Einleitung
In welche Richtungen kann ein Fuß belastet werden? Herrschen z. B. Druckbelastung, Scherkräfte oder auch Biege- und Torsionsbelastungen? Abbildung 1 zeigt eine Auswahl der auf den Fuß wirkenden Belastungsformen. Je nach Indikation und Versorgungsziel kommt eine andere Belastungsart bei der Optimierung der Versorgung zum Tragen. Die Fragen dabei lauten: Wie hoch ist die Belastung, wie verändert sie sich bei unterschiedlichsten pathologischen Bedingungen an den unteren Extremitäten, und wie kann sie mit der Versorgung z. B. mit Prothesen, Orthesen, Schuhen und Einlagen entsprechend beeinflusst werden? Aber auch bei der Optimierung von Bewegungsabläufen, z. B. bei der Auswahl bzw. Anpassung von Prothesenfüßen, im Sport oder bei der Athletenversorgung, ist die Frage nach der Belastung zu klären.
Gängige Messverfahren für die Messung im Schuh oder in Prothesenschäften sind bisher für die Ermittlung von Druck geeignet. So kann eine Komponente von vielen verschiedenen Belastungen, denen die untere Extremität ausgesetzt ist, ermittelt werden. Dies ist für die Überprüfung einiger Versorgungsziele in der Technischen Orthopädie auch zielführend. Da jedoch Messtechniken Werkzeuge zur Überprüfung der Umsetzung der jeweiligen Versorgungsziele und zur Optimierung der gesamten Versorgung darstellen, muss das richtige Messwerkzeug eingesetzt werden, um die richtige Messgröße – die richtige Belastungsart – zu erhalten. Ist beispielsweise bei einem degenerativ veränderten Gelenk die Reduzierung der Biegebelastung das Ziel, so muss auch diese Belastungsgröße überprüft werden. Nur so kann das Erreichen des Zieles nachvollziehbar überprüft und erklärt werden.
Biege- und Torsionsbelastungen, zwei der in Abbildung 1 gezeigten Belastungsformen, werden durch Drehmomente hervorgerufen und treten in der Regel an den Gelenken – unter anderem der unteren Extremität – während alltäglicher oder sportlicher Aktivitäten auf. Ein Moment ist physikalisch als das Produkt aus der wirkenden Kraft und der Länge des Hebelarms definiert. Das Moment verändert sich, wenn entweder die Kraft kleiner oder größer wird oder die Länge des Hebelarms sich verändert.
Zwei exemplarische Beispiele für relevante Biegebelastungen sind:
- die Dorsalextensionsbelastung in den Zehengrundgelenken während der späten Standphase des Schrittzyklus (Abb. 2) – bei verschiedenen Vorfußbeschwerden wie z. B. Hallux valgus, Hallux limitus oder rigidus gilt es, diese Belastung am Metatarsophalangealgelenk I (MTP I) durch diverse orthopädische Maßnahmen zu minimieren;
- das Ersetzen des Vorfußhebels mittels Prothesenfuß, um möglichst gute Hebelverhältnisse für Stabilität und Vorwärtsbewegung auf der versorgten Seite herzustellen.
Eine typische Torsionsbelastung tritt bei der Verwringung von Vor- zu Rückfuß während der Standphase beim Gehen oder Laufen auf. Die beschriebenen Biege- und Torsionsbelastungen können mit Hilfe der vebito-Innensohlenmesssysteme am Fuß im Schuh aufgenommen werden. Hierfür wird die Messsohle wie eine Einlegesohle in den Schuh gelegt. Die spezielle Form des Trägermaterials erlaubt eine unabhängige Analyse verschiedener Fußareale. Die Sensoranordnung und ‑verschaltung ermöglicht eine parallele Detektion von Biege- und Torsionsbelastungen 12.
