Einleitung
Die Entwicklung von Prothesenfüßen für die Alltagsversorgung Beinamputierter ist in den letzten Jahren durch eine stetige Zunahme der verfügbaren Funktionalitäten gekennzeichnet. Insbesondere die zunehmende Nutzung hydraulischer Steuerungen der Knöchelbewegung und die Entwicklung mikroprozessorgesteuerter Konzepte leisten hierfür einen wesentlichen Beitrag und ergänzen die bewährten konventionellen konstruktiven Ideen.
Für den Bereich des Hochleistungssports, insbesondere den leichtathletischen Sprint, kann für den Zeitraum der letzten 20 Jahre ebenfalls eine kontinuierliche und dynamische Optimierung der Fußkonzepte konstatiert werden. Beispiele hierfür sind die heute oft verwendeten Versionen der Cheetah-Familie (Össur), der Catapult Running (Freedom Innovations) oder der 1E90 Sprinter (Ottobock). Mit diesen Passteilen erreichen die weltbesten unterschenkelamputierten Athleten mittlerweile 100-Meter-Zeiten weit unterhalb der 11-Sekunden-Grenze 1.
Die oftmals auf den Hochleistungsbereich fokussierte Entwicklung der Sportfüße führte auch dazu, dass spezifische Füße für breitensportliche Aktivitäten lange nicht zur Verfügung standen. Somit konnte dem zunehmenden Wunsch Beinamputierter, sich im Rahmen der Rehabilitation sportlich zu betätigen, nur unzureichend entsprochen werden. Als Behelfslösung für populäre Freizeitsportaktivitäten wie Laufen (Joggen), Ballsportarten oder Rückschlagspiele diente oftmals die Nutzung hochdynamischer Alltags- oder Sprintfüße. Insbesondere Letztere stellten durch die eigentliche Zweckbestimmung für das Laufen mit maximaler Geschwindigkeit aufgrund der fehlenden Ferse, der mangelnden mehraxialen Flexibilität oder der steifigkeitsbedingten extremen Rückstellkräfte nur unbefriedigende Kompromisslösungen dar.
In jüngster Vergangenheit sind verstärkte Aktivitäten verschiedener Hersteller zu beobachten, mit Neuentwicklungen die beschriebene Lücke im Passteilangebot für den Breitensport zu schließen. In diesem Kontext wird im vorliegenden Beitrag ein neuartiger Prothesenfuß für Sportaktivitäten vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Resultate erster biomechanischer Tests für das Laufen und für Grundelemente von Ballsportarten und Rückschlagspielen, die mit Unterschenkelamputierten durchgeführt wurden. Hiermit soll die Eignung des neuen Konzeptes für die beschriebenen Bewegungsabläufe getestet werden.
Methoden
Sportprothesenfuß 1E95
Der in der Untersuchung zu testende Sportprothesenfuß ist der in Abbildung 1 dargestellte 1E95 Challenger (Ottobock, Deutschland). Die spezifische Kontur der Hauptfeder (2) führt zu einer minimalen Beweglichkeit oberhalb des Kurvenradius, wodurch die Stabilität des Federsystems unterstützt wird. Der langgezogene Teil der Hauptfeder unterhalb des Kurvenradius ist extrem flexibel – vorteilhaft für die bei vielen sportlichen Bewegungsabläufen notwendigen Stoßdämpfungs- und Energierückgabeeffekte. Durch die konstruktive Lösung von Basisfeder (3) und Fersenkeil (4) gelingt eine Entkopplung von Fersen- und Vorfußbereich. Hierdurch verbleibt die Bodenreaktionskraft bei Fersenauftritt im Rückfußbereich. Bei Beginn des Vorfußkontaktes ist somit die Hauptfeder zunächst weitgehend unbelastet, wodurch die elastischen Eigenschaften dieses Elementes nachfolgend nahezu vollständig genutzt werden können. Eine Fußhülle ist nicht erforderlich. Durch das Vorfußpolster (5) kann der Fuß mit allen niedrig geschnittenen Sportschuhvarianten genutzt werden.
