OT: Kaum tritt bei den Ausgaben für Desinfektion und persönliche Schutzausrüstung (PSA) eine leichte Entspannung ein, steigen die Energie- und Rohstoffkosten drastisch, von den nach wie vor hohen Frachtkosten ganz zu schweigen. On top kommt, dass auch der Mindestlohn demnächst auf zwölf Euro erhöht wird. Wie spiegeln sich die seit längerer Zeit andauernden Kostensteigerungen in den Verträgen mit den Kostenträgern wider?
Carsten Strangmann: In den aktuellen Verträgen finden sich die Kostensteigerungen bisher gar nicht oder nur in geringem Ausmaß wieder. Es wurden Lösungen mit einzelnen Kostenträgern gefunden, jedoch verbunden mit einem sehr hohen administrativen Aufwand, der die Ergebnisse fast aufgefressen hat. Auf breiter Ebene konnten keine nennenswerten Vereinbarungen erreicht werden, eine Kompensation hat also nicht stattgefunden. Laufende Verträge sind in der Regel nicht kündbar und die Kostenträger erwarten dezidierte Nachweise über die Kostensteigerungen, die aber schon jetzt deutlich über die durch die Medien bekannten Beträge hinausgehen. Auch wenn sich die Kosten bei PSA etwas abgesenkt haben, trifft dies auf die anderen genannten Bereiche nicht zu, im Gegenteil. Bislang sind alle Ansätze eines Kostenausgleichs verpufft.
Eigene Mehrausgaben im Blick
OT: Wie verhandlungsbereit sind die gesetzlichen Krankenkassen, laufende Verträge entsprechend anzupassen bzw. die höheren Kosten bei neuen Verträgen zu berücksichtigen?
Strangmann: In laufenden Verträgen ist Verhandlungsbereitschaft nicht erkennbar. Die Krankenkassen akzeptieren nicht, dass die Pandemie und der Krieg unvorhersehbare Ereignisse sind, die Nachjustierungen nötig machen. Die Leistungserbringer können lediglich nach Ende der Mindestvertragslaufzeit versuchen, die erhöhten Kosten in die Neuverhandlungen einfließen zu lassen. Doch die Argumentation auf Kostenträgerseite beschränkt sich in der Regel auf den Hinweis, dass sie aufgrund ihrer eigenen Mehrausgaben nicht in der Lage seien, die Steigerungen auszugleichen. Deshalb wird versucht, Steigerungen auf das Mindestmaß zu beschränken.
Ständig neue Preislisten
OT: Welche Lageberichte hören Sie aus den Betrieben?
Strangmann: Die Betriebe sind nach über zwei Jahren im Krisenmodus nicht mehr in der Lage, die Kostensteigerungen abzufedern. Die Rücklagen sind weg, Investitionen werden geschoben oder ganz gestrichen. Zusätzlich haben die Unternehmen neben den erheblichen Mehrkosten auch mit Verzögerungen bei den Lieferketten und teilweise aktuell gar nicht lieferbaren Rohstoffen oder Produkten zu kämpfen. Seriöse Kalkulationen und Angebote über einen längeren Zeitraum sind kaum mehr möglich, weil die Hersteller ihre Preislisten alle vier bis sechs Monate anpassen statt wie früher einmal im Jahr. Manche Belastungen sind noch gar nicht absehbar – wie die Energiekosten, bei denen die Rechnung erst zum Jahresende kommt, oder die hohen Spritkosten, die vor allem Firmen treffen, die viele Versorgungen im Außendienst realisieren.
Mindestlohn als Damoklesschwert
OT: Zum 1. Oktober 2022 wurde die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro beschlossen. Wie wird sich das in den Betrieben auswirken?
Strangmann: Das ist ein Damoklesschwert, das über den Betrieben hängt und den Fachkräftemangel verschärfen wird. Das ist schon jetzt spürbar. Wenn die untersten Lohngruppen mehr Geld bekommen, müssen auch die anderen nachziehen. Lohnsteigerungen sind deshalb geboten, um Personal zu halten bzw. zu gewinnen. Doch hier fallen uns ebenfalls die in den letzten Jahren kaum angepassten Verträge auf die Füße. Die geben das nicht her. Industrie, andere Branchen und selbst Krankenkassen zahlen höhere Löhne, als es den Leistungserbringern möglich ist.