Die vebito-Messsysteme gibt es in zwei unterschiedlichen Ausführungen, die sich sowohl durch Anzahl und Art der Sensoren als auch durch die Komplexität der Software unterscheiden. Das System „vebitoEASY“ misst die Biegebelastung an Vor- und Rückfuß; „vebitoSCIENCE“ erfasst die Biege- und Torsionsbelastung an der Ferse, den Zehengrund- und ‑endgelenken (Abb. 3). Die in diesem Artikel vorgestellten Daten sind mit „vebito SCIENCE“ (oder einem Prototyp des „vebitoSCIENCE“) ermittelt worden.
Mit „vebitoSCIENCE“ werden die aufgenommenen Schritte direkt gemittelt und als ein gemittelter Schritt über 100 % des Gangzyklus dargestellt. Außerdem können die folgenden Parameter standardmäßig analysiert werden:
- maximales Dorsalextensions- und Plantarflexionsmoment
- maximale Innen-/Außenrotation
- Range
- Wechselbelastung
- Impuls
- Dauer der jeweiligen Belastungsart
Die Messgröße „Wechselbelastung“ 3 stellt hierbei eine Besonderheit dar. Sie ist mit bisherigen Systemen nicht zu ermitteln, nimmt aber für die Beurteilung der Fußbelastung eine besondere Rolle ein. Wechselbelastungen beanspruchen Materialien, auch menschliche Gewebe, in einer extremen Form. Eine Wechselbelastung ergibt sich z. B. bei der Biegebelastung am Großzehengrundgelenk aus dem Verhältnis von Plantarflexion zu Dorsalextension. Bildlich gesprochen stellt sie das Hin- und Herbiegen des Fußes dar – also die Bewegung des Fußes von Plantarflexion zu Dorsalextension (bzw. Innen- und Außenrotation), wie sie beim Gehen auftritt.
Die Versorgungsziele und somit die zu optimierenden Belastungsformen sind in der orthopädischen Praxis sehr vielfältig und orientieren sich an den individuellen Beschwerdebildern der Patienten und Kunden. Eine Belastungsform ist der plantare Druck. Biege- und Torsionsmessungen sind andere Belastungsformen und lassen sich nicht über Druckmessungen ermitteln.
Der Unterschied der Belastungen wird in Abbildung 4 deutlich: Die grüne Kurve zeigt die plantare Druckbelastung im Bereich des MTP-I-Gelenks während eines normierten Gangzyklus. Die Druckbelastung steigt von Beginn des Gangzyklus an. Das Maximum erfolgt bei ca. 45 %, danach nimmt die Belastung bis zum Ende der Standphase ab. Der Biegebelastungsverlauf (orange Kurve) zeigt, dass am MTP-I-Gelenk Wechselbelastungen während des Gangzyklus auftreten. Bis ca. 45 % des Gangzyklus wird der Großzehenbereich Plantarflexionsmomenten ausgesetzt (negative Werte). Ab diesem Zeitpunkt wechselt die Belastungsrichtung, und ein Dorsalextensionsmoment (positive Werte) tritt auf. Die größte Ausprägung der Biegebelastung liegt bei ca. 60 % des Gangzyklus mit einem Maximum der Dorsalextension am Ende der Standphase. Die Abbildung zeigt, dass anhand des plantaren Druckes keine Information über diese Wechselbelastung vorliegt. Auch ist klar zu erkennen, dass die Maxima der zwei Belastungsarten zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden. Dies verdeutlicht nochmals die Dringlichkeit, je nach Versorgungsziel die tatsächlich relevante Belastungsform zu betrachten.
Biege- und Torsionsbelastungen sind für unterschiedlichste Indikationen von Interesse. Daher ist auch das Einsatzgebiet von „vebitoSCIENCE“ sehr vielfältig. Folgend werden nun einige Anwendungsbereiche, in denen Biege- und Torsionsbelastungen eine wichtige Perspektive bei der Versorgung darstellen, beispielhaft aufgeführt.
