Im Rahmen einer Studie wurde die Biomechanik der vorfußamputierten Patientin mit Prothese mit einer gesunden Kontrollgruppe verglichen. Die Ergebnisse der Studie zeigen sowohl die Möglichkeiten der entwickelten Prothese als auch deren Grenzen auf.
Einleitung
Prothesenversorgungen nach einer Ober- oder Unterschenkelamputation haben in diesem Jahrtausend enorm an Qualität gewonnen: Durch den Einsatz neuer Werkstoffe und Technologien zur Herstellung dieser Hilfsmittel sind Prothesenträger heutzutage in der Lage, sportliche Höchstleistungen zu erbringen und sich sogar mit gesunden Leistungssportlern zu messen. Dies wurde unter anderem durch den Sieg des transtibial amputierten Weitspringers Markus Rehm bei den deutschen Leichtathletikmeisterschaften im Jahr 2014 bestätigt. 1 Bei der Versorgung von Vorfußamputationen ist die Prothesenentwicklung dagegen noch etwas im Hintertreffen: Nach der Amputation stehen Betroffenen entweder knöchelfreie Hilfsmittel wie Silikon- und Bellmannprothesen oder diverse knöchelübergreifende Versorgungsvarianten aus Faserverbund zur Verfügung. 2 3 Jedoch ist entsprechend den Anweisungen der Hersteller keines dieser Hilfsmittel für den Einsatz im Sport geeignet. 4 5 Für Vorfußamputierte bedeutet diese Einschränkung einen Verlust an Mobilität und Lebensqualität. Zudem folgen aufgrund der Amputation und des Verzichts oftmals weitere Erkrankungen wie z. B. Depressionen. 6 Zur Aufrechterhaltung des gewünschten Aktivitätsniveaus und zur Vermeidung weiterer gesundheitlicher Beschwerden muss daher das prothetische Hilfsmittel hinsichtlich seiner Bauart und seiner mechanischen Auslegung den spezifischen Ansprüchen des jeweiligen Patienten angepasst werden. 2 7Im Rahmen der hier vorgestellten Studie wurde eine am Lisfranc- Gelenk amputierte Probandin mit einer individuell an ihre Bedürfnisse angepassten Carbonprothese (Abb. 1) versorgt. Bei der mechanischen Auslegung der Prothese wurden neben der Anatomie auch mechanische Parameter richtungsändernder Bewegungen berücksichtigt, wie sie beispielsweise beim Badminton vorkommen. Dazu wurde das Hilfsmittel derart dimensioniert, dass sowohl die erhöhten Belastungen als auch die schnellen richtungsändernden Bewegungen, die bei dieser Sportart auftreten, aufgefangen werden. 8 Die Biomechanik des Joggens sowie ausgewählter richtungsändernder Bewegungen wurde für die vorfußamputierte Probandin ermittelt und analysiert sowie einer gesunden Kontrollgruppe ohne Prothese gegenübergestellt.
Methodik
Studienpopulation
Die Aufzeichnung der Parameter wurde mit insgesamt fünf Probanden durchgeführt, bei denen das rechte Bein dominant war. Dabei handelte es sich um vier Nichtprothesenträger aus der Kontrollgruppe (KG), die Badminton als Freizeitsport betreiben, sowie um eine vorfußamputierte Probandin (PG). Die probandenspezifischen Daten der Studienpopulation können Tabelle 1 entnommen werden.
