Aber auch die Betriebe können profitieren und sich so attraktiv aufstellen für junge Menschen, die beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen keinen Arbeitsalltag im Acht-Stunden-Rhythmus absolvieren können.
OT: Wie funktioniert eine Teilzeitausbildung?
Michael Junglas: Eine Teilzeitausbildung kann zunächst einmal jeder beginnen und durchführen, der möchte und der einen Ausbildungsbetrieb als Partner findet, der diesen Weg mitgeht. Dies ist in Paragraph 7a des Berufsbildungsgesetzes zur Teilzeitberufsausbildung geregelt. Die reguläre Ausbildungszeit wird entsprechend der – maximal um 50 Prozent – verkürzten Wochenarbeitszeit verlängert, sodass die Auszubildenden am Ende über den gleichen Wissensstand verfügen. Um es an einem praktischen Beispiel zu erklären: Eine reguläre Ausbildung hat eine 40-Stunden-Woche und dauert drei Jahre. In der Teilzeitausbildung kann man nun um zehn Stunden reduzieren in der Woche und dafür die Ausbildungszeit um rund neun Monate verlängern – so passen die persönlichen Bedürfnisse und beruflichen Ansprüche zusammen. Aber: Die Ausbildungszeit lässt sich nicht unendlich weit ausdehnen, höchstens jedoch bis zum Eineinhalbfachen der Dauer, die in der Ausbildungsordnung für die betreffende Berufsausbildung in Vollzeit festgelegt ist. Die Dauer der Berufsausbildung ist auf ganze Monate abzurunden.
OT: War das schon immer so?
Junglas: Nein, früher was das nicht so. Da war die Teilzeitausbildung nur für bestimmte Personengruppen geöffnet, die beispielsweise in der Betreuung von Familienangehörigen stark eingebunden waren oder aus gesundheitlichen Gründen keine reguläre Ausbildung absolvieren konnten. Es wurde auch nicht die Ausbildungsdauer verlängert, sondern nach drei Jahren hatten die Auszubildenden „ausgelernt“ – und das teils bei voller Ausbildungsvergütung.
OT: Stichwort Gehalt: Wie wird das in der Teilzeitausbildung geregelt?
Junglas: Das ist klar geregelt: Wer 25 Prozent weniger arbeitet, der bekommt auch 25 Prozent weniger Gehalt. Das ist meiner Meinung nach auch gut und richtig, damit dieses Modell für kleinere Betriebe überhaupt infrage kommt.
Berufsschule nicht auf Teilzeit ausgelegt
OT: Wie sieht es mit dem Thema Berufsschule aus?
Junglas: Das ist in der Tat ein Problem. Bei uns im Kammerbezirk Koblenz ist der Anteil von Teilzeitausbildung gering, aktuell gibt es 71 Lehrverträge. Das schulische Angebot kann bei 130 verschiedenen Ausbildunsgberufen im Handwerk nicht auf diesen Bedarf angepasst sein. Die Auszubildenden besuchen die Berufsschule sozusagen in Vollzeit oder müssen noch einmal ein Schuljahr quasi „hinten dranhängen“ mit den Inhalten, die sie bereits kennen. Die Erfahrungswerte in diesem Bereich sind gering, weil es fast immer Einzelfalllösungen sind, bei denen die Ausbildung so verkürzt werden kann, dass die Ausbildung in der regulären Ausbildungszeit absolviert werden kann. Die Ausbildungsdauer einer Teilzeitberufsausbildung kann zusätzlich um bis zu zwölf Monate verkürzt werden, wenn gerade der Grund für die Durchführung der Ausbildung in Teilzeit etwa die Betreuung eigener Kinder oder pflegebedürftiger Angehöriger ist oder vergleichbare Gründe ein effektives Verfolgen des Ausbildungsziels erwarten lassen und damit eine entsprechende Erfolgsprognose im Sinne der Paragraphen 8 des Berufsbildungsgesetzes bzw. 27c der Handwerksordnung ermöglichen. Es wäre allerdings eine grundsätzliche Lösung dieser Problematik wünschenswert, denn die Grundlage, warum sich jemand heute für eine Teilzeitausbildung entscheidet, ist weiterhin der Betreuungsfall von Angehörigen oder die eigene Gesundheit. Die Auszubildenden entscheiden sich also aus einer Position des Bedarfs nach mehr Zeit, die sie für sich oder andere Menschen benötigen, für dieses Ausbildungsformat, und da können sie zum Beispiel Blockunterricht in Vollzeit nur schlecht mit ihrer Lebenssituation vereinbaren.
