Begriffsbestimmungen
Druck
Der Druck ist ein Maß für den Widerstand, den Materie einer Verkleinerung des zur Verfügung stehenden Raumes entgegensetzt, und entspricht der Kraft, die senkrecht auf eine Bezugsfläche wirkt. Messeinheit ist das Pascal (1 Pa = 1 N/m², 133,32 Pa = 1 mmHg). Bei konstanter Kraft ist der Druck bei einer kleinen Auflagefläche hoch, bei einer großen Auflagefläche klein. An einer Stelle der Extremität mit starker Krümmung (kleinem Krümmungsradius) wird der Andruck demnach hoch sein, bei einem großen Krümmungsradius dagegen klein (Gesetz von Laplace: Andruck ist direkt proportional der Kraft und indirekt proportional dem Radius).
Stiffness
Nach einem Europäischen Normpapier wird Stiffness folgendermaßen definiert: „Anstieg des Kompressionsdrucks pro Anstieg des Extremitätenumfanges, ausgedrückt in Hectopascal pro cm oder mmHg/Zentimeter” 1. Im klinischen Alltag bezeichnet Stiffness demnach den Druckanstieg unter einem Kompressionsmittel, der bei einer Umfangszunahme der Extremität, etwa durch Muskelanspannung beim Aufstehen aus dem Liegen oder beim Gehen, auftritt.
Messmethoden
Labor
Für Kompressionsstrümpfe gilt in Deutschland die RAL-Norm als Standard. Eine stichprobenartige Überprüfung von Marken-Kompressionsstrümpfen erfolgt in regelmäßigen Abständen durch das Textilforschungsinstitut in Hohenstein, was eine Voraussetzung für die Zuerkennung des Gütezeichens für medizinische Kompressionsstrümpfe darstellt 2.
Für Kompressionsstrümpfe wird die jeweilige von den Firmen deklarierte Druckklasse mit Hilfe von Kraft-Dehnungs-Kurven bestimmt, die mittels geeigneter Instrumente (Extensiometer) gewonnen werden. Entsprechend den gemessenen Bein-Umfangsmaßen werden Druckwerte errechnet, welche als die auf der Verpackung notierte Druckklasse, jeweils bezogen auf den geringsten Beinumfang im Knöchelbereich (B‑Maß), angegeben werden. Es wird ein Druckgradient gefordert, demzufolge der Druck am proximalen Unterschenkel je nach Kompressionsklasse nur mehr 50 bis 80 %, am proximalen Oberschenkel 20 bis 60 % im Vergleich zum Druck bei B betragen darf. Bedauerlicherweise wird bei der Deklarierung auf Angaben über die Elastizität (Stiffness) des verwendeten Strumpfmaterials bisher verzichtet 3.
Für Kompressionsbinden wird die maximale Dehnbarkeit durch Extensiometer-Messungen bestimmt 4, wonach eine Klassifizierung in Kurzzug- (< 100 %) und Langzug-Binden (> 100 %) getroffen werden kann. Obwohl der von einer Binde ausgeübte Druck von dem bei Verbandsanlage ausgeübten Zug und vom Beinumfang und nicht primär vom Bindenmaterial abhängt, werden fälschlicherweise immer wieder, etwa in der britischen Norm, bestimmte Produkte einem bestimmten Druckbereich zugeordnet 5.
Hirai und Mitarbeiter in Japan haben ein einfaches Verfahren entwickelt, um die Stiffness von Strümpfen und Bandagen zu messen 6. Dabei handelt es sich um ein Modellbein mit einem Schlitz in Längsrichtung, welcher durch einen Hebel um 0,5 cm verbreitert werden kann, sodass der Umfang des Beinmodells um 1 cm wächst (Abb. 1). Wird ein Kompressionsstrumpf oder ein Verband über das Modell appliziert, so kann nicht nur der Ruhedruck, sondern auch die Druckzunahme bei einer Querdehnung um 1 cm gemessen werden, die definitionsgemäß der Stiffness entspricht.
Abbildung 2 zeigt Druckkurven unter 2 Strumpfmodellen, die praktisch denselben Ruhedruck um 30 mmHg ausüben, sich aber bezüglich der Amplitudenhöhen bei Umfangzunahme des Modellbeins um 1 cm (= Stiffness) klar unterscheiden. Der Druckanstieg ist beim oberen Modell deutlich höher, auch wenn durch schnelle Hebelbewegungen Gehen simuliert wird. Die höheren Druckamplituden bewirken einen stärkeren Massageeffekt beim Gehen, der dem Anwender mangels einer entsprechenden Kennzeichnung auf der Verpackung verborgen bleibt.