Verwendete Messtechnik
Die Analyse der biomechanischen Daten während der Ausführung der richtungsändernden Bewegungen erfolgte in einer Laborumgebung. Eine schematische Darstellung der Messumgebung wird in Abbildung 2 gezeigt. Die Aufzeichnung der kinematischen Parameter erfolgte mit einem videogestützten 3D-Bewegungsanalysesystem der Simi Reality Motions GmbH (Unterschleißheim, Deutsch- land). Für die Auswertung der Daten wurde die Software „Simi Motion 2D/3D“ in der Version 9.2.2 verwendet. Das Motion-Capturing-System nutzt für das Tracking der am Körper angebrachten retroreflektiven Marker acht Kameras, die mit einer maximalen Bildrate von 122 Frames betrieben werden können. Zur Betrachtung der Gelenkwinkel kam das in Abbildung 1 gezeigte Marker-Setup zum Einsatz. Dieses definiert die Achsen des Knie‑, des Sprung- sowie des Metatarsalgelenks und unterteilt zudem den Fuß in zwei Segmente: Die erste Einheit im Vorfußbereich wird von den Metatarsalköpfchen I und V bis zur Großzehe aufgespannt; der zweite Teil beinhaltet den Mittel- sowie den Rückfuß. Dieser erstreckt sich von den Metatarsalköpfchen bis zum Calcaneus und nach oben hin bis zum Sprunggelenk. Zur Erfassung der Kinetik wurde eine 3D-Kraftmessplatte des Typs 9260AA der Firma Kistler (Winterthur, Schweiz) verwendet. Mittels der Software „Bioware“ (Version 5.2) wurden dreidimensionale Bodenreaktionskräfte analysiert. Bei der Parameteraufzeichnung wurde bei der PG lediglich die mit der Prothese versorgte Seite betrachtet, bei der KG jeweils die dominante Extremität.
Studiendurchführung
Vor Beginn der Datenaufzeichnung wurden die Probanden über das Ziel der Studie, mögliche Risiken sowie den Gesamtablauf informiert. Zudem wurde das Einverständnis eingeholt, die generierten Parameter auszuwerten und zu veröffentlichen. Da im späteren Verlauf die Daten unter anderem auf das Körpergewicht normiert wurden, erfolgte im ersten Schritt eine statische Messung auf der Kraftmessplatte, um das Probandengewicht zu ermitteln. Zusätzlich wurde dabei mit dem Motion- Capturing-System die Neutralposition der Gelenkwinkel bestimmt. Bevor die eigentliche Datenaufzeichnung begann, musste das dominante Bein ermittelt werden. Dazu stellten sich die Probanden hüftbreit hin und wurden leicht von hinten geschubst. Das Bein, das dabei unwillkürlich als erstes nach vorne schwingt, wird als dominant angesehen. Weiterhin erhielten die Probanden eine Einlaufzeit, um die Ausführung der Übung zu proben und gleichzeitig die optimale Startposition zu bestimmen. Für die Reproduzierbarkeit der Daten erhielten alle Probanden zur Durchführung der Übungen die gleichen Laufschuhe.
Es wurden nur Messungen in die Auswertung aufgenommen, bei denen der komplette Fuß der dominanten Seite auf der Kraftmessplatte registriert wurde. Im Anschluss joggten die Probanden mit selbst gewählter Geschwindigkeit über die Laufstrecke und wurden dann nach ihrem Wohlbefinden befragt. Bei Unwohlsein oder Komplikationen wurden keine weiteren Messungen vorgenommen. Ansonsten wurden im nächsten Schritt die richtungsändernden Bewegungen gemäß Abbildung 3 analysiert; „Cutting“ und „Cutting Straight“ entsprechen dabei den im Badminton am häufigsten vorkommenden Bewegungsmustern. Die Probanden mussten ein ungefähres Gespür für die richtige Schrittlänge und den Ausfallwinkel entwickeln. Dazu wurden, wie Abbildung 2 zu entnehmen ist, als Hilfestellung dünne Fäden in einem Winkel von 90° bzw. von 180° auf dem Boden aufgeklebt. Wie schon zuvor beim Joggen verlor die Messung ihre Gültigkeit, wenn die Referenzextremität nicht vollständig auf der Platte aufgesetzt wurde. Zudem sollte der Fuß möglichst parallel zur y‑Achse der Kraftmessplatte aufsetzen.
