Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) hatte der höchsten Aufsichtsbehörde der gesetzlichen Krankenversicherung die mehrfachen Verstöße gegen die gesetzlichen Mindeststandards, die für eine Einlagenversorgung auf Rezept gelten, gemeldet sowie die mit dieser „E‑Versorgung“ verbundenen erheblichen Gesundheitsrisiken betont.
Vor rund zehn Wochen eröffnete die Barmer Krankenkasse für ihre rund acht Millionen Versicherten die Möglichkeit der „E‑Versorgung“ mit medizinischen Einlagen. Als Kooperationspartner hatte sich das Start-up Meevo/Craftsoles angeboten. In einer aktuellen Stellungnahme des BIV-OT heißt es diesbezüglich: „Mit Millionen an Werbegeldern sollte eine ‚Neue Sanitätshauskultur’ geschaffen, der Markt für Hilfsmittel neu gedacht werden. Erster Schritt hierbei: orthopädische Einlagen, die unter dem Siegel ‚Krankenkassen geprüft’ an Versicherte abgegeben werden.“ Dagegen hatten zahlreiche medizinische Fachgesellschaften und Verbände mobil gemacht.
BIV-OT-Präsident Reuter: „Rechtswidriger ‚digitaler’ Feldversuch muss Konsequenzen haben!“
„Wir sind sehr froh, dass die höchste Aufsichtsbehörde offensichtlich unserer Rechtsauffassung gefolgt ist. Allerdings ist es erschreckend, dass eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen bereit ist, ihre Versicherten einem solchen Risiko überhaupt auszusetzen. Hier wurden gesundheitliche Schäden bewusst in Kauf genommen“, kommentiert BIV-OT-Präsident Alf Reuter. „Bei dieser laienhaften Versorgung per Versand und mit Selbstvermessung durch die Versicherten ging es nicht um innovative Versorgungskonzepte, schon gar nicht um digitalen Fortschritt. Es ging nur um eines: Kostensenkung um jeden Preis. Dass man acht Millionen Versicherte in einen solchen ‚digitalen’ Feldversuch schicken kann, muss Konsequenzen haben.“ Zudem sei dies bereits der zweite Fall, in dem die Vertreter der Leistungserbringer – in diesem Fall in der ARGE zusammengeschlossen – die Versicherten vor ihrer eigenen Krankenkasse hätten schützen müssen, so Reuter. „Grundlage dieses rechtswidrigen Vorgehens seitens der Krankenkassen waren jeweils Einzelverträge. Wir sehen uns daher auch in unserer Forderung nach Leitverträgen gestützt.“
„Klare Bestätigung unserer Rechtsauffassung“
„Wir sehen die Aussetzung der Onlineversorgung als klare Bestätigung unserer Rechtsauffassung. Aufgrund der zahlreichen massiven Rechtsverstöße kam es zu der Aussetzung des Versorgungskonzeptes auf unbestimmte Zeit. Diese Entscheidung kann im ersten Schritt als positives Ergebnis eines geschlossenen Auftretens aller betroffenen Leistungserbringer sowie ihrer Organisationen gesehen werden. Die Barmer stand unter einem erheblichen Entlastungsdruck, der sich nun kanalisiert hat. Aufgrund der dennoch unbefriedigenden Einlassung und rechtlich unpräzisen Kommunikation der Barmer dürfte die Angelegenheit allerdings noch nicht vollends ausgestanden sein. Wir gehen daher davon aus, dass es auch zu schnellen Entscheidungen in der Rechtsprechung kommen wird“, erklärt Rechtsanwalt Nico Stephan, der derzeit die Klagen verschiedener Betriebe vor dem Sozialgericht koordiniert.
Mehrere medizinische Fachgesellschaften hatten bereits in einer Stellungname vor gesundheitlichen Risiken von Patient:innen bei dieser Art der Versorgung gewarnt. Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft e. V. hat eine Stellungnahme abgegeben.
Änderung des Hilfsmittelverzeichnisses?
Auf Anfrage der OT-Redaktion zum weiteren Vorgehen der Barmer teilte eine Sprecherin mit: „Die Barmer lässt den Vertrag mit der Firma Meevo (Craftsoles) zur Online-Versorgung ihrer Versicherten mit orthopädischen Einlagen so lange ruhen, bis rechtliche Fragen des BAS geklärt sind. Dabei geht es darum, ob der Vertrag in allen Punkten konform mit den Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) ist. Angestrebt werden zudem entsprechende Klarstellungen und gegebenenfalls Anpassungen im HMV.“ Gegen eine solche Änderung des HMV formiert sich nicht überraschend erster Widerstand.
In der ARGE PG 08 Online-Einlagen TK/Barmer haben sich folgende Verbände zusammengeschlossen: BIV-OT, Cura-San, EGROH GmbH, Deutsche Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV), IETEC Orthopädische Einlagen, Innungsverband für Orthopädie-Schuhtechnik Nordrhein-Westfalen, Landesinnung Bayern für Orthopädie-Schuhtechnik, Landesinnung Hessen für Orthopädieschuhtechnik, Landesinnung für Orthopädie-Schuhtechnik Niedersachsen und Bremen, Ortheg Einkaufsgenossenschaft für Orthopädie-Technik, Rehavital Gesundheitsservice GmbH, Sanitätshaus Aktuell AG, Reha-Service-Ring und Zentralverband für Orthopädie-Schuhtechnik (ZVOS).
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