Elek­tro­mo­bi­li­tät für Säug­lin­ge und Klein­kin­der: eine Leitlinie

A. Compernolle
Elektromobilität bei Kleinkindern unter drei Jahren ist in Deutschland keine Standardversorgung, obwohl inzwischen viele Studien für den Einsatz eines elektrischen Hilfsmittels auch schon in dieser frühen Entwicklungsphase zu sprechen scheinen. Im folgenden Fachartikel wird zunächst anhand von relevanter Literatur die Evidenz einer frühzeitigen selbstbestimmten Elektromobilität für Kleinkinder und Säuglinge aufgezeigt. Wichtig sind nach Ansicht des Autors in diesem Zusammenhang die Voraussetzungen, die das Kind mitbringen muss, damit diese Elektromobilität on time optimal eingesetzt werden kann. Deshalb werden im Artikel ergänzend notwendige Lernprozesse und Fördermöglichkeiten dargestellt, die im interdisziplinären Umfeld des Kindes erarbeitet und gefördert werden müssen.

Als Grund­la­ge des Fach­ar­ti­kels dient eine eng­lisch­spra­chi­ge Leit­li­nie, die von einem inter­na­tio­na­len, mul­ti­dis­zi­pli­nä­ren Team von Fach­ex­per­tin­nen und ‑exper­ten erstellt wur­de. Abschlie­ßend wer­den anhand eines Fall­bei­spiels, bei dem ein sehr jun­ges Kind mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kung, das mit dem neu ent­wi­ckel­ten Elek­tro­mo­bi­li­täts-Roll­stuhl „Explo­rer Mini“ ver­sorgt wur­de, die ers­ten Erfah­run­gen diskutiert.

Ein­lei­tung

Gera­de im ers­ten Lebens­jahr erwer­ben Kin­der in einer bestimm­ten zeit­li­chen Abfol­ge vie­le moto­ri­sche und geis­ti­ge Fähig­kei­ten1. Die­se Fähig­kei­ten bil­den die Grund­la­ge für alle wei­te­ren Ent­wick­lungs­schrit­te und Mei­len­stei­ne, die es ihnen ermög­li­chen, ihr Umfeld zu erkun­den. Bei­spiels­wei­se übt ein Klein­kind durch das Erler­nen des Gehens – dar­auf auf­bau­end – die zum Lau­fen erfor­der­li­chen Funk­tio­nen. Gleich­zei­tig kann es durch das Gehen ein­fa­cher und schnel­ler Inter­ak­tio­nen mit Gleich­alt­ri­gen auf­neh­men und auf die­se Wei­se sei­ne sozia­len Kom­pe­ten­zen erwerben.

Typi­scher­wei­se ver­läuft die Ent­wick­lung der moto­ri­schen Fähig­kei­ten für die Mobi­li­tät in fol­gen­den Ent­wick­lungs­schrit­ten (Abb. 1):

  • Hoch­drü­cken mit den Armen (3–6 Monate)
  • Sit­zen (6–9 Monate)
  • Krab­beln (9–12 Monate)
  • Gehen (12–18 Monate)
  • Lau­fen (ab 2 Jahren)

Jeder die­ser Schrit­te ist die Vor­aus­set­zung dafür, dass das Kind den nächs­ten der genann­ten Schrit­te erreicht (z. B. krab­beln Babys erst, nach­dem sie sit­zen kön­nen usw.). Dabei zei­gen Stu­di­en auf, dass die Mobi­li­tät für Kin­der ein inne­woh­nen­des Grund­be­dürf­nis ist2, unab­hän­gig von der Behin­de­rung bzw. Einschränkung.

Behin­de­rung und selbst­be­stimm­te Mobilität

Kin­der mit einer Behin­de­rung sind anfäl­li­ger für Ent­wick­lungs­ri­si­ken. Die durch die Dia­gno­se ver­ur­sach­ten Beein­träch­ti­gun­gen stel­len eine poten­zi­el­le Hür­de für die wei­te­re funk­tio­nel­le, moto­ri­sche, kogni­ti­ve und psy­cho­so­zia­le Ent­wick­lung dar. Für Kin­der mit Behin­de­run­gen ist die frü­he Kind­heit eine wich­ti­ge Zeit für Inter­ven­tio­nen, die ihnen hel­fen kön­nen, ihr maxi­ma­les Poten­zi­al zu errei­chen3 4.

