Fühl­ba­re Bein­pro­the­sen – Ein Feld­test mit Phan­tom­sti­mu­la­to­ren im All­tag ampu­tier­ter Menschen

A. Meier-Koll, K. H. Weber
In einem früheren Beitrag wurde die Möglichkeit beschrieben, Phantomempfindungen für Teile einer amputierten Extremität mithilfe elektrischer Impulsströme auszulösen, die auf bestimmte Felder der Haut geleitet werden. Solche rezeptiven Hautstellen bilden sich als Folge einer Reorganisation des somatosensorischen Rindenbezirks der gegenseitigen Hirnhälfte, in dem die verlorene Extremität neuronal abgebildet wird. Die Grenzen eines rezeptiven Feldes lassen sich anhand taktiler Reize bestimmen und mithilfe eines Fettstiftes auf die Haut zeichnen. Der Prototyp eines Phantomstimulators besteht aus einem tragbaren, akkugespeisten Impulsgenerator und einem Satz von Elektroden und Drucksensoren. Letztere werden in die Schuhsohle eingelassen, auf die der Prothesenfuß tritt, ein Sensor unter dem Ballen, der andere unter der Ferse. Schließlich werden die Serien elektrischer Impulse des Generators mit den Schritten getriggert und lösen über die elektrische Reizung entsprechender rezeptiver Felder Phantomempfindungen für Ballen und Ferse aus. Für einen ersten Feldtest wurden nach dem Muster des Prototyps mehr als 20 verkleinerte Phantomstimulatoren hergestellt. Sie wurden versehrten Personen mit unterschiedlichen Amputationen einer oder beider unterer Extremitäten angepasst und für den alltäglichen Gebrauch zur Verfügung gestellt. Vier Fallberichte aus der noch laufenden Feldstudie werden hier vorgestellt.

Ein­lei­tung

In einem frü­he­ren Bei­trag wur­de ein Ver­fah­ren beschrie­ben, an bein­am­pu­tier­ten Per­so­nen bestimm­te Haut­be­zir­ke der zum ver­lo­re­nen Bein gleich­sei­ti­gen obe­ren Extre­mi­tät elek­trisch zu rei­zen und dadurch Phan­tom­emp­fin­dun­gen für ein­zel­ne Tei­le die­ses Bei­nes her­vor­zu­ru­fen 1. Ent­spre­chen­de rezep­ti­ve Haut­fel­der las­sen sich unschwer anhand tak­ti­ler Rei­ze mit­hil­fe einer Zahn­bürs­te oder eines Aqua­rell­pin­sels auf­fin­den. Wer­den ihre Gren­zen mit­hil­fe eines Fett­stif­tes auf die Haut gezeich­net, ergibt sich oft ein Mosa­ik meh­re­rer klei­ner Bezir­ke, deren tak­ti­le Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen für bestimm­te Tei­le des ver­lo­re­nen Bei­nes aus­löst. Die meis­ten Ampu­tier­ten sind sich sol­cher rezep­ti­ver Fel­der nicht bewusst. Einem Pati­en­ten der genann­ten Vor­stu­die war jedoch auf­ge­fal­len, dass Emp­fin­dun­gen ein­zel­ner Tei­le sei­nes ampu­tier­ten rech­ten Bei­nes aus­ge­löst wur­den, sooft er sei­ne Kat­ze füt­ter­te und deren Zun­ge die Innen­sei­te sei­ner rech­ten Hand leck­te. Anhand tak­ti­ler Rei­zun­gen mit­hil­fe eines Aqua­rell­pin­sels lie­ßen sich in der pal­ma­ren Sei­te sei­ner rech­ten Hand rezep­ti­ve Fel­der abgren­zen, deren Rei­zung selek­ti­ve Phan­tom­emp­fin­dun­gen für Bal­len, Fuß­ge­wöl­be und Fer­se des ampu­tier­ten rech­ten Bei­nes aus­lös­te. Rezep­ti­ve Fel­der sind unsicht­bar auf die Haut bestimm­ter Kör­per­tei­le gezeich­ne­te Bele­ge einer Reor­ga­ni­sa­ti­on, die sich infol­ge der Ampu­ta­ti­on im soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­feld der kon­tra­la­te­ra­len Hirn­hälf­te voll­zieht 2 3.