Studie: Messung von Biege- und Torsionsmomenten an Beinprothesenträgern
Untersucht wurden sechs unterschenkelamputierte Probanden (Tab. 1), die 10 Meter auf freier Strecke gehen konnten. Biege- und Torsionsmomente an der versorgten und unversorgten Seite wurden mit einem Prototyp der „vebitoSCIENCE“ im Schuh (Adidas® Samba) aufgenommen (125 Hz, Bluetooth). Mit jedem Probanden wurden zwei Messungen durchgeführt. Während der ersten Messung trugen sie ihren eigenen Prothesenfuß, in der zweiten einen neuen, mit dem sie vorher noch nicht versorgt waren. Lediglich der Proband mit der ID 3000 trug ausschließlich eigene Fußmodelle (einen Alltagsfuß und eine Badeprothese). Das zweite Modell wurde u. a. nach dem Aktivitätsgrad des Probanden von den Orthopädie-Technikern der ProTec Orthopädische Werkstätten GmbH ausgewählt und angepasst. Durchgeführt wurden die Messungen an zwei Versuchstagen in den Räumen des Universitätsklinikums Münster.
Die Probanden gingen in einer für sie angenehmen Geschwindigkeit auf freier Strecke (10 m). Es wurden jeweils ca. 7 bis 8 Schritte ausgewertet. Die aufgenommenen Biege- und Torsionsmomente wurden auf 100 % des Gangzyklus (GZ) normiert und gemittelt.
Ergebnisse
Auf der folgenden Seite (Abb. 5a–e) werden beispielhaft die Biegemomente eines einzelnen Probanden (ID 3002) vorgestellt. Ein Stern (*) in der Legende bedeutet, dass die ursprüngliche Datenreihe nach Auftreten einer zeitlichen Verschiebung (aufgrund der Bluetooth-Übertragung) angeglichen wurde Vergleicht man zunächst die Prothesenseite mit der kontralateralen Seite, so wird deutlich, dass ausschließlich im Fersen- und im MTP-V-Bereich höhere Biegemomente an der Prothesenseite gemessen werden (Abb. 5a u. c). Die Momente im Bereich der Zehenendgelenke sind auf der gesunden Seite deutlich höher (Abb. 5d u. e). Im Bereich des MTP I ist es abhängig vom Prothesenfuß, wie hoch die auftretenden Momente im Verhältnis zur kontralateralen Seite sind (Abb. 5b).
Vergleicht man die Momentenverläufe der beiden Seiten miteinander, so fallen vor allem an der medialen Fußhälfte deutliche Unterschiede im charakteristischen Verlauf auf (MTP I, D I). An diesen beiden Messstellen fallen auch die Unterschiede zwischen den untersuchten Prothesenfüßen am größten aus. Am MTP I (Abb. 5b) auf der gesunden Seite fällt das Dorsalextensionsmoment ab ca. 10 % des GZ in Richtung einer Plantarflexion ab und ändert erst bei ca. 55 % des GZ wieder seine Belastungsrichtung im Sinne einer Dorsalextension. Nach dem Maximum bei ca. 65 % fällt das Moment wieder ab, um von 80 bis 100 % GZ ein gleichbleibendes Niveau zu halten. Auf der versorgten Seite hingegen muss man zwischen den Prothesenfüßen unterscheiden. Das Moment unter dem Quantum besitzt ein ca. 3‑mal höheres Maximum als der Momentenverlauf des Trias. Zudem tritt es bei 65 % ein, etwas später als beim Trias (57 %). Der grundsätzliche Unterschied gebelastung. im Momentenverlauf des Trias besteht darin, dass keine Plantarflexionsbelastung auftritt.
An D I (Abb. 5d) findet auf der unversorgten Seite kurz nach Beginn der Standphase ein stetiger Anstieg mit einem hohen Maximum von über 150 Nmm bei ca. 70 % des GZ statt. Anschließend fällt das Moment in kurzer Zeit nahezu in die Ausgangslage zurück.
Auf der versorgten Seite zeigen sich viele nahezu konstant in der Ausgangslage verlaufende Abschnitte im GZ. Die Biegemomente der Prothesenfüße zeigen lediglich im Bereich von 50 bis 80 % Momentenänderungen. Dabei weist der Verlauf des Quantum ein flaches Maximum bei ca. 70 % des GZ auf. Im gesamten GZ ist kaum eine Plantarflexion vorhanden. Das Biegemoment unter dem Trias hingegen beginnt seine Änderung von der Ausgangslage bei 50 % des GZ. Hier findet ein Belastungswechsel von Plantarflexion zur Dorsalextension statt, der bei 70 % des GZ beendet ist.