Selbst­be­stimm­te Mobi­li­tät ist defi­niert als Mobi­li­tät, die von einer Per­son kon­trol­liert wird. Dazu gehö­ren Mobi­li­tät mit ver­schie­de­nen Mit­teln wie Gang (z. B. Gehen, Krab­beln), nicht elek­trisch ange­trie­be­ne Mobi­li­tät mit tech­ni­schen Hilfs­mit­teln wie Pro­the­sen, Geh­hil­fen und manu­el­len Roll­stüh­len sowie Elek­tro­mo­bi­li­tät mit Hilfs­mit­teln wie einem Elek­tro­roll­stuhl oder einem (modi­fi­zier­ten) Spiel­zeug­au­to5.

Selbst­be­stimm­te Mobi­li­tät ermög­licht im Leben das Erkun­den, was neue Per­spek­ti­ven eröff­net, neue Infor­ma­tio­nen auf­deckt und vie­le neue Erfah­run­gen bie­tet, die Ver­än­de­run­gen unter­schied­li­cher psy­cho­lo­gi­scher Phä­no­me­ne in einer Fami­lie vor­an­trei­ben kön­nen1. Wich­ti­ge Ent­wick­lungs­be­rei­che sind mit­ein­an­der ver­knüpft und beein­flus­sen oder lösen sich stän­dig gegen­sei­tig aus. Die Vor­tei­le der früh­kind­li­chen Mobi­li­tät sind viel­fäl­tig, dar­un­ter zuneh­men­de Selbst­ver­sor­gung und Unab­hän­gig­keit, die die Belas­tung für die Eltern ver­rin­gern, die Ent­wick­lung der Kör­per­funk­tio­nen und ‑struk­tu­ren, zuneh­men­de Par­ti­zi­pa­ti­on, emo­tio­na­le, per­zep­to­ri­sche und intel­lek­tu­el­le Ent­wick­lung, aus­ge­lös­te Neu­gier, gestei­ger­tes Selbst­be­wusst­sein und Moti­va­ti­on sowie die Ent­wick­lung von Sprach- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­kei­ten6 7 ​8.

In einer web­ba­sier­ten Umfra­ge aus dem Jahr 20189 wur­den qua­li­ta­ti­ve und quan­ti­ta­ti­ve Infor­ma­tio­nen von Gerä­te­an­bie­tern in den USA erfasst. Der Bericht zur Umfra­ge ergab Folgendes:

  • Es wur­de berich­tet, dass Tätig­kei­ten zur Bewer­tung der Not­wen­dig­keit eines Roll­stuhls häu­fig erfol­gen. Wich­ti­ge Emp­feh­lun­gen für ein Kind, dem im Anschluss an eine Bewer­tung ein Roll­stuhl aller­dings nicht geneh­migt wur­de, waren u. a. ein erwei­ter­tes Elek­tro­roll­stuhl-Trai­ning und die Bestim­mung der Mobi­li­täts­pro­gno­se eines Kindes.
  • Eine wei­te­re Erkennt­nis ist, dass die Alters­emp­feh­lung der Umfra­ge­teil­neh­mer für einen Elek­tro­roll­stuhl bei 3 – 3,5 Jah­ren liegt und damit dem Durch­schnitts­al­ter des jüngs­ten Kin­des entspricht.

