Einleitung
Unter einer Narbe versteht man ein faserreiches Ersatzgewebe, das nach einer Läsion der Haut während der Wundheilung von den aktiven Bindegewebszellen aufgebaut wird. Diesen Prozess bezeichnet man als „Narbenbildung“. Narben können sich in verschiedenen Formen zeigen – von unauffällig und strichförmig über deutlich sichtbar bis zu eingezogen oder wulstig.
Sowohl hypertrophe Narben als auch Narbenkeloide sind gutartige Bindegewebsvermehrungen. Bei hypertrophen Narben beschränkt sich die Kollagenfaserbildung auf die Fläche der Hautverletzung. Das umliegende gesunde Hautareal wird nicht hypertroph und ist nicht von der vermehrten Kollagenfaserbildung betroffen. Bei Keloidnarben hingegen wächst die Kollagenfaserbildung über die ursprüngliche Läsion in das umliegende gesunde Gewebe hinaus. Keloide können auch erst deutlich verspätet nach der eigentlichen Läsion auftreten (z. B. mehr als 6 Monate nach einem Ohrlochstechen). Eine stärkere Hautpigmentierung ist als Risikofaktor für eine verstärkte Keloidbildung bekannt.
Grundlagen der Narbenkompressionsversorgung
Alle Narben erfordern individuelle und millimetergenau passende Kompressionsversorgungen. Um dies sicherzustellen, ist von den sogenannten spezialisierten Personen für Narbenkompression laut Kriterienkatalog des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (SpiBu) zur Präqualifizierung für die Narbenkompressionsversorgung ein Zertifikat nach den Richtlinien der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA) gefordert. Darüber hinaus fordert die AOK Bayern ein solches Zertifikat auch von erfahrenen Orthopädie-Techniker- oder Bandagisten-Meistern als Abrechnungsgrundlage. Im Folgenden werden die wesentlichen Prinzipien der Narbenkompressionsversorgung erläutert.
Materialien
Die Hersteller Thuasne, Juzo und Jobskin sind im deutschsprachigen Raum die am häufigsten genutzten Anbieter von Narbenkompressionsbandagen. Die Produkte unterscheiden sich in Materialzusammensetzung und Materialeigenschaften. Dem Anwender stehen Gewebe und Gewirke mit unterschiedlichem Dehnungsverhalten (Langzug/ Kurzzug) in verschiedenen Materialstärken zur Verfügung. Einige Materialien ermöglichen den Technikern selbst das nachträgliche Anpassen der Bandagen durch Zuschnitt oder, wenn die entsprechenden Maschinen zur Verfügung stehen, individuelles Abnähen. Teilweise erfordern notwendige Anpassungen das Einschicken an den Hersteller.
Anpassen der Versorgung
Beim Anmessen von Kompressionsversorgungen ist präzises, millimetergenaues Messen nach den Vorgaben der jeweiligen Hersteller Standard. Ein Aufrunden auf den halben Zentimeter, wie es bei anderen Indikationen für Kompressionsversorgungen teilweise üblich ist, führt nicht zum gewünschten Erfolg. Einschnürungen am Bandagenende sowie ein Anschwellen der proximalen oder distalen nicht versorgten Bereiche sollen bei allen Versorgungen vermieden werden.
Je nach der zu versorgenden Körperregion kann es erforderlich werden, das nächstgelegene Gelenk übergreifend mit zu versorgen. Reicht die Narbe beispielsweise bis knapp vor das Gelenk, muss ein Bandagenabschluss an dieser Stelle als kritisch bewertet werden, da er durch Rutschtendenz auf der Haut zu unerwünschten Scherkräften führen kann bzw. bei Bewegung die Narbe nicht mehr komplett abdeckt.
Zur Verbesserung der Handhabung oder aus hygienischen Gründen kann es erforderlich sein, Versorgungen mehrteilig zu gestalten. So erleichtern separate Handschuhe die Handhygiene bei einem Armstrumpf bzw. einer Weste mit langem Arm, weil dann nur kurzfristig der Handschuh ausgezogen werden muss, ohne die Kompressionszeit der restlichen Versorgung zu verkürzen.
Zur Verringerung von Schiebekräften auf der Haut oder zur Erleichterung des An- und Ausziehens der Kompressionsbandagen bieten alle Hersteller diverse Verschlussmöglichkeiten an. Dabei kommen Reißverschlüsse, Haken/Ösen, Druckknopf- und Klettverschlüsse zum Einsatz.