Bei­de Hirn­hälf­ten besit­zen je ein Rin­den­feld, des­sen Neu­ro­nen Pro­zes­se anre­gen, die ein Bewusst­sein für ein­zel­ne Tei­le des Kör­pers her­vor­ru­fen. An sol­chen Zel­len enden Ner­ven­bah­nen, die von Tei­len des Kör­pers aus­ge­hen. Somit sind Kopf, Arm, Hand, Rumpf, Bein und Fuß ein­deu­tig mit ent­spre­chen­den Grup­pen von Neu­ro­nen der soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­fel­der ver­bun­den. Der Kör­per wird vom Schei­tel bis zur Soh­le in ver­klei­ner­ter Form als Homun­ku­lus in den soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­strei­fen bei­der Hirn­hälf­ten abge­bil­det 4. Die Ampu­ta­ti­on einer Extre­mi­tät unter­bricht alle Ner­ven­bah­nen, die von ihr aus­ge­hen und im ent­spre­chen­den Bezirk des soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­strei­fens der kon­tra­la­te­ra­len Hirn­hälf­te enden. Da die durch­trenn­ten Bah­nen kei­ne Ner­ven­im­pul­se mehr lei­ten, zer­fal­len ihre Syn­ap­sen an den Ziel­neu­ro­nen. In den nun brach­lie­gen­den Bezirk wach­sen Ner­ven­fa­sern aus angren­zen­den soma­to­sen­so­ri­schen Bezir­ken ein und bil­den mit den unge­nutz­ten Neu­ro­nen neue syn­ap­ti­sche Ver­bin­dun­gen 5 6 7. Benach­bar­te Bezir­ke fusio­nie­ren mit dem brach­lie­gen­den. In ein­drucks­vol­ler Wei­se konn­te eine der­ar­ti­ge Reor­ga­ni­sa­ti­on des soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­fel­des bei hand- und arm­am­pu­tier­ten Pati­en­ten mit­hil­fe der funk­tio­nel­len Com­pu­ter­to­mo­gra­phie belegt wer­den 8 9. Eine neue­re Stu­die die­ser Art konn­te über­dies zei­gen, dass in einen brach­lie­gen­den Rin­den­be­zirk nicht nur Ner­ven­fa­sern der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft ein­wach­sen, son­dern auch aus rela­tiv weit ent­fern­ten Tei­len des soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­fel­des 10. Daher ver­mag bei­spiels­wei­se eine tak­ti­le oder elek­tri­sche Rei­zung bestimm­ter Haut­stel­len an Hand oder Arm nicht nur die ent­spre­chen­den Neu­ro­nen des „Hand- oder Arm­fel­des” der soma­to­sen­so­ri­schen Hirn­rin­de zu akti­vie­ren, son­dern über neue, lan­ge Quer­ver­bin­dun­gen auch Neu­ro­nen des „Bein­fel­des”. Der bein­am­pu­tier­te Pati­ent nimmt folg­lich Phan­tom­emp­fin­dun­gen für Tei­le sei­nes ver­lo­re­nen Bei­nes wahr, wenn er an Tei­len sei­ner Hand oder ande­ren Kör­per­stel­len tak­til gereizt wird.

Metho­de

Für einen ers­ten Feld­test konn­ten mehr als 20 Per­so­nen mit ein- oder beid­sei­ti­gen Ampu­ta­tio­nen unte­rer Extre­mi­tä­ten gewon­nen wer­den. Bei jedem Pro­ban­den wur­den zunächst Haut­zo­nen an Ober­schen­kel, Hand, Arm, Schul­ter, Hüf­te und Rücken der dem ampu­tier­ten Bein gleich­sei­ti­gen Kör­per­hälf­te mit­hil­fe einer Zahn­bürs­te oder eines Aqua­rell­pin­sels über­stri­chen. Sofern der so getes­te­te Pati­ent angab, eine Phan­tom­emp­fin­dung für einen umschrie­be­nen Teil sei­nes ampu­tier­ten Bei­nes wahr­neh­men zu kön­nen, wur­den die Gren­zen der tak­til gereiz­ten Haut­zo­ne mit­hil­fe eines Fett­stif­tes ange­zeich­net. Rezep­ti­ve Fel­der, bei denen die tak­ti­le Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen von Bal­len und Zehen oder des gesam­ten Vor­fu­ßes aus­ge­löst hat­te, und sol­che für Phan­tom­emp­fin­dun­gen von Fer­se oder Achil­les­seh­ne wur­den für die elek­tri­sche Sti­mu­la­ti­on ausgewählt.

