­ba­res PDF zusam­men­ge­fasst wer­den und so Teil der Doku­men­ta­ti­on des Sani­täts­hau­ses wer­den kön­nen“, erklärt Alimusaj.

Daten viel­fäl­tig nutzbar

Bereits seit über einem Jahr­zehnt wird im Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum in Hei­del­berg in zunächst klei­ne­ren und mitt­ler­wei­le auch grö­ße­ren Pro­jek­ten dar­an gear­bei­tet, Daten zu sam­meln und so gleich meh­re­re Zie­le zu errei­chen. Das ist auch beim aktu­el­len Pro­jekt rund um das „AMP-Regis­ter“ nicht anders.

Zunächst ein­mal kann mit der sys­te­ma­ti­schen Daten­er­he­bung eine büro­kra­ti­sche Pflicht leich­ter erfüllt wer­den. Im Rah­men der Euro­päi­schen Medi­zin­pro­duk­te-Ver­ord­nung (Medi­cal Device Regu­la­ti­on, kurz: MDR) wird spä­tes­tens alle fünf Jah­re eine Über­ar­bei­tung von Kli­ni­schen Bewer­tun­gen gefor­dert. Eine Kli­ni­sche Bewer­tung ist eine sys­te­ma­ti­sche Erhe­bung und Aus­wer­tung kli­ni­scher Daten aus unter­schied­lichs­ten Quel­len. Wenn die Sani­täts­häu­ser ihre Ver­sor­gun­gen nun per App doku­men­tie­ren und in das Regis­ter über­tra­gen, haben sie den Vor­teil, dass sie auf die­sen Daten­schatz zurück­grei­fen und damit die von der MDR gefor­der­ten Aus­wer­tun­gen leich­ter erstel­len kön­nen. Glei­ches gilt stell­ver­tre­tend für Ver­bän­de und ande­re betei­lig­te Stakeholder.

Neben der Büro­kra­tie geht es auch dar­um, beson­ders gute – oder auch schlech­te – Ver­sor­gungs­for­men zu doku­men­tie­ren und damit für das Wohl der Patient:innen zu sor­gen. Dabei müs­sen auch die Kos­ten­trä­ger mit ins Boot geholt wer­den. Denn: Mit Hil­fe der Daten las­sen sich auch indi­vi­du­el­le Ver­sor­gun­gen gegen­über Kos­ten­trä­gern bes­ser ver­mit­teln. Ein Bei­spiel von Mer­kur Ali­mus­aj: „Wenn ich einen 50-jäh­ri­gen Fami­li­en­va­ter mit zwei jugend­li­chen Kin­dern, einem ambi­tio­nier­ten sport­li­chen Hob­by und noch rund 20 Jah­ren Arbeits­le­ben ver­sor­ge oder einen mul­ti­mor­bi­den 85-jäh­ri­gen Pati­en­ten im Pfle­ge­heim – da gibt es Unter­schie­de in den Anfor­de­run­gen und des­halb auch in der Art – und natür­lich auch den Kos­ten – der Ver­sor­gung. Mit den Daten im Rücken kann ich dann aber fach­lich ganz anders argu­men­tie­ren, war­um die eine Ver­sor­gung 25.000 Euro und die ande­re 5.000 Euro kos­tet.“ Gleich­zei­tig kön­nen aber auch unnö­tig teu­re Ver­sor­gun­gen ver­mie­den und so die finan­zi­el­len Res­sour­cen geziel­ter zum Woh­le aller Patient:innen ein­ge­setzt werden.

Mit dem „Inter­nen Bench­mar­king“ nennt Mer­kur Ali­mus­aj einen wei­te­ren Vor­teil des Regis­ters. „Die Daten im Regis­ter sind pseud­ony­mi­siert. Ich ken­ne aber mei­ne eige­nen Patient:innen und kann sie so mit der Viel­zahl der ande­ren Ver­sor­gun­gen in Rela­ti­on set­zen. Wenn ich Herrn May­er oder Frau Mül­ler habe, dann kann ich genau sehen, wie sie im Ver­gleich mit ähn­li­chen Patient:innen ver­sorgt wur­den und dadurch Rück­schlüs­se für mei­ne eige­ne Ver­sor­gung zie­hen“, so Alimusaj.