Vorwiegend bei Erstversorgungen kann es durch den Druck der Narbenkompressionsbandagen rasch zu Volumen- und Umfangsveränderungen der betroffenen Körperregionen kommen. Aufgrund der besonderen Materialeigenschaften bieten Jobskin-Produkte die Möglichkeit einer nachträglichen individuellen Anpassung durch Orthopädie-Tchniker mittels Zuschnitt und Abnäher. Nach einer solchen Änderung muss der Kompressionsdruck mit Hilfe eines speziellen Druckmessgeräts zwingend überprüft werden (Abb. 1). Damit werden zeitnahe Mehrfachversorgungen und somit erhebliche Mehrkosten für die Kostenträger vermieden.
Konkave Körperregionen, die von der Kompressionsbandage überspannt werden oder unzureichenden Kompressionsdruck erhalten, erfordern zusätzlich Kompressionsdruckpelotten, die individuell angefertigt werden und meist aus Silikon oder anderen möglichst nicht komprimierbaren Materialien bestehen. Auch hier lässt sich der exakte Druck nur mit Hilfe eines Messgerätes überprüfen. Bei den Versorgungen sollte ein Kompressionsdruck zwischen 18 und 32 mmHg erreicht werden 1. Die Einteilung in Kompressionsklassen, wie sie in anderen Versorgungsbereichen üblich ist, findet in der Narbentherapie keine Anwendung.
Therapie
Eine Versorgungseinheit (Grundversorgung) soll aus zwei gleichen Versorgungen bestehen, um eine Tragezeit von 23 Stunden pro Tag zu gewährleisten 1. Die verbleibende Zeit des Tages wird für Waschen, Cremen und Massieren genutzt. Je nach Hautzustand können längere Massagezeiten die Therapie begünstigen. Massagen können je nach Hautgegebenheiten auch mehrfach am Tag erfolgen. Eine solche noch intensivere Therapie verkürzt zwar die tägliche Tragedauer der Narbenkompressionsbandagen, optimiert aber die Therapie insgesamt.
Weitere Therapieformen wie Medical bzw. Surgical Needling, physikalische Therapie, Wasserstrahltherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie und manuelle Narbenmassage durch ausgebildete Therapeuten werden in der Narbentherapie ebenfalls angewendet. Unterstützend kann es erforderlich sein, individuell maßgefertigte statische oder dynamische Orthesen einzusetzen, um Kontrakturen und Bewegungseinschränkungen entgegenzuwirken.
Therapiedauer und Ausreifung der Narbe
Eine regelmäßige Kommunikation mit den Betroffenen ist während der gesamten Therapiedauer unerlässlich. Kontrolltermine nach Erst- bzw. Neuversorgungen sollten innerhalb von 2 Tagen erfolgen, im weiteren Verlauf patienten und diagnoseabhängig: bei Kindern spätestens vor Ablauf von 3 Monaten, bei Teenagern und Erwachsenen spätestens vor Ablauf von 6 Monaten.
Bei der Narbenentwicklung spricht man nicht von Ausheilung, sondern von Ausreifung. Diese ist abhängig von der Größe und Tiefe der Verletzung, den ggf. erforderlichen Operationen und Transplantationen, eventuell vorhandenen Kontrakturen, der Einhaltung der Therapievorgaben, der Heilungsfähigkeit der Haut und der Compliance der Betroffenen. In den meisten Fällen geht man von einer Ausreifungszeit von 6 bis 24 Monaten aus, aber auch wesentlich längere Therapiezeiten von bis zu 4 Jahren und länger können erforderlich werden. Ein UV-Schutz zusätzlich zu den Kompressionsbandagen ist über den gesamten Zeitraum erforderlich.
Zwischenfazit
Durch die hier beschriebenen Wege der Narbentherapie und deren Kombinationen wird erreicht, dass Narben flacher, weicher und elastischer werden und dass Kontrakturen sowie Bewegungseinschränkungen verbessert werden.
Nicht vergessen werden darf dabei die seelische Belastung der Betroffenen. Diese kann durch eine Verbesserung der Narbensituation zwar verringert, aber nicht gänzlich überwunden werden. Es ist daher empfehlenswert, die Betroffenen über einschlägige Selbsthilfegruppen wie den Bundesverband für Brandverletzte e. V., Cicatrix e. V.für Erwachsene und Paulinchen e. V. für Kinder aufzuklären und ihnen entsprechende Informationen auszuhändigen.