Probandengruppe
An der Untersuchung nahmen 5 männliche unilateral Unterschenkelamputierte mit hohem Mobilitätsgrad teil, die ein starkes Interesse an sportlichen Aktivitäten angaben und diese bisher mit dem jeweiligen Alltagsfuß ausführten. Die individuellen Daten der Freizeitsportler sind in Tabelle 1 angegeben. Für Vergleichszwecke standen die Daten einer Gruppe von 5 männlichen neurologisch und orthopädisch gesunden Personen zur Verfügung (25 ± 2 Jahre, 76 ± 14 kg, 180 ± 8 cm). Diese Personen absolvieren in ihrer Freizeit 2 bis 3 durchschnittlich 90-minütige Trainingseinheiten pro Woche. Bei 3 Probanden ist die bevorzugte Sportart das Laufen, jeweils ein Proband betreibt primär Fußball bzw. allgemeines Fitnesstraining. Diese Gruppe wurde unter identischen Bedingungen wie die Unterschenkelamputierten beim Laufen im Labor vermessen.
Messtechnik
Die biomechanischen Tests wurden in einem Ganglabor durchgeführt, das eine 12 m lange Laufstrecke bietet. Die Kinematik der Bewegung wurde mit einem optoelektronischen Kamerasystem (12 Bonita-Kameras, Vicon, Oxford, UK; Messfrequenz 200 Hz) über die Verfolgung von 17 passiven Markern erfasst. Diese wurden gemäß einem früher beschriebenen selbst entwickelten Modell platziert 1. Die Messung der Bodenreaktionskräfte erfolgte mit zwei in der Laufstrecke integrierten Kraftmessplatten (9287A, Kistler, Winterthur, CH; Messfrequenz 1 kHz). Auf der Basis der kinematischen Daten und der Bodenreaktionskräfte wurden die externen Gelenkmomente gemäß einem Algorithmus berechnet, der ebenfalls in einer früheren Arbeit beschrieben wurde 2.
Versuchsdurchführung
Die getesteten unterschenkelamputierten Sportler hatten keine Vorerfahrungen mit dem 1E95. Vor Beginn der Tests wurde dieser den Sportlern vorgestellt und der Inhalt der Untersuchung erläutert. Dann erfolgte der Einbau des Sportfußes in die jeweilige Alltagsprothese entsprechend der in einer Voruntersuchung ermittelten biomechanisch optimierten Aufbauvorschrift 3. Gemäß dieser ist der Fuß sowohl in Sagittal- als auch Frontalebene ähnlich wie Alltagsfüße ins Prothesensystem des Unterschenkelamputierten einzuordnen 4 5. Nachfolgend testeten die Sportler das Laufen mit dem System ohne spezifische Vorgaben zwischen 30 und 60 Minuten. Die ersten Versuche wurden in einer natürlichen Situation außerhalb des Labors absolviert. Anschließend erfolgte die Adaptation an die Bedingungen im Labor, was keinerlei Probleme bereitete. Während dieser Testphase wurde die individuell optimale Steifigkeit des Fersenkeils ermittelt (siehe Abb. 1). Nach Abschluss aller vorbereitenden Aktivitäten, einer Erholungsphase von ca. 15 Minuten und der Präparierung mit den Messmarkern starteten die Untersuchungen.
Laufen
Die Sportler liefen mit der Anweisung einer selbstgewählten Geschwindigkeit, die subjektiv dem Laufen in natürlicher Umgebung entsprechen sollte, mehrfach durch das Messvolumen im Labor (Abb. 2). Dabei wurden für Prothesen und kontralaterale Seite zwischen 6 und 10 Einzelversuche aufgezeichnet. Aus diesen Werten wurden laufzyklusnormierte Mittelwerte gebildet und ausgezeichnete Peaks der biomechanischen Parameter selektiert. Für diese Bewertungsparameter erfolgte eine Prüfung hinsichtlich signifikanter Unterschiede zwischen Prothesen- und kontralateraler Seite und zur Gruppe der Nichtamputierten mit dem U‑Test (Mann/Whitney). Dabei wurde das Signifikanzniveau auf p ≤ 0.05 festgesetzt. Die Daten der Nichtamputierten repräsentieren die Mittelwerte der Parameter beider Extremitäten.
