Selbst­op­ti­mie­rung im Trend

87.600 Sportvereine mit 23,38 Millionen Mitgliedern wurden laut Statista im Jahr 2021 allein in Deutschland gezählt. Eine riesige Zielgruppe, die bisher nicht von allen Sanitätshausbetreiber:innen adressiert wird. Wie Häuser diese Klientel über das Thema Verletzungsprävention für sich gewinnen können, erläutern im Gespräch mit der OT-Redaktion Felix Peste, Leiter Marketing & Vertrieb sowie Mitglied der Geschäftsleitung, und der Leiter Orthopädietechnik und Orthopädieschuhtechnik, Marko Gänsl. Beide arbeiten bei „Seeger – Das Gesundheitshaus“ in Berlin.

OT: Wel­che Rol­le spielt das The­ma Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on für Ihr Unternehmen?

Felix Peste: Der­zeit arbei­ten bei uns rund 20 Mitarbeiter:­innen an der Ver­sor­gung von Sportler:innen mit. Sie ­sehen, das The­ma Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on spiel­te und spielt eine gro­ße Rol­le inner­halb unse­res Leis­tungs­spek­trums. Maß­ge­fer­tig­te Ein­la­gen und Ban­da­gen gehö­ren eben­so dazu wie immer aus­ge­feil­te­re Mess- und Ana­ly­se­tech­ni­ken, die uns im Übri­gen auch in ande­ren Berei­chen hel­fen. Mit die­sen Ange­bo­ten errei­chen wir vor allem jün­ge­re Men­schen, Frei­zeit- und Breitensportler:innen, aber auch Profisportler:innen. Die­sen neh­men wir mit unse­ren Leis­tun­gen rund um die Ver­letzungsprävention den „Schre­cken“ vor dem Sani­täts­haus. Nicht umsonst beschrei­ben wir uns seit Anfang 2019 als „See­ger – Das Gesund­heits­haus“ und haben den Sport­be­reich auf- und ausgebaut.

Von Ana­ly­se bis Vernetzung

OT: Ab wann und wie hat sich Ihr Haus im Bereich ­Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on aufgestellt?

Mar­ko Gänsl: Wir sind in dem Bereich viel­fäl­tig ­auf­ge­stellt. Zum einen haben wir eine Eigen­mar­ke mit Ban­da­gen für Frei­zeit- und Breitensportler:innen ent­wi­ckelt, die seit 2012 auf dem Markt ist. Unse­re kom­plet­te Orthopädieschuh­technik (OST) inklu­si­ve der Ein­la­gen­ver­sor­gung ist seit acht Jah­ren digi­tal auf­ge­stellt. Anfangs mit einer Paro­med-Frä­se und dem Roth­bal­ler-Mess­sys­tem. Da wir aber alle unse­re 65 Filia­len noch bes­ser ver­net­zen woll­ten, um an allen Stand­or­ten die glei­chen Leis­tun­gen anbie­ten zu kön­nen, haben wir den OST-Bereich vor zwei Jah­ren noch­mal neu über­ar­bei­tet und stark inves­tiert. Jetzt ver­fü­gen wir über eine Art „eier­le­gen­de Woll­milch­sau“: Mit dem Sys­tem von Go-tec kön­nen wir mes­sen, scan­nen, frä­sen, die Ver­sor­gungs­kon­zep­te mit einer CAD-Soft­ware sowie Foto- und Video­auf­nah­men erstel­len. Zudem ermög­licht uns das Sys­tem eine bereichs­über­grei­fen­de Ver­net­zung ­aller Filia­len. Für die Kom­pres­si­ons­strumpf­ver­sor­gung nut­zen wir die Body­tro­nic-Gerä­te von Bau­er­feind. Bereits seit 2014 betrei­ben wir zudem ein Lauf­la­bor in Ste­glitz, des­sen Tech­nik wir stets upda­ten. Das war das ers­te Lauf­la­bor sei­ner Art in Ber­lin und Bran­den­burg, das von einem Sani­täts­haus ­bewirt­schaf­tet wurde.

