Einleitung
Im September 2015 wurde das Fußpassteil Cheetah Xplore für Erwachsene von Össur in Deutschland in den Markt eingeführt. Während auf der einen Seite die Entwicklung im Bereich der mikroprozessorgesteuerten Fußpassteile voranschreitet, die aufgrund ihrer Konstruktion, Motorisierung und Akkutechnik ein deutlich höheres Gewicht aufweisen (Össur Proprio Foot 1.424 g, Endolite Élan 1.200 g, Otto Bock Triton Smart Ankle 1.470 g – jeweils zuzüglich Modularadapter bis zum Schaft), beschreitet Össur mit dem Cheetah Xplore mit einem extrem leichtgewichtigen Bauteil (646 g/Fußgröße 26/Categorie 5) einen entgegengesetzten Weg für den Alltag. Durch diese Bauweise sind keine zusätzlichen Modularadapter zur Verbindung von Schaft und Fuß notwendig. Der Cheetah Xplore ist ein ultraleichter dynamischer sogenannter Blade-Fuß, der ähnlich der Carbonfeder einer Sportprothese dorsal am Schaft angebracht wird. Die Idee stammt von Greg Davidson aus Puyallup im Bundesstaat Washington in den USA. Davidson ist Orthopädie-Mechaniker und Inhaber eines kleinen OT-Betriebes südlich von Seattle. Er konstruierte 2010 den ersten Prototyp aus dem klassischen Cheetah-Fuß in Verbindung mit Vari-Flex-Fersenfedern, den Cheetah mit Ferse als Alltagsfuß zum Gehen für aktive Anwender („Davidson Modified Cheetah with Heel“). Er modifizierte dabei den Cheetah-Fuß in eine Split-Toe-Fußvariante, indem er den Fuß mit der Bandsäge teilte und an genau definierten Punkten die Fersenfedern anschraubte. Össur erkannte das Potenzial des Fußes und wandelte Davidsons Idee in ein Serienprodukt um.
Die dynamische Federlänge modularer Carbonfederfüße beträgt ca. 22 bis 27 cm. Mit dem Cheetah Xplore lässt sich je nach Körpergröße und Fußlänge eine Federlänge von über 58 cm erzeugen. Je länger und härter die Carbonfeder ist, umso dynamischer und kraftvoller wird das Laufgefühl für den Anwender. Der Schlüssel für die Wirksamkeit des Fußes liegt in der Maximierung der Carbonfederlänge: Durch die längere Carbonfeder können steifere Federn benutzt werden als bei herkömmlichen Füßen, während immer noch eine ausreichende Beweglichkeit für ein normales Gehverhalten ermöglicht wird. Dies erzeugt eine weitaus höhere Energierückgabe als die bisher am Markt erhältlichen Fuß-Designs. Die Anwender erhalten dadurch ein direktes Gefühl der Federenergie. Der Fuß zeichnet sich durch eine besonders gute Anpassungsfähigkeit auf unebenem Grund aus. Dies ist durch das Split-Toe-Design und das großbogige C‑förmige Blade-Design bedingt.
Der Hauptnutzen des Fußes besteht in einer signifikant höheren Energierückgabe bei erhöhter Energieaufnahme. Zusätzlich entsteht durch das großbogige C‑förmige Design ein Stoßdämpfungseffekt. Ebenso kompensiert die zweigeteilte Feder Bodenunebenheiten und reduziert unangenehme Hebelmomente zwischen Stumpf und Prothesenschaft. Dies führt in der subjektiven Bewertung der Anwender dazu, weniger auf den Boden schauen zu müssen (Verbesserung im Bereich des Gebrauchsvorteils „geteilte Aufmerksamkeit“).
