Der Ein­satz von Orthe­sen bei Patellainstabilität

C. Becher
Die Patellainstabilität ist ein häufig anzutreffendes Krankheitsbild am Knie. Die konservative Therapie mit Orthesen stellt einen wichtigen Bestandteil des therapeutischen Gesamtkonzepts dar. Sie kommen sowohl bei akuten oder chronisch rezidivierenden Luxationen als auch postoperativ zum Einsatz. Mit Orthesen können mehrere Faktoren in der Behandlung der Patellainstabilität positiv beeinflusst werden: Neben dem Einfluss auf die Propriozeption können auch direkte biomechanische Effekte zur Verbesserung des Patellalaufs erzielt werden. Die biomechanische dynamische Wirksamkeit einer patellastabilisierenden Orthese konnte in der Kernspintomographie (MRT) unter Belastung nachgewiesen werden. Dabei wurden erkrankungstypische patellofemorale MRT-Parameter im Stehen mit und ohne Orthese bei durchgestrecktem Knie sowie bei kontrollierter Flexion von 15° und 30° untersucht. Mit angelegter Orthese zeigte sich eine signifikante Verminderung u. a. des Patella-Tilt und des Bisect-Offset (Lateralisierung der Patella).

Ein­lei­tung

Die Patel­lain­sta­bi­li­tät ist vor allem bei Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen ein häu­fig anzu­tref­fen­des Krank­heits­bild am Knie. Die Inzi­denz der pri­mä­ren aku­ten Patell­a­lu­xa­ti­on wur­de mit 5,8/100.000 Per­so­nen ange­ge­ben und erhöht sich bei Ado­les­zen­ten zwi­schen dem 10. und 17. Lebens­jahr auf 29/100.000 1. Falls bei einem Pati­en­ten mehr als eine Luxa­ti­on auf­ge­tre­ten ist, beträgt das Risi­ko für rezi­di­vie­rend auf­tre­ten­de Luxa­tio­nen ca. 50 %.

Die Luxa­ti­on der Patel­la erfolgt fast immer nach außen. Dem Ver­let­zungs­me­cha­nis­mus liegt neben trau­ma­ti­schen Ursa­chen (z. B. Anprall­trau­ma von medi­al bei Kon­takt­sport­ar­ten) häu­fig ein Val­gus­mo­ment des Knies bei begin­nen­der Fle­xi­on unter Belas­tung und zusätz­li­cher Tibia­au­ßen­ro­ta­ti­on zugrun­de 2. Hier­aus resul­tiert eine Zunah­me des late­ra­li­sie­ren­den Kraft­vek­tors auf die Patel­la, der bei Über­schrei­tung der Gewe­be­be­last­bar­keit der medi­al weich­tei­lig sta­bi­li­sie­ren­den Fak­to­ren und Feh­len einer aus­rei­chen­den knö­cher­nen Füh­rung zur Luxa­ti­on der Patel­la führt 3. Die Patho­ana­to­mie ist mul­ti­fak­to­ri­ell und unter­teilt sich in knö­cher­ne Fak­to­ren (z. B. Troch­lea­dys­pla­sie, Patel­la alta oder Rota­ti­ons­fehl­stel­lung von Femur und Tibia) und weich­tei­li­ge Fak­to­ren (z. B. Insuf­fi­zi­enz des media­len patell­ofe­mo­ra­len Liga­ments und Reti­na­ku­l­ums) 45.

Ziel der The­ra­pie ist es, eine mög­lichst unge­stör­te Funk­ti­on des Patell­ofe­mo­ral­ge­lenks mit vol­ler Belast­bar­keit im All­tag und beim Sport wie­der­her­zu­stel­len. Pri­mär steht dabei die Ver­mei­dung erneu­ter Luxa­tio­nen mit damit even­tu­ell ver­bun­de­nen Begleit­ver­let­zun­gen wie Knor­pel­schä­den im Vor­der­grund. Die Ent­schei­dung für das jewei­li­ge the­ra­peu­ti­sche Vor­ge­hen ori­en­tiert sich an den Befun­den der kli­ni­schen Unter­su­chung, den ana­to­mi­schen Risi­ko­fak­to­ren und dem Verletzungsmuster.