Messungen am Bein
Was für den Patienten mehr zählt als theoretische, im Labor gewonnene Werte, sind die Druckwerte, die auf die Extremität einwirken und – in Analogie zu einem Medikament – die Dosis der Therapie bestimmen. Heute steht eine Reihe von Geräten zur Verfügung, mit denen man zumindest für bestimmte interessierende Regionen den Druck eines Kompressionsmittels auf die Extremität recht gut abschätzen kann. Vergleichsmessungen haben gezeigt, dass unter den getesteten Geräten der Druckabnehmer von Picopress® (Microlab Italia), der auch längere Zeit am Bein belassen werden kann und mit dem auch dynamische Druckverläufe registriert werden können, für Messungen besonders geeignet ist 7. Bei vernünftiger, sachgerechter Anwendung ist das Gerät theoretischen Einwendungen zum Trotz 8 imstande, ebenso wie etwa eine methodologisch ebenso angreifbare konventionelle Blutdruckmessung sehr aussagekräftige Informationen zu liefern. Derartige Druckmessgeräte sind nicht nur ideale Trainingshilfen für Kompressionskurse und unerlässlich für wissenschaftliche Vergleichsstudien verschiedener Kompressionsmittel geworden, sondern haben auch wesentlich zum besseren Verständnis ihrer Wirkungen beigetragen.
In einer vom International Compression Club (ICC) organisierten internationalen Konsensusgruppe wurde eine Einigung bezüglich einiger methodologischer Details zur Kompressionsdruckmessung erzielt 9. Dies war die Voraussetzung für den Versuch, Kompressionsverbände aufgrund von In-vivo-Druckmessungen zu klassifizieren 10.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser beiden Konsensuspapiere werden im Folgenden kurz zusammengefasst (Details siehe unter www.icc-compressionclub.com):
- Der Druck eines Kompressionsverbandes am Bein hängt vor allem von der Kraft beim Anlegen und vom Krümmungsradius des Beins ab, nicht vom Bindenmaterial.
- Zum Zweck eines gemeinsamen Begriffsverständnisses wurde empfohlen, Verbände mit einem Kompressionsdruck von < 20 mmHg als „leicht” zu bezeichnen, solche mit 20–40 mmHg als „mittelstark”, mit 40–60 als „stark” und über 60 mmHg als „sehr stark”
- Es sollten Bindenlagen von Verbandskomponenten unterschieden werden. Aufgrund einer Überlappung der Bindentouren ist jeder Verband mehrlagig, kann aber aus nur einer oder mehreren Komponenten bestehen. Der sogenannte Four-Layer-Verband besteht aus 4 Komponenten, die Anzahl der Schichten ist wesentlich höher.
- Die elastischen Eigenschaften des Fertigverbandes unterscheiden sich von jenen der einzelnen Bestandteile und können nur durch Messung der Stiffness am Bein beurteilt werden.
„Stiffness” versus „elastisch und unelastisch”
Bevorzugter Messpunkt für die Druckmessung eines Kompressionsmittels am Bein ist B1, also jene Stelle, an der der muskuläre Anteil des medialen Gastrocnemiusmuskels in die Achillessehne übergeht. Das ist jene Stelle, wo der Unterschenkelquerschnitt am ehesten eine kreisförmige Konfiguration aufweist, und auch jene Position, die bei Bewegung im Sprunggelenk die größte Umfangszunahme zeigt 11 und sich somit am besten zur Beurteilung der Stiffness eignet. Zum erheblichen Teil ist eine Zunahme des Kompressionsdruckes an dieser Stelle durch das Vorspringen der Sehne bei Dorsalflexion bedingt, wodurch sich der lokale Krümmungsradius verkleinert und der Druck nach dem Gesetz von Laplace ansteigt. Zusätzlich zu diesem variablen Faktor spielen auch die jeweilige Muskelkraft und die Konsistenz des komprimierten Gewebes eine Rolle, weshalb die am Bein gewonnenen Werte eine erhebliche interindividuelle Varianz aufweisen. Messungen, die am selben Messort am selben Bein durchgeführt werden, sind aber sehr aussagekräftig. So zeigt zum Beispiel Abbildung 3 eine fortlaufende Registrierung des Druckes unter einem Kompressionsstrumpf und unter einem unelastischen Verband am selben Patienten über dem Punkt B1 im Liegen, unter Bewegung im Sprunggelenk, im Stehen sowie beim Gehen. In beiden Fällen kommt es zu einem Anstieg des Druckes bei Muskelkontraktion unter Bewegung, aber auch schon durch das bloße Aufstehen. Die Druckanstiege unter Dorsalflexion wurden als „Dynamic Stiffness Index” (DSI) bezeichnet, der Druckanstieg beim Aufstehen aus dem Liegen als „Static Stiffness Index” (SSI) 10 12.