Mit dem Cheetah Xplore können Unterschenkelprothesen besonders leichtgewichtig gefertigt werden. Durch ein spezielles Setup, ähnlich dem Aufbau eines Stoßdämpfers beim Mountainbike, wird mit leichter Vorspannung der Carbonfeder im Grundaufbau eine besondere Dynamik erzeugt. Der statische Aufbau erfolgt mit 5 mm additivem Absatz oder mit ca. 7 Grad additiver Streckung im Schaft. Die Feder wird auf einer Länge von 9 cm dorsal an den Schaft geklebt oder mit dem üblichen Laminationsverbinder der Cheetah-Sportfüße angeschraubt. Mit der geschraubten Variante wird die Einordnung des Passteils in der Sagittalebene (A/P) erschwert; der Fuß wird je nach Stumpfform und Wadenausprägung sehr weit dorsal in Bezug auf die Aufbauempfehlungen des Herstellers eingeordnet sein. Der Verfasser klebt – wie Greg Davidson – den Cheetah Xplore dorsal an den Schaft an (Abb. 1). Nach erfolgreicher dynamischer Anprobe wird der Fuß mit einem Druck-Laminat zusätzlich gesichert, wie es in der Fittinganleitung von Össur empfohlen wird.
Anwendererfahrungen und Messergebnisse
Im Jahr 2015 wurden im Unternehmen des Verfassers 11 Füße für 9 Anwender eingebaut (1 weibl./8 männl. TN, davon 1 Kind mit Cheetah Xplore junior und 2 TN mit doppelseitiger Amputation). Alle Anwender können den Mobilitätsklassen 3 bis 4 zugeordnet werden. Das Durchschnittsalter der TN betrug 45 Jahre (Jüngster: 9 Jahre, Ältester: 67 Jahre). Die im Folgenden geschilderten Beobachtungen stützen sich auf die Aussagen und subjektiven Bewertungen der Anwender. Unabhängig davon wurden bei 8 Anwendern Ganganalysen mit dem System „PRO.Vision“ (Fa. Streifeneder) sowie Druckmessungen mittels Kraftmessplatte durchgeführt. Außerdem wurden mittels des Kurzfragebogens „Prosthetic Limb Users Survey of Mobility“ (PLUS‑M) die subjektiven Eindrücke der Teilnehmer bezüglich der Alltagssituationen erfasst. Bei allen Prothesen wurde der Aufbau für Unterschenkelprothesen nach Blumentritt mit dem LASAR Posture optimiert (Abb. 2).
Durch den Verzicht auf jegliche Modularadapter konnte im Schnitt eine um 31 % leichtere Prothese zur Verfügung gestellt werden (11 Anwendungsbeobachtungen im Vergleich zur Vorversorgung). Dies entspricht einem durchschnittlichen Einsparpotenzial von ca. 570 g Gewicht. Maximal konnte das Prothesengewicht im Erwachsenenbereich um 42 % (823 g) reduziert werden. Die bisher geringste Gewichtsreduzierung im Hause des Verfassers beträgt 10 % (196 g). Die leichteste Versorgung bisher wiegt 895 g (Abb. 3). Eine Kinderversorgung (Abb. 4) konnte um 53 % leichter realisiert werden (446 g Cheetah Xplore gegenüber 944 g in Modularbauweise).
Der Gebrauchsvorteil des deutlich reduzierten Prothesengewichtes kann nach der Erfahrung des Verfassers als erheblich angesehen werden. Wenn man an einer Unterschenkelprothese 1.000 g Gewicht einsparen kann, bedeutet dies, bei 1.000 Schritten mit der Prothese 1.000 kg weniger Gewicht bewegen zu müssen. Der metabolische Energieumsatz wird reduziert bzw. die eingesparte Energie steht z. B. für längere Gehstrecken zur Verfügung. Diesen Vorteil schätzen vor allem Kurzstumpfpatienten und Anwender der niedrigeren Mobilitätsklassen sehr.