Ange­sichts der Erkennt­nis­se aus der Lite­ra­tur hin­sicht­lich der Bedeu­tung von Mobi­li­tät für die Ent­wick­lung von Klein­kin­dern und die rela­tiv spä­ten ers­ten Inter­ven­tio­nen zum Aus­gleich einer Mobi­li­täts­be­ein­träch­ti­gung stellt sich die Fra­ge: Wenn wir nicht früh­zei­tig mit der (Elektro-)Mobilität begin­nen, ver­pas­sen wir dann die Mög­lich­keit, die all­ge­mei­ne Ent­wick­lung von Kin­dern mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen zu beein­flus­sen? Gemäß der Fach­li­te­ra­tur, dem typi­schen Ent­wick­lungs­ver­lauf und der kli­ni­schen Erfah­rung lau­tet die Ant­wort: ja!8. Die posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen selbst­kon­trol­lier­ter Elek­tro­mo­bi­li­täts­lö­sun­gen bei sehr jun­gen Kin­dern wur­den anhand von Fall­bei­spie­len und einer ran­do­mi­sier­ten kon­trol­lier­ten Stu­die doku­men­tiert. Im Gegen­satz dazu zei­gen Stu­di­en mit älte­ren Kin­dern, dass sich deren IQ nach 6‑monatiger Nut­zung von Elek­tro­roll­stüh­len nicht ver­än­dert8. Die Ant­wort lau­tet also: ja! Frü­he Wahr­neh­mungs-Moto­rik-Erfah­run­gen sind für die Ent­wick­lung entscheidend.

Leit­li­nie für die Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät für Säug­lin­ge und Klein­kin­der 10

Ein­füh­rung

Anfang 2022 wur­de von Feld­ner, Plum­mer und Hen­dry in den USA eine inter­dis­zi­pli­nä­re Leit­li­nie vor­ge­stellt. Die Ein­be­zie­hung von sprach­li­chen, kom­mu­ni­ka­ti­ven, phy­si­schen, sozia­len und soma­to­sen­so­ri­schen Stra­te­gien bie­tet einen evi­denz­ba­sier­ten Schu­lungs­an­satz, der durch kli­ni­sches Fach­wis­sen unter­stützt wird.

Die Leit­li­nie kann als kli­ni­scher Fahr­plan für die Ein­füh­rung von On-time-Elek­tro­mo­bi­li­tät bei prä­ver­ba­len und non­ver­ba­len prä­mo­to­ri­schen Klein­kin­dern bei der Aus­rich­tung der Schu­lungs­maß­nah­men dienen.

Erar­bei­tung der Leitlinie

Die Leit­li­nie wur­de erar­bei­tet auf der Grund­la­ge einer gründ­li­chen Lite­ra­tur­re­cher­che und einer Evi­denz­be­wer­tung sowie einer Syn­the­se vor­han­de­ner Instru­men­te, die von For­schern und Ärz­ten im Bereich Sit­zen und Mobi­li­tät ent­wi­ckelt wur­den, gefolgt von einer Del­phi-Kon­sens­stu­die unter Ein­be­zie­hung des Exper­ten­wis­sens von Pfle­ge­kräf­ten, Phy­sio­the­ra­peu­ten, Ergo­the­ra­peu­ten und Sprach­pa­tho­lo­gen, die mit Kin­dern mit Behin­de­run­gen auf der gan­zen Welt zusam­men­ar­bei­ten, um bewähr­te Ver­fah­ren für die Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät bei Säug­lin­gen und Klein­kin­dern zu ermitteln.

Bei der zugrun­de lie­gen­den Lite­ra­tur han­delt es sich um begut­ach­te­te Ver­öf­fent­li­chun­gen. Die Basis der Evi­denz-Pyra­mi­de besteht aus Exper­ten­mei­nun­gen, gefolgt von fall­kon­trol­lier­ten Stu­di­en, Kohor­ten­stu­di­en und RCTs, um an der Spit­ze mit Meta-Ana­ly­sen und sys­te­ma­ti­schen Über­sich­ten zu enden. Die Del­phi-Kon­sens­stu­die war auch für die von der U.S. Food & Drug Admi­nis­tra­ti­on (FDA) für die Markt­ein­füh­rung des Pro­dukts gefor­der­te Human Fac­tor Vali­da­ti­on Stu­dy maß­geb­lich. Es hat sich gezeigt, dass die in den ver­schie­de­nen Arbeits­schrit­ten ver­wen­de­ten Refe­ren­zen min­des­tens den Anfor­de­run­gen der FDA entsprechen.