Es wurde gezeigt, dass die Umrechnung auf eine Umfangszunahme von 1 cm keinen praktischen Informationsgewinn darstellt und dass SSI-Werte > 10 höhere Stiffness bedeuten („unelastisch”), Werte < 10 eher niedrigere Stiffness („elastisch”) 13.
Es wurde empfohlen, die Bezeichnungen „elastisch” und „unelastisch” für einzelne Binden und die Bezeichnung „Stiffness” im Zusammenhang mit Mehrkomponentenverbänden zu verwenden. Besteht ein Fertigverband aus verschiedenen elastischen Binden wie etwa der „Four-Layer-Bandage”, kann die elastische Eigenschaft des Endproduktes nur durch eine Invivo-Messung wie beschrieben beurteilt werden. Derartige Verbände weisen SSI-Werte über 10 auf 13, wobei die hohe Stiffness des Verbands durch die Reibung zwischen den Verbandschichten erklärt werden kann. Kohäsive und adhäsive Beschichtungen führen stets zu einer hohen Stiffness.
Klinische Konsequenzen
Untersuchung an Patienten haben gezeigt, dass zur Ödembekämpfung 14, zur Reduktion von venösen Refluxen 15 sowie für eine verbesserte venöse Pumpleistung 16 Kompressionsmittel mit höherer Stiffness wirksamer sind als elastische Produkte, auch dann, wenn der Ruhedruck gleich war. Messungen der Auswurffraktion der Wadenpumpe bei Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz zeigten eine positive Korrelation mit den Kompressionsdrücken und mit der Stiffness 13. Das liegt daran, dass im Stehen und im Gehen mit „steifen” Verbänden wesentlich höhere Druckwerte erzielt werden als etwa mit elastischen Kompressionsstrümpfen. Nach einer Woche fällt der Druck eines steifen Verbandes im Liegen wesentlich stärker ab als im Stehen und Gehen, woraus sich die zu diesem Zeitpunkt noch immer vorhandene hämodynamische Wirksamkeit erklärt 17.
Mittels Magnetresonanz-Untersuchungen im Stehen 18 konnte gezeigt werden, dass in der Regel erst Drücke über 70 mmHg zu einer Veneneinengung führen, welche die Voraussetzung für eine hämodynamische Wirksamkeit darstellt. Derartig hohe Druckwerte werden vom Patienten nur mit Kompressionsmitteln toleriert, die eine hohe Stiffness aufweisen. Solche Systeme können auch als „intelligente Kompression” bezeichnet werden, da sie in Ruhe tolerierbare Drücke aufweisen und sich beim Aufstehen automatisch an das Erfordernis anpassen, dem hydrostatisch bedingt höheren intravenösen Druck entgegenzuwirken. Wollte man derartig hohe Drücke mit elastischem Material erzielen, müssten Ruhedrücke von über 60 mmHg angewendet werden, was aufgrund der elastischen Rückstellkraft nicht toleriert würde. Gleichzeitig werden unter den hohen Drücken im Stehen pathologische venöse Refluxe bei Venenklappeninsuffizienz reduziert 15. Verbände mit hoher Stiffness bewirken im Gehen eine intermittierende Veneneinengung jeweils am Höhepunkt der Muskelanspannung, wodurch vermehrt Blut hochgepumpt wird 13. Nachdem die Wadenmuskelvenen wesentlich mehr Blut speichern als die distalen Unterschenkelvenen, bewirkt ein höherer Druck über der Wadenmitte eine ausgeprägtere Zunahme der venösen Pumpleistung als ein graduierter Druckverlauf 19. Ein Anstieg der Auswurfleistung der venösen Wadenmuskelpumpe konnte auch bei venengesunden Sportlern gezeigt werden, wenn unnachgiebige VelcroBänder über Sportstrümpfe gewickelt werden 20.
Der sogenannte „Massageeffekt” von Kompressionsmitteln mit höherer Stiffness, also eine höhere Druckamplitude bei Bewegung, spielt klinisch vor allem beim Lymphödem eine wichtige Rolle. Deshalb werden in der Lymphologie flachgestrickte Kompressionsstrümpfe, die oft maßgefertigt sind, bevorzugt. Nach dem Gesetz von Pascal kommt es bei einem Druckanstieg in einem geschlossenen, unnachgiebigen Behälter zu einer Druckverteilung nach allen Richtungen. Bei immobilen Patienten, etwa Rollstuhlpatienten mit oft massiven Beinödemen, führen kleinste, auch durch Angehörige oder Pflegepersonal ausgeführte Bewegungen, aber auch schon Atmen oder Betätigen der Bauchpresse unter steifen Kompressionsmitteln zu einem Massageeffekt. Entgegen dem konventionellen Dogma, dass Kurzzug-Kompression nur im Gehen, nicht aber in Ruhe wirksam sei, bevorzugt der Verfasser bei derartigen Patienten unnachgiebiges Material, das nach Lockerwerden im Abstand von einigen Tagen gewechselt wird 5. Der Massageeffekt dürfte nicht nur eine verstärkte Lymphangiomotorik bewirken, sondern auch eine gesteigerte Freisetzung entzündungshemmender und vasoaktiver Mediatoren aus den Kapillarendothelien.
