OT: Welche Rolle spielt das Thema Verletzungsprävention für Ihr Unternehmen?
Felix Peste: Derzeit arbeiten bei uns rund 20 Mitarbeiter:innen an der Versorgung von Sportler:innen mit. Sie sehen, das Thema Verletzungsprävention spielte und spielt eine große Rolle innerhalb unseres Leistungsspektrums. Maßgefertigte Einlagen und Bandagen gehören ebenso dazu wie immer ausgefeiltere Mess- und Analysetechniken, die uns im Übrigen auch in anderen Bereichen helfen. Mit diesen Angeboten erreichen wir vor allem jüngere Menschen, Freizeit- und Breitensportler:innen, aber auch Profisportler:innen. Diesen nehmen wir mit unseren Leistungen rund um die Verletzungsprävention den „Schrecken“ vor dem Sanitätshaus. Nicht umsonst beschreiben wir uns seit Anfang 2019 als „Seeger – Das Gesundheitshaus“ und haben den Sportbereich auf- und ausgebaut.
Von Analyse bis Vernetzung
OT: Ab wann und wie hat sich Ihr Haus im Bereich Verletzungsprävention aufgestellt?
Marko Gänsl: Wir sind in dem Bereich vielfältig aufgestellt. Zum einen haben wir eine Eigenmarke mit Bandagen für Freizeit- und Breitensportler:innen entwickelt, die seit 2012 auf dem Markt ist. Unsere komplette Orthopädieschuhtechnik (OST) inklusive der Einlagenversorgung ist seit acht Jahren digital aufgestellt. Anfangs mit einer Paromed-Fräse und dem Rothballer-Messsystem. Da wir aber alle unsere 65 Filialen noch besser vernetzen wollten, um an allen Standorten die gleichen Leistungen anbieten zu können, haben wir den OST-Bereich vor zwei Jahren nochmal neu überarbeitet und stark investiert. Jetzt verfügen wir über eine Art „eierlegende Wollmilchsau“: Mit dem System von Go-tec können wir messen, scannen, fräsen, die Versorgungskonzepte mit einer CAD-Software sowie Foto- und Videoaufnahmen erstellen. Zudem ermöglicht uns das System eine bereichsübergreifende Vernetzung aller Filialen. Für die Kompressionsstrumpfversorgung nutzen wir die Bodytronic-Geräte von Bauerfeind. Bereits seit 2014 betreiben wir zudem ein Lauflabor in Steglitz, dessen Technik wir stets updaten. Das war das erste Lauflabor seiner Art in Berlin und Brandenburg, das von einem Sanitätshaus bewirtschaftet wurde.
OT: Welche Technik nutzen Sie im Lauflabor?
Peste: Unser Lauflabor umfasst drei Möglichkeiten: eine statische und dynamische Fußdruckmessung, eine dynamische Beinachsenvermessung sowie eine dynamische Wirbelsäulenvermessung – alles berührungs- und strahlungsfrei.
Ziel der statischen und dynamischen Fußdruckmessung ist, eine Verbesserung von Fußgesundheit, Körperbalance und Laufstabilität zu erreichen. Das drucksensible Laufband analysiert Abrollvorgang, Gangsymmetrie und alle wirkenden Kräfte. Dysfunktionen oder Fußfehlstellungen werden entdeckt, Bewegungsfehler erkannt. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen für hochindividuelle Einlagen und weitere Empfehlungen.
Die dynamische Beinachsenvermessung erlaubt eine Laufanalyse aus allen Perspektiven. Während sich die Kund:innen fortbewegen, filmen die Kameras ihren Gang von hinten und von der Seite. Vorher aufgebrachte Lichtmarker ermöglichen eine extensive Computeranalyse, die Gangstörungen, Längendifferenzen und viele weitere Eigenheiten offenbart, die essenzielles Know-how für Schuhauswahl und Lauftechnik sind. Ziel der dynamischen Beinachsenvermessung ist ein gesundes, performantes, schmerzfreies Laufen.
Das hochkomplexe System der berührungsfreien Bewegungsanalyse scannt den Oberkörper beim Gehen, und zwar strahlungsfrei. Durch intelligentes Auswerten der optischen Projektion wird die gesamte Wirbelsäule rekonstruiert, bis zur Bewegung einzelner Wirbel. Dies gibt Aufschluss über muskuläre Disbalancen oder Haltungsinsuffizienzen, welche bedeutsame Faktoren für Laufstil, Ausstattung und Aufbautraining sind. Hier ist das Ziel, die Bewegung zu optimieren und Schmerzen zu reduzieren.
OT: Nutzen Sie die gewonnenen Daten auch für weitere Felder?
Peste: Auf der Grundlage der Daten können wir inzwischen vertiefte Analysen erstellen. Diese helfen uns nicht nur bei der Versorgung mit maßgefertigten Einlagen, Kompressionsstrümpfen oder Bandagen. Die Analysen sind auch für unsere klassischen OT-Werkstätten beim Prothesen- und Orthesenbau für Krankheitsbilder wie Amputation, Diabetisches Fußsyndrom oder Skoliose sehr hilfreich. Sie können aber auch den Ärzt:innen im Netzwerk zur Verfügung gestellt werden, falls wir bei unseren Kund:innen etwas finden, was einer medizinischen Abklärung bedarf. Sie stellen daher auch einen Mehrwert für Verordner dar, denen wir mit unseren Daten quasi den Ball zurückspielen.