Die Aus­ar­bei­tung einer Leit­li­nie für die Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­täts­ge­rä­ten bei Säug­lin­gen und Klein­kin­dern ist wich­tig, weil

  • der Zugang zu Elek­tro­mo­bi­li­tät Teil der mul­ti­mo­da­len Mobi­li­täts­in­ter­ven­ti­on wäh­rend der Reha­bi­li­ta­ti­on von Säug­lin­gen und Klein­kin­dern mit Behin­de­run­gen ist, wel­che einen Fahr­plan für die Ein­füh­rung erfor­dert, der leicht zugäng­lich und leicht ver­ständ­lich ist;
  • sie hilft, sicher­zu­stel­len, dass bewähr­te Ver­fah­ren und Evi­denz zur Unter­stüt­zung der gemein­sa­men Ent­schei­dungs­fin­dung ver­wen­det werden;
  • sie einen Rah­men auf der Grund­la­ge aktu­el­ler For­schungs­er­geb­nis­se sowie der Fach­kennt­nis­se von Ärz­ten und Pfle­ge-/Be­treu­ungs­per­so­nen bie­tet, sodass die Ergeb­nis­se in allen Umge­bun­gen doku­men­tiert und effek­ti­ver ver­gli­chen wer­den können;
  • repro­du­zier­ba­re, sich wie­der­ho­len­de und zuver­läs­si­ge Schu­lungs­hin­wei­se hel­fen, das Ler­nen für alle Kin­der zu erleichtern;
  • die Bei­trä­ge vie­ler Inter­es­sen­grup­pen einen ganz­heit­li­chen und gründ­li­chen Ansatz zur Prio­ri­sie­rung von Inhal­ten unterstützen;
  • sie den Irr­tum behebt, dass manu­el­le Gerä­te zuerst initi­iert wer­den soll­ten, um kör­per­li­che Akti­vi­tät zu för­dern oder eine „Abhän­gig­keit“ von einem elek­trisch ange­trie­be­nen Gerät zu ver­hin­dern10;
  • sie in Ver­bin­dung mit zuver­läs­si­gen und zuge­las­se­nen elek­trisch ange­trie­be­nen Mobi­li­täts­maß­nah­men für Kin­der ver­wen­det wer­den kann, um die Beur­tei­lung und die Schu­lung zu erleich­tern11;
  • wei­te­re For­schungs­ar­bei­ten und Zuschüs­se zur Unter­stüt­zung des Zugangs zu On-Time-Mobi­li­täts­er­fah­run­gen für Klein­kin­der mit Behin­de­run­gen von der Fähig­keit abhän­gen, Wir­kung, Bedeu­tung und einen sys­te­ma­ti­schen Ansatz sowie Ver­fah­ren zu demonstrieren.

Die­ser Arti­kel bie­tet einen Über­blick über die genann­te Leit­li­nie. Die voll­stän­di­ge Leit­li­nie ist ein­seh­bar unter: https://permobilwebcdn.azureedge.net/media/stwou5go/a‑guideline-for-introducing-powered-mobility-to-infants-and-toddlers_v0122.pdf.

Ein koope­ra­ti­ver Partnerschaftsansatz

Die erfolg­rei­che Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät für Kin­der und deren Betreu­ungs­per­so­nen hängt in ers­ter Linie vom Auf­bau star­ker, koope­ra­ti­ver Part­ner­schaf­ten ab. Ver­trau­en auf­zu­bau­en und den Ein­füh­rungs­pro­zess an die Bedürf­nis­se und Vor­lie­ben des Kin­des, der Fami­lie und ande­rer Pfle­ge-/Be­treu­ungs­per­so­nen anzu­pas­sen, ist ein wich­ti­ger ers­ter Schritt, um den Erfolg in allen nach­fol­gen­den Aspek­ten der Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät zu maxi­mie­ren. Nach­fol­gend wird der Begriff „Betreu­ungs­per­so­nen“ ver­wen­det; die­ser bezieht sich all­ge­mein auf alle Per­so­nen im Leben oder Umfeld eines Kin­des, ein­schließ­lich u. a. Eltern, Groß­el­tern oder ande­re Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, Erzie­her, Betreu­ungs­per­so­nen, Kin­der­be­treu­ungs­an­bie­ter usw., die an der Bereit­stel­lung von Ver­sor­gung jeg­li­cher Art betei­ligt sind.

