Die Orthopädie-Technik benötigt deshalb Prothesenkonzepte für den diabetischen Fußstumpf, die ein möglichst physiologisches Gehen erlauben und gleichzeitig den Stumpf so betten, dass die Druck- und Scherkräfte deutlich reduziert werden. Der diabetische Fußstumpf benötigt aber auch ein deutliches Mehr an Betreuung: Die Wundheilung ist oft noch nicht vollständig abgeschlossen, die eingeschränkte Sensibilität macht die Anproben aufwendiger, und die Stumpfumfangsschwankungen bedürfen eines Schaftsystems, das mit geringem Aufwand nachzupassen ist. In diesem Beitrag werden die Konstruktion und die speziellen Materialeigenschaften einer thermoplastischen Vorfußprothese vorgestellt. Anhand von Fallbeispielen zweier Patienten, die mit Vinyl-Vorfußprothesen mit thermoplastischen Schäften versorgt wurden, werden typische Problemlösungen bei der Anpassung der Prothese an Stumpfumfangs- und ‑formänderungen im Laufe der Tragezeit beschrieben.
Einleitung
Fußstumpfversorgungen werden von Orthopädie-Schuhtechnikern üblicherweise mit orthopädischen Maßschuhen versorgt. Diese verfügen in der Regel über eine Fußplatte aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) oder einem ähnlichen Material mit einer Polsterbettung des Stumpfes sowie einem distalen Fußersatz aus Polstermaterial oder Kork. Zur Blockierung der Dorsalextension wird zusätzlich eine feste Anlage für die Tibia mit eingebaut.
Allerdings berücksichtigt eine solche Konstruktionsweise die Erkenntnisse der Biomechanik und die Prinzipien des menschlichen Ganges nur ungenügend: Die erhebliche Einschränkung der Dorsalflexion hindert den Patienten daran, einen möglichst symmetrischen Doppelschritt auszuführen; zudem führen die Inflexibilität der Bauweise und die bauartbedingte Inkongruenz von Stumpf und Stumpfbettung oft zu Hautirritationen, da auch die Rotation der unteren Extremität beim Gehen nicht von der Bettung aufgenommen werden kann. Insofern mag eine solche Versorgungsart bei der Versorgung traumatischer Amputationen mit einem unauffälligen, reizlosen Weichteil- und Hautzustand indiziert sein – für die Versorgung diabetischer Fußstümpfe ist eine solche Bauweise jedoch nicht ideal.
Eine Versorgung von Fußstümpfen mit Vorfußprothesen aus flexiblen Duroplasten kann die biomechanischen Anforderungen an eine prothetische Versorgung mit zeitgemäßem Material zwar besser erfüllen. Aber auch bei Vorfußprothesen aus flexiblem Duroplast stößt der Orthopädie-Techniker bei der Versorgung diabetischer Amputationen schnell an eine Grenze: Umfangsänderungen des diabetischen Fußstumpfes sind keine Seltenheit; ein Prothesenschaft aus einem formfesten Elastomer, beispielsweise Silikon, kann an die neuen Stumpfmaße nur ungenügend – z. B. durch Einkleben von PE-Schaum-Pads oder Ausschleifen – angepasst werden. Eine tatsächliche Umfangsanpassung durch Schrumpfen oder Ausdehnen kann bei einem formfesten Elastomer nicht vorgenommen werden. Ein Ausschleifen resultiert regelmäßig in einer nicht zu 100 % glatten Oberfläche und führt damit zu einer potenziellen Reibestelle.
Aufgrund des Rückgangs der Majoramputationen um 30 % [1] 1 im Zeitraum von 2004 bis 2014 werden heutzutage mehr diabetische Fußstümpfe in den orthopädietechnischen Werkstätten versorgt als noch vor einigen Jahren. Daraus ergeben sich für den versorgenden Orthopädie-Techniker neue Herausforderungen bei der Versorgung des diabetischen Patienten. Amputationen nach Bona-Jäger, Chopart, Pirogoff und zunehmend auch Syme erfordern bereits bei der Herstellung des Gipsabdrucks eine besondere Sorgfalt. Denn solche Stümpfe müssen in Belastung gegipst und die korrekte Krafteinleitung exakt nachvollzogen und markiert werden, da die prothetische Versorgung sonst später nicht erfolgreich einsetzbar sein wird. Zudem müssen die Prothesenauftrittsfläche und die Linie der Krafteinleitung bei flexiblen Prothesenkonstruktionen zwingend übereinstimmen. Hinzu kommt: Der diabetische Stumpf zeigt immer wieder deutliche Umfangsänderungen, die zu einer mangelnden Passform des Schaftes führen, und damit einhergehend die Gefahr von Hautirritationen am Stumpf und von Ulcera. Diese Umfangsänderungen gehen oft auch mit Stumpfformänderungen einher; bisher gute Weichteildeckungen atrophieren, und knöcherne Stumpfanteile müssen nun in der Bettung mitberücksichtigt werden. Versorgt werden müssen häufig auch Stümpfe mit Abdeckungen im Wundbereich, die für längere Zeit dort verbleiben und im ersten Schaftmaß mit eingeplant werden müssen; nach Abschluss der podologischen Behandlung muss die Entfernung der Wundabdeckung erneut im Prothesenschaft berücksichtigt werden können.