Ein dafür geeig­ne­tes Sys­tem besteht aus einem trag­ba­ren, akku­ge­speis­ten Gene­ra­tor, der recht­eck­för­mi­ge Span­nungs­im­pul­se varia­bler Höhe und Fre­quenz für zwei Strom­krei­se lie­fert. Sein Gebrauch lässt sich am Bei­spiel einer Per­son erklä­ren, in deren rech­ter Hand je ein rezep­ti­ves Feld für den Bal­len und die Fer­se ihres trans­ti­bi­al ampu­tier­ten rech­ten Bei­nes gefun­den wur­de (Abb. 1). Je ein Paar fla­cher Elek­tro­den, die sich für eine trans­cu­ta­ne elek­tri­sche Ner­ven­sti­mu­la­ti­on eig­nen (TENS-Elek­tro­den), wur­de auf die­se bei­den Haut­fel­der geklebt und mit dem Gene­ra­tor zu je einem Strom­kreis geschlos­sen. Bei­de Strom­krei­se konn­ten mit­hil­fe einer Funk­stre­cke draht­los durch die Signa­le zwei­er Druck­sen­so­ren ein­ge­schal­tet wer­den, die im Bal­len- und Fer­sen­teil einer Schuh­soh­le ein­ge­las­sen waren. Impuls­span­nung und Fre­quenz wur­den für bei­de Strom­krei­se so ein­ge­stellt, dass die ampu­tier­te Per­son beim Schrei­ten deut­li­che Phan­tom­emp­fin­dun­gen für Bal­len und Fer­se wahr­neh­men konn­te. Für einen Feld­test wur­den mehr als 20 Sys­te­me der beschrie­be­nen Art her­ge­stellt und je zur Hälf­te deut­schen und kana­di­schen Bein­am­pu­tier­ten ange­passt. Sie konn­ten dann die Gerä­te in ihrem All­tag erproben.

Ergeb­nis­se

Die an dem Feld­test betei­lig­ten Per­so­nen hat­ten Ampu­ta­tio­nen unter­schied­li­cher Höhe an einer oder bei­den unte­ren Extre­mi­tä­ten. Mehr oder weni­ger aus­ge­dehn­te rezep­ti­ve Haut­fel­der fan­den sich in jedem Fall auf der dem ampu­tier­ten Bein gleich­sei­ti­gen Kör­per­hälf­te und bil­de­ten dort teil­wei­se kom­ple­xe Mosai­ke ihrer Anord­nung. Die Viel­falt der Orte und Anord­nung rezep­ti­ver Fel­der lässt sich an vier Fall­bei­spie­len belegen.

Fall­bei­spiel 1

Herrn B. H. (65 Jah­re) muss­te zwei Jah­re vor dem ers­ten Test das rech­te Bein infol­ge einer tie­fen Venen­throm­bo­se ober­halb des Knie­ge­lenks ampu­tiert wer­den. Tak­ti­le Rei­zun­gen mit­hil­fe einer Zahn­bürs­te erlaub­ten es, an sei­nem Ampu­ta­ti­ons­stumpf und Ober­schen­kel ein Mosa­ik meh­re­rer rezep­ti­ver Fel­der zu kar­tie­ren, von denen sich Phan­tom­emp­fin­dun­gen für Fer­se, Bal­len, den gro­ßen Zeh, Wade und Außen­sei­te des ver­lo­re­nen Fußes aus­lö­sen lie­ßen (Abb. 2).

Ein gro­ßes rezep­ti­ves Feld für Phan­tom­emp­fin­dun­gen der Fer­se über­deck­te das Stump­fen­de. Beim Anle­gen der Pro­the­se ver­schwand es voll­kom­men im Schaft. Daher wur­den die bei­den klei­ne­ren, fusio­nier­ten Fer­sen­fel­der ober­halb des Stump­fes und das rezep­ti­ve Feld des Bal­lens mit je einem Paar TENS-Elek­tro­den über­klebt. Nach ers­ten erfolg­rei­chen Tests bei kur­zen Spa­zier­gän­gen durch Haus und Gar­ten wur­de das Sys­tem Herrn B. H. zur wei­te­ren Erpro­bung über­las­sen. Spä­ter setz­te des­sen Ortho­pä­die-Tech­ni­ker ein ent­spre­chen­des Set von Car­bon­elek­tro­den fest in den Liner ein. Folg­lich kamen die Elek­tro­den­paa­re bereits beim Anle­gen des Liners mit den erwünsch­ten rezep­ti­ven Haut­zo­nen des Ober­schen­kels in Kontakt.