Betreu­ungs­per­so­nen soll­ten bei der gemein­sa­men Ent­schei­dungs­fin­dung über den Zeit­punkt und die Stra­te­gien für die Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät sowie bei der Ermitt­lung rea­lis­ti­scher Erwar­tun­gen in Bezug auf das Ler­nen als zen­tra­le Team­mit­glie­der betrach­tet wer­den12. Es ist wich­tig, die Vor­lie­ben und Moti­va­tio­nen des Kin­des und der Betreu­ungs­per­son zu ver­ste­hen, die Inter­es­se und Enga­ge­ment anre­gen kön­nen. Dazu gehört das Ver­ständ­nis kurz- und lang­fris­ti­ger Mobi­li­täts- und Par­ti­zi­pa­ti­ons­zie­le, die aktu­el­le Wahr­neh­mung der Elek­tro­mo­bi­li­tät und die Erkennt­nis, dass sich die­se im Lau­fe der Zeit ändern kön­nen13 14.

Für For­schen­de oder Ärz­te ist es wich­tig, Betreu­ungs­per­so­nen ver­schie­de­ne Schu­lungs­res­sour­cen zur Ver­fü­gung zu stel­len (z. B. schrift­li­che Res­sour­cen, Check­lis­ten, Video­de­mons­tra­tio­nen und Feed­back), um sicher­zu­stel­len, dass sie über das not­wen­di­ge Wis­sen und die Fähig­kei­ten ver­fü­gen, um den anhal­ten­den Erfolg des Kin­des bei der Ver­wen­dung des Elek­tro­mo­bi­li­täts­ge­räts zu unter­stüt­zen. Es ist wich­tig, das Selbst­ver­trau­en der Betreu­ungs­per­so­nen bei der rich­ti­gen Ein­rich­tung des Geräts für das Kind zu beur­tei­len und die Ver­wen­dung des Geräts ent­spre­chend den Lern­be­dürf­nis­sen des Kin­des zu ermög­li­chen. Die indi­vi­du­el­le Unter­stüt­zung zur Ver­bes­se­rung des Selbst­ver­trau­ens der Betreu­ungs­per­son soll­te auf der Grund­la­ge der Bedürf­nis­se der Betreu­ungs­per­son erfol­gen15.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Aspekt ist es, Betreu­ungs­per­so­nen zu unter­wei­sen, wann sie ein­grei­fen soll­ten und wann nicht oder wie sie hier­für ver­schie­de­ne (An-)Zeichen (verbal/auditiv/visuell etc.) nut­zen kön­nen. Dies kann bedeu­ten, von Stra­te­gien zu berich­ten, die in der Ver­gan­gen­heit gut für ande­re Betreu­ungs­per­so­nen funk­tio­niert haben, oder gemein­sam neue Stra­te­gien zu ermit­teln. Schließ­lich ist es wich­tig, Stan­dard-Anwei­sungs­stich­wör­ter für Klar­heit, Kon­sis­tenz und Selbst­ver­trau­en inner­halb des kol­la­bo­ra­ti­ven Teams fest­zu­le­gen, um das Ler­nen zu maximieren.