Eine Lösung für die angeführten Besonderheiten des diabetischen Vorfußstumpfes bietet Vinyl – ein Schaftmaterial mit thermoplastischen Eigenschaften, das in der orthopädietechnischen Werkstatt ohne besondere technische Voraussetzungen verformt werden kann. Eine Vorfußprothese aus Vinyl vereinigt die Umsetzung der biomechanischen Anforderungen (mittels Silikon-Vorfußprothese) mit der Nachformbarkeit eines thermoplastischen Werkstoffes zur Stumpfnachpassung und stellt damit eine geeignete Versorgungsalternative dar.
Konstruktion einer thermoplastischen Vinyl-Vorfußprothese
Zur Herstellung einer thermoplastischen Vinyl-Vorfußprothese (im Folgenden als „EasyStep®-Vorfußprothese“ bezeichnet) wird der Prothesenschaft bis zur Höhe der Malleolen als Vollkontaktbettung gearbeitet. Die Kontaktschicht zum Stumpf hin besteht aus einem thermoplastischen Vinyl der Shore-Härte 15 in einer Dicke von mindestens 5 mm. Besonders empfindliche Bereiche, z. B. der Amputationsbereich oder etwaige narbige Hauteinziehungen ohne Flexibilität, können zusätzlich mit einem Materialauftrag (auch mit geringerer Shore-Härte) versehen werden. Die darauffolgenden Schichten werden mit einer Shore-Härte von 30 bis 50 und 70 (proximal nach distal) angefügt; dabei unterschreitet die minimale Dicke des Bettungsaufbaus von distal nach proximal nie 8 mm; die maximale Dicke ist abhängig von der vorgefundenen Plantarflexion des Stumpfs und kann im Fersenbereich bis zu 25 mm betragen (Abb. 1).
Der Schaft der hier beschriebenen Vorfußprothese ist aufgrund des verwendeten Vinylmaterials mehrfach thermoplastisch verformbar. Die maximale Verformung liegt bei ca. 20 mm Umfang im Sinne der Ausdehnung oder der Reduzierung. Kommt es bei einem Patienten zu einer größeren Umfangsänderung als einer maximal möglichen Umformung von 20 mm, wird ein zusätzlicher Interface-Liner („Bootie“) in der gewünschten Shore-Härte angefertigt und in den vorhandenen Schaft der Vorfußprothese eingesetzt. Die Dicke des Interface-Liners richtet sich nach der Differenz zwischen maximal geschrumpftem Schaft und neuem Stumpfumfang. Der Interface-Liner und der ursprüngliche Prothesenschaft können je nach Patientensituation lösbar oder nicht lösbar verbunden werden (Abb. 2).
In die Herstellung der thermoplastischen Vorfußprothese fließen wichtige Informationen zum Patienten wie Gewicht, Größe, Aktivität und Amputationsart mit ein. Die Flexibilität der Rückfuß- und Vorfußkonstruktion der Prothese wird dabei immer so ausgelegt, dass Plantarflexion und Dorsalflexion vom Fersenkontakt bis zum Abstoß in einem Bereich von 7° bis 15° [2] 2 elastisch limitiert werden können. Die Dorsalflexion lässt sich durch den Einbau einer proximalen Schnürung vom Patienten jederzeit individuell nachregulieren. Die in der gesamten Mittelstandphase auftretende Rotation [2] 2 der unteren Extremität wird in der flexiblen Prothesenkonstruktion aufgenommen. Die Scherkräfte im Schaft werden von der Vinyl-Kontaktschicht mit Shore-Härte 15 aufgenommen.
Versorgungsbeispiele
1. Versorgungsbeispiel: Diabetes-Patient mit multiplen Schädigungen, Bona-Jäger links, Charcot-Fuß rechts, Einschränkungen der Sehfähigkeit, Adipositas (140 kg)
Der Patient wurde nach der Amputation 2014 mit einer klassischen Mobilisator-Prothese mit Abstützung am Tibia-Plateau versorgt. Nachdem die Schrumpfung des Umfangs und die Wundheilung abgeschlossen waren, wurde er 2015 mit einer EasyStep®-Vorfußprothese aus Vinyl versorgt. Nach einem Jahr Tragezeit kam es aufgrund der mit der Prothese erreichten stark erhöhten Aktivität Anfang 2016 zu einer allgemeinen Gewichtsreduzierung und damit zu einer erneuten Umfangsreduzierung des Fußstumpfes von ca. 20 mm. Der Prothesenschaft war nicht mehr passgerecht und musste neu angepasst werden.