Fall­bei­spiel 2

Herr C. H. (50 Jah­re) arbei­te­te als Fach­arzt für Radio­lo­gie und erkrank­te vor acht Jah­ren nach einer Stoß­ver­let­zung an einem mul­ti­re­sis­ten­ten Kran­ken­haus­keim, der sich in sei­nem lin­ken Bein aus­brei­te­te. Schließ­lich muss­te die­ses exar­ti­ku­liert wer­den. Herr C. H. trägt inzwi­schen eine Becken­korb-Pro­the­se. Da der mul­ti­re­sis­ten­te Keim auch die visu­el­len Rin­den­fel­der bei­der Okzi­pi­tal­lap­pen sei­nes Gehirns ange­grif­fen hat­te, erblin­de­te Herr C. H. zusätz­lich. An Außen- und Innen­flä­che sei­ner lin­ken Hand fand sich je eine münz­gro­ße Stel­le, deren tak­ti­le Rei­zung eine Phan­tom­emp­fin­dung für Bal­len und Fer­se her­vor­rief. Zusätz­lich fan­den sich am Arm eben­falls münz­gro­ße rezep­ti­ve Fel­der für den gro­ßen Zeh und die Wade (Abb. 3).

Auf die Außen- und Innen­flä­che der lin­ken Hand wur­de je ein Paar klei­ner TENS-Elek­tro­den geklebt, so dass die von den Druck­sen­so­ren der Schuh­soh­le gesteu­er­te bipo­la­re Rei­zung der bei­den rezep­ti­ven Fel­der Phan­tom­emp­fin­dun­gen für Bal­len und Fer­se im Takt der Schrit­te aus­lös­te. So aus­ge­stat­tet ver­moch­te der rin­den­blin­de Pati­ent C. H. mit sei­ner Pro­the­se auch ein­bei­nig auf dem schwan­ken­den Grund eines Tram­po­lins zu balan­cie­ren und eine Haus­halts­lei­ter zu erklimmen.

Fall­bei­spiel 3

Frau A. B. (28 Jah­re) litt seit ihrer Kind­heit an Mor­bus Reck­ling­hau­sen (Typ 1). Infol­ge der Fibrom­a­to­se muss­te zwei Mona­te vor dem ers­ten Test ihr lin­ker Unter­schen­kel ampu­tiert wer­den. Wur­den bestimm­te Zonen ihres lin­ken Unter­ar­mes und ihres lin­ken Ober­schen­kels mit­hil­fe einer Zahn­bürs­te über­stri­chen, lös­te dies Phan­tom­emp­fin­dun­gen für ihre Fer­se, die Rei­he der Zehen und die Ober­sei­te ihres ver­lo­re­nen Fußes aus (Abb. 4).

Die genann­ten rezep­ti­ven Fel­der zeig­ten an Unter­arm und Ober­schen­kel ähn­li­che Anord­nun­gen. Inner­halb der rezep­ti­ven Haut­strei­fen, wel­che die Zehen­rei­he reprä­sen­tier­ten, ließ sich anhand einer tak­ti­len Rei­zung mit­tels eines Aqua­rell­pin­sels ein geson­der­tes rezep­ti­ves Feld des gro­ßen Zehs von dem der vier klei­nen Zehen abgrenzen.

Fall­bei­spiel 4

Frau A. P. (64 Jah­re) hat­te 13 Jah­re vor dem ers­ten Test bei­de Bei­ne infol­ge eines Auto­un­falls ein­ge­büßt und ist beid­sei­tig ober­schen­kel­am­pu­tiert. Sowohl an ihren Hän­den und Unter­ar­men als auch an bei­den Ober­schen­keln fan­den sich zahl­rei­che rezep­ti­ve Haut­zo­nen, deren tak­ti­le Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen für Tei­le des jeweils gleich­sei­ti­gen Bei­nes aus­lös­te (Abb. 5).

Am lin­ken Unter­arm fan­den sich vier rezep­ti­ve Haut­fel­der, deren tak­ti­le Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen für die vier klei­nen Zehen, die Fuß­soh­le, die Fer­se und den Außen­rist des lin­ken Bei­nes aus­lös­ten. Am rech­ten Ober­arm fand sich je ein rezep­ti­ves Haut­feld für Phan­tom­emp­fin­dun­gen von Fuß­rü­cken und Außen­rist des rech­ten Beines.