Mit der Bewegung „Cutting“ sollte eine schnelle Richtungsänderung in der Vorwärtsbewegung simuliert werden. Dabei stand der Proband im 45°-Winkel rechts vor der Kraftmessplatte. Anschließend erfolgte ein Ausfallschritt nach links, und die Bewegung wurde mit einem Richtungswechsel nach rechts beendet. Der Winkel sollte hierbei etwa 90° betragen.
Beim „Cutting Straight“ startete der Proband ebenfalls rechts vor der Platte; die Bewegung verlief jedoch gerade, also in einem Winkel von 180°. Dabei kreuzte der rechte Fuß den linken; diese Bewegung simuliert einen weiten Ausfallschritt. Zuletzt wurden die Probanden im Rahmen eines Abschlussgesprächs nochmals nach ihrem Wohlbefinden befragt.
Auswertung der Daten/Statistik
Die Auswertung der Kraft- und Bewegungsdaten erfolgte mit der Simi-Motion-Software. Die Daten wurden dabei mit einem Tiefpassfilter erster Ordnung mit einer Cut-off-Frequenz von 15 Hz gefiltert. Fehlende Datenpunkte wurden über eine Spline-Kurve mit einer maximalen Fensterweite von 20 Datenpunkten interpoliert. Um die Daten zu glätten, wurde ein sogenannter gleitender Mittelwert von vier Datenpunkten gebildet und iterativ über die Fensterweite berechnet. Die weitere Verarbeitung sowie die Synchronisierung der einzelnen durch die verschiedenen Systeme generierten Datensätze erfolgte anschließend mit der Software „Matlab“. Dazu wurden die Zeitstempel mit den dazugehörigen Daten übereinandergelegt. Für die statistische Beurteilung der Daten wurde das Statistical Parametric Mapping9mit einem Signifikanzniveau von Į = 0,05 verwendet.
Ergebnisse
Zur Ergebnisdarstellung wurden die generierten Parameter für die Kontrollgruppe gemittelt und anschließend überlagert. Daher spiegeln die Kurven der Kontrollgruppe den Mittelwert sowie die Standardabweichung aller Messungen aller Probanden wider. Zudem konnten die Probanden die Geschwindigkeit für die Durchführung der Übungen frei bestimmen. Da diese Einfluss auf die Ergebnisse hat, wird im Folgenden zusätzlich die Kontaktzeit auf der Platte betrachtet.
Joggen
Während des Joggens betrug die durchschnittliche Kontaktzeit [s] der KG 0,3 ± 0,2 und für die PG 0,27 ± 0,1. Im oberen Bereich des Diagramms in Abbildung 4 werden die vertikalen Bodenreaktionskräfte (vGRF) von PG und KG für das Joggen einander gegenübergestellt. Dabei zeigt sich während der initialen Standphase bei beiden Gruppen ein einheitlicher Anstieg der Kraft; das Maximum liegt bei der PG jedoch ca. um das 0,7‑Fache des Körpergewichts unterhalb dessen der KG. Die größte Auslenkung der Kurve findet bei etwa 40 % der Standphase statt.
Die mediolateralen Bodenreaktionskräfte weisen zu Beginn der Standphase eine hohe Varianz auf; im Vergleich zur KG tritt bei der PG das Maximum 20 % später auf. In anteriorer Richtung sind Maximalkräfte von bis zu 0,4 N/BW zu erkennen. Die größte Amplitude der Bodenreaktionskraft in posteriorer Richtung tritt bei der KG in Bezug auf die Standphase etwa 10 % früher auf und liegt 0,1 N/BW höher als bei der PG. Insgesamt wurden aber zwischen den beiden Vergleichsgruppen in Bezug auf das Joggen keine signifikanten Unterschiede bei den Bodenreaktionskräften ermittelt. Das größte Moment im oberen Sprunggelenk (OSG, Abb. 5a) wird bei der KG zwischen 50 und 60 % der Standphase erreicht; bei der PG tritt der Höchstwert etwas verspätet auf und beträgt 0,15 Nm/BW. Die Werte der KG liegen im Mittel bei etwa 0,22 Nm/BW. Bei der KG wird im Metatarsalgelenk (MTPG, Abb. 5b) bis zur mittleren Standphase ein Maximalmoment von 0,22 Nm/ BW erreicht. Da der Kraftangriffspunkt während der Standphase unterhalb der Sohle wandert und sich dem MTPG annähert, gibt es einen Richtungswechsel; die Richtungsänderung findet bei der PG etwa 20 % später statt als bei der KG. In der terminalen Standphase wurde bei der KG ein durchschnittliches Moment von 0,05 Nm/BW gemessen, während bei der PG das Maximum des Moments nahe der Nulllinie lag.