OT: Wären digitale Formate eine Lösungsmöglichkeit?
Junglas: Natürlich wäre der Distanzunterricht aus verschiedenen Gründen geeignet. Die Auszubildenden könnten sich ihre Reisezeit sparen, welche einen nicht unerheblichen Teil der zeitlichen Belastung ausmacht. Außerdem könnte man aus verschiedenen Regionen die Auszubildenden zusammenschließen und eine Art „Digitalklasse“ schaffen, die sich punktuell in Präsenz trifft, das Gros des Unterrichts aber digital absolviert. Für Berufsschulen wäre das auch eine gute Möglichkeit, um Schülerinnen und Schüler an sich zu binden.
OT: Wenn ein Betrieb eine:n an einer Teilzeitausbildung interessierte:n Bewerber:in hat, welche Voraussetzungen müssen dann seitens der Betriebe erfüllt werden?
Junglas: Formal nur eine: Er muss ausbilden dürfen. Allerdings zeigt sich in den persönlichen Gesprächen, die wir in diesen Einzelfällen führen, dass weitere Punkte beachtet werden sollten. Zum Beispiel das Thema Arbeitszeiten. Hier bringe ich mal ein praktisches Beispiel. Wenn jemand eine Teilzeitausbildung im Bereich der Elektronik macht, dann ist für diesen nach sechs Stunden Feierabend. Ist der Auszubildende minderjährig und mit auf einer Baustelle oder im Kundeneinsatz, dann müsste theoretisch entweder auch der Kollege bei diesem Kunden aufhören und den Auszubildenen zurück in den Betrieb fahren oder es müsste ein anderer Fahrdienst organisiert werden. Denn: Die Menschen, die in Teilzeit ausgebildet werden, haben dafür gute Gründe und können nicht einfach mal länger machen. Sowieso rate ich dringend dazu, dass alle Mitarbeiter bei dem Thema Arbeitszeiten ganz transparent abgeholt werden, um eine schlechte Stimmung untereinander zu vermeiden. Überstunden oder Randdienste können von den Auszubildenden meist nur schlecht abgedeckt werden, so meine Erfahrung. Das gab dann weniger Probleme bei Betriebsinhabern, aber mit den Kolleginnen und Kollegen. Allerdings raten wir auch den Auszubildenden, sich an unpopulären Arbeitstagen gezielt zu engagieren. Wenn man beispielsweise den Dienst am Sonntagmorgen übernimmt, dann ist das sicherlich ein gutes Zeichen auch an die Kolleginnen und Kollegen.
Vollzeit ist aktuell der Regelfall
OT: Wer ist eigentlich die Zielgruppe, die mit diesem Teilzeitangebot angesprochen wird?
Junglas: Das habe ich eingangs schon einmal angeschnitten. Ursprünglich war das Angebot an Menschen mit einem besonderen Bedarf gerichtet. Die daheim einen Angehörigen gepflegt haben oder die ein Kind zu Hause haben, welches sie betreuen müssen. Diese Menschen haben meist keine Chance, eine reguläre Ausbildung zu machen. Die zweite „große“ Gruppe – wobei auch das alles Einzelfälle sind – besteht aus Menschen, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen nicht Vollzeit arbeiten können. Auch für diese Menschen ist die Teilzeitausbildung fast die einzige Möglichkeit, einen normalen Berufseinstieg zu realisieren.
OT: Grundsätzlich wird in der Gesellschaft das Thema Arbeitszeitreduzierung zugunsten von mehr Freizeit diskutiert. Wäre die Teilzeitausbildung hier auch ein geeignetes Werkzeug?