An den Enden bei­der Ampu­ta­ti­ons­stümp­fe lag je ein run­des rezep­ti­ves Feld für Phan­tom­emp­fin­dun­gen aller fünf Zehen des ent­spre­chen­den Fußes. Eine tak­ti­le Rei­zung der Ober­sei­te des lin­ken Ober­schen­kels lös­te eine Phan­tom­emp­fin­dung des lin­ken Schien­beins aus. Dem­ge­gen­über erwies sich die Ober­sei­te des rech­ten Ober­schen­kels als emp­fin­dungs­los, da das beim Unfall ver­letz­te Gewe­be durch ein Trans­plan­tat ersetzt wor­den war.

An den Unter­sei­ten bei­der Ober­schen­kel lie­ßen sich rezep­ti­ve Fel­der für die ent­spre­chen­den Fuß­soh­len und Fer­sen abgren­zen. Zu beach­ten ist hier­bei die sym­me­tri­sche Anord­nung der genann­ten Fel­der. Wie am Bei­spiel der Außen­sei­te des lin­ken Ober­schen­kels gezeigt, fan­den sich bei­der­seits auch Haut­fel­der, deren tak­ti­le Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen für alle fünf Zehen (graue Flä­chen) oder nur Phan­tom­emp­fin­dun­gen der vier klei­nen Zehen (hell­graue Flä­chen) auslösten.

Dis­kus­si­on

Die hier dar­ge­stell­ten Fall­bei­spie­le wur­den aus mehr als 20 Teil­neh­mern eines ein­jäh­ri­gen Feld­tests aus­ge­wählt. Die Zahl der Teil­neh­mer mit einer Viel­zahl unter­schied­li­cher Ampu­ta­ti­ons­hö­hen einer oder bei­der unte­rer Extre­mi­tä­ten belegt, dass die Anla­ge rezep­ti­ver Haut­zo­nen, deren tak­ti­le und elek­tri­sche Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen für bestimm­te, umschrie­be­ne Tei­le der ampu­tier­ten Extre­mi­tät aus­lö­sen kann, kei­ne Sel­ten­heit ist. Offen­sicht­lich stellt sie sich bei einer Mehr­zahl der Pati­en­ten als Fol­ge einer all­ge­mei­nen neu­ro­bio­lo­gi­schen Reor­ga­ni­sa­ti­on des soma­to­sen­so­ri­schen Rin­den­fel­des ein, wel­ches die ampu­tier­te Extre­mi­tät neu­ro­nal reprä­sen­tiert. Die vier aus­ge­wähl­ten Fall­bei­spie­le zei­gen zusam­men mit den bei­den bereits in einem frü­he­ren Bei­trag 1 beschrie­be­nen eine Viel­falt der Lage und Grö­ße rezep­ti­ver Fel­der. Meh­re­re rezep­ti­ve Fel­der für unter­schied­li­che Tei­le eines ampu­tier­ten Bei­nes kön­nen sich bei­spiels­wei­se in unmit­tel­ba­rer Nähe des Ampu­ta­ti­ons­stump­fes auf der Haut des ver­blie­be­nen Ober­schen­kels (Fall­bei­spiel 1) oder in ähn­li­cher Anord­nung an Ober­schen­kel und Unter­arm grup­pie­ren (Fall­bei­spiel 3). Eini­ge weni­ge, nur münz­gro­ße Fel­der des Fall­bei­spiels 2 kon­tras­tie­ren mit dich­ten Mosai­ken groß­flä­chi­ger Fel­der des Fall­bei­spiels 4. Bei eini­gen Pati­en­ten fan­den sich rezep­ti­ve Fel­der an Hüf­te und Rücken. In jedem Fall lie­ßen sich die rezep­ti­ven Haut­zo­nen leicht auf­fin­den, indem gleich­sei­tig zur ampu­tier­ten Extre­mi­tät Kör­per­stel­len mit­hil­fe einer Zahn­bürs­te oder eines schma­len Pin­sels über­stri­chen und die Gren­zen der Haut­zo­nen, inner­halb derer die tak­ti­le Rei­zung Phan­tom­emp­fin­dun­gen für bestimm­te Tei­le der ampu­tier­ten Extre­mi­tät aus­ge­löst hat­te, auf die Haut gezeich­net wur­den. Die­ses Vor­ge­hen ist so ein­fach, dass Pati­en­ten es selbst aus­füh­ren und in die gekenn­zeich­ne­ten Haut­zo­nen je zwei TENS-Elek­tro­den kle­ben können.

