Sport als The­ra­pie und der Traum von Gold

Am 28. August beginnen in Paris die Paralympics 2024 – für alle teilnehmenden Sportler:innen ein besonderes ­Ereignis, insbesondere für die Athlet:innen des Gastgeberlandes Frankreich. Zu ihnen gehört auch Abel Aber, der davon träumt, in der Disziplin „Kanu-Sprint“ die Goldmedaille zu gewinnen.

Im Inter­view berich­tet der infol­ge eines Motor­rol­ler-Unfalls ein­sei­tig oberschenkel­amputierte Fran­zo­se von sei­nen sport­li­chen Zie­len und wie sein Ortho­pä­die­tech­ni­ker ihm einst dabei half, sein Trau­ma zu verarbeiten.

OT: Wann und war­um kam es bei Ihnen zur ein­sei­ti­gen Oberschenkelamputation?

Abel Aber: Das war 2003, als ich 17 Jah­re alt war. Die Ampu­ta­ti­on war die Fol­ge eines Unfalls mit einem Motorroller.

OT: Wie sah nach der not­wen­di­gen Ope­ra­ti­on Ihre wei­te­re ­ortho­pä­die­tech­ni­sche Behand­lung aus?

Aber: Die Behand­lung war sehr kom­pli­ziert, denn zunächst war ich nicht bereit, wie­der auf die Bei­ne zu kom­men. Ich bin nicht in ein Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum gegan­gen und zwei Jah­re lang war ich erst­mal nur auf Krü­cken unter­wegs. Psy­chisch ging es mir über­haupt nicht gut, und es fiel mir sehr schwer, mei­ne Ampu­ta­ti­on zu akzeptieren.

OT: Was ist dann passiert?

Aber: Eines Tages erzähl­te mir ein Freund vom Boxen. Aber auf einem Bein war das natür­lich kom­pli­ziert, also ver­such­te ich mit­hil­fe einer Pro­the­se wie­der auf zwei Bei­ne zu kom­men. Ich lern­te mei­nen Ortho­pä­die­tech­ni­ker ken­nen, mit dem ich mich gut ver­stand. Erst­mal habe ich ­mei­ne Lebens­si­tua­ti­on wei­ter­hin nur schwer akzep­tie­ren kön­nen, aber mein Ortho­pä­die­tech­ni­ker ver­stand mich sehr gut und konn­te sich auf mei­nen psy­chi­schen Zustand ein­stellen. Schritt für Schritt begann ich, das Tra­gen einer Pro­the­se zu akzeptieren.

OT: Wel­che Rol­le hat Ihre Ver­sor­gung in die­sem Pro­zess gespielt?

Aber: Mit der Zeit und der Akzep­tanz gewöhn­te ich mich immer mehr an das Gehen mit der Pro­the­se, und mein Ortho­pä­die­tech­ni­ker konn­te sie nach und nach an mei­ne Bedürf­nis­se anpas­sen. Da mir der Sport sehr wich­tig ist, muss­te mir mein Tech­ni­ker außer­dem schnell eine spe­zi­el­le Pro­the­se für das Boxen anfer­ti­gen. Heu­te tra­ge ich mei­ne Pro­the­se die gan­ze Zeit und bin sehr aktiv. Des­halb müs­sen die Kom­po­nen­ten mei­nem akti­ven Leben stand­hal­ten. Seit zwei Jah­ren bin ich mit dem „Quattro“-Knie von Pro­te­or für den täg­li­chen Gebrauch aus­ge­stat­tet. Es hat mein Leben ver­än­dert, weil ich kei­ne Gren­zen mehr habe. Der Sport war wirk­lich mei­ne Reha­bi­li­ta­ti­on und ich sage oft: Sport ist mei­ne Therapie!

OT: Wie ist Ihnen der Ein­stieg in den orga­ni­sier­ten Sport gelungen?

Aber: Sobald ich 2006 wie­der – wie man sagt – auf den Bei­nen war, habe ich mit dem Boxen ange­fan­gen, und es war eine ech­te Lebens­schu­le für mich. Der Sport hat mir gehol­fen, mei­ne Ener­gie zu kana­li­sie­ren. Ich habe anschlie­ßend selbst meh­re­re Trai­ner­aus­bil­dun­gen absol­viert und als Box­trai­ner gear­bei­tet. Ich woll­te mei­ne eige­nen Leis­tun­gen immer wei­ter stei­gern, und mei­ne Her­aus­for­de­rung bestand dar­in, als Parasport­ler in den Ring zu stei­gen. Ich habe die­sen Sport meh­re­re Jah­re lang betrie­ben, bis ich 2018 sogar im klas­si­schen Boxen gegen Ama­teu­re ohne Pro­the­se antrat. Das war ein gro­ßer Erfolg für mich, aber es erfor­der­te viel Enga­ge­ment und Konsequenz.

