Bio­me­cha­nik des phy­sio­lo­gi­schen Schrittzyklus

B. Sibbel, D. Kokegei
Die Bewegungsabläufe des menschlichen Ganges erscheinen unkompliziert. Dennoch sind sie komplex und beinhalten verschiedenste Einflüsse, die auf den Körper wirken und sehr individuelle Gangmuster hervorrufen. Der normale Gang ist durch einen Zyklus gekennzeichnet. Pathologische Bewegungsmuster vor allem nach Amputationen sind weitgehend zu korrigieren, um dem Patienten eine effektive Nutzung des Hilfsmittels zu ermöglichen. Dieser Artikel ist abgeleitet aus einem Vortrag im Fortbildungslehrgang der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik zum Seminar „Biomechanik Prothetik untere Extremität".

Ein­lei­tung

Die Ana­ly­se des Ste­hens und Gehens eines Ampu­tier­ten setzt das Wis­sen über den „nor­ma­len” Stand und Gang des Men­schen vor­aus. Doch wie sieht er nun aus, der nor­ma­le Gang? Die Lite­ra­tur hält zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen zum The­ma bereit; die Ant­wort, wel­che Infor­ma­tio­nen dar­aus zu einer Bewer­tung hilf­reich sind, ist dif­fe­ren­ziert. Men­schen gehen unter­schied­lich: Kin­der anders als Erwach­se­ne, Män­ner anders als Frau­en, Grö­ße­re anders als Klei­ne­re. Selbst Stim­mungs­schwan­kun­gen wie Depres­sio­nen oder Glücks­ge­füh­le kön­nen sich durch Ver­än­de­rung in der Kör­per­hal­tung auf das Gang­bild auswirken.

Sta­tik und Dynamik

Die Sta­tik ist der Defi­ni­ti­on nach das Teil­ge­biet der Mecha­nik, das sich mit dem Gleich­ge­wicht von Kräf­ten an nicht beschleu­nig­ten Kör­pern befasst. Der auf­rech­te Stand ist mög­lich, da die von den unte­ren Extre­mi­tä­ten und dem Becken gebil­de­te mehr­glied­ri­ge Gelenk­ket­te durch inne­re Kräf­te des Mus­kel- und Band­ap­pa­ra­tes gegen die Wir­kung der Schwer­kraft (äuße­re Kräf­te) sta­bi­li­siert wird. Ziel ist, die senk­rech­te Pro­jek­ti­on des Gesamt-Kör­per­schwer­punk­tes (KSP) auf den Boden inner­halb der Boden-Unter­stüt­zungs­flä­che der Füße zu hal­ten (Abb. 1).

Die Dyna­mik ist das Teil­ge­biet der Mecha­nik, das sich mit der Wir­kung von Kräf­ten befasst. Sie wird inner­halb der tech­ni­schen Mecha­nik wei­ter unter­glie­dert in die Sta­tik und in die Kine­tik, die den Zusam­men­hang zwi­schen Bewe­gun­gen und Kräf­ten erfasst.

Gehen ist ein dyna­mi­scher Vor­gang. Die­ser besteht dar­in, den Kör­per­schwer­punkt aus der Gleich­ge­wichts­la­ge des Stan­des her­aus in eine bestimm­te Grund­rich­tung zu beschleu­ni­gen und ihn dabei mit den unte­ren Extre­mi­tä­ten abwech­selnd auf jeder Sei­te so zu unter­stüt­zen, dass die vor­ge­ge­be­ne Grund­rich­tung und die in die­ser Rich­tung vor­ge­se­he­ne Bewe­gungs­ge­schwin­dig­keit ein­ge­hal­ten werden.