Beim Vergleich beider Probandengruppen treten sowohl im OSG als auch im MTPG während der terminalen Standphase signifikante Unterschiede (Į < 0,01) auf: Bedingt durch das Prothesendesign weist die PG im OSG und im MTPG in der Sagittalebene ein deutlich geringeres Bewegungsausmaß auf. Im OSG (Abb. 6a) beträgt die gemessene Amplitude etwa 10°, wobei die Bewegung primär in Form von Dorsalextension stattfindet; das MTPG (Abb. 5b) wird mit etwa 2° kaum gebeugt. Im Vergleich dazu reicht das Bewegungsausmaß bei der KG im OSG von +20° bis ‑20° und im MTPG von 0° bis 15°. Bei beiden Gelenken lassen sich hohe signifikante Unterschiede (Į < 0,01) feststellen; die Signifikanz ist zum Ende der Standphase hin am größten.
Richtungsändernde Bewegungen
Die richtungsändernden Bewegungen zeichnen sich – bedingt durch die unterschiedlichen Bewegungsausführungsstrategien der Probanden – durch eine starke Varianz der Messergebnisse aus. So zeigte sich beispielsweise, dass einige Probanden die Bewegungen mit dem Vorfuß einleiteten, während andere mit der Ferse oder dem Mittelfuß auftraten. Daher wurden nur die Probanden für die Gegenüberstellung herangezogen, deren Bewegungsausführung der der PG ähnelt. Es werden nur die absoluten Werte der Ergebnisse dargestellt; auf eine statistische Auswertung wurde aufgrund der hohen Varianz verzichtet.
Die Kontaktzeit (siehe Tab. 2) ist ein Maß für die Geschwindigkeit der Probanden. Bei der KG ist sie für die Bewegungsform „Cutting Straight“ kürzer als bei der PG; einzig bei „Cutting“ ändert sich das Verhältnis. Diese Ergebnisse sind ein Hinweis auf unter- schiedliche Kontrollstrategien bei der Bewegungsausführung.
Cutting
Die Bodenreaktionskräfte für die Bewegungsform „Cutting“ sind in Abbildung 7 dargestellt. Aus der KG weisen lediglich zwei Probanden (2 und 3) bei der Ausführung der Übung ein ähnliches Bewegungsmuster wie die Probandin der PG auf. Daher werden nur die Daten dieser drei Probanden einander gegenüberge- stellt. Bei der KG liegt das Maximum der vGRF durchschnittlich 0,2 N/BW über dem der PG. Im Falle der vorfußamputierten Probandin steigt die Belastung in vertikaler Richtung auf etwa das 1,2‑Fache des Körpergewichts an. Für die PG liegt das durchschnittliche Niveau der mediolateralen Kraft etwa bei 0,1 N/BW unterhalb dessen der KG, das im Maximum 0,6 N/BW er- reicht. Die Spannweite der Kraft in Anterior-posterior-Richtung liegt bei beiden Vergleichsgruppen bei etwa 0,3 N/BW; die errechneten Momente (Abb. 8) der PG fallen im Vergleich zur KG dagegen deutlich geringer aus. Die OSG-Momente liegen für die bei- den Probanden der KG zwischen 0,16 und 0,19 Nm/BW, während der Maximalwert bei der vorfußamputierten Probandin weniger als 0,12 Nm/BW beträgt. Wie in Abbildung 9a zu sehen ist, wird das größte Ausmaß des OSG- Moments bei allen Probanden bei etwa 75 % der Standphase erreicht. Im Vergleich zur KG weist die PG im MTPG (Abb. 9b) eine deutlich geringere dorsale Momentänderungsrate auf. Das Bewegungsausmaß im OSG liegt bei der KG bei ca. 35° bis 40° und bei der PG bei etwa 10°. Während der initialen und der mittleren Standphase verläuft der MTPG-Winkel der KG entgegen dem der PG und erreicht eine maximale Beugung von 10° bei 83 % der Standphase, während diese bei der PG bei 95 % der Standphase zu finden ist.