Elek­tro­mo­bi­li­tät – der Lernprozess

Das Erler­nen von Elek­tro­mo­bi­li­tät umfasst in jedem Alter einen flie­ßen­den Pro­zess aus Inter­ak­tio­nen zwi­schen dem Kind, den Betreu­ungs­per­so­nen, den Ärz­ten, dem Gerät selbst, der Umge­bung und den gewünsch­ten Zie­len oder Akti­vi­tä­ten, die durch Bewe­gung je nach Lern­pha­se erleich­tert wer­den. Es gibt kei­ne Erwar­tun­gen in Bezug auf bereits vor­han­de­ne Fähig­kei­ten, viel­mehr ent­fal­ten sich Fähig­kei­ten durch Inter­ak­ti­on, Ver­such und Irr­tum sowie Anlei­tung. Emp­feh­lun­gen zur Ent­wick­lung von Fähig­kei­ten im Zusam­men­hang mit Elek­tro­mo­bi­li­tät oder zu den erfor­der­li­chen Fähig­kei­ten, um die „Bereit­schaft“ zu bestim­men, haben sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dert. Zum Bei­spiel: Als Elek­tro­mo­bi­li­tät zum ers­ten Mal für Klein­kin­der ein­ge­führt wur­de, wur­de bahn­bre­chen­de Arbeit geleis­tet, um zu demons­trie­ren, dass Kin­der sicher und tüch­tig am Lern­pro­zess teil­neh­men; auch wur­den bestimm­te Vor­aus­set­zun­gen ermit­telt16 17 18. Da die Ver­wen­dung von Elek­tro­mo­bi­li­täts­ge­rä­ten heu­te schon bei Kin­dern ab 7 Mona­ten19  demons­triert wird, deu­ten jüngs­te For­schun­gen und Exper­ten­mei­nun­gen dar­auf hin, dass sich Ärz­te nicht mehr auf die „Bereit­schaft“ für Elek­tro­mo­bi­li­tät kon­zen­trie­ren soll­ten20. Statt­des­sen wird in der Fach­li­te­ra­tur nun emp­foh­len, dass Ärz­te früh­zei­tig Mög­lich­kei­ten zur Ver­bes­se­rung der Mobi­li­tät durch Tech­no­lo­gien bie­ten soll­ten, um die Ent­wick­lung in meh­re­ren Berei­chen zu unter­stüt­zen, was in der Fol­ge das Erwer­ben neu­er Fähig­kei­ten för­dern kann8 21 22.

Die Nut­zung von Elek­tro­mo­bi­li­tät wirkt sich nach­weis­lich auf die Ent­wick­lung in einer Viel­zahl von Berei­chen aus, dar­un­ter kogni­ti­ve, visu­el­le, sprach­li­che, sozia­le und psy­cho­lo­gi­sche Fähig­kei­ten1 23 24. Auf­grund der wich­ti­gen Rol­le von Mobi­li­tät in der Ent­wick­lung sowie des wech­sel­sei­ti­gen Ler­nens, das im Rah­men der Mobi­li­tät und der Inter­ak­ti­on mit Men­schen und dem Umfeld statt­fin­det, emp­feh­len For­scher, die Elek­tro­mo­bi­li­tät als Teil eines umfas­sen­den Früh­in­ter­ven­ti­ons­pro­gramms zu erwä­gen. Zu den Zie­len kön­nen die Maxi­mie­rung die­ser ent­wick­lungs­tech­ni­schen Ver­bin­dun­gen und die Mini­mie­rung oder Ver­hin­de­rung der Aus­wir­kun­gen von Immo­bi­li­tät gehö­ren, ein­schließ­lich wei­te­rer Ver­zö­ge­run­gen bei Mei­len­stei­nen oder sozia­lem Enga­ge­ment und erlern­ter Hilfs­lo­sig­keit25 26.

Über­le­gun­gen zur Fähigkeit

Obwohl es nicht ent­schei­dend ist, dass das Kind vor Beginn einer Inter­ven­ti­on mit Elek­tro­mo­bi­li­tät spe­zi­fi­sche Fähig­kei­ten besitzt, kommt man tat­säch­lich zu dem Schluss, dass es von Vor­teil sein kann, wäh­rend der gesam­ten Inter­ven­ti­on an bestimm­ten Fähig­kei­ten zu arbei­ten, um den Erfolg mit dem Gerät zu maxi­mie­ren. Dies kann Inter­ven­tio­nen ohne das Elek­tro­mo­bi­li­täts­ge­rät umfas­sen, um das Kind auf den Gebrauch vor­zu­be­rei­ten, oder als Inter­ven­ti­on auch Übun­gen mit dem Gerät selbst (Abb. 2).