Da der mensch­li­che Gang aus einer kom­pli­zier­ten, sehr schnel­len Fol­ge von Ein­zel­be­we­gun­gen und Mus­kel­ak­tio­nen mit ent­spre­chend feins­ter Koor­di­na­ti­on besteht, emp­fiehlt es sich, den Geh­vor­gang auf­zu­glie­dern und unter ver­schie­de­nen Gesichts­punk­ten zu betrach­ten. Es gibt zwei grund­sätz­li­che Mög­lich­kei­ten: die kine­ma­ti­sche und die kine­ti­sche Ana­ly­se. Bei der kine­ma­ti­schen Betrach­tung des Gehens wer­den die Bewe­gun­gen in ihrer Grö­ßen­ord­nung (Win­kel­aus­schlä­ge) oder nach ihrer Art (Fle­xi­on, Exten­si­on oder Rota­ti­on) beur­teilt bzw. beschrie­ben. Die kine­ti­sche Ana­ly­se dage­gen beschäf­tigt sich mit den Kräf­ten, die die­se Bewe­gun­gen aus­lö­sen. Unter­su­chun­gen dazu erfor­dern aller­dings ein Ganglabor.

Die zum Gehen not­wen­di­gen Bedin­gun­gen sind viel­schich­tig. Sie kön­nen sich nach Goetz-Neu­mann 1 auf die not­wen­di­gen phy­si­schen und psy­chi­schen Vor­aus­set­zun­gen bezie­hen. Ein har­mo­ni­sches Gang­bild benö­tigt eine gute Ener­gie­ver­sor­gung der Mus­keln, gesun­de Gelen­ke, ein funk­tio­nie­ren­des neu­ro­mus­ku­lä­res Sys­tem und eine Hal­tungs- und Gleich­ge­wichts­kon­trol­le. Das alles aber ist zu wenig, wenn dem Ampu­tier­ten die Moti­va­ti­on fehlt, das Gehen mit einem Hilfs­mit­tel neu zu erler­nen. Auch die Umge­bungs­fak­to­ren spie­len bei der Bewer­tung eine kon­kre­te Rol­le, z. B. die Beschaf­fen­heit des Unter­grun­des (harter/weicher Boden) oder die des Schuh­wer­kes (Stei­fig­keit, Absatz­hö­he, Spit­zen­hub, Abrollebene).

Sta­bi­li­sie­rung der Extre­mi­tät in der Sagit­tal- und in der Frontalebene

Zur Sta­bi­li­sie­rung des Bei­nes in der Sagit­tal- und Fron­tal­ebe­ne kön­nen sowohl pas­si­ve als auch akti­ve Siche­run­gen benannt wer­den. Pas­si­ve Siche­run­gen sind Band­hem­mun­gen, die Gelen­ke vor Über­stre­ckung schüt­zen. Das Hüft­ge­lenk wird in der Sagit­tal­ebe­ne durch eine „Bän­der­schrau­be” (Ligg. ilio‑, ischio- und pubo­fe­mo­ra­le) gesi­chert, die bei Stre­ckung des Bei­nes den Hüft­kopf gleich­zei­tig wei­ter in die Pfan­ne zieht.

Die Kreuz­bän­der (Ligg. cru­cia­tum anterior/posterior) bewah­ren das Knie­ge­lenk vor Hyper­ex­ten­si­on. Auch das obe­re Sprung­ge­lenk hat pas­si­ve Siche­run­gen. Die­se wer­den aller­dings erst bei grö­ße­ren Win­kel­aus­schlä­gen im Sin­ne einer Plant­ar- und Dor­sal­fle­xi­on wirk­sam und haben für den Stand wenig Bedeutung.

Da eine rein pas­si­ve Gelenk­si­che­rung nicht mög­lich ist, ist eine wei­te­re, akti­ve Siche­rung der Extre­mi­tät durch die Mus­ku­la­tur not­wen­dig. Die für die Bewe­gun­gen in der Sagit­tal­ebe­ne in Betracht kom­men­den Mus­kel­grup­pen sind in dem Sche­ma der Abbil­dung 2 dargestellt.

Die akti­ve Siche­rung des Stütz­ap­pa­ra­tes in der Fron­tal­ebe­ne geschieht außer durch die Pro- und Supi­na­to­ren des Fußes und die Sei­ten­bän­der im Knie­ge­lenk vor­nehm­lich durch die Abduk­to­ren der Hüf­te (Mm. glutaeus medi­us und mini­mus). Durch die seit­li­che Ver­span­nung von Becken und Ober­schen­kel­kno­chen sta­bi­li­sie­ren die­se das Becken in der Waa­ge­rech­ten und las­sen eine late­ra­li­sie­ren­de Bewe­gung zu, bis sich der Kör­per­schwer­punkt über der Stand­flä­che der Belas­tungs­sei­te befin­det (Abb. 3).