Die Biegemomentverläufe der kontralateralen Seite verlaufen unabhängig von dem auf der anderen Seite getragenen Prothesenfuß in beiden Messungen sehr ähnlich. Gleiches gilt für die Torsionsmomentenverläufe (nicht dargestellt). Auch die größten Unterschiede zwischen den beiden Prothesenfüßen zeigen sich für die Torsionsbelastung an den medialen Messstellen.
Neben dem charakteristischen Verlauf für die Biege- und Torsionsmomente wurden auch einzelne Parameter untersucht, die aus den Verläufen entnommen werden können. Abbildung 6 zeigt die Range, also die Summe der Beträge von dorsalem und plantarem Maximum. Dargestellt sind sowohl Maximum, Minimum und arithmetischer Mittelwert als auch Median der Range, zusammengefasst für alle Probanden, gemittelt über beide Messungen.
Betrachtet man die minimal und maximal auftretende Range, so wird sowohl für die Prothesenseite als auch für die kontralaterale Seite deutlich, dass die Range zwischen den Probanden an derselben Messstelle unterschiedlich ausfällt. So liegt z. B. auf der Prothesenseite an der Ferse die größte Range bei ca. 462 Nmm, die geringste bei 33 Nmm. Auf beiden Seiten liegen Maximum und Minimum der Range einer Messstelle um mindestens 136 Nmm auseinander, und zwar bis zu einem maximalen Abstand von 429 Nmm. Beim Vergleich der unversorgten und der versorgten Seite zeigt sich, dass sowohl die maximale Range als auch Median und Mittelwert im Fersen- und MTP-V-Bereich auf der Prothesenseite größer sind als auf der gesunden Seite. An den anderen Messstellen hat die unversorgte Seite die verhältnismäßig größere Range.
Diskussion
Die Messkurven des Probanden (ID 3002) zeigen, dass unabhängig vom Prothesenfuß die Biegemomente auf der unversorgten Seite sehr ähnlich sind. Auch bei den übrigen Probanden war dies der Fall. Nur einzelne Messungen ergaben leichte Unterschiede im zeitlichen Verlauf und in der Range. Die meist gleich verlaufenden Biege- und Torsionsmomente zeigen, dass das Belastungsmuster des gesunden Fußes kaum oder gar nicht von dem auf der gegenüberliegenden Seite getragenen Prothesenfuß beeinflusst wird.
Die Biegemomente der unterschiedlichen Prothesenfüße weisen pro Proband größere Unterschiede als die Momente auf der unversorgten Seite auf. Beim aufgeführten Beispiel sind die deutlichsten Unterschiede an den Messstellen MTP I und D I zu sehen. Insgesamt bedeutet dies, dass das Tragen verschiedener Füße auf der Prothesenseite Biege- und Torsionsmomente hervorruft, die sich im Vergleich zur kontralateralen Seite, aber auch untereinander unterscheiden. Da nicht nur die maximale Ausprägung, sondern im medialen Vorfußbereich auch der charakteristische Verlauf verschieden ist, liegen hier verschiedene Bewegungsmuster vor.
Wurden die gleichen Fußmodelle von unterschiedlichen Probanden getragen, sind die Ergebnisse teilweise diffus. Mehrfach zeigen sich aber bei gleichen Füßen gleiche Charakteristika im Verlauf. Dabei kann die Höhe der Belastung variieren. Wie stark die Höhe der Belastung grundsätzlich zwischen den einzelnen Probanden variiert, unabhängig von kontralateraler Seite oder Prothesenseite, kann anhand der Range verdeutlicht werden. Es kann aufgrund der durchgeführten Studie noch nicht eindeutig festgestellt werden, ob die aufgetretenen Unterschiede zwischen den Messungen probanden- oder fußspezifisch sind. Hierfür müssen von jeweils denselben Fußmodellen mehr Messungen an verschiedenen Probanden vorhanden sein.