Nach­fol­gend eini­ge Bei­spie­le für Fähig­kei­ten, die mit­hil­fe des Elek­tro­mo­bi­li­täts-Roll­stuhls Explo­rer Mini nach­weis­lich erlernt wer­den kön­nen (eine detail­lier­te Beschrei­bung der Fähig­kei­ten fin­den Sie in der Leitlinie):

  • Geteil­te Aufmerksamkeit
  • Visu­el­le Fixierung
  • Kon­trol­le von Rumpf und obe­ren Extremitäten
  • Kopf­kon­trol­le
  • Ver­wen­dung eines Joysticks
  • Sozia­le, emo­tio­na­le und Kommunikationsentwicklung

Kom­mu­ni­ka­ti­on und Spra­che für die Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät in allen Lernphasen

Eine der Stär­ken die­ser Leit­li­nie ist das mul­ti­dis­zi­pli­nä­re Team von Ent­wick­lern, zu dem Phy­sio- und Ergo­the­ra­peu­ten, Pfle­ge-/Be­treu­ungs­per­so­nen und Sprach­pa­tho­lo­gen gehö­ren, da die frü­he moto­ri­sche Ent­wick­lung unmit­tel­bar mit der frü­hen Sprach­ent­wick­lung zusam­men­hängt27 28 29 30.

Sprech- und Sprach­stö­run­gen kön­nen als Begleit­erschei­nung vie­ler Erkran­kun­gen auf­tre­ten oder von die­sen ver­ur­sacht wer­den, indem sie die Ent­wick­lung der per­zep­to­ri­schen, moto­ri­schen, kogni­ti­ven oder sozio-emo­tio­na­len Funk­ti­on beein­träch­ti­gen, ein­schließ­lich Krank­heits­bil­dern wie Down-Syn­drom, Zere­bral­pa­re­se, Fra­gi­les X, Autis­mus-Spek­trum-Stö­run­gen, trau­ma­ti­sche Hirn­ver­let­zun­gen und mehr31. Wenn ein Kind beginnt, mit einem Elek­tro­mo­bi­li­täts­ge­rät wie dem Explo­rer Mini neue moto­ri­sche Fähig­kei­ten zu ent­wi­ckeln, ist dies eine unschätz­ba­re Gele­gen­heit für das gleich­zei­ti­ge Erwei­tern und Ent­wi­ckeln der Sprach­fä­hig­kei­ten1 32 33. Kin­der, die neue Fähig­kei­ten erler­nen, bau­en durch Scaf­fol­ding-Stra­te­gien (kogni­ti­ve Struk­tu­rie­rung) auf ihren Vorkenntnissen/aktuellen Kennt­nis­sen auf – ein wenig über das hin­aus, was das Kind selbst­stän­dig kann34. Im Rah­men von Best Prac­ti­ces für Kin­der mit moto­ri­schen Stö­run­gen wird emp­foh­len, die Bewer­tung über meh­re­re Berei­che und Dis­zi­pli­nen hin­weg durch­zu­füh­ren sowie Infor­ma­ti­ons­quel­len ein­zu­be­zie­hen24 27 35.

Inter­ven­ti­ons­tech­ni­ken

Die wei­te­re Leit­li­nie ist so struk­tu­riert, dass sie eine glo­ba­le Zusam­men­fas­sung der Inter­ven­ti­ons­tech­ni­ken für die Ein­füh­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät bie­tet, die spe­zi­ell für ver­schie­de­ne Lern­pha­sen ent­wi­ckelt und aus­ge­wählt wur­den. Sie stellt eine Syn­the­se aus bahn­bre­chen­den Arbei­ten dar, die zuvor im Bereich der päd­ia­tri­schen Elek­tro­mo­bi­li­tät ver­öf­fent­licht wur­den, zusätz­lich zu der wei­ter gefass­ten Theo­rie und den empi­ri­schen Stu­di­en in mul­ti­dis­zi­pli­nä­ren Berei­chen. Ärz­te und Pfle­ge-/Be­treu­ungs­per­so­nen wer­den ermu­tigt, die in der Leit­li­nie ver­wie­se­nen Arbei­ten zu stu­die­ren, um zusätz­li­che Stra­te­gien und Res­sour­cen für eine erfolg­rei­che Ein­füh­rung der Elek­tro­mo­bi­li­tät zu finden.