Vergleich: 1E95 und Alltagsfuß bei differenten Bewegungsabläufen
Der einzige Sportler (Proband 5 aus Tabelle 1), der angab, auch im Alltag regelmäßig zu laufen, wurde ebenfalls mit dem Alltagsfuß 1C60 Triton (Ottobock) analog der oben beschriebenen Weise vermessen. Daneben absolvierte dieser Sportler vergleichend mit beiden Füßen Bewegungsabläufe anderer Freizeitsportaktivitäten, worauf er sich in der Vorbereitungsphase ebenfalls vorbereitete. Unter diesen ist eine sogenannte Crossover-Step-Schrittfolge für eine biomechanische Objektivierung gut geeignet. Diese repräsentiert Grundelemente einer ganzen Reihe von Sportarten (vor allem Tennis, Badminton, Squash, Hand- und Basketball). In der Situation im Labor hat der Sportler dabei die Aufgabe, sich aus einer Ausgangsstellung mit zwei schnellen Schritten prothesenseitig nach lateral zu bewegen. Beim 3. Schritt wird die Kraftmessplatte kontaktiert und mit der Prothese eine schnelle Umkehrbewegung in die Ausgangsstellung eingeleitet. Dieser Gesamtzyklus (Abb. 3 rechts) wird 15 Sekunden lang wiederholt. Die Aufgabe besteht darin, möglichst viele Zyklen zu absolvieren. Dabei wird jeweils die Umkehrbewegung mit der Prothese auf der Kraftmessplatte gemessen (Abb. 3 links). Für beide Prothesenfüße wurden 5 Versuche dieser Art durchgeführt. Eine fußvergleichende Analyse wurde anhand der Versuche mit der höchsten erreichten Zyklenanzahl vorgenommen.
Der Sportler absolvierte den gesamten Messablauf (Laufen und Crossover-Step-Schrittfolge) zunächst mit dem 1E95. Nach einer 30-minütigen Pause wurde die Prozedur mit dem Alltagsfuß wiederholt.
Resultate
Laufen
Die unterschenkelamputierten Sportler liefen mit einer im Vergleich zu den Gesunden nur minimal geringeren mittleren Geschwindigkeit (2.9 (Standardabweichung: 0.1) m/s vs. 3.0 (0.1) m/s). Die Schrittlängen waren ebenfalls nur tendenziell – ohne signifikanten Beleg – verringert (Prothesenseite ℗: 1.12 (0.07) m, kontralaterale Seite (K): 1.08 (0.09) m, Gesunde (G): 1.15 (0.08) m). Die mittlere Vertikalkomponente der Bodenreaktionskraft der unterschenkelamputierten Sportler ähnelt den Messwerten der gesunden Gruppe mit nichtsignifikant unterschiedlichen Maximalwerten von 256 (44) % BW ℗, 265 (37) % BW (K) und250(43)% BW(G). Dabei werden mit 1E95 vergleichsweise hohe Werte im letzten Teil der Stützphase gemessen (Abb. 4). Die mittlere Horizontalkraftkomponente der kontralateralen Seite der unterschenkelamputierten Sportler ähnelt der der Nichtamputierten (Abb. 4). In der prothesenseitigen Stützphase (laufspezifischer Terminus, der der vom Gehen bekannten Bezeichnung „Standphase“ entspricht) werden signifikant verringerte horizontale Kräfte gemessen. Dies betrifft sowohl das bremsend wirkende Minimum (–15 (4) % BW vs. –29 (7) % BW (K) und –23 (7) % BW (G)) als auch das beschleunigend wirkende Maximum (17 (7) % BW vs. 26 (6) % BW (K) und 29 (5) % BW (G)). Die aus den Horizontalkräften berechneten mittleren Quotienten aus Bremsund Beschleunigungsimpuls zeigen mit einem Wert von 0.73 (0.29) beim Stütz mit dem Sportfuß einen effizienteren Wert im Vergleich mit dem kontralateralen Bodenkontakt (0.85 (0.38)) an. Der Wert der gesunden Gruppe beträgt hier 0.58 (0.16).
