Einleitung
Über 80 % der Beschwerden bei Sportlern sind Überlastungsreaktionen an Knie, Fuß oder Achillessehne. Risikofaktoren hierfür sind unter anderem Wettkampfsport, hohe Trainingsumfänge, schnelle Steigerung der Trainingsintensität, frühere Verletzungen und Achsfehlstellungen. Insbesondere Personen mit Fehlstellungen des Fußes haben ein erhöhtes Risiko, Beschwerden zu entwickeln 1.
Schnell stellt sich daher die Frage, wie diesen Überlastungsbeschwerden vorgebeugt werden kann oder wie diese zumindest gelindert werden können. Eine erste Antwort hierauf ist die Auswahl eines geeigneten Sportschuhs, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Einlagenversorgung. Die aktuelle Schuhauswahl ist jedoch so groß, dass das Thema Sportschuhauswahl den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Auch bleiben selbst bei einer hervorragenden Schuhberatung viele verschiedene Variablen übrig, die sich erst in der konkreten, fortdauernden Belastungssituation während der Sportausübung ergeben und so ein mögliches Verletzungsrisiko provozieren. Gesichert ist in jedem Fall die Erkenntnis, dass Sportler mit einer gut trainierten Muskulatur (d. h. auch mit einer guten Fußmuskulatur) und adäquat ausgewähltem Sportschuh das Risiko einer Verletzung weitestgehend ausschließen können. In diesem Artikel soll es daher um die Frage gehen, wie die Orthopädie-Technik durch Veränderungen im oder am Schuh zur Beschwerdelinderung beitragen kann.
Häufige Indikationen für eine orthopädietechnische Versorgung sind Prävention von Überlastung, Verletzungen und einer Überbeanspruchung der Gelenke und Bänder, Entlastung von Druckstellen, Unterstützung eines sensomotorischen Trainings, Stärkung des muskulären Tonus und Optimierung des Bewegungsablaufes. Bausteine für konservative und postoperative Behandlungsmaßnahmen sind die symp tomatische Therapie, eine Unterstützung gegen pathologische Veränderungen, die Sicherung des Operationsergebnisses und die allgemeine Verkürzung der Rekonvaleszenz.
Schuhversorgung im Laufsport
Bei der Versorgung des Sportlers muss vor allem dem individuellen Belastungsmuster aufgrund der Sportart Rechnung getragen werden. Es sollten immer auch die Lauf- und Sportarttechnik und der individuelle Trainingsstand berücksichtigt werden: Befindet sich der Sportler im Training, in einer Wettkampfvorbereitung oder mitten in einem Wettkampf? Diese Aspekte sind bereits vor der eigentlichen orthopädietechnischen Versorgung zu berücksichtigen, um ein adäquates Hilfsmittel herstellen zu können und eine Über- oder Unterversorgung zu vermeiden. Aufschluss über ein mögliches Defizit kann auch der getragene Sportschuh liefern; daher ist es immer sinnvoll, sich auch ältere Schuhe zeigen zu lassen.
Zur Erfassung der individuellen Belastungssituation in der Sportlerversorgung steht eine Vielzahl von Analysemöglichkeiten zur Verfügung. Wichtig ist hierbei, die geeigneten Analyseverfahren auszuwählen und deren Ergebnisse korrekt zu interpretieren. Am Beginn der Analyse sollte immer das Palpieren und Betrachten beider Füße, der Sprunggelenksstellungen und ‑beweglichkeiten, der Beinachsen, der Beckenstellung und der Rückenstatik stehen. Gegebenenfalls sind auch verschiedene bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder auch Röntgen nötig, um eine medizinische Diagnose zu generieren. Alle Auffälligkeiten und Pathologien sind zusammenzufassen und müssen entsprechend dem angezeigten Beschwerdebild des Sportlers korrekt interpretiert werden. Dabei müssen die Sportler sehr genau analysiert werden. Dies ist oft nur möglich, wenn interdisziplinär am Patienten gearbeitet wird. Um Kompensationsmuster, Überlastungsschäden und akute Verletzungen behandeln zu können, gilt es in jedem Fall, die Ursache zu ermitteln.
Dabei ist es sinnvoll, den Sportler in seinen konkreten Bewegungsabläufen zu befunden. Neben dem Abscannen der Füße in der Statik stehen mit der plantaren Druckverteilungsmessung und den Messverfahren zur mehrdimensionalen Biege- und Torsionsbelastung auch Messverfahren zur Erfassung der dynamischen Belastung zur Verfügung. Diese Messverfahren liefern innerhalb ihres Systems valide Messdaten. Die Pedographie beispielsweise liefert Messwerte hinsichtlich der Fußbelastung, gemessen in N/cm2, Impuls, Center of Pressure u. a. Beide Messsysteme bieten Aufschluss darüber, wie der Fuß in den verschiedenen Bewegungssituationen belastet wird, gemessen im Schuh, sowohl mit als auch ohne Versorgung. Neben den verschiedenen Messsystemen sollte auch eine videogestützte Bewegungsanalyse zum Einsatz kommen, sei es auf dem Laufband, der Fahrradrolle oder auf einer Laufbahn: Damit können in ganz verschiedenen Situationen und Umgebungen die Bewegungen des Sportlers festgehalten und anschließend analysiert werden. Hierbei ist es wichtig, die physiologischen Bewegungsmuster von pathologischen Bewegungsmustern unterscheiden zu können. Asymmetrien und Kompensationsmuster müssen erkannt und ausgearbeitet werden.