Emp­foh­le­ne Mobilitätshilfe

Die Aus­füh­run­gen machen deut­lich, dass Elek­tro­mo­bi­li­tät bereits in einem Alter begin­nen soll­te, in dem kon­ven­tio­nel­le Elek­tro­roll­stüh­le noch viel zu groß für die kind­li­chen Anwen­der sind. Aus die­sem Grund wur­de der Explo­rer Mini als ein ent­wick­lungs­ba­sier­tes Elek­tro­mo­bi­li­täts­ge­rät für sehr jun­ge Kin­der mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen ent­wi­ckelt, mit dem Ziel, selbst­be­stimm­te Bewe­gung und eine frü­he Erkun­dung zu ermög­li­chen. Der Explo­rer Mini ist ein ver­schrei­bungs­pflich­ti­ges Medi­zin­pro­dukt für Kin­der im Alter zwi­schen 12 und 36 Mona­ten, einem Benut­zer­ge­wicht bis 16 kg und einer maxi­ma­len Kör­per­grö­ße von 1 m.

Mit dem Explo­rer Mini wur­de ein Pro­dukt auf den Markt gebracht, das regu­la­to­risch zuge­las­sen und mit­tels Human­fak­tor-Vali­die­rungs­stu­di­en für Klein­kin­der mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen als sicher und wirk­sam ein­ge­stuft wur­de. Er ist dafür kon­zi­piert, frü­hes Ler­nen maxi­mal zu för­dern und das Errei­chen von Ent­wick­lungs­mei­len­stei­nen mit­tels Ein­füh­rung selbst­be­stimm­ter Bewe­gun­gen bei Kin­dern mit Mobi­li­täts­be­ein­träch­ti­gun­gen schon im frü­he­ren Alter zu unterstützen.

Um ein Gerät für Kin­der im Alter zwi­schen 12 und 36 Mona­ten zu ent­wi­ckeln, wur­de das Sit­zen nicht als eine Posi­ti­on mit sta­ti­schen Kom­po­nen­ten betrach­tet, son­dern als eine Platt­form, von der aus dyna­mi­sche Bewe­gung statt­fin­den kann. Der Explo­rer Mini bie­tet daher ent­wick­lungs­ab­hän­gi­ges Sit­zen, das eine siche­re, sta­bi­le und auf­rech­te Hal­tung för­dert und funk­tio­nel­le Bewe­gung ermög­licht, um die Erkun­dung und Ent­wick­lung der Grob- und Fein­mo­to­rik zu sti­mu­lie­ren. Die sanf­te Nei­gung des ver­stell­ba­ren Sat­tel­sit­zes begüns­tigt die ante­rio­re Becken­nei­gung, was eine funk­ti­ons­för­dern­de Sitz­hal­tung unterstützt.

Fazit

Für alle Kin­der gilt: Mobi­li­tät ist kein End­ziel oder ledig­lich die Fähig­keit, von einem Ort zu einem ande­ren zu gelan­gen, son­dern viel­mehr ein Mit­tel, um die Par­ti­zi­pa­ti­on und Erkun­dung zu maxi­mie­ren und die Hand­lungs­fä­hig­keit sowie Iden­ti­tät über die gesam­te Lebens­dau­er zu för­dern. Die vor­ge­stell­te Leit­li­nie und die dazu­ge­hö­ri­gen Anhän­ge bie­ten mul­ti­dis­zi­pli­nä­re Res­sour­cen für eine erfolg­rei­che Inte­gra­ti­on der Elek­tro­mo­bi­li­tät in den All­tag von Säug­lin­gen und Klein­kin­dern mit Behin­de­run­gen. Die Leit­li­nie soll als Grund­la­ge für evi­denz­ba­sier­te Inter­ven­tio­nen mit Elek­tro­mo­bi­li­tät die­nen, vor­han­de­ne Wis­sens­lü­cken und Her­aus­for­de­run­gen in der Pra­xis auf­zei­gen und zukünf­ti­ge For­schungs­rich­tun­gen fördern.

 

Der Autor:
Arne Com­per­nol­le, OT
Cli­ni­cal Trai­ning Manager
EMEA Per­mo­bil GmbH
Bran­den­bur­ger Stra­ße 2–4
40880 Ratin­gen
Arne.Compernolle@permobil.com

 

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