Nach einer Patel­la-Erst­lu­xa­ti­on muss durch eine ein­ge­hen­de kli­ni­sche und bild­ge­ben­de Unter­su­chung das Risi­ko für eine Rezi­div­lu­xa­ti­on bestimmt wer­den. Hier­zu eig­net sich der „Patel­la Insta­bi­li­ty Seve­ri­ty Score“ (PIS-Score) mit Bestim­mung der Risi­ko­fak­to­ren 67. Bei Vor­lie­gen einer Fla­ke-Frak­tur muss auf jeden Fall eine ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung erfol­gen 8. Bei Rezi­div­lu­xa­tio­nen ist die kli­ni­sche und wenn mög­lich bild­ge­ben­de Unter­su­chung der Patel­lain­sta­bi­li­tät über die ver­schie­de­nen Fle­xi­ons­gra­de des Knie­ge­lenks in Zusam­men­hang mit den bild­ge­ben­den Befun­den und dar­aus abzu­lei­ten­den Risi­ko­fak­to­ren für die the­ra­peu­ti­sche Ent­schei­dungs­fin­dung ent­schei­dend. Bei einer Insta­bi­li­tät inner­halb der ers­ten 30°-Flexion ist meist eine Insuf­fi­zi­enz der pas­si­ven Sta­bi­li­sa­to­ren ver­ant­wort­lich. Wenn die Insta­bi­li­tät auch in höhe­ren Fle­xi­ons­gra­den vor­han­den ist, sind zuneh­mend auch die sta­ti­schen Sta­bi­li­sa­to­ren mit betrof­fen. Bei einer per­ma­nent (sub-)luxierenden Patel­la liegt meist eine kom­ple­xe Patho­lo­gie mit Insuf­fi­zi­enz der pas­si­ven und sta­ti­schen Sta­bi­li­sa­to­ren auch in den höhe­ren Fle­xi­ons­gra­den vor 8.

Die The­ra­pie soll­te sich mög­lichst nach Algo­rith­men rich­ten. Da bei einer Patel­lain­sta­bi­li­tät mit zuneh­men­der Anzahl von Risi­ko­fak­to­ren der Lei­dens­druck und das Risi­ko für Fol­ge­schä­den zunimmt, soll­te eine ope­ra­ti­ve The­ra­pie erwo­gen wer­den 8. Die kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie stellt aller­dings einen wich­ti­gen Bestand­teil im the­ra­peu­ti­schen Gesamt­kon­zept dar; dies gilt auch nach durch­ge­führ­ter ope­ra­ti­ver The­ra­pie. Die opti­ma­le Wie­der­her­stel­lung der All­tags­ak­ti­vi­tä­ten und der sport­li­chen Belast­bar­keit erfor­dert eine mul­ti­mo­da­le Her­an­ge­hens­wei­se 9. Schutz­maß­nah­men durch Orthe­sen, Ban­da­gen oder Tapes, eine even­tu­el­le Anpas­sung der Belas­tung und ein inten­si­ves neu­ro­mus­ku­lä­res Trai­nings­pro­gramm sind wich­ti­ge Bestand­tei­le der Therapie.

Im fol­gen­den Bei­trag wer­den die Mög­lich­kei­ten und das Vor­ge­hen bei einer kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie mit Orthe­sen bei Vor­lie­gen einer Patel­lain­sta­bi­li­tät dargestellt.

Kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie bei Patel­lain­sta­bi­li­tät mit Orthesen

Mit Orthe­sen kön­nen meh­re­re Fak­to­ren in der Behand­lung der Patel­lain­sta­bi­li­tät posi­tiv beein­flusst wer­den: Neben dem posi­ti­ven Ein­fluss auf die Pro­prio­zep­ti­on 1011 kön­nen auch direk­te bio­me­cha­ni­sche Effek­te zur Ver­bes­se­rung des Patell­al­aufs erzielt wer­den 121314. Dabei muss eine media­li­sie­ren­de Kraft auf die Patel­la auf­ge­bracht wer­den. Zu unter­schei­den ist dabei zum einen die Anwen­dung in der Behand­lung der aku­ten Luxa­ti­on oder direkt post­ope­ra­ti­ven Behand­lung und zum ande­ren die Anwen­dung bei chro­nisch rezi­di­vie­ren­den Luxationen.