Junglas: Ich habe bisher noch nie einen Fall betreut, bei dem ein Auszubildender aus freien Stücken gesagt hat, dass er gerne in Teilzeit ausgebildet werden möchte, um mehr Freizeit zu haben. Aber grundsätzlich wäre es natürlich eine Option – wie bereits gesagt, es gibt keine Beschränkungen mehr bei der Personengruppe.
OT: Wie ist Ihre Erfahrung: Bleiben die Teilzeitauszubildenden nach Beendigung ihrer Ausbildung auch weiterhin in Teilzeit oder ist ein Wechsel in Vollzeit möglich?
Junglas: Das hängt ein bisschen von der finanziellen Situation beziehungsweise dem gesundheitlichen Zustand ab. Fangen wir mit dem Letztgenannten an: Wenn sich meine gesundheitliche Situation nicht verbessert, wegen derer ich nur fähig war, mich in Teilzeit ausbilden zu lassen, dann werde ich auch in Zukunft nicht in Vollzeit arbeiten. Bei Leuten, die einen Angehörigen betreuen, kann sich dagegen schon ein Wechsel in Richtung Vollzeit einstellen, wenn man das Geld braucht oder sich die Betreuungssituation – Kinder werden ja älter und die betreuungsintensive Zeit verringert sich – verändert. Wer es sich leisten kann, so meine Erfahrung, der wird allerdings in Teilzeit bleiben.
Teilzeit schließt Personallücken bei Betrieben
OT: Welchen Vorteil haben denn Betriebe davon, dass sie jemanden in Teilzeit ausbilden?
Junglas: Der Vorteil liegt darin, dass die Betriebe einen Mitarbeiter gewinnen können, den sie sonst nicht kriegen könnten. Gerade in Bereichen, in denen die Betriebe händeringend nach Fachkräften suchen, ist die Ausbildung natürlich immer noch der beste Weg, um sich seine eigenen Fachkräfte „heranzuziehen“.
OT: Aber passen Handwerk und Teilzeit denn wirklich gut zusammen?
Junglas: Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Ich denke, dass wir in Zukunft zwei Arten von Betrieben erleben werden. Auf der einen Seite die Betriebe, die sich nicht an die neuen Anforderungen des Personalmarkts anpassen wollen und sich mit Zeitmodellen auseinandersetzen. Auf der anderen Seite werden wir Betriebe finden, die offen für neue Arbeitsformen sind und es schaffen, die mitunter höheren Kosten an den Kunden weiterzugeben. Diese werden auch in Zukunft erfolgreich Leute einstellen – mit dem jeweils passenden Zeitmodell. Aber grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle einmal anmerken: Egal ob Teilzeit, Vier-Tage-Woche etc. – diese Diskussion können wir uns nur leisten, weil wir wirtschaftlich gut dastehen und eine Sicherheit haben. Zur Zeit der industriellen Revolution wurde um eine Reduzierung der Arbeitszeit von 80 auf 60 Stunden gerungen. Wir sehen also, dass wir kein neues Problem haben, sondern die Diskussion, wer, wie viele Stunden arbeitet, schon ziemlich lang geführt wird.
Startvoraussetzungen von Auszubildenden beachten
OT: Wie würden Sie denn die aktuelle Situation einschätzen?
Junglas: Dazu noch einmal kurz ein Blick zurück. Bei den Nachkriegsgenerationen gab es einen großen Ehrgeiz, seine Grundbedürfnisse entsprechend zu befriedigen. Heute sind diese Grundbedürfnisse in der Regel alle erfüllt. Ein guter PC, ein tolles Smartphone und mit den Eltern in den Urlaub fahren – das reicht ihnen. Außerdem – und das dürfen wir nicht vergessen – ist es eine Erbengeneration. Viele Eltern haben sich ihre Existenz aufgebaut und fleißig etwas zur Seite gelegt, was den jungen Leuten ganz andere Startvoraussetzungen gibt. Deswegen ist es verständlich, dass nicht alle jungen Menschen den Drang verspüren, mit der gleichen Haltung wie ihre Eltern in die Berufswelt einzutreten. Auch hier ein Beispiel, von dem ich weiß. Ein Unternehmer suchte eine Bürokraft. Eine junge Frau kam zum Probearbeiten und überzeugte auch. Als es dann darum ging, dass er sie einstellen wollte, erklärte sie, dass sie nur bereit wäre, an drei Tagen die Woche zu arbeiten. Der Unternehmer erkundigte sich, was für Gründe das habe. Die junge Frau erklärte, dass sie sich um ihre zwei Pferde kümmern wollte und Freizeit haben möchte. Da war er erst einmal perplex – und hat sie am Ende doch eingestellt.