Für einen ober­schen­kel­am­pu­tier­ten Pati­en­ten ist die­se Siche­rung nur ungleich­wer­tig umzu­set­zen, da durch den Ver­lust der Extre­mi­tät die genann­ten Siche­rungs­me­cha­nis­men feh­len. Der Schaft benö­tigt daher eine late­ra­le Anla­ge für die femo­ra­le Abstüt­zung, um die auf­tre­ten­den Kräf­te zum Boden über­tra­gen zu kön­nen, und wei­ter­hin eine Sitz­be­in­um­grei­fung zur Erstel­lung eines Dreipunktsystems.

Bewe­gun­gen des Beckens beim Gehen

Die wäh­rend des Gehens auf­tre­ten­den Bewe­gun­gen des Beckens las­sen sich in drei ver­schie­de­ne Ein­zel­be­we­gun­gen aufgliedern:

  • die seit­li­che Becken-Absenkung
  • die Seit­ver­la­ge­rung des Körperschwerpunktes
  • die Becken­ro­ta­ti­on

Seit­li­che Becken-Absenkung

Wäh­rend des Gehens fällt das Becken von der jeweils unter­stütz­ten Sei­te zur Sei­te des Schwung­bei­nes hin bis zu etwa 4 bis 7° und kippt leicht nach vorn ab. Hier­durch wird die Ver­ti­kal­be­we­gung des Kör­per­schwer­punk­tes annä­hernd um die Hälf­te redu­ziert. Das Ziel ist die Ver­hin­de­rung einer zu gro­ßen Anhe­bung des KSP und die Ermög­li­chung des frei­en Durch­schwungs der Extremität.

Seit­ver­la­ge­rung des Körperschwerpunktes

Beim Gehen muss das Kör­per­ge­wicht abwech­selnd vom rech­ten und lin­ken Bein getra­gen wer­den. Die hier­bei not­wen­di­ge Auf­recht­erhal­tung des Gleich­ge­wichts ist selbst unter Aus­nut­zung der Träg­heits­kräf­te der in Gang­rich­tung beweg­ten Kör­per­mas­se nur dann mög­lich, wenn der Kör­per­schwer­punkt abwech­selnd zur einen oder ande­ren Sei­te ver­la­gert wird. Die Grö­ße der Ver­la­ge­rung ist abhän­gig von der Geh­ge­schwin­dig­keit. Ziel ist, den Schwer­punkt im Ein­bein­stand über die Unter­stüt­zungs­flä­che zu bringen.

Die Becken­ro­ta­ti­on

Die Becken­ro­ta­ti­on erfolgt um die ver­ti­ka­le Bein­ach­se und beträgt etwa 4° zu jeder Sei­te. Auf den Geh­vor­gang bezo­gen bewirkt sie eine Vor­ver­la­ge­rung des Hüft­ge­len­kes der Schwung­bein­sei­te und ermög­licht so eine Ver­grö­ße­rung der Schrittlänge.

Schritt­zy­klus

Um das Gang­bild des Men­schen prä­zi­ser zu beschrei­ben, ist es sinn­voll, den Schritt­zy­klus zunächst auf die Betrach­tung eines „Dop­pel­schrit­tes” zu redu­zie­ren. Der Defi­ni­ti­on nach beginnt ein Dop­pel­schritt mit dem Fer­sen­kon­takt eines Bei­nes und endet mit dem dar­auf­fol­gen­den Fer­sen­kon­takt des­sel­ben Bei­nes. Somit beinhal­tet der Dop­pel­schritt die Stand- und die Schwung­pha­sen­zeit einer Extre­mi­tät. Die Stand­pha­se zählt dem­entspre­chend vom Fer­sen­kon­takt des Bei­nes bis zu des­sen Zehen­ab­lö­sung und nimmt etwa 60 % der Dop­pel­schritt­dau­er in Anspruch.

An die Stand­pha­se schließt sich die Schwung­pha­se an. Die­se Pha­se wird vom Zeit­punkt der Zehen­ab­lö­sung bis zum erneu­ten Fer­sen­kon­takt gerech­net und füllt die rest­li­chen 40 % des Dop­pel­schrit­tes aus.