Die Parameter des Knöchelgelenks sind für die kontralaterale Seite der unterschenkelamputierten Sportler und die Gesunden erneut ähnlich (Abb. 5a und b). Mit dem Sportfuß wird nach Stützbeginn keine initiale Plantarflexion ausgeführt, sondern sofort eine extensive Dorsalextension eingeleitet. Deren Amplitude ist mit 23 (3)° verglichen mit der kontralateralen Seite (13 (5)°) und den Gesunden (15 (5)°) signifikant vergrößert. Am Knöchelgelenk (konstruktiv bedingt anzunehmen auf der Hauptfeder ca. 8 cm vor deren dorsalem Ende) wird in der Mitte der Stützphase das höchste mittlere Maximalmoment gemessen (2.8 (0.3) Nm/kg vs. 2.4 (0.2) Nm/kg (K) und 2.6 (0.1) Nm/kg (G)). Hierbei ist die Differenz zur kontralateralen Seite signifikant.
Die biomechanischen Parameter der proximalen Gelenke der unteren Extremität offenbaren bei den durchgeführten Vergleichen nur geringe Differenzen. Ausgenommen hiervon ist lediglich das am prothesenseitigen Kniegelenk wirkende Flexionsmoment (Abb. 5c und d). Dieses ist beim Bodenkontakt mit der Prothese signifikant verringert (–1.5 (0.6) Nm/kg vs. –2.5 (0.5) Nm/kg (K) und –2.3 (0.5) Nm/kg (G)). Generell führen die unterschenkelamputierten Sportler in der Stützphase mit beiden Kniegelenken eine lauftypische Flexions-Extensions-Bewegung aus; die Gelenke sind dabei zu Beginn des Bodenkontaktes im Mittel mit Werten zwischen 5 und 8° etwas stärker als beim Gehen „vorflektiert“.
Vergleich: 1E95 und Alltagsfuß bei differenten Bewegungsabläufen
Bei der Untersuchung des Laufens lief der Sportler mit dem 1E95 im Vergleich mit dem Alltagsfuß mit einer etwas größeren Geschwindigkeit (3.1 vs. 2.9 m/s) und höheren Schrittlängen (1.20 vs. 1.10 m ℗ und 1.20 vs. 1.18 m (K)). Die Stützzeiten unterschieden sich nur geringfügig (0.27 vs. 0.26 s ℗ und 0.30 vs. 0.29 s (K)). Die gemessenen Bodenreaktionskräfte weisen markante quantitative und strukturelle Differenzen auf (Abb. 6). Das Maximum der Vertikalkomponente ist mit dem 1E95 deutlich höher (291 vs. 257 % BW) und erreicht knapp das Dreifache des Körpergewichts. Zudem ist der Kurvenverlauf mit dem Sportfuß deutlich harmonischer und nicht „zweigipflig“. Die Horizontalkomponente zeigt bei 1E95 reduzierte maximale Brems- (–12 vs. –28 % BW) und erhöhte Beschleunigungskräfte (19 vs. 13 % BW).
Für das Verhältnis von Brems- zu Beschleunigungsstoß wurde für 1E95 ein stark reduzierter Wert im Vergleich mit dem Alltagsfuß errechnet (0.40 vs. 1.95). Dies ist als Indikator für eine deutlich effizientere Stützphase mit dem Sportfuß zu werten. Am Knöchelgelenk ist bei Stützbeginn auffällig, dass mit dem Alltagsfuß zunächst eine geringfügige Plantarflexion eingeleitet wird, die mit dem Sportfuß nicht messbar ist. Im weiteren Verlauf wird mit 1E95 eine ausgeprägte Dorsalextension von ca. 23° ausgeführt (Alltagsfuß: 20°). Der Maximalwert des am Knöchelgelenk wirkenden Moments ist mit dem Sportfuß deutlich höher (2.8 vs. 2.4 Nm/kg, Abb. 7a und b) Für die proximalen Gelenke zeigen sich geringfügigere Differenzen im Fußvergleich. Ausgenommen davon ist ein etwas stärkerer knieextendierender Effekt gegen Ende der Stützphase mit 1E95 (Abb. 7c und d).