OT: Wel­che Tech­nik nut­zen Sie im Lauflabor?

Peste: Unser Lauf­la­bor umfasst drei Mög­lich­kei­ten: eine sta­ti­sche und dyna­mi­sche Fuß­druck­mes­sung, eine dyna­mi­sche Bein­ach­sen­ver­mes­sung sowie eine dyna­mi­sche Wir­bel­säu­len­ver­mes­sung – alles berüh­rungs- und strahlungsfrei.

Ziel der sta­ti­schen und dyna­mi­schen Fuß­druck­mes­sung ist, eine Ver­bes­se­rung von Fuß­ge­sund­heit, Kör­per­ba­lan­ce und Lauf­sta­bi­li­tät zu errei­chen. Das druck­sen­si­ble Lauf­band ana­ly­siert Abroll­vor­gang, Gangsym­me­trie und alle wir­ken­den Kräf­te. Dys­funk­tio­nen oder Fuß­fehl­stel­lun­gen wer­den ent­deckt, Bewe­gungs­feh­ler erkannt. Das sind die wich­tigs­ten Vor­aus­set­zun­gen für hoch­in­di­vi­du­el­le Ein­la­gen und wei­te­re Empfehlungen.

Die dyna­mi­sche Bein­ach­sen­ver­mes­sung erlaubt eine Lauf­ana­ly­se aus allen Per­spek­ti­ven. Wäh­rend sich die Kund:innen fort­be­we­gen, fil­men die Kame­ras ihren Gang von hin­ten und von der Sei­te. Vor­her auf­ge­brach­te Licht­mar­ker ermög­li­chen eine exten­si­ve Com­pu­ter­ana­ly­se, die Gang­stö­run­gen, Län­gen­dif­fe­ren­zen und vie­le ­wei­te­re ­Eigen­hei­ten offen­bart, die essen­zi­el­les Know-how für Schuh­aus­wahl und Lauf­tech­nik sind. Ziel der dyna­mi­schen Bein­ach­sen­ver­mes­sung ist ein gesun­des, per­for­man­tes, schmerz­frei­es Laufen.

Das hoch­kom­ple­xe Sys­tem der berüh­rungs­frei­en Bewe­gungs­ana­ly­se scannt den Ober­kör­per beim Gehen, und zwar strah­lungs­frei. Durch intel­li­gen­tes Aus­wer­ten der opti­schen Pro­jek­ti­on wird die gesam­te Wir­bel­säu­le rekons­truiert, bis zur Bewe­gung ein­zel­ner Wir­bel. Dies gibt Auf­schluss über mus­ku­lä­re Dis­ba­lan­cen oder Hal­tungs­in­suf­fi­zi­en­zen, wel­che bedeut­sa­me Fak­to­ren für Lauf­stil, Aus­stat­tung und Auf­bau­trai­ning sind. Hier ist das Ziel, die Bewe­gung zu opti­mie­ren und Schmer­zen zu reduzieren.

OT: Nut­zen Sie die gewon­ne­nen Daten auch für wei­te­re Felder?

Peste: Auf der Grund­la­ge der Daten kön­nen wir inzwi­schen ver­tief­te Ana­ly­sen erstel­len. Die­se hel­fen uns nicht nur bei der Ver­sor­gung mit maß­ge­fer­tig­ten Ein­la­gen, Kom­pres­si­ons­strümp­fen oder Ban­da­gen. Die Ana­ly­sen sind auch für unse­re klas­si­schen OT-Werk­stät­ten beim Pro­the­sen- und Orthe­sen­bau für Krank­heits­bil­der wie Amputa­tion, Dia­be­ti­sches Fuß­syn­drom oder Sko­lio­se sehr hilf­reich. Sie kön­nen aber auch den Ärzt:innen im Netz­werk zur Ver­fü­gung gestellt wer­den, falls wir bei unse­ren Kund:innen etwas fin­den, was einer medi­zi­ni­schen Abklä­rung bedarf. Sie stel­len daher auch einen Mehr­wert für Ver­ord­ner dar, denen wir mit unse­ren Daten qua­si den Ball zurückspielen.