Cutting Straight
Abbildung 10 visualisiert die dreidimensionale Bodenreaktionskraft für die Bewegungsform „Cutting Straight“. Aus dem Vergleich der vGRF wird ersichtlich, dass bei der PG die Ausprägung während der Belastungs- antwort geringer ausfällt; zudem ist die Höhe des Maximums mit 1,2 N/ BW geringer als die der KG, wo der Höchstwert zwischen 1,4 und 1,8 N/ BW liegt. Mediolaterale und Anterior- posterior-Bodenreaktionskräfte zei- gen einen ähnlichen Kurvenverlauf mit vergleichbaren Werten. Bei der Betrachtung der Momente in Abbildung 11a liegen die Absolutwerte der KG mit 0,17 Nm/BW deutlich über denen der PG mit 0,1 Nm/BW. Beim MTPG betragen die Plantarflexionsmomente der KG ca. ‑0,14 Nm/BW und die Dorsalflexionsmomente ca. 0,05 Nm/ BW; bei der PG betragen diese jeweils ‑0,08 und 0,03 Nm/BW (Abb. 11b). Die ermittelte Spannweite des OSG- Winkels (Abbildung 12) bei der PG ist mit 12° um mehr als die Hälfte kleiner als die der KG, bei der sie durchschnittlich 30° beträgt. Dieser enorme Unterschied wird besonders während der Dorsalextension deutlich: Im Gegensatz zur KG erreicht der MTPG- Winkel der PG zu Beginn der Stand- phase eine geringere Dorsalflexion, die gegen Ende des Schritts zu früh auftritt. Der erreichte Maximalwert ist für beide Vergleichsgruppen mit ca. 15° ähnlich.
Diskussion
Methodik
Die Literaturrecherche ergab, dass es keine biomechanischen Normparameter für die zu untersuchenden richtungsändernden Bewegungen gibt. Mit dem Ziel, ein möglichst „breites“ Datenkollektiv zu generieren, besteht daher die Population der KG sowohl aus männlichen als auch aus weiblichen Probanden. Sowohl PG (n = 1) als auch KG (n = 4) bestehen aus einer geringen Anzahl an Probanden. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erhöhen und den Einfluss der Varianz zu verringern, müssten weitere Teilnehmer für eine entsprechende Studie rekrutiert und untersucht werden. Zudem ergeben sich durch die kleine Population große anthropologische Differenzen, bei denen ein Einfluss auf die Studienergebnisse ebenfalls nicht ausgeschlossen werden kann.
Trotz Einlauf- sowie Eingewöhnungszeit kann sich die Laborumgebung, in der die Untersuchungen stattfanden, einengend und einschüchternd auf manche Probanden auswirken. Die Folge davon ist das Einnehmen einer Schonhaltung, die die physiologische Ausführung der Bewegung hemmt.
Das applizierte Marker-Setup definiert die Achsen des Metatarsal‑, des Sprung- und des Kniegelenks, jedoch nicht die der Hüfte. Dadurch beschränken sich die Auswertungsmöglichkeiten auf die Winkel um das obere Sprunggelenk und das Metatarsalgelenk. Zudem wurde der Fuß in nur zwei und nicht – wie es anatomisch korrekt wäre in drei Segmente unterteilt. Die relative Verschiebung des mittleren Fußsegmentes zum Rückfuß wird in der Zwei-Komponenten-Darstellung vernachlässigt, was möglicherweise zu einer größeren Streuung der berechneten OSG-Momente führt.