OT: Wie attraktiv ist aus Ihrer Sicht das Handwerk für junge Menschen und welche Rolle nehmen Eltern bei der Berufswahl ein?
Junglas: Eine handwerkliche Ausbildung ist sehr attraktiv für junge Menschen. Sie können kreativ sein, sehen und erleben, was sie gearbeitet haben, ihre eigenen Vorstellungen in der Selbstständigkeit umsetzen und sie werden sich nie Sorgen um einen Arbeitsplatz machen müssen. Die Eltern gehören natürlich bei vielen jungen Menschen zu den engsten Beratern. Ich habe in den vergangenen Jahren allerdings bemerkt, dass sich hier das Blatt ein wenig wendet. Viele Eltern merken, dass der schulische Weg, den viele junge Menschen einschlagen, nicht deren Neigung und Interesse entspricht, sondern schlicht das Ergebnis fehlender Orientierung ist. Viele zögern – zum Beispiel durch das Fachabitur – nur die Entscheidung ein wenig heraus und hängen am Ende dann doch die Ausbildung an. Mit abgeschlossener Meisterprüfung hat man auch einen Abschluss als Bachelor Professional und kann damit, wenn gewünscht, auch in allen Bereichen studieren. Allerdings zeigen aktuelle Zahlen auch, dass jemand, der bereits mit 16 Jahren seine Ausbildung beginnt, länger seinem Beruf treu bleibt und auch die Ausbildung viel seltener abbricht als jemand, der in höherem Alter startet. Eine gute Beratung ist daher wichtig. Wir besuchen zum Beispiel die Schulen und haben auch immer Exponate aus dem Bereich der Orthopädie-Technik dabei. Leider kennen viele Schülerinnen und Schüler dieses Handwerk aber gar nicht. Und was man nicht kennt, das kann man auch nicht googeln. Viele Schulabgänger suchen aber im Netz gezielt nach Informationen für die eigene berufliche Karriere. Deswegen ist es so wichtig, dass man jede Möglichkeit nutzt, um auf sein Handwerk aufmerksam zu machen. Auch die sozialen Medien sind ein Ort, an dem junge Leute nach Berufen schauen, die Handwerkskammer Koblenz bietet hier mit der Homepage www.jazubi.eu auch eine eigene Anlaufstelle zur Berufsorientierung. Dabei kann die Ausbildung ein gelungener Einstieg in die eigene berufliche Laufbahn sein. Man hat Erfolgserlebnisse, verdient Geld und baut sich eine Basis auf. Ich will noch einmal ganz praktisch werden. Ein junger Mann, der gerade sein Maschinenbaustudium abgebrochen hatte, hat sich an mich gewandt auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Wir konnten ihm tatsächlich einen Platz in einer Tischlerei vermitteln, allerdings wurde er bereits in der Probezeit gekündigt. Da habe ich mich natürlich erkundigt, warum der Betrieb hier die Reißleine gezogen hat. Der Grund war, dass der junge Mann völlig verunsichert war und ständig die anderen Mitarbeiter bei den kleinsten Aufgaben um Hilfe gebeten hat. Die Versagensangst war so groß, sie hat ihn so sehr gehemmt, dass er die Ausbildung nicht absolvieren konnte. Wenn er nach seinem Abitur direkt den Weg in die Ausbildung gegangen wäre, dann hätte er durch die täglichen Erfolgserlebnisse das Selbstbewusstsein aufgebaut, das man später als Führungskraft braucht.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
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