OT: War­um haben Sie sich danach dazu ent­schie­den, noch ­ein­mal die Sport­art zu wechseln?

Aber: Da die Para­lym­pics 2024 in Paris statt­fin­den, will ich als Ath­let dabei sein. Boxen gehört aber nicht zu den para­lym­pi­schen Dis­zi­pli­nen, also nahm ich an einer Sich­tung des Fran­zö­si­schen Para­lym­pi­schen Sport­ko­mi­tees teil und ent­deck­te die Para-Dis­zi­plin „Kanu-Sprint“ für mich. Das war 2019 und eine neue Her­aus­for­de­rung für mich. Ab 2020 habe ich mich ernst­haft mit die­sem Sport beschäf­tigt. Nach viel har­ter Arbeit bin ich mitt­ler­wei­le die Num­mer Eins in Frank­reich und unter den Top Acht der Welt, was mir einen soge­nann­ten „Eli­te-Sta­tus“ ver­leiht. Kanu-Sprint ist eine sehr explo­si­ve und her­aus­for­dern­de Diszi­plin – das ist es, was ich an ihr liebe.

OT: Über­nimmt Ihre Kran­ken­kas­se gene­rell die Kos­ten für eine was­ser­fes­te Sportprothese?

Aber: Sport­pro­the­sen wer­den in Frank­reich nicht erstat­tet, aber glück­li­cher­wei­se hat mich Pro­te­or 2017 unter­stützt und mir sei­ner­zeit das „Easy-Ride“-Knie und einen Fuß aus der „Rush-Foot“-Reihe ange­bo­ten. Das ist ein beson­ders robus­ter Fuß aus Glas­fa­ser­tech­nik, der nahe­zu unzer­brech­lich, leicht und vor allem was­ser­dicht ist, also sehr prak­tisch beim Sport. Seit­dem kann ich noch bes­se­re Leis­tun­gen erbringen.

OT: War­um zie­hen Sie Ihre Pro­the­se den­noch vor dem Kanu­fah­ren aus?

Aber: Für den Kanu­sport brau­che ich kei­ne Pro­the­se. Ich muss nur den Stumpf an sei­nem Platz las­sen, und das ist sehr wichtig.

OT: Wel­chen Stel­len­wert hat der para­lym­pi­sche Sport in Frank­reich und dür­fen die Athlet:innen erwar­ten, dass die Öffent­lich­keit die Para­lym­pi­schen Spie­le in Paris genau­so begeis­tert auf­nimmt wie vor allem 2012 in London?

Aber: Die Para­lym­pi­schen Spie­le wer­den eine groß­ar­ti­ge Mög­lich­keit sein, fran­zö­si­sche und inter­na­tio­na­le Athlet:innen ins Ram­pen­licht zu stel­len. Es wird eine Gele­gen­heit sein, unse­re Dis­zi­pli­nen zu prä­sen­tie­ren und zu zei­gen, zu was wir fähig sind und dass wir gewin­nen wol­len. Ich den­ke, die Zuschauer:innen wer­den da sein und uns unter­stüt­zen. Ich kann es kaum erwar­ten, die Atmo­sphä­re in Paris zu erle­ben. Dass die Para­lym­pics in unse­rem Land statt­fin­den, ist unglaublich.

OT: Wel­che Unter­stüt­zung erhal­ten Sie vom fran­zö­si­schen ­para­lym­pi­schen Verband?

Aber: Der Sport in Frank­reich ist nicht sehr pro­fes­sio­nell. Es gehört eine gro­ße Ent­schlos­sen­heit dazu und die Sportler:innen müs­sen es schaf­fen, eige­ne Spon­so­ren zu finden.

OT: Was sind Ihre per­sön­li­chen Zie­le für die Para­lym­pi­schen Spie­le und dar­über hinaus?

Aber: Ich möch­te bei den Para­lym­pics „Gold“ gewin­nen! Das könn­te auch ein Sprung­brett für mich sein. Es ist eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung, die mich sowohl kör­per­lich als auch geis­tig moti­viert. Nichts ist unmög­lich, also wer­de ich mein Bes­tes geben, um die­se Medail­le zu gewinnen.

Die Fra­gen stell­te Micha­el Blatt.

 

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