Bei der getesteten Crossover-Step-Schrittfolge war der Sportler in der Lage, innerhalb des 15-Sekunden-Tests mit dem Sportfuß 6 komplette Zyklen zu absolvieren, mit dem Alltagsfuß zwischen 5 und 6. Exemplarisch sind in Abbildung 8 die vertikale und die mediolaterale Komponente der Bodenreaktionskraft für zwei Umkehrbewegungen (3. und 4. Kontakt des 15-Sekunden-Tests) auf der Kraftmessplatte dargestellt (Abb. 3). Mit beiden Füßen ist dabei ein „initialer Kontaktpeak“ messbar.
Generell zeigen sich beim Fußvergleich markante Differenzen bezüglich der Dynamik der Bewegung. Die Zykluszeit (Periode zwischen dem Beginn zweier Umkehrbewegungen) ist mit dem Sportfuß deutlich verringert (Mittelwert der 6 Kontakte: 2.33 vs. 2.52 s). Gleiches trifft auf die Stützzeit zu (0.40 vs. 0.49 s). Aufgrund der höheren möglichen Bewegungsgeschwindigkeiten werden mit 1E95 deutlich höhere Bodenreaktionskräfte gemessen, die sich auch strukturell unterscheiden. Dies gilt für die dem „initialen Kontaktpeak“ nachfolgenden Maximalwerte der vertikalen (1590 vs. 1293 N) und der mediolateralen (691 vs. 569 N) Komponente. Zudem sind die mit dem Alltagsfuß sichtbaren Unstetigkeiten („Buckelbildung“ im letzten Teil des Stützes) mit dem 1E95 nicht messbar.
Diskussion
Für das bei den Tests im Labor zunächst schwerpunktmäßig untersuchte Laufen wurden Geschwindigkeiten zwischen 2.9 und 3.1 m/s ermittelt. Dies entspricht „Kilometerzeiten“ zwischen 5:45 und 5:22 Minuten und zeigt, dass das breitensportliche Laufen auch unter den spezifischen Bedingungen des Labors mit der limitierten Laufstrecke weitgehend realitätsnah ausgeführt und vermessen werden kann 6. Die geringfügigen Geschwindigkeitsunterschiede lassen zudem einen direkten Vergleich der biomechanischen Parameter zwischen den untersuchten Situationen zu.
Die Tests zum Laufen bestätigen, dass unterschenkelamputierte Sportler diese Aktivität im Vergleich mit Nichtamputierten auch ohne eine grundlegende Änderung der Motorik ausführen können. Die Motorik des Laufens Nichtamputierter ist in biomechanischen Analysen nachvollziehbar dokumentiert 6 7 8. Die biomechanischen Parameter der kontralateralen Extremität ähneln ohne Ausnahme dhttpenen der Nichtamputierten.
Die amputationsbedingten Funktionsausfälle der prothetischen Extremität Unterschenkelamputierter erfordern insbesondere einen künstlichen Ersatz der Funktion der sprunggelenkübergreifenden Muskulatur. Prinzipiell ist dies auch mit Alltagsfüßen möglich. Frühere Studien zum Laufen Unterschenkelamputierter mit Alltagsfüßen dokumentieren als wesentliche prothesenseitige biomechanische Charakteristiken – neben der unvermeidlich geänderten Knöchelbewegung – eine vergleichsweise ineffiziente Stützphase (relativ starke Bremseffekte), eine leicht eingeschränkte Knieflexion und drastisch reduzierte Knieflexionsmomente 9 10 11 12.