Aku­te Luxa­ti­on oder direkt post­ope­ra­ti­ve Behandlung

Die Hei­lung des media­len patell­ofe­mo­ra­len Band­ap­pa­ra­tes (ins­be­son­de­re des MPFL) kann bei der kon­ser­va­ti­ven Behand­lung einer aku­ten Patell­a­lu­xa­ti­on nur indi­rekt über die mög­li­che Aus­bil­dung einer Nar­be erfol­gen. Eine even­tu­el­le ope­ra­ti­ve Band­re­kon­struk­ti­on muss zunächst knö­chern ein­hei­len und geschützt wer­den. Eine Orthe­se mit media­ler Sta­bi­li­sie­rungs­funk­ti­on kann die Hei­lung in bei­den Fäl­len unter­stüt­zen. Die Patel­la soll­te dazu bis zum Abschluss der Hei­lungs­vor­gän­ge in einer opti­ma­len Posi­ti­on geführt wer­den. Eine Orthe­se mit Bewe­gungs­li­mi­tie­rung und Patel­la­sta­bi­li­sie­rungs­funk­ti­on soll­te zur Ver­fü­gung ste­hen (z. B. „medi PT con­trol“, Medi GmbH & Co. KG, Bayreuth).

Bei einer aku­ten Luxa­ti­on mit Häm­ar­thros soll­te die­ser vor Anpas­sung der Orthe­se mög­lichst punk­tiert wer­den. Nur so kön­nen die Ursprungs- und Ansatz­punk­te des media­len Band­ap­pa­ra­tes in einen natür­li­chen Abstand für eine Nar­ben­bil­dung gebracht wer­den 9. Zudem kom­men als abschwel­len­de Maß­nah­men Hoch­la­ge­rung, Kom­pres­si­ons­ban­da­gie­rung, Lymph­drai­na­ge und medi­ka­men­tö­se The­ra­pie zum Einsatz.

Eine Bewe­gungs­li­mi­tie­rung ist in den ers­ten Wochen nach aku­ter Luxa­ti­on ebefnalls erfor­der­lich. Das patell­ofe­mo­ra­le Komi­tee der AGA (Gesell­schaft für Arthro­sko­pie und Gelenk­chir­ur­gie – Deutsch­spra­chi­ge Arbeits­ge­mein­schaft für Arthroskopie)​empfiehlt hier­bei fol­gen­de Vor­ge­hens­wei­se 9: Die ROM wird für 2 Wochen auf 0–20-40°, in der 3. und 4. Woche auf 0–10-60° und für wei­te­re 2 Wochen auf 0–0‑90° limi­tiert. In Abhän­gig­keit von den indi­vi­du­ell vor­lie­gen­den ana­to­mi­schen Risi­ko­fak­to­ren kann die­ses Sche­ma even­tu­ell sinn­voll ange­passt wer­den. Im post­ope­ra­ti­ven Sta­tus rich­tet sich die Limi­tie­rung nach den Vor­ga­ben des Operateurs.

The­ra­pie bei chro­nisch rezi­di­vie­ren­den (Sub-)Luxationen

Prin­zi­pi­ell soll­ten Pati­en­ten mit rezi­di­vie­ren­den Patell­a­lu­xa­tio­nen einer ope­ra­ti­ven The­ra­pie zuge­führt wer­den. Tem­po­rär ist die Anla­ge einer die Patel­la nach late­ral sta­bi­li­sie­ren­den Orthe­se zur Ver­mei­dung wei­te­rer Luxa­tio­nen oder Sub­lu­xa­tio­nen zu emp­feh­len. Auch in der wei­te­ren post­ope­ra­ti­ven Behand­lung kann zur Unter­stüt­zung der Reha­bi­li­ta­ti­on und bei der Wie­der­auf­nah­me des Sports das Tra­gen einer Orthe­se sinn­voll sein, um die Patel­la­füh­rung zu ver­bes­sern bzw. zu sichern.