Effekte im Bereich der Mikrozirkulation erklären auch die Tatsache, dass es unter einer unnachgiebigen Kompression nicht nur bei Gesunden 21, sondern auch bei Patienten mit einer arteriellen Verschlusskrankheit 22 bei einem Ruhedruck bis zu 40 mmHg zu einem Durchblutungsanstieg kommt. Bei Bewegung können die Druckamplituden unter einer Kompression mit hoher Stiffness mit dem Effekt intermittierender Druckpumpen verglichen werden, die aufgrund ihrer durchblutungsfördernden Wirkung sogar bei schweren Fällen mit arterieller Verschlusskrankheit zum Einsatz kommen 23.
Bisher konnten klinische Untersuchungen zur Abheilung venöser Ulzera die Überlegenheit von Kompressionsmaterial mit hoher Stiffness nur teilweise bestätigen 24, was vor allem damit zusammenhängen dürfte, dass in entsprechenden Vergleichsstudien unelastische Verbände meist unsachgemäß und viel zu locker angelegt wurden. Wiederholt ist gezeigt worden, dass auch erfahrenes Personal Kurzzugbandagen in drei Viertel der Fälle zu locker anlegt 25.
Adjustierbare Velcro-Band-Kompressionsmittel (z. B. CircAid®, Fa. Medi) könnten eine brauchbare Alternative darstellen. Hierbei handelt es sich um die einzigen Kompressionsmittel mit hoher Stiffness, die vom Patienten nach kurzer Instruktion selbst angelegt werden können und deren Druck bei Lockerwerden selbst nachjustiert werden kann 26.
Praktische Konsequenzen
Für Kompressionsstrümpfe im meistverwendeten Druckbereich von 20 bis 30 mmHg ist die klinische Relevanz einer höheren Stiffness für die Ödembehandlung gezeigt worden 14. Flachgestrickte Materialien haben, besonders im höheren Druckbereich, einen stärkeren Massageeffekt, was ihren bevorzugten Einsatz bei Lympshödempatienten rechtfertigt.
Bei Kompressionsverbänden gibt der Verfasser aufgrund der ausgeprägteren Wirksamkeit auf die venöse Pumpleistung Produkten mit höherer Stiffness den Vorzug. Der sofort nach Verbandanlage auftretende Abfall des Kompressionsdrucks wird nicht als Nachteil angesehen, solange die Stiffness und damit der Arbeitsdruck hoch bleiben (Abb. 3b), womit die hämodynamische Wirksamkeit derartiger Verbände auch noch nach mehreren Tagen erklärt werden kann 17. Der Druckverlust unnachgiebiger Verbände ist außerdem ein Zeichen für die sofort einsetzende Ödemreduktion des geschwollenen Beins.
Der Hauptnachteil von Kompression mit steifem Material ist, dass die sachgemäße Anlage gelehrt und trainiert werden muss. Selbst anlegbare und verstellbare Velcro-Band-Orthesen sind diesbezüglich eine Bereicherung der Therapiemöglichkeiten.
Zusammenfassung
Die Dosis einer Kompressionstherapie wird durch den Andruck des Kompressionsmittels am Bein bestimmt: Als „Stiffness” bezeichnet man den Druckanstieg bei Muskelspannung im Stehen und im Gehen. Unnachgiebiges Kompressionsmaterial bewirkt einen hohen Arbeitsdruck und eine Beinmassage beim Gehen. Beides, Ruhedruck und Arbeitsdruck, der von der Stiffness abhängt, bestimmen die Wirksamkeit einer Kompression. Für zukünftige Studien ist deshalb zu fordern, dass Ruhedruck und Stiffness gemessen und deklariert werden. Bei Kompressionsstrümpfen sollten neben den Druckklassen auch Angaben über die Stiffness auf der Verpackung gemacht werden. Ein stärkerer Massageeffekt kann bei (z. B. flachgestrickten) Kompressionsstrümpfen eine verstärkte Ödemreduktion bewirken. Bei Verbänden ist eine hohe Stiffness vor allem für eine Verbesserung der venösen Pumpleistung von Bedeutung.
Der Autor:
Univ.-Prof. Dr. Hugo Partsch
Steinhäusl 126, Zwackgasse
A‑3033 Altlengbach
Österreich
Hugo.Partsch@meduniwien.ac.at
Begutachteter Artikel/reviewed paper
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