Inter­dis­zi­pli­nä­res Team

OT: Was zeich­net das Lauf­la­bor aus?

Gänsl: Tech­nik und Per­so­nal. Zum inter­dis­zi­pli­nä­ren Team im Lauf­la­bor gehö­ren ein Sport­wis­sen­schaft­ler, ein Phy­sio­the­ra­peut sowie ein Fit­ness­coach. Im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team errei­chen wir ein ganz ande­res Ver­sor­gungs­ni­veau, als wenn wir unse­re OTler abstel­len wür­den, die dann ein­mal in der Woche eine Mes­sung mit Ana­ly­se vor­neh­men. Unse­re Expert:innen haben den gesam­ten Bewe­gungs­ap­pa­rat im Blick und erstel­len zusätz­lich zu den Ana­ly­sen auch Trai­nings­plä­ne oder bera­ten in Sachen Lauf­schu­he, die wir eben­falls im Ange­bot haben. Zu unse­ren Kund:innen zäh­len Men­schen mit ers­ten Beschwer­den eben­so wie mit ernst­haf­ten Ver­let­zun­gen und dau­er­haf­ten Schmer­zen, die sie in der Bewe­gung einschränken.

Peste: Das Per­so­nal ist wirk­lich ent­schei­dend. Wir ver­kau­fen im Lauf­la­bor kei­nes­wegs nur Tech­nik, son­dern kom­pe­ten­te Bera­tung, wel­che Ein­la­ge, wel­che Schu­he und wel­cher Trai­nings­plan für das jewei­li­ge sport­li­che Ziel gut und rich­tig sind. Sehen die Kolleg:innen bei­spiels­wei­se schwe­re Gelenk­schä­den oder die Kund:innen haben bereits zig Knie­ope­ra­tio­nen hin­ter sich, raten sie selbst­ver­ständ­lich von ehr­gei­zi­gen Zie­len wie einem Mara­thon­lauf ab, um nur ein Bei­spiel zu nen­nen. In der Eins-zu-eins-Bera­tung wird ehr­lich ana­ly­siert und gege­be­nen­falls auch an ent­spre­chen­de Fachärzt:innen zurück­ver­wie­sen. Nur wenn Kund:innen die­se Exper­ti­se erle­ben und ihr ver­trau­en, sind sie bereit, ihr Geld für unse­re Leis­tun­gen aus­zu­ge­ben. Mit dem inter­dis­zi­pli­nä­ren, stets wei­ter­ge­bil­de­ten Team und dem bestän­di­gen Update unse­rer Tech­nik ste­hen wir für die Kom­pe­tenz zur Ver­sor­gung von Sportler:innen. Das ist unser Allein­stel­lungs­merk­mal hier in Ber­lin und Brandenburg.

Übri­gens ver­trau­en uns auch gro­ße Ber­li­ner Pro­fi­sport­ver­ei­ne wie Alba Ber­lin, Uni­on Ber­lin oder Her­tha BSC, deren Sport­ler wir eben­falls ver­sor­gen. Aus mei­ner Sicht hat der Sport­fach­han­del in den ver­gan­ge­nen Jah­ren genau die­se Kom­pe­tenz immer wei­ter zurück­ge­fah­ren und damit einen gro­ßen stra­te­gi­schen Feh­ler gemacht. Von die­sen Feh­lern pro­fi­tie­ren wir.

OT: Auf wel­che Fel­der legen Sie im Bereich Wei­ter­bil­dung beim Per­so­nal ­beson­ders viel Wert?