Eine Versorgung wurde im Vergleich zur Vorversorgung um 8 % schwerer. Hierbei handelt es sich um eine Syme-Prothese rechts bei beidseitiger Amputation (Abb. 5). Die Körpergröße der jungen Anwenderin wurde um 5 cm erhöht, um mehr Carbonfederlänge zu erhalten. Somit ist die Gewichtssteigerung nachvollziehbar. Bisher wurden nur deutlich steifere Low-Profile-Passteile verwendet. Die Verbesserung der Abrolldynamik und die Stoßdämpfungseffekte waren für die Anwenderin sofort und besonders eindrucksvoll spürbar.
Die distale Schwungmasse und das Prothesengewicht können weiter verringert werden, wenn man auf die Standardfußcover (ca. 150 g) verzichtet, die Fußform stattdessen mit Plastazote aufbaut und abschließend mit geschlossenporigem Schaummaterial bezieht. Das Einsparpotenzial liegt bei ca. 75 bis 100 g. Die plantaren Schaumteile sind im Lieferumfang enthalten (Abb. 6).
Wer das Gewichtseinsparungspotenzial voll ausschöpfen will, könnte beim Aufbau auf den Schuh verzichten und direkt an der Feder plantar eine Laufsohle befestigen. Dadurch kann die Carbonfederlänge als Nebeneffekt nochmals gesteigert werden. Die bisher versorgten Anwender beschreiben unabhängig voneinander nach kurzer Einlaufphase, dass sich das Gehen viel natürlicher anfühle, sie weniger ermüdeten und sich agiler fühlten.
Weitere Testergebnisse
Eine erste Studie aus den USA von McDuffee (University of Washington) 1 belegt eine höhere Zufriedenheit mit dem Balance-Empfinden und dem daraus resultierenden Vertrauen in die Prothese im Vergleich zu den Vorversorgungen. Veröffentlicht wurden diese Ergebnisse im Februar 2015 anlässlich der 41. Jahrestagung der American Academy of Orthotists & Prosthetists. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Befund, dass alle getesteten Anwender bereits mit hochwertigen Carbonfederfüßen (Össur Vari-Flex XC, Össur Vari-Flex EVO, Össur Reflex Rotate, Otto Bock Triton) vorversorgt waren, jedoch beim Umstieg vom Cheetah Xplore zurück zur Vorversorgung erhebliche Anlauf- und Umstellungsprobleme äußerten sowie das deutliche Mehrgewicht bemängelten.
Mögliche Ursache hierfür ist die Reduktion des distalen Pendelgewichts durch den Verzicht auf jegliche Modularadapter. Die geringere Massenträgheit führt zu einer verbesserten und genaueren Positionierbarkeit des Fußes. Dies führt z. B. auf Treppen oder unebenem Untergrund zu einer Erhöhung der subjektiven Sicherheit der Anwender. Gerade auf Treppen oder beim Bergaufgehen kann die C‑Feder einfacher gebogen werden, bietet einen längeren Federweg und reduziert so die kniestreckende Belastung.
Manche Anwender ohne Lauf- oder Joggingerfahrung konnten bereits nach kurzer Zeit kurze Beschleunigungsstrecken mit dem Cheetah Xplore durchführen und sich im Dauerlauftempo fortbewegen. Dies ist aber sehr von den Stumpfvoraussetzungen und ‑längen abhängig. Mit einem Sportfuß zum ausdauernden Joggen oder Sprinten soll der Cheetah Xplore ausdrücklich nicht verglichen werden.
Die direkte Anbindung des Fußes dorsal am Schaft überträgt Vibrationen direkt auf die Stumpfbettung. Dies führt subjektiv zu einer Verbesserung der Propriozeption und zur verbesserten Wahrnehmung des Untergrundes. Ein Nachteil des Passteils ist die kosmetische Verkleidung. Hier können Cover in Schalenbauweise zum Einsatz kommen; eine Alternative sind einfache, z. B. aufklettbare Formausgleiche zur Füllung des Hosenbeines ohne Anspruch auf Anpassung an die Form der Gegenseite, eher als futuristische Designvariante. Eine Anpassung an die Beinform der Gegenseite wird selten Aussicht auf Erfolg haben. Dieser Sachverhalt muss vor Versorgungsbeginn mit den Anwendern besprochen werden.
