Kos­ten­stei­ge­rung: Lage angespannt

Krieg, Krisen, Kosten: Seit 2020 wankt nicht nur die Sanitätshaus- und Orthopädietechnik-Branche von einer kritischen Situation in die nächste. Die Ausgaben bewegen sich nur in eine Richtung: nach oben. Doch bei den Kostenträgern gebe es bislang wenig Bereitschaft zur Kompensation, berichtet Carsten Strangmann im OT-Interview. Der gelernte Orthopädiemechaniker- und Bandagisten-Meister leitet die Abteilung „Wirtschaft & Verträge“ beim Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT).

OT: Kaum tritt bei den Aus­ga­ben für Des­in­fek­ti­on und  per­sön­li­che Schutz­aus­rüs­tung (PSA) eine leich­te Ent­span­nung ein, stei­gen die Ener­gie- und Roh­stoff­kos­ten dras­tisch, von den nach wie vor hohen Fracht­kos­ten ganz zu schwei­gen. On top kommt, dass auch der Min­dest­lohn dem­nächst auf zwölf Euro erhöht wird. Wie spie­geln sich die seit län­ge­rer Zeit andau­ern­den Kos­ten­stei­ge­run­gen in den Ver­trä­gen mit den Kos­ten­trä­gern wider?

Anzei­ge

Cars­ten Strang­mann: In den aktu­el­len Ver­trä­gen fin­den sich die Kos­ten­stei­ge­run­gen bis­her gar nicht oder nur in gerin­gem Aus­maß wie­der. Es wur­den Lösun­gen mit ein­zel­nen Kos­ten­trä­gern gefun­den, jedoch ver­bun­den mit einem sehr hohen admi­nis­tra­ti­ven Auf­wand, der die Ergeb­nis­se fast auf­ge­fres­sen hat. Auf brei­ter Ebe­ne konn­ten kei­ne nen­nens­wer­ten Ver­ein­ba­run­gen erreicht wer­den, eine Kom­pen­sa­ti­on hat also nicht statt­ge­fun­den. Lau­fen­de Ver­trä­ge sind in der Regel nicht künd­bar und die Kos­ten­trä­ger erwar­ten dezi­dier­te Nach­wei­se über die Kos­ten­stei­ge­run­gen, die aber schon jetzt deut­lich über die durch die Medi­en bekann­ten Beträ­ge hin­aus­ge­hen. Auch wenn sich die Kos­ten bei PSA etwas abge­senkt haben, trifft dies auf die ande­ren genann­ten Berei­che nicht zu, im Gegen­teil. Bis­lang sind alle Ansät­ze eines Kos­ten­aus­gleichs verpufft.

Eige­ne Mehr­aus­ga­ben im Blick

OT: Wie ver­hand­lungs­be­reit sind die gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen, lau­fen­de Ver­trä­ge ent­spre­chend anzu­pas­sen bzw. die höhe­ren Kos­ten bei neu­en Ver­trä­gen zu  berücksichtigen?

Strang­mann: In lau­fen­den Ver­trä­gen ist Ver­hand­lungs­be­reit­schaft nicht erkenn­bar. Die Kran­ken­kas­sen akzep­tie­ren nicht, dass die Pan­de­mie und der Krieg unvor­her­seh­ba­re Ereig­nis­se sind, die Nach­jus­tie­run­gen nötig machen. Die Leis­tungs­er­brin­ger kön­nen ledig­lich nach Ende der Min­dest­ver­trags­lauf­zeit ver­su­chen, die erhöh­ten Kos­ten in die Neu­ver­hand­lun­gen ein­flie­ßen zu las­sen. Doch die Argu­men­ta­ti­on auf Kos­ten­trä­ger­sei­te beschränkt sich in der Regel auf den Hin­weis, dass sie auf­grund ihrer eige­nen Mehr­aus­ga­ben nicht in der Lage sei­en, die Stei­ge­run­gen aus­zu­glei­chen. Des­halb wird ver­sucht, Stei­ge­run­gen auf das Min­dest­maß zu beschränken.

Stän­dig neue Preislisten

OT: Wel­che Lage­be­rich­te hören Sie aus den Betrieben?