Die hier vorgestellten Messungen zeigen, dass das Konzept des 1E95-Sportfußes diese Limitierungen teilweise deutlich reduziert. Dies ist belegbar mit den Mittelwerten der hier untersuchten Gruppe im Vergleich mit den Resultaten einer früheren Studie mit 6 mit einem FlexFoot versorgten Sportlern 9. Bestätigt wird dies auch mit dem hier dargestellten Einzelvergleich zwischen 1E95 und Alltagsfuß. Das neu konzipierte Fersenverhalten und die elastischen Eigenschaften der Hauptfeder führen zu einem extrem verbesserten Verhältnis zwischen bremsenden und beschleunigenden Effekten. Die Abstoßphase wird wirksam unterstützt, wodurch insbesondere die fehlende Funktion der Plantarflexoren besser als bisher ersetzt wird. Das neuartige Fersenverhalten mit einer ausgeprägten Dorsalextension fördert eine näherungsweise natürliche Knieflexion unter Belastung. Die für Unterschenkelamputierte typische Reduktion des knieflektierenden Moments fällt im Vergleich zu den mit FlexFoot-Prothesenfüßen beim Laufen gemessenen Werten 8 deutlich geringer aus.
Der grundsätzliche Effekt der Reduktion der Knieflexionsmomente spiegelt möglicherweise auch eine spezifische Adaptation an die Situation nach Unterschenkelamputation wider, die in früheren Studien nachgewiesen wurde. Gemäß diesen Untersuchungen korreliert die unter Belastung beim Gehen ebenfalls messbare Reduktion der Momente mit reduzierten Muskelquerschnitten 13 und reduzierten Muskelkräften 14 der prothesenseitigen Knieextensoren. In diesem Sinne könnte die konstruktiv bedingte Normalisierung der Kniebelastung durch den 1E95 auch einen positiven therapeutischen Effekt haben, da vergrößerte Knieflexionsmomente verstärkte kompensatorische Aktivitäten der Extensoren erfordern. Es erscheint plausibel, dass dieser Effekt somit auch zu einer Kräftigung dieser bei Unterschenkelamputierten generell etwas geschwächten Muskelgruppe beitragen kann 13 15.
Die Resultate der neben dem Laufen exemplarisch untersuchten Bewegungsabläufe lassen darauf schließen, dass sich der 1E95 auch für andere Freizeitsportaktivitäten besser eignet als die bisher benutzten Alltagsfüße. Aus ersten Erfahrungen im Rahmen von Feldtests berichteten 20 Nutzer mehrheitlich von einem hohen Maß an Stabilität bei gleichzeitig spürbar erhöhter „Dynamik“. Diese Effekte sind interpretierbar als Resultate des neuartigen Fersenverhaltens und der konstruktiven Gestaltung der Hauptfeder und sollten sich als besonders vorteilhaft erweisen, wenn der Sportfuß bei Ballsportarten oder Rückschlagspielen genutzt wird (Abb. 9). Im Rahmen dieser Untersuchung ist dies mit den Dynamogrammen der Umkehrbewegungen der Crossover-Step-Schrittfolge messtechnisch nachvollziehbar (verkürzte Stützzeiten, erhöhte Maximalkräfte und „harmonischere“ Kurvenverläufe mit 1E95).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der hier vorgestellte Sportprothesenfuß erweiterte Möglichkeiten im freizeitsportlichen Bereich bietet. Bisherige prinzipielle Limitierungen bei der Nutzung von Alltagsfüßen im Vergleich mit den Bewegungsmustern Nichtamputierter werden bei gleichzeitig physiologischerer Belastung des Bewegungsapparats reduziert. Der Einsatz des Fußes ist dabei nicht auf den Bereich der Unterschenkelamputation beschränkt: In Kombination mit einem mechatronischen Prothesenkniegelenk mit integrierter Standphasenbeugesicherung ist der Einsatz auch im Freizeitsport Oberschenkelamputierter denkbar. Entsprechende Tests hierzu sind geplant.
Für die Autoren:
Dr. Thomas Schmalz
Ottobock Healthcare GmbH
Bereich Forschung/Biomechanik
Hermann-Rein-Straße 2a
37075 Göttingen
schmalz@ottobock.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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