Zur Wiederherstellung der Passform wurde das vorhandene Gipsmodell entsprechend den neuen Maßen reduziert und der Prothesenschaft auf das Maß des geänderten Modells verkleinert. Gleichzeitig wurde die Dorsalextension durch Kürzung des proximalen Schaftanteils auf ca. 15° freigegeben, da sich der Gang des Patienten wieder physiologisch-symmetrisch mit fast gleicher Schrittlänge messen ließ (Abb. 3).
2. Versorgungsbeispiel: Trauma-Patient, 51 Jahre, Lisfranc-Stumpf links mit schlechter Weichteildeckung im distalen und plantaren Stumpfbereich
Der Patient wurde 2004 amputiert und zunächst mit orthopädischem Schuhwerk versorgt. Nachdem er seine Arbeitsstelle wieder angetreten hatte, wurde er zusätzlich mit einem Paar orthopädischer Arbeitssicherheitsschuhe mit eingebautem Vorfußersatz (frontal mit hoher proximaler Anlage und Weichbettung aus PE-Schaum) ausgestattet. Der Patient ist in Vollzeit mit häufigem Wechsel des Arbeitsplatzes im Raum und überwiegend stehender Tätigkeit beschäftigt. Aufgrund der hohen Aktivität des Patienten kam es mit dieser Versorgung zu permanenten Irritationen und daraus folgend Ulzerationen im plantaren und distalen Stumpfbereich.
Zur Reduzierung der Stumpfirritationen und damit zur Reduzierung der Arbeitsfehlzeiten erfolgte die Versorgung mit einer EasyStep®-Vorfußprothese aus Vinyl (Abb. 4 und 5). Die Prothese für diesen Patienten wurde mit kurzem proximalem Schaft versehen, wobei eine Schnürung mit drei Ösen vorgesehen wurde.
Die Vollkontaktbettung wurde mit einem zusätzlichen Materialauftrag in diesem schlecht weichteilgedeckten plantaren und distalen Stumpfbereich versehen. Damit wurde eine sofortige und deutliche Verbesserung der Belastbarkeit des Stumpfes während eines achtstündigen Arbeitstages erreicht. Bei der Nachkontrolle beschrieb der Patient allerdings eine deutliche Druckstelle am lateralen Malleolus, da die Passform in diesem Bereich nicht optimal war. Daraufhin wurde das Gipsmodell vom betreuenden Orthopädie-Techniker an dieser Stelle entsprechend geändert und der Prothesenschaft in diesem Bereich thermoplastisch an die neue Form angepasst (Abb. 6). Eine weitere Kontrolle nach zwei Wochen ergab dann einen reizlosen Stumpf.
Fazit
Patienten mit diabetischer Grunderkrankung und daraus folgender Fußamputation sind oft aktive, im Leben stehende Menschen. Die Anforderungen dieser Patienten an die Versorgung von Fußstümpfen sind daher besonders hoch. Der betreuende Orthopädie-Techniker wird dabei regelmäßig mit Besonderheiten wie Hautirritationen durch Scherkräfte und Stumpfumfangsänderungen in der Versorgung konfrontiert. Wie gezeigt wurde, ist ein Vorfußprothesenkonzept, das mit einem nachformbaren Schaft aus hautverträglichem Vinyl ausgestattet ist, für die Versorgung und anschließende Weiterbetreuung bei Stumpfänderungen besonders geeignet. Die Vinyl-Prothesenschäfte können mit geringem technischem Aufwand in jeder orthopädischen Werkstatt an die neue Stumpfform angepasst werden; dazu wird lediglich das geänderte Gipsmodell sowie ein Wärmeofen benötigt. Die Vinyl-Vorfußprothese erfüllt damit wichtige Anforderungen an die Versorgung diabetischer Patienten:
- geringe Stumpfbelastung
- biomechanisch sinnvolle Konstruktion
- an Umfangs- und Formänderungen anpassbar
- keine hohen technischen Voraussetzungen für die Anpassung
Der diabetische Patient kann somit dauerhaft mit einer Vorfußprothese versorgt werden; Prothesen-Neuanfertigungen aufgrund von Passformänderungen können damit häufig vermieden werden.
Der Autor:
Peter Jauch, OTM
Jauch Orthopädietechnik GmbH
Wasenstraße 34
78054 Villingen-Schwenningen
peter.jauch@orthopaedie-jauch.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Jauch J. Anpassung thermoplastischer Vorfußprothesen zum Ausgleich von Umfangs- und Formänderungen beim diabetischen Fußstumpf. Orthopädie Technik. 2019; 70 (4): 48–51
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- Kröger K, Berg C, Santosa F, Malyar N, Reinecke H: Lower limb amputation in Germany—an analysis of data from the German Federal Statistical Office between 2005 and 2014. Dtsch Arztebl Int. 2017; 114: 130–6.
- Radcliffe CW, The biomechanics of below-knee prostheses in normal, level, bipedal walking. Artif Limbs. 1962; Jun;6: 16–24