Fazit
Keiner der bisher versorgten Anwender möchte auf seine bisherige Versorgung zurückwechseln. Nach Auswertung der PLUS-M-Fragebögen konnte eine Steigerung der Mobilität von durchschnittlich 56,05 % T‑Score auf 63,15 % T‑Score nachgewiesen werden. Beim 6‑Minuten-Gehtest konnten alle Anwender die Gehstrecke mit der Cheetah-Xplore-Versorgung steigern. Durchschnittlich konnte die Gehstrecke um 41 m (min. 7 m; max. 119 m) gesteigert werden. Dies entspricht einer durchschnittlichen Gehstreckensteigerung um 13 % (min. 2 %; max. 40 %).
In der PRO.Vision-Ganganalyse konnte eine Annäherung an die physiologischen Parameter nach Perry 2003 (Stand-Schwungphase 60/40) 2 nachgewiesen werden, obwohl alle Anwender als gute und harmonische Geher anzusehen sind (Abb. 7). Der Bewegungsumfang am Sprunggelenk (Dorsalextension/Plantarflexion) konnte im Vergleich zur Vorversorgung im Durchschnitt um 2,3 Grad – von 18,3 auf 20,6 Grad – gesteigert werden. Der Kniewinkel beim „Initial Contact“ konnte von 2,5 auf 4,2 Grad im Schnitt gesteigert werden. Die Lastverteilung bei der statischen Druckmessung konnte bei allen Versorgungen optimiert werden, d. h., die Belastung der Prothesenseite konnte gesteigert werden.
Der Cheetah Xplore ist ein sehr gut geeignetes Produkt für den Alltag von Anwendern mit den unterschiedlichsten Anforderungen. Anwender der Mobilitätsklasse 2 werden die leichte Bauweise zu schätzen wissen, während Anwender der Mobilitätsklasse 4 die Möglichkeit der unterschiedlichen Gehgeschwindigkeiten schätzen – ebenso die Möglichkeit, wieder Sprünge durchzuführen und noch weitere Mobilitätsverbesserungen zu erfahren. Besonders Kurzstumpfpatienten äußern nach Erfahrung des Verfassers oftmals den Wunsch nach besonders leichten Prothesen. Dieser Wunsch kann mit dem Cheetah Xplore erfüllt werden.
Wünschenswert wären weitere wissenschaftliche Studien bezüglich Gleichgewicht, Energierückgabe, Sicherheitsempfinden, Energieumsatz und Prothesengewicht, die die durchweg positiven Erfahrungen der ersten Benutzer zusätzlich objektivieren. Ebenso wäre eine serielle Lösung für ein aktives Unterdrucksystem (Unity) (Abb. 8) als individuelle Lösung erforderlich, um die Schnittstelle Stumpf/Schaft zu optimieren.
Der Autor:
Martin Brehm
Sanitätshaus Klein
Zuckerstraße 30
64807 Dieburg
mbrehm@sani-klein.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Brehm M. Leistungsfähigkeit von Blade-Fußpassteilen im Alltag — Erfahrungsbericht nach neun Versorgungen mit dem Passteil Cheetah Xplore. Orthopädie Technik, 2016; 67 (4): 40–43
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- McDuffee MC. Self-assessed balance confidence in patients with transtibial amputations using the Modified Cheetah prosthesis. American Academy of Orthotists & Prosthetists, 41st Academy Annual Meeting & Scientific Symposium February 18–21, 2015. http://www.oandp.org/publications/jop/2015/2015–81.pdf (Zugriff am 23.02.2016)
- Götz-Neumann K. Gehen verstehen. Ganganalyse in der Physiotherapie. Stuttgart, New York: Thieme, 2006: 17