OT: Ist zumindest gegenseitiges Verständnis zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern für den Standpunkt der jeweils anderen Seite vorhanden?
Strangmann: Uns ist bewusst, dass die Kostenträger ebenso von den Kostensteigerungen betroffen sind. Dennoch ist auf der Gegenseite eine Kompromissbereitschaft wenig bis gar nicht zu erkennen. Wir müssen außerdem immer wieder feststellen, dass von Kostenträgerseite mit den Ausgabensteigerungen im Bereich der Hilfsmittel argumentiert wird – aber dabei der demografische Wandel sowie der damit verbundene Zuwachs alter und pflegebedürftiger Menschen gar nicht berücksichtigt werden. Es wird ignoriert, dass Ausgabensteigerungen durch die zunehmende Zahl an Versorgungen entstehen. Wenn wir zehn Prozent mehr Versorgungen verzeichnen, können wir nicht zugleich unsere Vertragspreise um zehn Prozent senken, um die Steigerungen auszugleichen.
Verhandlungsmarathon statt Flexibilität
OT: Die Bundesregierung hat Entlastungspakete im Hinblick auf die steigenden Energiepreise geschnürt. Können auch die Sanitätshäuser und orthopädietechnischen Betriebe auf größere Entlastungen hoffen oder vertritt die Politik letztlich den Standpunkt, man könne ja neue Bedingungen neu verhandeln – entsprechend der Verhandlungsoptionen gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V), Paragraf 127 (Abs. 1 Satz 2), wo es heißt: „Darüber hinaus können die Vertragsparteien … auch einen Ausgleich der Kosten für erhöhte Hygienemaßnahmen infolge der COVID-19-Pandemie vereinbaren. Dabei haben Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften jedem Leistungserbringer oder Verband oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen.“?
Strangmann: Wie bereits bei den PSA-Regelungen wird hier von Seiten der Regierung auf die Möglichkeit von Verhandlungen verwiesen. Dies führt jedoch bei mehr als 100 Kostenträgern und mehr als 20 Produktgruppen zu einem nicht umsetzbaren Verhandlungsmarathon auch auf Seiten der Kostenträger, die ja nicht nur mit uns verhandeln. Kurzfristige Termine sind somit nicht möglich. Nicht zuletzt verzögern sich die Verhandlungen, laufen teilweise über acht Monate oder länger. So sind Verhandlungen mit den Kassen über Folgevereinbarungen von schon 2019 ausgelaufenen Verträgen immer noch nicht abgeschlossen.
Verträge mit Ausstiegsoption
OT: Wie könnte ein zukunftsfähiger Kompromiss aussehen?
Strangmann: Die Verhandlungen sollten sich auf aktualisierte Hilfsmittel und neue, dem Stand der Technik entsprechende Fertigungstechniken beschränken. Die Vertragspreise müssen einer regelmäßigen Anpassung unterliegen bzw. bei unvorhergesehenen Kostensteigerungen eine Ausstiegsoption besitzen und nicht – wie bisher – nur nach Aufforderung in immer gleichen Diskussionen verhandelt werden müssen. Bisher fangen wir immer wieder von vorn an, verhandeln die vorhandenen Hilfsmittel immer wieder neu, statt sich auf aktualisierte bzw. neue Produkte zu konzentrieren. Des Weiteren wäre eine Vereinheitlichung der grundlegenden Regelungen in Verträgen längst überfällig, um die Handhabung auf betrieblicher Ebene zu erleichtern. Wir versuchen jedenfalls weiterhin, langfristige Verträge mit einer Laufzeit von zwei bis drei Jahren hinzubekommen. Voraussetzung ist ein Passus, der Kostensteigerungen berücksichtigt. Sollten wir aber stattdessen zu Ein-Jahres-Verträgen gezwungen sein, entstünde ein gigantischer bürokratischer Aufwand für alle Seiten – Ausgaben, die nicht sein müssen.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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