Strang­mann: Die Betrie­be sind nach über zwei Jah­ren im Kri­sen­mo­dus nicht mehr in der Lage, die Kos­ten­stei­ge­run­gen abzu­fe­dern. Die Rück­la­gen sind weg, Inves­ti­tio­nen wer­den gescho­ben oder ganz gestri­chen. Zusätz­lich haben die Unter­neh­men neben den erheb­li­chen Mehr­kos­ten auch mit Ver­zö­ge­run­gen bei den Lie­fer­ket­ten und teil­wei­se aktu­ell gar nicht lie­fer­ba­ren Roh­stof­fen oder Pro­duk­ten zu kämp­fen. Seriö­se Kal­ku­la­tio­nen und Ange­bo­te über einen län­ge­ren Zeit­raum sind kaum mehr mög­lich, weil die Her­stel­ler ihre Preis­lis­ten alle vier bis sechs Mona­te anpas­sen statt wie frü­her ein­mal im Jahr. Man­che Belas­tun­gen sind noch gar nicht abseh­bar – wie die Ener­gie­kos­ten, bei denen die Rech­nung erst zum Jah­res­en­de kommt, oder die hohen Sprit­kos­ten, die vor allem Fir­men tref­fen, die vie­le Ver­sor­gun­gen im Außen­dienst realisieren.

Min­dest­lohn als Damoklesschwert

OT: Zum 1. Okto­ber 2022 wur­de die Erhö­hung des Min­dest­lohns auf zwölf Euro beschlos­sen. Wie wird sich das in den Betrie­ben auswirken?

Strang­mann: Das ist ein Damo­kles­schwert, das über den Betrie­ben hängt und den Fach­kräf­te­man­gel ver­schär­fen wird. Das ist schon jetzt spür­bar. Wenn die unters­ten Lohn­grup­pen mehr Geld bekom­men, müs­sen auch die ande­ren nach­zie­hen. Lohn­stei­ge­run­gen sind des­halb gebo­ten, um Per­so­nal zu hal­ten bzw. zu gewin­nen. Doch hier fal­len uns eben­falls die in den letz­ten Jah­ren kaum ange­pass­ten Ver­trä­ge auf die Füße. Die geben das nicht her. Indus­trie, ande­re Bran­chen und selbst Kran­ken­kas­sen zah­len höhe­re Löh­ne, als es den Leis­tungs­er­brin­gern mög­lich ist.

OT: Ist zumin­dest gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis zwi­schen Kos­ten­trä­gern und Leis­tungs­er­brin­gern für den Stand­punkt der jeweils ande­ren Sei­te vorhanden?

Strang­mann: Uns ist bewusst, dass die Kos­ten­trä­ger eben­so von den Kos­ten­stei­ge­run­gen betrof­fen sind. Den­noch ist auf der Gegen­sei­te eine Kom­pro­miss­be­reit­schaft wenig bis gar nicht zu erken­nen. Wir müs­sen außer­dem immer wie­der fest­stel­len, dass von Kos­ten­trä­ger­sei­te mit den Aus­ga­ben­stei­ge­run­gen im Bereich der Hilfs­mit­tel argu­men­tiert wird – aber dabei der demo­gra­fi­sche Wan­del sowie der damit ver­bun­de­ne Zuwachs alter und pfle­ge­be­dürf­ti­ger Men­schen gar nicht berück­sich­tigt wer­den. Es wird igno­riert, dass Aus­ga­ben­stei­ge­run­gen durch die zuneh­men­de Zahl an Ver­sor­gun­gen ent­ste­hen. Wenn wir zehn Pro­zent mehr Ver­sor­gun­gen ver­zeich­nen, kön­nen wir nicht zugleich unse­re Ver­trags­prei­se um zehn Pro­zent sen­ken, um die Stei­ge­run­gen auszugleichen.

