Petra Menkel, Geschäftsführerin und Bandagistenmeisterin der Paul Schulze Orthopädie & Bandagen GmbH, wird sich in einem dieser Workshops u. a. dem Thema Brustversorgung widmen. Im Gespräch mit der OT-Redaktion verrät sie, was die Teilnehmer:innen erwartet und warum dieses Thema – auch für sie persönlich – besondere Aufmerksamkeit verdient.
OT: Frau Menkel, Sie bieten bei der OTWorld einen Workshop zum Thema Brustversorgung explizit für Sanitätshausfachangestellte an. Warum ist Ihnen das Thema ein besonderes Anliegen?
Petra Menkel: Als Frau lebe ich in dem Bewusstsein, dass die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken bei 1 zu 8 liegt. Das heißt, jede achte Frau bekommt im Laufe ihres Lebens Brustkrebs. Wenn ich nur in unsere Firma schaue, bedeutet das, dass zwei Kolleginnen erkranken. Erweitert man den Kreis auf Freunde und Bekannte, dann kennt jeder jemanden mit dieser Diagnose. Auch ich könnte dazu gehören. Deshalb betrifft mich dieses Thema selbst ganz direkt. Daher ist es mir wichtig, im Workshop die Sensibilität nicht nur für unsere Kundinnen, sondern auch für uns selbst zu entwickeln und eine Lanze für die Vorsorge zu brechen. Wird ein Brustkrebs im Stadium I entdeckt, liegt die Heilungsquote statistisch bei 100 Prozent. Das sollte doch jede Frau zur Selbstvorsorge treiben. Auf der OTWorld sprechen wir aber gezielt Sanitätshausfachangestellte an, weil die betroffenen Frauen in der Regel für eine fachgerechte Beratung in ein Sanitätshaus gehen und dort auf die Sanitätshausfachangestellten treffen. Die Kolleginnen aus der Werkstatt sind ja bei der Beratung nach einer Brust-Operation seltener involviert. Im Gegensatz zu den vielen Weiterbildungsmöglichkeiten einzelner Hersteller möchten wir in Leipzig firmenübergreifend informieren. So können wir uns ganz auf die Notwendigkeiten des Versorgungsalltags jenseits eines besonderen Produktes konzentrieren. Denn ein Problem hat viele Lösungswege und diese wollen wir aufzeigen. Wir wollen aber auch für mehr Aufmerksamkeit für diesen wichtigen Bereich sorgen.
OT: In Deutschland erhalten jedes Jahr 75.000 Frauen die Diagnose Brustkrebs, von denen 27 Prozent eine Mastektomie benötigen. Im Sanitätshaus ist die Versorgung also Alltag – und dennoch kein alltägliches Thema, oder?
Menkel: Die Mastektomie ist auf dem Rückzug. Es wird immer mehr brusterhaltend operiert. Das ist auf der einen Seite für die Betroffenen tröstlicher, weil noch ein Stück ihres eigenen Gewebes erhalten bleibt. Auf der anderen Seite birgt es viele andere Probleme: ungleich große Seiten, „verrutschtes“ Dekolleté, Narben, Beulen, empfindliche Stellen – um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn die Brust ganz entfernt wurde, ist die Versorgung einfacher. In dem Fall ermitteln wir die Größe anhand der erhaltenen Seite, suchen eine passende Form und den bestsitzenden BH sowie – wenn möglich – eine Haftepithese aus. Bei einer brusterhaltenden Versorgung ist der Beratungsaufwand hingegen deutlich höher. Hier müssen wir, wie gerade gesagt, viel mehr Faktoren beachten. In jedem Fall beinhaltet die Beratung auch die Besprechung psychologischer Probleme der Patientinnen. Auch vor diesem Hintergrund glaube ich, dass jede Fachkraft, die Brustkrebspatientinnen betreut, zwar professioneller im Umgang und in der Versorgung wird, aber Alltag wird es für sie nie.