Mit dem Ziel, alle am Körper angebrachten Marker kontinuierlich zu verfolgen, wurde die maximale Kameraanzahl in die Analyse eingebunden. Diese Ausrichtung stellt sicher, dass mindestens vier Kameras parallel von lateral und medial aufzeichnen können. Die eingestellte Kameraaufnahmerate von 100 Hz genügt laut Marquardt 10 bis zu Laufgeschwindigkeiten von etwa 20 km/h, die während der durchgeführten Untersuchungen von keinem Probanden erreicht wurden. Bei der Auswahl der typischen Bewegungsmuster entschied man sich dafür, einen langen Schritt nach vorne sowie eine abrupte Richtungsänderung zu simulieren. Der festgelegte Bewegungsablauf muss sowohl von der KG als auch von der PG reproduzierbar ausgeführt werden können. Dazu wurden dünne Schnüre auf den Boden geklebt, an denen sich die Probanden grob orientieren sollten. Zusätzlich sollte so dem Untersucher die Kontrolle im Hinblick auf eine valide Messung erleichtert werden.
Ergebnisse
Die verwendete Vorfußprothese wurde gezielt für die Verwendung bei richtungsändernden Bewegungen ausgelegt. Bedingt durch das Prothesendesign – insbesondere durch den medialen Übergang vom Federelement zur Sohle – gestaltet sich der Kurvenverlauf der vertikalen Kraftkomponente für das Joggen bei der PG etwas flacher als bei der KG. Rück- und Mittelfußbereich sind durch die Prothese versteift und lassen kaum Verformung zu. Insgesamt erschwert dies das Verschieben des Kraftvektors von der Ferse in Richtung des Vorfußes, ist jedoch laut Dillon et al.1112 für die Wiederherstellung des Vorfußhebels notwendig. Die medialen Bodenreaktionskräfte liegen für „Cutting“ teilweise um das Vierfache über denen der Bewegungsformen „Joggen“ und „Cutting Straight“. Ursache dafür ist die Kraftspitze, die durch die Richtungsänderung entsteht. In lateraler Kraftrichtung sind dagegen keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Bewegungen zu erkennen. Der Vergleich der Kräfte-Maxima wird weiterhin durch die freie Geschwindigkeitswahl erschwert.
Sowohl die anterioren als auch die posterioren Bodenreaktionskräfte sind beim Joggen höher als bei den Cutting-Bewegungen. Für die ausgeführten Bewegungsformen liegen die maximalen Momente im OSG bei- der Vergleichsgruppen zwischen 0,1 und 0,15 Nm/BW. Im MTPG zeigen sich nur geringe Unterschiede bei den Spitzenwerten. Bei der PG werden jedoch überwiegend negative Momente im MTPG beobachtet. Das bedeutet, dass der Kraftvektor kaum bis über die Gelenkachse wandert und der Vorfuß somit nicht belastet wird. Ursächlich dafür ist das verfrühte Beenden der Standphase durch den Betroffenen. Dieses Verhalten ist typisch für vorfußamputierte Patienten und sollte durch das vermehrte Tragen des Hilfsmittels korrigiert werden können.