Interdisziplinäres Team
OT: Was zeichnet das Lauflabor aus?
Gänsl: Technik und Personal. Zum interdisziplinären Team im Lauflabor gehören ein Sportwissenschaftler, ein Physiotherapeut sowie ein Fitnesscoach. Im interdisziplinären Team erreichen wir ein ganz anderes Versorgungsniveau, als wenn wir unsere OTler abstellen würden, die dann einmal in der Woche eine Messung mit Analyse vornehmen. Unsere Expert:innen haben den gesamten Bewegungsapparat im Blick und erstellen zusätzlich zu den Analysen auch Trainingspläne oder beraten in Sachen Laufschuhe, die wir ebenfalls im Angebot haben. Zu unseren Kund:innen zählen Menschen mit ersten Beschwerden ebenso wie mit ernsthaften Verletzungen und dauerhaften Schmerzen, die sie in der Bewegung einschränken.
Peste: Das Personal ist wirklich entscheidend. Wir verkaufen im Lauflabor keineswegs nur Technik, sondern kompetente Beratung, welche Einlage, welche Schuhe und welcher Trainingsplan für das jeweilige sportliche Ziel gut und richtig sind. Sehen die Kolleg:innen beispielsweise schwere Gelenkschäden oder die Kund:innen haben bereits zig Knieoperationen hinter sich, raten sie selbstverständlich von ehrgeizigen Zielen wie einem Marathonlauf ab, um nur ein Beispiel zu nennen. In der Eins-zu-eins-Beratung wird ehrlich analysiert und gegebenenfalls auch an entsprechende Fachärzt:innen zurückverwiesen. Nur wenn Kund:innen diese Expertise erleben und ihr vertrauen, sind sie bereit, ihr Geld für unsere Leistungen auszugeben. Mit dem interdisziplinären, stets weitergebildeten Team und dem beständigen Update unserer Technik stehen wir für die Kompetenz zur Versorgung von Sportler:innen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal hier in Berlin und Brandenburg.
Übrigens vertrauen uns auch große Berliner Profisportvereine wie Alba Berlin, Union Berlin oder Hertha BSC, deren Sportler wir ebenfalls versorgen. Aus meiner Sicht hat der Sportfachhandel in den vergangenen Jahren genau diese Kompetenz immer weiter zurückgefahren und damit einen großen strategischen Fehler gemacht. Von diesen Fehlern profitieren wir.
OT: Auf welche Felder legen Sie im Bereich Weiterbildung beim Personal besonders viel Wert?
Gänsl: Unsere Mitarbeiter:innen bilden sich kontinuierlich fort. Sensomotorik, Ganganalytik oder Spiraldynamik sind hier unter anderem als wichtige Wissensfelder zu nennen. Zusätzlich nehmen sie die Weiterbildungsangebote der Hersteller der Mess- und Analysegeräte oder der Produkte wahr. Es ist auf jeden Fall eine unserer schulungsintensivsten Abteilungen. Die Qualität des Bereichs lebt maßgeblich von der Begeisterung des Personals. Die muss es mitbringen. Sonst spüren das die Kund:innen.
Messung, Beratung und Trainingsplan
OT: Wie hoch nehmen Sie die Bereitschaft jüngerer Menschen wahr, Geld für Präventionsangebote auszugeben?
Gänsl: Ehrlich gesagt, sehr hoch. All das sind keine Kassenleistungen. Die Kosten müssen von Kund:innen persönlich getragen werden. Ich sehe es an mir selbst. Ich bin begeisterter Radrennfahrer und habe gerade erst mehrere Hundert Euro beim Bikecoaching ausgegeben. Selbstoptimierung ist der Trend unter den jungen Menschen, egal ob sie einmal die Woche eine kleine Runde joggen oder fünfmal ihre Sportart trainieren. Analyse, Beratung, Ausrüstung oder Hilfsmittel und Trainingspläne – all das bieten wir für die Selbstoptimierung, und das bei Einstiegspreisen von unter 100 Euro. Empfehlen die Expert:innen ein Faszientraining, können Kund:innen die Blackroll bei uns gleich mitkaufen. Sind die vorhandenen Laufschuhe aus Sicht der Kolleg:innen nicht passend für das sportliche Ziel im Abgleich mit den Messdaten, dann stehen passgenaue Laufschuhe zum Kauf zur Verfügung. Und manchmal ist es ein einfaches Theraband mit Therapieplan, das Kund:innen ihren Zielen näher bringt.
OT: Wie sieht Ihre Marketingstrategie dazu aus?
Peste: In erster Linie setzen wir auf die Mund-zu-Mund-Propaganda. Gute Arbeit spricht sich rum. Unser Marketing zielt darüber hinaus auf Endverbraucher:innen. Dazu gehört auch, dass jeder oder jede bei uns online über die Website Termine schnell und unkompliziert buchen kann. Selbstverständlich werben wir auch mit unseren Leistungen für verschiedene Berliner Sportvereine.
OT: Gibt es weitere Investitionspläne?
Peste: Seit der Corona-Pandemie sind berührungslose Messsysteme noch wichtiger geworden. Wir werden daher in dem Bereich sicher weiter investieren. Allerdings suchen wir eher herstellerunabhängige Systeme oder Anbieter, die abgestimmt auf unsere Anforderungen maßgeschneiderte Lösungen präsentieren. Es bleibt eine spannende Zeit!
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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