Sensibler Umgang
OT: Im Titel des Workshops heißt es „Brustprothetik: eine ganzheitliche Betrachtung“. Was genau bedeutet für Sie „ganzheitlich“? Und warum ist die Betrachtungsweise relevant für die Versorgung?
Menkel: Jede Patientin ist anders und geht auch anders mit ihrer Erkrankung um. Hier ist ein hohes Maß an Empathie unserer Mitarbeitenden gefragt. Wo steht die Kundin? Ist sie schon gut über ihren Arzt informiert, oder hat Dr. Google die Beratung übernommen? Ist sie über Spätfolgen wie lymphatische Probleme in Kenntnis gesetzt, oder sollten wir hier Hinweise geben? Wir müssen zudem rausfinden, was der Bedarf der Kundin ist. Geht es um einen kosmetischen Ausgleich oder um Funktionalität? Wird die Epithese zum Sport oder zum Ausgehen genutzt? Soll die Epithese dauerhaft getragen werden oder nicht? Fragen über Fragen, die wir aber oft nicht direkt stellen können. Daher müssen wir nicht selten zwischen den Zeilen lesen, um kundenbezogen zu versorgen. Im Workshop legen wir zudem einen Fokus auf die Selbstfürsorge der Versorgenden, denn die mentalen Belastungen sind doch sehr groß. Zumal sie zwischen den Stühlen stehen. Zeit ist Geld und Regelversorgungen sind nicht immer die beste Lösung.
OT: Im Umgang mit den Kundinnen ist besondere Sensibilität und Empathie gefragt. Wie spiegelt sich das in der Atmosphäre und den Inhalten des Workshops wider?
Menkel: Zur OTWorld schaffen wir im Workshop – ähnlich wie im Beratungszimmer im Sanitätshaus – einen Raum für einen offenen Erfahrungsaustausch. Hier können und sollen die Teilnehmenden auch über Versorgungen sprechen, die nicht so optimal gelaufen sind. Insbesondere von diesen Fällen können wir am meisten lernen.
OT: Ein Workshop verfolgt den Anspruch, praxisnah gestaltet zu sein. Die Teilnehmer:innen sollen in Interaktion mit den Patientinnen kommen. Wie kann das bei einem solch sensiblen Thema wie der Brustversorgung gelingen?
Menkel: Für den Workshop stehen uns hoch motivierte betroffene Patientinnen als Models zur Verfügung. Unseren Models ist es ein Anliegen, über Brustkrebs und die Folgen zu informieren. Infolgedessen sind sie die Öffentlichkeit gewohnt und können mit ihnen unbekannten Menschen offen über ihre Versorgung und ihre Erkrankung sprechen. Zugleich ist unser Workshop mit einer begrenzten Anzahl von Teilnehmenden ein geschützter Raum.
OT: Bis zu 20 Prozent aller Frauen entwickeln nach einer Brustkrebsbehandlung ein Arm-Lymphödem. Welche Rolle kommt hier im Speziellen der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE) zu?
Menkel: Die komplexe Entstauungstherapie ist ein wichtiges Thema, welches leider von vielen Ärzten nicht grundsätzlich besprochen wird. Ich würde mir wünschen, dass es zur Grundberatung eines Arztbesuches gehört, auf die Möglichkeit der Entwicklung eines Lymphödems nach Brustoperationen hinzuweisen. Dieses kann auch Jahre nach der Operation noch auftreten und wird dann oftmals nicht in Zusammenhang mit der Grunderkrankung gesetzt. Die Kundinnen kommen dann zu uns und wissen gar nicht, warum der Arm plötzlich dick wird. Gemeinsam mit unseren Kollegen aus der Physiotherapie können wie den Frauen mithilfe der KPE zum Glück helfen.
Lücken in der Ausbildung
OT: Wird dem Thema Brustversorgung bereits in der Ausbildung genug Aufmerksamkeit geschenkt?