Studie: Messung von Biegemomenten am Fuß in Vorfußentlastungsschuhen und Walkern
Im Rahmen dieser Messreihe wurden verschiedene orthopädische Schuhversorgungen mit einem Prototyp der „vebitoSCIENCE“ untersucht. Hierbei wurden die Biegemomente analysiert, die beim Gehen in Vorfußentlastungsschuhen und Walkern am Fuß auftraten. Vorfußentlastungsschuhe und Walker werden üblicherweise eingesetzt, wenn die auf den Fuß einwirkenden Belastungen reduziert werden sollen 45. Traditionell wurde bisher mit Druckmesssohlen der entlastende Effekt dieser Schuhversorgungen analysiert 67. Da der Fuß jedoch auch für andere Belastungen sensibel ist, wurden erstmals die Biegemomente beim Tragen von Vorfußentlastungsschuhen und Walkern untersucht. Hierbei wurden die auftretenden Biegemomente am Fuß in den verschiedenen Testschuhen vergleichend betrachtet; exemplarisch sollen an dieser Stelle die Ergebnisse der Messstellen Ferse, MTP I sowie D I vorgestellt werden.
An der Studie nahmen 22 fußgesunde Probanden (9 weiblich, Alter 30,5 ± 9,8 Jahre) teil. Die Messungen wurden mit fünf unterschiedlichen Schuhen durchgeführt: zwei Vorfußentlastungsschuhe (Darco Ortho Wedge Light, Fior & Gentz Hannover), zwei Walker (DJO Aircast® AirSelectTM Short, Otto Bock Malleo Immobil Air Walker low) und ein Adidas Samba als Neutralbedingung. Die Testschuhe wurden am rechten Fuß getragen; die kontralaterale Seite wurde mit dem Neutralschuh und einem zusätzlichen Höhenausgleich versorgt. Die Probanden wurden aufgefordert, eine Gehstrecke von 40 m in einer selbstgewählten Geschwindigkeit zurückzulegen. Lichtschranken wurden eingesetzt, um die Ganggeschwindigkeit der Durchläufe annähernd konstant zu halten; eine zeitliche Abweichung von ± 10 % wurde toleriert. Das maximale Dorsalextensionsmoment wurde ausgewählt, um die Biegebelastung an den Messstellen Ferse, MTP I und D I zu betrachten. Abbildung 7 verdeutlicht exemplarisch den Verlauf der Biegemomente an MTP I.
Nach einer fünfminütigen Eingewöhnungszeit wurden 30 Doppelschritte pro Testschuh aufgezeichnet; die Messfrequenz betrug hierbei 125 Hz. Der Mittelwert aus den 30 Schritten wurde anschließend ausgegeben. Eine einfaktorielle ANOVA mit Messwiederholung wurde abschließend zur statistischen Auswertung genutzt (Signifikanzniveau < 0,05).
In den Ergebnissen zeigen sich an der Ferse keine signifikanten Unterschiede zwischen den Schuhen (Abb. 8). An MTP I und D I ergibt sich eine signifikante Reduktion des maximalen Dorsalextensionsmoments aller Testschuhe im Vergleich zur Neutralbedingung. An MTP I zeigen alle Werte signifikante Unterschiede; nur der Unterschied zwischen Fior & Gentz und Otto Bock ist nicht signifikant. Der Neutralschuh weist hier den höchsten Wert auf (267 Nmm ± 11 Nmm), den geringsten der Darco (23 Nmm ± 7 Nmm). An D I zeigt ebenfalls der Adidas den höchsten Wert (221 Nmm ± 17 Nmm), wohingegen der Fior & Gentz mit 23 Nmm ± 6 Nmm den geringsten Wert besitzt. Zwischen Darco und Fior & Gentz sowie zwischen Otto Bock und DJO besteht kein signifikanter Unterschied, alle anderen Kombinationen weisen signifikante Unterschiede auf. Zusammengefasst reduzieren alle Testschuhe die Biegemomente an MTP I und D I im Vergleich zum Adidas.