Das „AMP-Regis­ter“ sei des­halb ein ers­ter Auf­schlag für ein Regis­ter im Hilfs­mit­tel­be­reich, das aber nicht nur bran­chen­in­tern, son­dern auch Kli­ni­ken, Ärzt:innen und Co. als Unter­stüt­zung und Ori­en­tie­rung die­nen soll. Wich­tig ist Ali­mus­aj, dass es hier nicht um eine rein sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung von Fak­ten geht. „Wie vie­le Ampu­ta­tio­nen es bei­spiels­wei­se gibt, das kann man vom Sta­tis­ti­schen Bun­des­amt erfah­ren. Uns geht es dar­um, tie­fer­ge­hen­de Infor­ma­tio­nen zu sam­meln mit dem Ziel, die Ver­sor­gung zu verbessern.“

Daten­schutz und ePa

Deutsch­land steht im Ruf – im Ver­gleich zu ande­ren west­li­chen Indus­trie­na­tio­nen, – viel Wert auf den Daten­schutz zu legen. Beson­ders sen­si­ble Daten, wie sie Gesund­heits­da­ten sein kön­nen, wer­den immer wie­der in den Fokus gerückt. Das „AMP-Regis­ter“ hat sich als Pro­jekt hohe ethi­sche Stan­dards gesetzt, zu denen natür­lich auch eine Wah­rung des Daten­schut­zes und vor allem der Daten­sou­ve­rä­ni­tät zählt. „Wir müs­sen gewähr­leis­ten, dass unse­re Patient:innen jeder­zeit ihre Teil­nah­me – und somit die Wei­ter­ga­be ihrer Daten – wider­ru­fen kön­nen. Sei es einer­seits von pseud­ony­mi­siert zu anony­mi­siert oder ande­rer­seits gar zur voll­stän­di­gen Löschung der Daten. Das ist eine Her­aus­for­de­rung für unse­re Soft­ware­ent­wick­ler, die wir aber selbst­ver­ständ­lich den­noch anneh­men“, erklärt Alimusaj.

Ein Teil der Daten wer­de – so die Pla­nung – auch für die Ein­ga­be in die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te (ePa) vor­be­rei­tet. Damit kön­nen auch Orthopädietechniker:innen nicht nur die Mit­tei­lun­gen der ande­ren an der Ver­sor­gung Betei­lig­ten lesen, son­dern dank akti­ver Ein­ga­be ihrer Erkennt­nis­se ent­schei­dend an einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Ver­sor­gungs­er­folg teil­ha­ben. Ent­spre­chen­de Gesprä­che mit der Gema­tik sei­en in der Ver­gan­gen­heit bereits geführt wor­den mit posi­ti­ven Signa­len aus Berlin.

Regis­ter­for­schung gewinnt an Bedeutung

„Im Bereich der medi­zi­ni­schen Regis­ter ist eine enor­me Dyna­mik ent­stan­den: nicht zuletzt durch Ankün­di­gung eines Regis­ter­ge­set­zes im Koali­ti­ons­ver­trag der neu­en Regie­rung“, erläu­tert Sebas­ti­an C. Sem­ler, Geschäfts­füh­rer der Tech­no­lo­gie- und Metho­den­platt­form für die ver­netz­te medi­zi­ni­sche For­schung, im Rah­men der Regis­ter­ta­ge 2022. In Regis­tern wer­den Daten für die medi­zi­ni­sche For­schung stan­dar­di­siert erho­ben. Sie gehö­ren neben kli­ni­schen Stu­di­en zu den wich­tigs­ten Werk­zeu­gen für die Erfor­schung neu­er The­ra­pien und zur Ver­bes­se­rung eta­blier­ter Behand­lungs­me­tho­den. In einem vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit (BMG) beauf­trag­ten Gut­ach­ten wur­den im Rah­men einer Bestands­auf­nah­me rund 300 medi­zi­ni­sche Regis­ter in Deutsch­land iden­ti­fi­ziert. Minis­te­ri­al­di­ri­gent Mar­kus Alger­mis­sen, Unter­ab­tei­lungs­lei­ter im BMG, wies dar­auf hin, dass das kom­men­de Regis­ter­ge­setz die Grund­la­ge für eine nach­hal­ti­ge Regis­ter­struk­tur in der regis­ter­ba­sier­ten For­schung legen kann. Es gehe dar­um, den Zugang zu den Regis­ter­da­ten und die Nut­zung der Daten zu ver­bes­sern, um medi­zi­ni­sche Ent­schei­dun­gen auf eine ande­re Basis zu stellen.