Stand- und Schwung­pha­se las­sen sich noch wei­ter unter­tei­len: Jeder Dop­pel­schritt ent­hält einen Moment, in dem bei­de Füße den Boden berüh­ren, und zwar zwi­schen dem Ende der einen und dem Beginn der ande­ren Stand­pha­sen­sei­te. Jede Dop­pel­un­ter­stüt­zung beträgt beim nor­ma­len Gehen etwa 10 % der Dop­pel­schritt­zeit und ver­kürzt sich mit zuneh­men­der Gehgeschwindigkeit.

Nach Per­ry 2 wird der Gang­zy­klus in 8 Pha­sen unterteilt.

Die Stand­pha­se beginnt mit der Gewichtsübernahme

  • Anfangs­kon­takt (initi­al contact)
  • Belas­tungs­über­nah­me (loa­ding response)

Dar­an schlie­ßen sich die Pha­sen der Ein­bein-Unter­stüt­zung an

  • Mitt­le­re Stand­pha­se (mid stance)
  • Stand­pha­se­n­en­de (ter­mi­nal stance)
  • Schwung­pha­sen­vor­be­rei­tung (pres­wing)

In der Schwung­pha­se beginnt die Vor­wärts­be­we­gung der Extremität

  • Schwung­pha­sen­be­ginn (initi­al swing)
  • Mitt­le­re Schwung­pha­se (mid swing)
  • Schwung­pha­se­n­en­de (ter­mi­nal swing)

Wei­te­re Fak­to­ren, die den Schritt­zy­klus beein­flus­sen kön­nen, sind die Schritt­län­ge, die Schritt­wei­te und der Fuß­auf­setz­win­kel. Nach Unter­su­chun­gen von Mur­ray 3 beträgt die Schritt­län­ge des Ein­zel­schrit­tes ca. 65 cm, die des Dop­pel­schrit­tes ca. 155 cm. Die Schritt­wei­te gibt die Brei­te der Gang­spur an. Die­se beträgt ca. 8 cm, weist jedoch star­ke Streu­un­gen auf. Der Fuß­auf­setz­win­kel ist der Win­kel, den die Fuß­längs­ach­se zur Gang­rich­tung bil­det, er wird mit etwa 7° ange­ge­ben. All die­se Anga­ben sind Durch­schnitts­wer­te bei einem gesun­den Erwach­se­nen in Abhän­gig­keit von Alter, Grö­ße und Gehgeschwindigkeit.

Auf­bau­kri­te­ri­en

Die Posi­tio­nie­rung der Pro­the­se zum Kör­per hat einen wesent­li­chen Ein­fluss auf den Stand und Gang des Ampu­tier­ten. Die Grund­po­si­ti­on im sta­ti­schen Pro­the­sen­auf­bau wird zunächst mit Nut­zung von Lot­li­ni­en oder Auf­bau­li­ni­en zur Ori­en­tie­rung durchgeführt.

Schon frü­he Ana­ly­sen von Sche­de oder Braune/Fischer 4 berich­ten über die „Hal­tung” des Men­schen als Grund­la­ge zur Ermitt­lung von Auf­bau­li­ni­en. Aus die­sen Unter­su­chun­gen las­sen sich die Grund­wer­te zum sta­ti­schen Pro­the­sen­auf­bau ablei­ten: Die fron­ta­le Auf­bau­li­nie ver­läuft durch die Mit­te aller Gelen­ke, die sagit­ta­le aus der Mit­te des Hüft­ge­len­kes, vor dem Knie­dreh­punkt und 4 bis 8 cm vor dem Knö­chel­ge­lenk (Linie nach Mikulicz).