Menkel: Hier ist in jedem Fall noch Luft nach oben. In der Ausbildung zum Orthopädietechnik-Mechaniker wird das Thema zwar behandelt, aber nicht sehr tiefgehend. Was die Sanitätshausfachverkäufer betrifft, sieht es noch düsterer aus, in der Berufsschule wird das Thema in Berlin zumindest nur gestreift. Die gesamte fachliche Ausbildung liegt also im Sanitätshaus, und wenn eine Firma keine Brustprothetik anbietet, fehlt das Thema völlig. Auch deshalb wünsche ich mir, dass die Ausbildung zum Fachverkäufer dem Handwerk angegliedert wird – aber das bleibt wohl ein Wunsch.
OT: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Kundin, die Sie in diesem Bereich versorgt haben? Was wissen Sie heute, was Sie damals schon gern gewusst hätten?
Menkel: Oh je. Meine erste Versorgung in diesem Bereich war ehrlich gesagt eine „volle Katastrophe“. Damals war ich noch sehr jung, aber mit viel Enthusiasmus ausgestattet und im festen Glauben, in meiner Ausbildung richtig viel gelernt zu haben. Gleichzeitig war meine Kundin psychisch labil. Kein Wunder, denn die Amputation war bei ihr sehr radikal mit Narbengewebe bis weit in die Achsel durchgeführt. Da trafen zwei Menschen aufeinander, die beide nicht wussten, ob das gut geht. Aber: Wir haben uns aufeinander eingelassen und die Versorgung ist gut geworden. Allerdings hätte ich mir eine bessere Vorbereitung in der Ausbildung auf die psychologischen Fallstricke einer Brustversorgung gewünscht. Ein unbedachtes Wort oder ein missverständlicher Blick hätten große emotionale Wellen schlagen können, mit denen ich damals gar nicht umgehen konnte. Hinzu kam, dass ich nur die Epithesen kannte, die wir in unserer Firma vorrätig hatten. Wenn man sich einmal für eine Sortimentsauswahl entschieden hat, verliert man nach einer gewissen Zeit den Überblick über neue Entwicklungen. Dass jeder Hersteller aber seine Besonderheiten hat und diese auch weiterentwickelt, muss man sich immer wieder aktiv vor Augen führen. Ich kann mich auch daran erinnern, dass es mir sehr unangenehm war, anzusprechen, dass die Krankenkasse gemäß Wirtschaftlichkeitsgebot nur die Kosten für eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung erstattet – es allerdings so viel mehr an höherwertigen Versorgungen gibt, die die Frauen allerdings aus eigener Tasche zahlen müssen. Nicht jede Frau kann sich das leisten. Das war schon schwer. Damals wie heute wäre zum Einstieg in das Thema eine Brustversorgung gemeinsam mit einer erfahrenden Kollegin toll. Dann könnten Berufseinsteiger und eine erfahrene Fachkraft gemeinsam die Versorgung besprechen. Einsteiger könnten sich etwas vom Verhalten der Kolleginnen abschauen und dennoch ihren eigenen Weg ausprobieren.
OT: Zum ersten Mal verfassen die Referent:innen zu jedem Workshop auf der OTWorld eine „Take-Home-Message.“ Worüber sollten sich Interessierte bereits im Vorfeld Gedanken machen, um sich proaktiv mit Fragen oder Ideen in den Workshop einzubringen?
Menkel: Ich würde mich freuen, wenn die Teilnehmenden von ihren Erfahrungen berichten, schwierige Versorgungen inklusive Fotos mit in den Workshop bringen und dort unter anderem erzählen, was bei einzelnen Versorgungen nicht geklappt hat. Mich interessiert: Wie gehen sie mit den Emotionen der Kundinnen und mit den eigenen um? Was tun sie, wenn die Krankenkasse die Versorgung ablehnt? Wie kriegen sie den Spagat zwischen optimaler Versorgung und Wirtschaftlichkeit hin? Der Workshop soll für uns alle eine Chance sein, voneinander und miteinander zu lernen. Beides gilt übrigens auch für meine anderen Workshopthemen: Lymphatische Versorgungen, Abgrenzung Standard- und Maßversorgung sowie Versorgungen bei Schlaganfall.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
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