Mehr­auf­wand lohnt sich

Ein Argu­ment gegen das Regis­ter ist der büro­kra­ti­sche Mehr­auf­wand. In einer Zeit mit Per­so­nal­not auf Grund feh­len­der Fach­kräf­te wird jede ein­ge­setz­te Minu­te in Betrie­ben immer wert­vol­ler. Da heißt es aus Sicht der Betriebsinhaber:innen abzu­wä­gen, wel­che Vor- und Nach­tei­le die Par­ti­zi­pa­ti­on an der Daten­ein­ga­be in das Regis­ter habe. Mer­kur Ali­mus­aj kann dies aus sei­nen ers­ten Erfah­run­gen her­aus ent­kräf­ten und ver­spricht: „Es lohnt sich.“ Die teil­neh­men­den Sani­täts­häu­ser in Baden-Würt­tem­berg hät­ten – selbst für die Projekteilnehmer:innen über­ra­schend – die Daten­ein­ga­be und den damit ver­bun­de­nen Auf­wand außer­or­dent­lich posi­tiv auf­ge­nom­men. Die Nut­zen der erho­be­nen Daten sei­en so viel höher als der betrie­be­ne Auf­wand, so dass die extra Minu­ten gut inves­tiert sei­en. Zudem ver­rin­ge­re sich der Auf­wand an ande­rer Stel­le deut­lich und mit hin­zu­ge­won­ne­ner Rou­ti­ne sei der Mehr­auf­wand sowie­so deut­lich zu relativieren.

Kein Regis­ter ist kei­ne Option

Trotz des Pro­jekt­cha­rak­ters des „AMP-Regis­ters“ ist sich Ali­mus­aj sicher: Kein bun­des­wei­tes – oder noch wei­ter in die Zukunft gedacht: EU-wei­tes – Regis­ter ist auch kei­ne Opti­on. „Wir haben – nicht zuletzt auf der OTWorld im Mai die­ses Jah­res – gese­hen, dass die Regis­ter­for­schung ein wich­ti­ger Teil unse­res Fachs wer­den wird.“ Kli­ni­sche Stu­di­en und Regis­ter­for­schung sind der dua­le Weg, um Pati­en­ten­ver­sor­gung in Zukunft noch bes­ser zu machen. Allein ein Blick in das Hier und Jetzt genügt, um sich bewusst zu wer­den, welch enor­mer Infor­ma­ti­ons­ver­lust durch einer­seits soge­nann­te Daten­si­los als auch ande­rer­seits feh­len­de Doku­men­ta­ti­on ent­steht. Wenn Daten nicht geteilt wer­den, wer­den immer wie­der an vie­len Orten die glei­chen Daten erho­ben und die Dau­er für Rück­schlüs­se wird immer län­ger. Wenn man bedenkt, wel­che Daten im Lau­fe eines „Pati­en­ten­le­bens“ anfal­len, dann ist der mög­li­che Erkennt­nis­ge­winn dar­aus enorm, wenn die­se Daten doku­men­tiert und als Big Data der For­schung und dem Fach zur Ver­fü­gung ste­hen. Des­we­gen ist der Auf­bruch in die Regis­ter­for­schung in der Hilfs­mit­tel­bran­che ein gutes Zei­chen, um die Zukunft gut und res­sour­cen­ef­fi­zi­ent zu gestalten.

Hei­ko Cordes

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