Versorgungsbeispiele von Kopf bis Fuß
Kopf (Abb. 2)
Die Ansprüche an die Versorgung und die Einbeziehung der Wünsche der Betroffenen sind manchmal nicht einfach zu realisieren, wie der in Abbildung 2 gezeigte Fall dokumentiert: Die Narbenflächen der Wange (Abb. 2a) bzw. am Schädel (Abb. 2c) benötigen eine zusätzliche Kompression mit individuell hergestellter Silikondruckpelotte. Am Hals genügt in beiden Fällen ein lockeres Anliegen der Bandage. Individuell zugeschnittene Ohröffnungen sind erforderlich. Ohne Naht wird ein angenehmeres Tragegefühl erreicht. Bei dem gezeigten Beispiel wurde der Wunsch der Patientin realisiert, die Kopfbandage auch mit Haarzopf tragen zu können (Abb. 2c).
Hals (Abb. 3)
Der Kompressionshalskragen „Paulinchenrolle“ (Abb. 3a u. b; die Bezeichnung stammt von der Selbsthilfegruppe Paulinchen e. V.) dient im Halsbereich zur Narbendehnung, im Kinn‑ und Brustbereich zur Narbenkompression. Die Versorgung sollte so hoch angemessen werden, dass der vordere Bereich im angezogenen Zustand eine Falte erzeugt. Damit wird ein passives Kopfneigen Richtung Brust verhindert sowie eine Narbenstreckung am Hals und eine Kompression der Narben am Kinn und am Brustbein realisiert.
Rumpf/obere Extremität (Abb. 4)
Großflächige Narben an Brust, Schulter und Armen, beispielsweise nach Verbrühung durch heiße Flüssigkeiten, werden mit Narbenkompressionswesten versorgt (Abb. 4a–c). Wenn Gesicht und Hals mitbetroffen sind, kommen Kombinationsversorgungen zum Einsatz, z. B. Narbenkompressionsweste, Paulinchenrolle und modifizierte Teilgesichtsmaske (Abb. 4d). Sollte bei Armverletzungen, wie beim abgebildeten Beispiel nach Starkstromunfall, die Hand mitgeschädigt sein, ist eine ergänzende Versorgung mit Narbenkompressionshandschuh erforderlich. Diese kann einteilig erfolgen; aus hygienischen Gründen ist eine zweiteilige Versorgung – Handschuh und Armstrumpf getrennt – im dokumentierten Fall jedoch sinnvoller (Abb. 5a u. b).
Hand (Abb. 6 u. 7)
Syndaktylie-Operationen finden meist im Kleinstkindesalter statt. Bei der Versorgung gilt dem Heilungsverlauf der Fingerzwischenräume der operierten Finger ein besonderes Augenmerk, verbunden mit häufigen Kontrollen (Abb. 6a–c).
Nach einer Verbrennung mit Teilabsprengung der Hand (Abb. 7a–c) durch illegale Knallkörper wurde eine komplexe Versorgung mit individuellen Nachpassungen an den Fingern erforderlich. Im weiteren Therapieverlauf wurden individuell hergestellte Finger-Hand-Orthesen zur Aufdehnung der Kontrakturen angewendet. Bei der in Abbildung 8 dokumentierten Versorgung entstand infolge der Verbrühung beider Beine eine sehr starke Strangbildung im rechten Kniegelenk. Deshalb wurde im rechten Bein der Narbenkompressionshose zusätzlich eine Auflage aus Silontex – ein sehr dünnes silikonbeschichtetes Stoffmaterial – vernäht. Wegen des hohen spastischen Tonus ist im gezeigten Fall eine Versorgung mit einer HTV-Silkondruckpelotte, wie sie sonst in Erwägung gezogen würde, nicht möglich. Die Reststeifigkeit der Silikonpelotte (20 Shore) verursachte einen höheren Tonus. Ständige Bemühungen des Kindes, die Pelotte zu verschieben, verursachten zusätzliche Hautreizungen durch Reibungskräfte – allein das Gefühl einer Silikonpelotte auf der Haut provozierte einen erheblich höheren Tonus. Auch dünne Silikonauflagen, ob individuell gefertigt oder in Form vorgefertigter Sheets, verursachten entsprechende Reaktionen und wurden nicht toleriert. Einzig eine Silontex-Auflage, fest in der Narbenkompressionsbandage vernäht, führte zum Erfolg.