Bei Pati­en­ten, deren rezep­ti­ve Fel­der nahe dem Ampu­ta­ti­ons­stumpf oder einer Hüf­te lie­gen, kann die elek­tri­sche Sti­mu­la­ti­on über kur­ze Elek­tro­den­ka­bel mit­hil­fe eines Impuls­ge­ne­ra­tors erfol­gen, der ver­bor­gen im Schaft der Pro­the­se direkt durch das Pro­the­sen­rohr mit Druck­sen­so­ren der ent­spre­chen­den Schuh­soh­le ver­ka­belt wird. Sol­che All-in-one-Ver­sio­nen eines Phan­tom­sti­mu­la­tors kön­nen mitt­ler­wei­le neben Sys­te­men mit Funk­brü­cke als markt­gän­gi­ge Pro­duk­te der Fir­ma CortX­sen­so­rics GmbH, Spai­chin­gen, zur Ver­fü­gung gestellt wer­den (Abb. 6a u. b). Sys­te­me mit Funk­brü­cke emp­feh­len sich für Pati­en­ten, deren rezep­ti­ve Fel­der auf Hand oder Arm lie­gen, weil damit eine stö­ren­de Ver­ka­be­lung der sich bewe­gen­den obe­ren Extre­mi­tät ver­mie­den wird. Beid­sei­tig ampu­tier­te Pati­en­ten bedür­fen zwei­er Sys­te­me. Sofern nutz­ba­re rezep­ti­ve Fel­der an Hän­den oder Armen wie im Fall­bei­spiel 4 vor­lie­gen, müs­sen die Funk­stre­cken des rech­ten und lin­ken Sys­tems mit unter­schied­li­chen Sen­de­fre­quen­zen betrie­ben werden.

Alle am Feld­test betei­lig­ten Pati­en­ten berich­te­ten, dass nach einem Gebrauch der Gerä­te von einer oder meh­re­ren Stun­den die Phan­tom­emp­fin­dun­gen für län­ge­re Zeit anhiel­ten, obwohl die Gerä­te abge­schal­tet und die Kle­be­elek­tro­den ent­fernt wor­den waren. Es genüg­te folg­lich, die Gerä­te nur stun­den­wei­se anzu­le­gen und doch das ampu­tier­te Bein über eine län­ge­re Zeit des Tages wahr­neh­men zu kön­nen. Die sich im Lauf von Stun­den abschwä­chen­den Phan­tom­emp­fin­dun­gen konn­ten dann durch erneu­tes Anle­gen der Gerä­te wie­der auf­ge­frischt werden.

Bei ers­ten Tests in einer Geh­schu­le berich­te­ten Pati­en­ten, dass sie dank der Phan­tom­sti­mu­la­to­ren selbst mit geschlos­se­nen Augen siche­rer lau­fen konn­ten als ohne sie. Es bedarf wei­te­rer Stu­di­en zu prü­fen, ob mit­hil­fe sol­cher Gerä­te das Hal­tungs- und Gang­bild neben der all­ge­mei­nen moto­ri­schen Sicher­heit von Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen unte­rer Extre­mi­tä­ten ver­bes­sert wer­den kann.

Dank­sa­gung

Die Autoren dan­ken Iris Heyen (Geh­schu­le und Pra­xis für Phy­sio­the­ra­pie, Roß­haup­ten) für ihre Mit­wir­kung an dem Feld­test und die Bereit­stel­lung eines Teils des Bildmaterials.

Die Autoren:
Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil.
Alfred Mei­er-Koll
For­schungs­stel­le für expe­ri­men­tel­le Ergo- und Phy­sio­the­ra­pie am Stu­di­en­zen­trum Fried­richs­ha­fen der Pri­va­ten Fach­hoch­schu­le Nordhessen
All­manns­wei­ler­stra­ße 104
88046 Fried­richs­ha­fen
alfred.meier-koll@fh-therapie.de
alfred.meier-koll@cortxsensorics.com

Karl Heinz Weber
CortX­sen­so­rics GmbH
Kep­ler­stra­ße 45
78549 Spai­chin­gen

Begut­ach­te­ter Bei­trag / review­ed paper

Zita­ti­on
Mei­er-Koll A, Weber KH. Fühl­ba­re Bein­pro­the­sen – Ein Feld­test mit Phan­tom­sti­mu­la­to­ren im All­tag ampu­tier­ter Men­schen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (7): 50–55
  1. Mei­er-Koll A. Ein Phan­tom­sti­mu­la­tor für ampu­tier­te Glied­ma­ßen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (5): 36–39
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