Nach dieser aufwendigen Analyse können dann die entsprechenden orthopädietechnischen Veränderungen am oder im Schuh vorgenommen werden. Orthopädisch individuell hergestellte Einlagen stellen wohl die verbreitetste orthopädietechnische Maßnahme dar. Hier sind dem Techniker kaum Grenzen in der Individualität gesetzt. Neben dem klassischen Einlagenaufbau mit den typischen Pelotten wie Längswölbungsstütze, retrokapitaler Pelotte und Cuboid-Pelotte können auch separate Polsterungen an der Ferse oder am Vorfuß platziert werden. Zur Stabilisierung des Fußes kann neben der medialen und lateralen Pelottierung die Einlage auch leicht schalig gearbeitet werden. Über supinierende oder pronierende Elemente kann die seitliche Kniestabilität positiv beeinflusst werden.
Möchte man den Fuß nicht nur passiv unterstützen, sondern auch den Tonus und die Bewegungsansteuerung der Muskulatur in der aufsteigenden Kette beeinflussen, wird die Einlagengestaltung unter sensomotorischen Gesichtspunkten durchgeführt. Hierbei kann noch individueller auf die muskulären Defizite eingegangen werden, da diese die für das motorische Lernen erforderlichen neuromuskulären Bewegungswiederholungen beeinflussen. Dabei ist zu beachten, dass die gefertigte Einlage Gelenkbewegungen zulässt und Muskelbäuche nicht komprimiert. Für alle Einlagentechniken gilt es, eine Überkorrektur des Rückfußes zu vermeiden, um eine natürliche Stoßdämpfungsfunktion des Fußes nicht zu verhindern.
Fallbeispiele
Fallbeispiel 1: Junge Sportlerin mit Adduktorenbeschwerden rechts (Abb. 1a – f)
Ihr Wunsch ist es, einen Halbmarathon zu laufen. Die Läuferin hat einen ausgeprägten Fersenlaufstil, was zur Folge hatte, dass sie in der Stützphase das Knie beugte. Des Weiteren ist die Absenkung des medialen Fußgewölbes rechts stärker als links und die Haltung somit dysbalanciert.
Versorgt wurde sie mit sensomotorischen Einlagen, um die Überpronation rechts zu reduzieren. Außerdem wurde ihr empfohlen, ein Lauftraining zu absolvieren, um die Beckenstabilität zu verbessern und den Laufstil zu modifizieren. Zur Kontrolle nach drei Monaten war sie beschwerdefrei und wies aufgrund ihres Lauf-ABCs ein deutlich verbessertes Laufbild auf.
Fallbeispiel 2: Triathlet mit Beschwerden des rechten Knies, der Leiste und des Tractus iliotibialis (Abb. 2a – h)
Der Sportler zeigte ein dezentes Trendelenburgzeichen mit einem varisierten Knie in der Stützphase, vor allem rechts, das mit Schuh stärker auffiel. Es wurde eine Einlagenversorgung mit Vorfußpronation rechts gefertigt und ein Stabilisationstraining der Beckenmuskulatur sowie ein neuer Laufschuh mit flacher Sprengung empfohlen. Durch die Vorfußpronation der Einlagenversorgung war die varisierende Komponente während der Stützphase deutlich verringert. Dies wurde durch den flachgesprengten Schuh ebenfalls begünstigt. Der Patient war anschließend beschwerdefrei.
Fallbeispiel 3: Marathonläufer mit Achillessehnenbeschwerden sowie Leistenbeschwerden in der Vorbereitungsphase seines Wettkampfes (Abb.3a – e)
Der Läufer trägt einen insuffizienten Laufschuh und entwickelt hierdurch eine deutliche Überpronation des Fußes. Die Veränderungen des Laufstils mit einem fersenlastigen Fußaufsatz ergeben sich durch die Kompensation des Beschwerdebildes. Das Trendelenburgzeichen war positiv. Die Empfehlung lautete, einen stabilen Laufschuh ohne Pronationsstütze in Kombination mit einer Einlagenversorgung zu verwenden. Eine Laufstilberatung sowie Kräftigungsübungen des Beckens waren obligat, da in der Laufanalyse auch dabei Defizite zu erkennen waren. Auch dieser Patient war nach vier Monaten beschwerdefrei.
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die orthopädietechnische Versorgung des Sportlers oft nicht mit der Abgabe eines Hilfsmittels wie etwa einer Einlage gelöst ist. Oft sind eine entsprechende Anpassung der Trainingspläne und ein „Umprogrammieren“ von Bewegungsabläufen erforderlich. Es wird schnell deutlich, dass dies nur interdisziplinär funktionieren kann. Neben der Kenntnis der orthopädietechnischen Möglichkeiten muss der Techniker ein Verständnis für physiologische Bewegungsmuster haben, um die Ergebnisse entsprechend dem Beschwerdebild richtig zu deuten. Kompensationsmuster und muskuläre Dysbalancen korrekt erkennen – dies kann die Technik nicht übernehmen. Nicht selten ist ein Hilfsmittel nicht der einzige Schlüssel zur Beschwerdefreiheit: Gerade die Beckenstabilität mit entsprechender Sporttechnik nimmt einen wichtigen Anteil in der Rekonvaleszenz ein. Zusammen mit Ärzten, Physiotherapeuten und der Orthopädie-Schuhtechnik bzw. Orthopädie-Technik kann dem Sportler geholfen werden, auch nach einer Verletzung letztlich wieder seine vorherige Leistung zu erreichen oder sie sogar zu optimieren.
Der Autor:
Tino Sprekelmeyer
Inhaber der Fa. Sprekelmeyer
Orthopädie-Schuhtechnik
Martinistraße 79
49080 Osnabrück
tino@sprekelmeyer-online.de
Begutachteter Beitrag / reviewed paper
Sprekelmeyer T. Orthopädietechnische Versorgung im Sportschuh. Orthopädie Technik, 2017; 67 (1): 36–38
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