Der variierende Kurvenverlauf zwischen den Vergleichsgruppen kommt durch die bereits beschriebene unterschiedliche Bewegungsausführung zustande. Bedingt durch die Prothesengeometrie weist die PG in der Sagittalebene bei allen durchgeführten Übungen eine deutlich geringere OSG-Winkeländerung auf. Dies muss jedoch für die Wiederherstellung des Vorfußhebels in Kauf genommen werden. 11 Die Einschränkung des OSG wirkt sich auf den Hüft- und den Kniewinkel aus, die bedingt durch das Marker-Setup nicht analysiert werden können, in Folgeuntersuchungen allerdings in Betracht gezogen werden müssen. Bei der PG ist die Amplitude des MTPG im Vergleich zur KG ebenfalls kleiner. Gründe hierfür können einerseits das bereits beschriebene verfrühte Beenden der Standphase sowie andererseits eine etwas zu steife Auslegung des Vorfußbereichs sein. Diese kann durch mechanische Testung der Prothese ermittelt und bei Bedarf angepasst werden. Hong et al. 13 untersuchten in ihrer Studie mit männlichen und weiblichen Freizeitsportlern die Aufprallcharakteristik verschiedener Ausfallschritte beim Badminton. Die Ergebnisse zeigen einen maximalen Ausschlag der vGRF vom 2,49- bis zum 2,95-Fachen des Körpergewichts und eine Kontaktzeit von 0,75 s. Die während der eigenen Untersuchung ermittelten Maximalwerte liegen deutlich darunter. Beim Vergleich der Daten muss jedoch beachtet werden, dass der Ausfallschritt einen Abbremsvorgang auf der Kraftmessplatte imitiert, während die richtungsändernden Bewegungen einen dynamischen Vorgang mit einer schnellen Verlagerung der Belastung auf die kontralaterale Extremität darstellen.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse vermitteln einen qualitativen Eindruck von der Biomechanik einer gesunden KG einerseits und einer vorfußamputierten Probandin mit individueller prothetischer Versorgung andererseits, und zwar sowohl beim Joggen als auch bei der Ausführung richtungsändernder Bewegungen. Aufgrund der geringen Probandenanzahl lassen sich die Ergebnisse allerdings nur schwer quantitativ einordnen; die starke Varianz der Bewegungsausführung resultiert in einer teilweise großen Streuung der Ergebnisse.
In Bezug auf die Vorfußprothese kann festgehalten werden, dass diese den auf sie einwirkenden Belastungen standhält, jedoch designbedingt die Beweglichkeit einschränkt. Die Auswirkungen der Limitierung müssen in weiteren Studien untersucht werden. Insgesamt ist die Belastung der Extremität bei der PG geringer. Ein Grund dafür ist die vermutlich niedrigere Geschwindigkeit beim Joggen sowie die antrainierte Schonhaltung der vorfußamputierten Probandin beim Ausführen der Bewegungen.
Für die Autoren:
Eugen Dötzel
Hochschule Ulm – Ulm
University of Applied Sciences
Fakultät Mechatronik und
Medizintechnik
Forschungsbereich für Biomechatronik
Albert-Einstein-Allee 55
89081 Ulm
doetzel@mail.hs-ulm.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Dötzel E., Gaashan M., Mager F., Sergi D., Steinacker J. M., Capanni F. Biomechanische Analyse richtungsändernder Bewegungen – Vergleich einer vorfußamputierten Probandin mit einer gesunden Kontrollgruppe. Orthopädie Technik. 2019; 70 (4): 30–39
Tab. 1 Probandenspezifische Daten der Studienpopulation.
Anzahl | männlich | weiblich | Beinlänge (cm) | Gewicht (N) | Schuhgröße (EU) | Alter (Jahre) | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
PG | 1 | 0 | 1 | 80,0 | 929,0 | 38,5 | 38,0 |
KG | 4 | 2 | 2 | 89,8 ± 3,3 | 609,2 ± 58,5 | 40,8 ± 1,8 | 23,5 ± 0,5 |
Tab. 2 Kontaktzeit und Standardabweichung für die jeweilige richtungsändernde Bewegung von PG und KG.
Cutting | Cutting | Cutting Straight | Cutting Straight | |
---|---|---|---|---|
Population | PG | KG | PG | KG |
Kontaktzeit [s] | 0,47 | 0,52 | 0,55 | 0,45 |
SD | ± 0,02 ± | ± 0,01 | ± 0,02 | ± 0,04 |
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