Für die Ein­ord­nung eines Knie­pass­teils in der Fron­tal­ebe­ne bedeu­tet das zunächst die mit­ti­ge Ein­stel­lung; spä­ter in der dyna­mi­schen Anpro­be kann das Gelenk late­ra­li­siert wer­den. In der Sagit­tal­ebe­ne liegt die mecha­ni­sche Ach­se des mono­zen­tri­schen Gelen­kes ca. 20 mm ober­halb des tast­ba­ren Gelenk­spal­tes der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te und damit min­des­tens in Höhe des phy­sio­lo­gi­schen Gelenk­dreh­punk­tes. Bei poly­zen­tri­schen Gelenks­kon­struk­tio­nen wird die vor­de­re, obe­re Ach­se als Refe­renz­ach­se für den sta­ti­schen Werk­statt­auf­bau ver­wen­det (wenn nicht anders ange­ge­ben) und even­tu­ell in der dyna­mi­schen Anpro­be in ihrer Auf­bau­hö­he nach kos­me­ti­schen Merk­ma­len (z. B. Sitz­hö­he) verändert.

Die­se Lini­en sind aller­dings nicht iden­tisch mit dem Vek­tor, der bei Belas­tung des Bei­nes auf einer Kraft­mess­plat­te sicht­bar wird. Die­ser Vek­tor ent­steht aus dem gefun­de­nen Kom­pro­miss, der sich aus der sta­ti­schen und dyna­mi­schen Anpro­be ergibt; als Defi­ni­ti­on die­ser Linie kann „die Ver­bin­dungs­li­nie vom momen­ta­nen Kör­per­schwer­punkt zum Mit­tel­punkt der Kraft­ein­lei­tung” ange­ge­ben wer­den (Abb. 4). Unter­su­chun­gen von Blu­men­tritt 5 6 mit dem L.A.S.A.R.-Posture haben eine Opti­mie­rung der Auf­bau­grund­wer­te erge­ben. Der Ampu­tier­te erhält größt­mög­li­che Sicher­heit auf der einen bei gleich­zei­ti­ger zweck­ge­rech­ter Ein­lei­tung der Schwung­pha­se auf der ande­ren Seite.

Die Wie­der­her­stel­lung der Boden-Unter­stüt­zungs­flä­che ist eine der zen­tra­len Auf­ga­ben, die eine Pro­the­se erfül­len muss. Die­se Anfor­de­rung ist eines der wesent­li­chen Kri­te­ri­en zur Aus­wahl des geeig­ne­ten Pro­the­sen­fu­ßes. Zahl­rei­che his­to­ri­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen las­sen erken­nen, dass ein Stelz­bein die genann­te Ziel­set­zung nicht aus­rei­chend erfül­len und heu­ti­gen Ansprü­chen in kei­ner Wei­se mehr gerecht wer­den kann. Schon die Ampu­ta­ti­on im Fuß­be­reich redu­ziert die Stand­flä­che, der Ampu­tier­te bekommt zwangs­läu­fig Schwie­rig­kei­ten, das Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Pro­the­sen­fü­ße kön­nen auf­grund der benö­tig­ten Elas­ti­zi­tät auf der einen und der fes­ten Kon­takt­flä­chen zum Boden auf der ande­ren Sei­te die­se Flä­chen­ver­klei­ne­rung nur zum Teil kompensieren.

Für die dyna­mi­schen Eigen­schaf­ten eines Pro­the­sen­fu­ßes und damit auch für das zu erwar­ten­de Gang­bild des Ampu­tier­ten sind neben den Kon­struk­ti­ons­merk­ma­len vor allem die ein­zu­stel­len­den Län­gen­ver­hält­nis­se des Vor- und Rück­fuß­he­bels von gro­ßer Bedeu­tung. Bei­de Hebel sind in ihrem Ver­hält­nis direkt von­ein­an­der abhän­gig. Ein zu kurz ein­ge­stell­ter Vor­fuß­he­bel einer Ober­schen­kel­pro­the­se lässt das Becken zum Ende der Stand­pha­se abkip­pen; das Knie­ge­lenk wird unsi­cher, der Schritt ist verkürzt.

Schluss­fol­ge­rung

Das Erken­nen von Geh­feh­lern bei Ober­schen­kel­am­pu­tier­ten und das Vor­neh­men kor­ri­gie­ren­der Maß­nah­men erfor­dert Erfah­rung, daher ist das Wis­sen zur Bio­me­cha­nik des mensch­li­chen Gehens mit allen Abwei­chun­gen und Beson­der­hei­ten eine der Kern­kom­pe­ten­zen des Ver­sor­gungs­teams. Das Ziel einer Geh­schu­lung muss sein, das Gang­bild des Pati­en­ten mög­lichst exakt an die Abläu­fe der phy­sio­lo­gi­schen Gang­pha­sen anzunähern.