Die Reduzierung der Biegemomente an MTP I und D I lässt sich durch eine verringerte Abrollbewegung des Fußes erklären. Der weniger ausgeprägte Abrollvorgang reduziert die Biegebelastung am Vorfuß. Der entlastende Effekt lässt sich bei den Walkern auf die Kombination von steifer Sohle mit Sohlenrolle und einer sehr strikten Fixierung des oberen Sprunggelenkes im Walker zurückführen. Die Vorfußentlastungsschuhe weisen einen deutlichen Negativabsatz auf, sodass die Abrollbewegung den Vorfuß kaum erreicht. Speziell bei den Vorfußentlastungsschuhen ist die Belastung an den Zehen reduziert. Für ein über das hier Gezeigte hinausgehende Gesamtbild müssen weitere Messparameter ergänzend betrachtet und die Betrachtung auf die Messstellen MTP V und D V ausgeweitet werden. Zusammengefasst kann für den hier dargestellten Parameter festgestellt werden, dass alle Testschuhe eine Vorfußentlastung im Vergleich zur Neutralbedingung erreichen können.
Anwendungsbeispiel Arbeitssicherheit
(Teilstudie)
Die Arbeitssicherheit ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein weitreichendes Themengebiet. Ein Teilbereich ist hierbei die Vermeidung von Überlastungen durch zu schweres oder zu häufiges Tragen von Lasten. Um zu ermitteln, ob anhand der Beurteilung der Biege- und Torsionsmomente am Fuß eine Aussage darüber getroffen werden kann, ob und wie viel Last getragen wird, wurden 8 Probanden (3 w, 32 ± 6 Jahre, BMI 23 ± 3 kg/m2) in einem Neutralschuh (Adidas Samba) vermessen. Von jedem Probanden wurden beim Gehen auf freier Strecke mindestens 5 Doppelschritte aufgenommen. Die Probanden gingen dabei einmal ohne zusätzliches Gewicht und jeweils einmal mit Zusatzgewichten von 3 kg, 8 kg und 11 kg. Die Lasten wurden dabei nahe am Körper vor der Brust getragen, der Rücken war gestreckt. Ausgewertet wurde jeweils nur der linke Fuß. Abbildung 9 stellt das maximale Dorsalextensionsmoment gemittelt über die Probanden dar. Hierbei ist erkennbar, dass das maximale Dorsalextensionsmoment an der Ferse mit steigendem Gewicht ansteigt. Bringt man das maximale Dorsalextensionsmoment unter der Ferse in direkten Zusammenhang mit den getragenen Gewichten, so ist ein linearer Zusammenhang erkennbar (s. Abb. 9). Auf weitere statistische Auswertungen wird aufgrund des geringen Stichprobenumfangs verzichtet. Erst eine Erweiterung der Probandenanzahl ermöglicht die Untersuchung der Ergebnisse auf signifikante Unterschiede.
Anwendungsbeispiel Einlagenversorgung
(Pilotstudie)
Einlagen sollen korrigieren, stützen, betten und/oder stimulieren 8. Die Überprüfung ihrer Funktionen ist bisher nur teilweise möglich. Bettende Eigenschaften können zum Beispiel mit plantarer Druckmessung (Innenschuhmessung) untersucht werden. Für die Beurteilung des Einflusses von Einlagen auf das Bewegungsmuster des Fußes hingegen sind u. a. die auf den Fuß wirkenden Biege- und Torsionsbelastungen ausschlaggebend. Um Effekte eines modernen Einlagenkonzeptes zur gezielten Stimulation des neuromuskulären Systems auf die Belastung des Fußes bei Hallux-valgus-Patienten zu untersuchen, wurde eine erste Pilotstudie gestartet.