Gänsl: Unse­re Mitarbeiter:innen bil­den sich kon­ti­nu­ier­lich fort. Sen­so­mo­to­rik, Gang­ana­ly­tik oder Spi­ral­dy­na­mik sind hier unter ande­rem als wich­ti­ge Wis­sens­fel­der zu nen­nen. Zusätz­lich neh­men sie die Wei­ter­bil­dungs­an­ge­bo­te der Her­stel­ler der Mess- und Ana­ly­se­ge­rä­te oder der Pro­duk­te wahr. Es ist auf jeden Fall eine unse­rer schu­lungs­in­ten­sivs­ten Abtei­lun­gen. Die Qua­li­tät des Bereichs lebt maß­geb­lich von der Begeis­te­rung des Per­so­nals. Die muss es mit­brin­gen. Sonst spü­ren das die Kund:innen.

Mes­sung, Bera­tung und Trainingsplan

OT: Wie hoch neh­men Sie die Bereit­schaft jün­ge­rer Men­schen wahr, Geld für Prä­ven­ti­ons­an­ge­bo­te auszugeben?

Gänsl: Ehr­lich gesagt, sehr hoch. All das sind kei­ne Kas­sen­leis­tun­gen. Die Kos­ten müs­sen von Kund:innen per­sön­lich getra­gen wer­den. Ich sehe es an mir selbst. Ich bin begeis­ter­ter Rad­renn­fah­rer und habe gera­de erst meh­re­re Hun­dert Euro beim Bik­e­coa­ching aus­ge­ge­ben. Selbst­op­ti­mie­rung ist der Trend unter den jun­gen Men­schen, egal ob sie ein­mal die Woche eine klei­ne Run­de jog­gen oder fünf­mal ihre Sport­art trai­nie­ren. Ana­ly­se, Bera­tung, Aus­rüs­tung oder Hilfs­mit­tel und Trai­nings­plä­ne – all das bie­ten wir für die Selbst­op­ti­mie­rung, und das bei Ein­stiegs­prei­sen von unter 100 Euro. Emp­feh­len die Expert:innen ein Fas­zi­en­trai­ning, kön­nen Kund:innen die Black­roll bei uns gleich mit­kau­fen. Sind die vor­han­de­nen Lauf­schu­he aus Sicht der Kolleg:innen nicht pas­send für das sport­li­che Ziel im Abgleich mit den Mess­da­ten, dann ste­hen pass­ge­naue Lauf­schu­he zum Kauf zur Ver­fü­gung. Und manch­mal ist es ein ein­fa­ches The­r­aband mit The­ra­pie­plan, das Kund:innen ihren Zie­len näher bringt.

OT: Wie sieht Ihre Mar­ke­ting­stra­te­gie dazu aus?

Peste: In ers­ter Linie set­zen wir auf die Mund-zu-Mund-Pro­pa­gan­da. Gute Arbeit spricht sich rum. Unser Mar­ke­ting zielt dar­über hin­aus auf Endverbraucher:innen. Dazu gehört auch, dass jeder oder jede bei uns online über die Web­site Ter­mi­ne schnell und unkom­pli­ziert buchen kann. Selbst­ver­ständ­lich wer­ben wir auch mit unse­ren Leis­tun­gen für ver­schie­de­ne Ber­li­ner Sportvereine.

OT: Gibt es wei­te­re Investitionspläne?

Peste: Seit der Coro­na-Pan­de­mie sind berüh­rungs­lo­se Mess­sys­te­me noch wich­ti­ger gewor­den. Wir wer­den daher in dem Bereich sicher wei­ter inves­tie­ren. Aller­dings suchen wir eher her­stel­ler­un­ab­hän­gi­ge Sys­te­me oder Anbie­ter, die abge­stimmt auf unse­re Anfor­de­run­gen maß­ge­schnei­der­te Lösun­gen prä­sen­tie­ren. Es bleibt eine span­nen­de Zeit!

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

 

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