Für den Ortho­pä­die-Tech­ni­ker bedeu­tet die Umset­zung die­ser Anfor­de­rung eine Anfer­ti­gung des Pro­the­sen­schaf­tes unter größt­mög­li­cher Sorg­falt und Genau­ig­keit. Der Anspruch ist eine opti­ma­le Bet­tung des Stump­fes unter Auf­nah­me des gesam­ten Stumpf­vo­lu­mens sowie eine gleich­mä­ßi­ge Druck­ver­tei­lung im Voll­kon­takt unter maxi­mal mög­li­cher Endbelastung.

Die Stel­lung des Stump­fes im Raum ist im Auf­bau der Pro­the­se zu inte­grie­ren; der kur­ze Ober­schen­kel­stumpf kann auf­grund ungleich­mä­ßi­gen Mus­kel­zu­ges in die Fehl­stel­lung der Außen­ro­ta­ti­on, der Abduk­ti­on und der Fle­xi­on abwan­dern. Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen ist ein ziel­ge­rich­te­ter Auf­bau zum Errei­chen eines annä­hernd phy­sio­lo­gi­schen Gang­bil­des deut­lich dif­fe­ren­zier­ter und erfor­dert eine stän­di­ge Begut­ach­tung von Pass­form, Sta­tik und Funktion.

Die­se Unter­su­chun­gen sind sinn­voll nur im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team zu leis­ten. Nicht zuletzt Peters 7 beschreibt in sei­ner Arbeit den Wunsch nach einer Ein­füh­rung geson­der­ter Pro­the­sen­sprech­stun­den. Dar­in könn­ten in Zusam­men­ar­beit von Arzt, Phy­sio­the­ra­peut und Ortho­pä­die-Tech­ni­ker Ver­sor­gungs­ver­läu­fe kon­trol­liert und not­wen­di­ge Ände­run­gen dis­ku­tiert, durch­ge­führt und doku­men­tiert werden.

Die Autoren:
Bernd Sib­bel
Det­lef Kokegei
Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik Dortmund
Schliep­stra­ße 6–8
44135 Dort­mund
B.Sibbel@ot-bufa.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Sib­bel B, Koke­gei D. Bio­me­cha­nik des phy­sio­lo­gi­schen Schritt­zy­klus. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (6): 40–43
  1. Götz-Neu­mann K. Gehen ver­ste­hen. Gang­ana­ly­se in der Phy­sio­the­ra­pie. Stuttgart/New York: Georg Thie­me Ver­lag, 2003
  2. Per­ry J. Gait Ana­ly­sis – Nor­mal and Patho­lo­gi­cal Func­tion. Tho­ro­fa­re, NJ: Slack Inc., 1992
  3. Mur­ray M, Mol­lin­ger L, Sepic S. Kine­ma­tic and EMG Pat­terns during slow, free, and fast wal­king. J Ortho­pae­dic Rese­arch, 1984; 2: 272–280
  4. Brau­ne W, Fischer O. The Human Gait (Über­set­zung von P. Maquet und R. Fur­long), Ber­lin: Sprin­ger-Ver­lag, 1987
  5. Blu­men­tritt S. Bio­me­cha­ni­sche Aspek­te zur Indi­ka­ti­on von Pro­the­senknie­ge­len­ken. Ortho­pä­die Tech­nik, 2004; 55 (6): 508–521
  6. Blu­men­tritt S, Bell­mann M, Lud­wigs E, Schmalz T. Zur Bio­me­cha­nik des mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Pro­the­senknie­ge­lenks Geni­um. Ortho­pä­die Tech­nik, 2012; 63 (1): 24–35
  7. Peters A, Krumrey L. Ursa­chen und Kor­rek­tur von Pro­the­sen­gang­feh­lern bei Ober­schen­kel­pa­ti­en­ten. Stuttgart/New York: Georg Thie­me Ver­lag, 2003. Die Reha­bi­li­ta­ti­on, 2000; 39: 223–230
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