Hierbei wurden zwei Probanden (w, 35 Jahre, BMI: 24 kg/m2 und m, 36 Jahre, BMI: 25 kg/m2) mit beidseitigem (#VP1) bzw. einseitigem (#VP2) Hallux valgus beim Gehen auf freier Strecke mit einer selbstgewählten Geschwindigkeit vermessen. Ausgewertet wurden jeweils mindestens acht Doppelschritte des linken (betroffenen) Fußes. Die Probanden trugen ihre eigenen Schuhe und wurden jeweils einmal mit und einmal ohne Versorgung untersucht. Das Messsystem „vebitoSCIENCE“ wurde hierbei unter der Einlagenversorgung getragen. Die Abbildungen 10 und 11 stellen die gemittelten Biege- und Torsionsmomente über den Schrittzyklus an MTP I und D I dar. Zunächst wird deutlich, dass beide Probanden unter beiden Bedingungen stark unterschiedliche Ausprägungen und Verläufe der Biege- und Torsionsmomente aufweisen. Bei Betrachtung der Kurvenverläufe mit Versorgung wird deutlich, dass die Versorgung bei #VP1 zu stärkeren Veränderungen als bei #VP2 führt. Betrachtet man die Torsion an MTP I und D I, so führt die Versorgung dazu, dass sich die Verläufe zwischen den beiden Probanden annähern. Dies deutet darauf hin, dass die Versorgung den Bewegungsablauf und somit die Biege- und Torsionsbelastung des Fußes verändert. Um eine wissenschaftliche Aussage über die Funktionalität der hier dargestellten Einlagen zu treffen, ist eine größere Probandenanzahl notwendig, allerdings lässt sich zeigen, dass Einlagen grundsätzlich Änderungen der Biege- und Torsionsbelastungen erzielen können.
Fazit
Die Vielfalt der Indikationen und der daraus abgeleiteten Versorgungsziele in Orthopädie-Technik, Orthopädie-Schuhtechnik und im Arbeitsschutz adressieren wie beschrieben unterschiedlichste Belastungsarten am Fuß. Die Ermittlung von Biege- und Torsionsmomenten stellt dabei einen weiteren Aspekt in der Versorgung und Bewegungsanalyse dar und kann bei einer ganzheitlicheren Betrachtung unterstützen. Der Einsatzbereich dieser Belastungsmessung ist dabei, wie beschrieben, sehr vielfältig.
Für die Autoren:
Nora Grabowski, M. Sc.
vebitosolution GmbH
Am Campus 2
48565 Steinfurt
post@vebitosolution.com
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Dawin N, Altenhöfer M, Wiesmann D, Dirksen N, Stief T, Peikenkamp K. Innovatives Messsystem zeigt neue Belastungsperspektiven in Prothetik, Orthetik und Einlagenversorgung. Orthopädie Technik, 2016; 67 (11): 24–32
ID | Prothesenseite | Fußmodell | Geschl. | Alter [Jahre] | Größe [m] | Gewicht [kg] |
---|---|---|---|---|---|---|
3000 | links | Össur Re-Flex | m | 46 | 1,88 | 72 |
Össur Vari-Flex XC | ||||||
3001 | rechts | Otto Bock Trias | w | 72 | 1,67 | 68 |
Ortho Reha Neuhof Quantum | ||||||
3002 | rechts | Otto Bock Trias | w | 73 | 1,64 | 70 |
Ortho Reha Neuhof Quantum | ||||||
3003 | links | Össur Vari-Flex low profile | w | 51 | 1,63 | 80 |
Össur Talux | ||||||
3004 | links | Otto Bock 1D10 | m | 63 | 1,88 | 85 |
Össur Talux | ||||||
3005 | links | Össur Balance | w | 57 | 1,50 | 46 |
Ortho Reha Neuhof Quantum |
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- Dawin N, Dirksen N, Buß P, Peikenkamp K. Analysis of Bending and Torsional Stress on the Foot in Different Offloading Shoes. Foot & Shoe, 2016; 1: 30–35
- Nagel A, Rosenbaum D. Vacuum cushioned removable cast walkers reduce foot loading in patients with diabetes mellitus. Gait Posture, 2009; 30: 11–15
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