Der in Abbildung 9 dokumentierte Fall betrifft eine Versorgung nach Motorradunfall. Der heiße Auspuff verursachte eine tief drittgradige thermische Verletzung. Die Betroffene nimmt seit ihrem 6. Lebensjahr an Motorradrennen teil und wollte schnellstmöglich ihr Hobby wieder betreiben. Das Versorgungskonzept beinhaltet Narbenkompressionshosen mit zusätzlicher Druckpelotte aus bei Reibung nicht schmelzendem, schwerstentflammbarem Material und für nachts zusätzliche Silikonauflagen.
Lappenplastiken stellen besondere Anforderungen an den Kompressionsdruck. Beim hier dokumentierten Fall (Abb. 10) erfolgte eine Vorgabe des Operateurs, wie viel Druck in welchen Bereichen des Lappens wirken darf, um eine Gefäßschädigung und somit eine Durchblutungsstörung des Lappens zu vermeiden. Der Orthopädie-Techniker ist in einem solchen Fall in Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Narbenkompressionsbandage gefordert, diese Vorgaben umzusetzen. Außerdem ist ein Einschneiden der Versorgung z. B. an den Lappenrändern oder wie hier am oberen Sprunggelenk zu vermeiden. Sehr gute Ergebnisse wurden mit dem 6‑Naht-Strumpf von Jobskin erreicht. Bei dieser Technik besteht der Strumpf aus mehreren Stoffteilen, was eine optimale Passform und individuelle Nachpassungen bei Körperveränderungen durch Abnäher oder das Einsetzen von Erweiterungen ermöglicht.
Fuß (Abb. 11 u. 12)
Narbenversorgungen am Fuß werden mit Narbenkompressionssocken therapiert. Varianten mit und ohne Spitze sind die häufigsten Versorgungen. Eine weitere Versorgungsvariante hat anstele der geschlossenen Spitze einzeln ausgearbeitete Zehen. Diese Form kommt zur Anwendung, wenn Narben bis in die Zehen ausgeprägt sind. Zusätzlich können Silikonauflagen bzw. individuell gefertigte Silikon-Druckpelotten die Versorgung ergänzen (Abb. 11a u. b).
Versorgungen nach Vorfußverlust fordern im Therapieverlauf weit mehr als „nur“ eine Narbenkompression. Mit dieser beginnt die Versorgungskette. Zusätze wie Reißverschluss, gepolsterter Fußrücken mit zusätzlichem Silontex, verstärkte Ferse oder eine individuelle, von der üblichen Stumpfversorgung abweichende Nahtführung am Stumpfende können erforderlich sein. Im Anschluss daran folgen Liner-Versorgung mit individuellen Polsterungen und danach Silikonfußprothesenversorgung. So wird dem Betroffenen ermöglicht, ohne Spezialschuhe durchs Leben zu gehen (Abb. 12a–f).
Fazit
Die Versorgung mit Kompressionsbandagen zur Narbentherapie erfordert individuelle, im wahrsten Sinne des Wortes maßgeschneiderte Lösungen und damit neben Fachwissen häufig auch eine gehörige Portion Kreativität des Versorgers. Wenn durch eine adäquate Passform dann aber sowohl die Akzeptanz der 23-stündigen Tragedauer pro Tag als auch der für die bestmögliche Ausreifung der Narbe vorgegebene Kompressionsdruck erreicht wird, belohnt dies den erhöhten Aufwand. Der Gesamtaufwand lässt sich erheblich reduzieren und die Versorgung beschleunigen, wenn Kompressionsbekleidung verwendet wird, die vom Techniker selbst geändert werden kann. Zusätzliche Therapien können die Ausreifung der behandelten Narbe zwar beschleunigen und verbessern, aber die Kompressionsbehandlung bleibt die tragende Säule im Behandlungskonzept. Daher muss die Grundversorgung stets aus zwei gleichen Versorgungen bestehen, damit eine kontinuierliche Therapie gewährleistet werden kann. Eine lückenlose Fotodokumentation bei jedem Kontrolltermin hilft bei der Bewertung des Behandlungserfolges.
Der Autor:
Holger Pauli
Sanitätshaus Pauli GmbH & Co. KG
Mannheimer Str. 107–109
60327 Frankfurt
Holger.Pauli@sanitaetshaus-pauli.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Pauli H. Narbentherapie – Aufgaben und Lösungswege. Orthopädie Technik. 2018; 69 (12): 48–52
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