Ver­hand­lungs­ma­ra­thon statt Flexibilität

OT: Die Bun­des­re­gie­rung hat Ent­las­tungs­pa­ke­te im Hin­blick auf die stei­gen­den Ener­gie­prei­se geschnürt. Kön­nen auch die Sani­täts­häu­ser und ortho­pä­die­tech­ni­schen Betrie­be auf grö­ße­re Ent­las­tun­gen hof­fen oder ver­tritt die  Poli­tik letzt­lich den Stand­punkt, man kön­ne ja neue Bedin­gun­gen neu ver­han­deln – ent­spre­chend der Ver­hand­lungs­op­tio­nen gemäß Sozi­al­ge­setz­buch (SGB) Fünf­tes Buch (V), Para­graf 127 (Abs. 1 Satz 2), wo es heißt: „Dar­über hin­aus kön­nen die Ver­trags­par­tei­en … auch einen Aus­gleich der Kos­ten für erhöh­te Hygie­ne­maß­nah­men  infol­ge der COVID-19-Pan­de­mie ver­ein­ba­ren. Dabei haben Kran­ken­kas­sen, ihre Landes­verbände oder Arbeits­ge­mein­schaf­ten jedem Leis­tungs­er­brin­ger oder Ver­band oder sons­ti­gen Zusam­men­schlüs­sen der Leis­tungs­er­brin­ger Ver­trags­ver­hand­lun­gen zu ermöglichen.“?

Strang­mann: Wie bereits bei den PSA-Rege­lun­gen wird hier von Sei­ten der Regie­rung auf die Mög­lich­keit von Ver­hand­lun­gen ver­wie­sen. Dies führt jedoch bei mehr als 100 Kos­ten­trä­gern und mehr als 20 Pro­dukt­grup­pen zu einem nicht umsetz­ba­ren Ver­hand­lungs­ma­ra­thon auch auf Sei­ten der Kos­ten­trä­ger, die ja nicht nur mit uns ver­han­deln. Kurz­fris­ti­ge Ter­mi­ne sind somit nicht mög­lich. Nicht zuletzt ver­zö­gern sich die Ver­hand­lun­gen, lau­fen teil­wei­se über acht Mona­te oder län­ger. So sind Ver­hand­lun­gen mit den Kas­sen über Fol­ge­ver­ein­ba­run­gen von schon 2019 aus­ge­lau­fe­nen Ver­trä­gen immer noch nicht abgeschlossen.

Ver­trä­ge mit Ausstiegsoption

OT: Wie könn­te ein zukunfts­fä­hi­ger Kom­pro­miss aussehen?

Strang­mann: Die Ver­hand­lun­gen soll­ten sich auf aktua­li­sier­te Hilfs­mit­tel und neue, dem Stand der Tech­nik ent­spre­chen­de Fer­ti­gungs­tech­ni­ken beschrän­ken. Die Ver­trags­prei­se müs­sen einer regel­mä­ßi­gen Anpas­sung unter­lie­gen bzw. bei unvor­her­ge­se­he­nen Kos­ten­stei­ge­run­gen eine Aus­stiegs­op­ti­on besit­zen und nicht – wie bis­her – nur nach Auf­for­de­rung in immer glei­chen Dis­kus­sio­nen ver­han­delt wer­den müs­sen. Bis­her fan­gen wir immer wie­der von vorn an, ver­han­deln die vor­han­de­nen Hilfs­mit­tel immer wie­der neu, statt sich auf aktua­li­sier­te bzw. neue Pro­duk­te zu kon­zen­trie­ren. Des Wei­te­ren wäre eine Ver­ein­heit­li­chung der grund­le­gen­den Rege­lun­gen in Ver­trä­gen längst über­fäl­lig, um die Hand­ha­bung auf betrieb­li­cher Ebe­ne zu erleich­tern. Wir ver­su­chen jeden­falls wei­ter­hin, lang­fris­ti­ge Ver­trä­ge mit einer Lauf­zeit von zwei bis drei Jah­ren hin­zu­be­kom­men. Vor­aus­set­zung ist ein Pas­sus, der Kos­ten­stei­ge­run­gen berück­sich­tigt. Soll­ten wir aber statt­des­sen zu Ein-Jah­res-Ver­trä­gen gezwun­gen sein, ent­stün­de ein gigan­ti­scher büro­kra­ti­scher Auf­wand für alle Sei­ten – Aus­ga­ben, die nicht sein müssen.

Die Fra­gen stell­te Cath­rin Günzel.

 

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