Rezen­trie­rungs­or­the­sen kön­nen durch die nach medi­al auf die Patel­la wir­ken­de Kraft auch einen direk­ten bio­me­cha­ni­schen Effekt erzie­len. So konn­te im Rah­men einer Fall-Kon­troll-Stu­die die bio­me­cha­ni­sche dyna­mi­sche Wirk­sam­keit der patel­la­sta­bi­li­sie­ren­den Orthe­se „Patel­la Pro“ (Otto Bock GmbH, Duder­stadt; Abb. 1) bei 20 Pati­en­ten mit late­ra­ler Patel­lain­sta­bi­li­tät mit­tels Kern­spin­to­mo­gra­phie (MRT) unter Belas­tung nach­ge­wie­sen wer­den (Abb. 2). Dabei wur­den erkran­kungs­ty­pi­sche patell­ofe­mo­ra­le MRT-Para­me­ter im Ste­hen mit und ohne Orthe­se bei durch­ge­streck­tem Knie sowie bei kon­trol­lier­ter Fle­xi­on von 15° und 30° unter­sucht (Abb. 3). Mit ange­leg­ter Orthe­se zeig­te sich eine signi­fi­kan­te Ver­min­de­rung des Patel­la-Tilt (Abb. 4) und des Bisect-Off­set (Maß für die Late­ra­li­sie­rung der Patel­la; Abb. 5). Der Patel­la-Tilt ver­min­der­te sich um 3.2° ± 2.8° in vol­ler Stre­ckung, um 5.0° ± 3.6° bei 15° Fle­xi­on und um 4.0° ± 4.3° bei 30° Fle­xi­on. Der Bisect-Off­set und damit das Aus­maß der Late­ra­li­sie­rung ver­min­der­te sich um 14.2 ± 10.9 % in vol­ler Stre­ckung, um 15.6 ± 12.6 % bei 15° Fle­xi­on und um 12.3 ± 11.8 % bei 30° Fle­xi­on. Auch die Patel­la­hö­he und der TTTG-Abstand (bei 15° und 30°) waren sta­tis­tisch signi­fi­kant posi­tiv beein­flusst 12.

Ein signi­fi­kant grö­ße­rer patel­la­sta­bi­li­sie­ren­der Effekt einer spe­zi­ell dafür aus­ge­leg­ten Orthe­se („QLok“, Crop­per Medi­cal Inc., Ash­land, USA) wur­de auch im Ver­gleich zu einem nor­ma­len Knie­strumpf ohne bio­me­cha­ni­sche Funk­ti­on und zur Situa­ti­on ohne Orthe­se oder Strumpf in einem Fle­xi­ons­be­reich von 0 bis 60° im MRT nach­ge­wie­sen 13.

Die Dau­er der The­ra­pie rich­tet sich nach der Fähig­keit des Pati­en­ten, durch neu­ro­mus­ku­lä­re Kon­trol­le das Risi­ko wei­te­rer (Sub-)Luxationen zu ver­mei­den. Im Zwei­fel soll­te bei höher­gra­di­gen Patho­lo­gien mit ursäch­li­chen knö­cher­nen Fak­to­ren und bei Aus­übung von Risi­ko­s­port­ar­ten aller­dings bes­ser eine Orthe­se getra­gen wer­den, um durch (Sub-) Luxa­tio­nen ver­ur­sach­te Fol­ge­schä­den für das patell­ofe­mo­ra­le Gelenk zu vermeiden.

Fazit

Orthe­sen stel­len einen wich­ti­gen Bei­trag in der Behand­lung der Patel­lain­sta­bi­li­tät dar. Sie kom­men sowohl bei aku­ten Luxa­tio­nen, bei chro­nisch rezi­di­vie­ren­den Luxa­tio­nen als auch post­ope­ra­tiv zum Ein­satz. Die ver­wen­de­te Orthe­se soll­te einen bio­me­cha­nisch nach medi­al wirk­sa­men Effekt auf die Patel­la auf­wei­sen, um den Patell­al­auf zu ver­bes­sern und (Sub-)Luxationen zu vermeiden.

Inter­es­sen­kon­flikt

Der Ver­fas­ser ist Bera­ter der Fir­ma Otto Bock Health­Ca­re GmbH und Mit­glied im Cli­ni­cal Excel­lence Cir­cle (CEC), der von der Fir­ma Otto Bock finan­zi­ell unter­stützt wird.

Der Autor:
PD Dr. med. Chris­toph Becher
Fach­arzt für Ortho­pä­die und Unfallchirurgie
HKF – Inter­na­tio­na­les Zen­trum für Hüft‑, Knie- und Fuß­chir­ur­gie, Sporttraumatologie
ATOS-Kli­nik
Bis­marck­str. 9–15
69115 Hei­del­berg
becher@atos.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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