„Die MDR kommt auf jeden Fall – ist die Branche ausreichend vorbereitet?“ – unter dieser Überschrift hakte daher Moderator Henning Quanz bei der gleichnamigen Podiumsdiskussion und zum Studioformat „Erst kommt Corona, dann die MDR“ am 28. Oktober zur OTWorld.connect nach.
„Ziemlich perfekt vorbereitet“, nannte Oda Hagemeier, Geschäftsführerin der Herstellervereinigung für Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel – Eurocom, den Status ihres Industrieverbandes. Etwa zwei Prozent blieben aber offen, da zum Beispiel der Start der europäischen Datenbank für Medizinprodukte „Eudamed“ verschoben sei. Die MDR habe den positiven Effekt, dass die Branche stark zusammengerückt sei.
Gut aufgestellt sieht seine Branche auch der aus Belgien zugeschaltete Xavier Beertele, Vorsitzender des Verwaltungsrates der „Belgischen Beroepsvereinigung van Orthopedische Technologieën” (BBOT-UPBTO), die eng mit dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) und der Deutschen Gesellschaft für Hilfsmittelversorgung e. V. (DGHIV) in Sachen MDR zusammenarbeitet. Seine Vereinigung habe Richtlinien erarbeitet, anhand derer die Mitgliedsbetriebe die MDR umsetzen könnten. Viele Elemente der MDR hätten die Betriebe schon längst beachtet, nicht aber in dem Maße dokumentiert, wie es das Gesetz nun fordere.
Maßstab für Europa
Das gelte auch für die deutschen Betriebe und Sanitätshäuser, erklärte Axel Sigmund, Leitung Berufsbildung, Digitalisierung und Forschung beim BIV-OT, der Mitglied des MDR-Arbeitskreises in der DGHIV ist. „Die größte Herausforderung für die Betriebe war es, zu verstehen, dass die Veränderungen gar nicht so groß sind, dass aber die neuen Punkte erkannt und umgesetzt werden müssen“, so Sigmund. Denn die meisten Betriebe in der Orthopädie-Technik und sehr viele in der Orthopädie-Schuhtechnik verfügten über ein Qualitätsmanagement und erfüllen damit nicht nur eine der Voraussetzungen des MDR, sondern auch inhaltlich viele Vorgaben. „Ich rate allen, die noch kein QM-System aufgesetzt haben, das dringend zu tun“, so Sigmund. Die DGIHV werde noch etliche Risikobewertungen veröffentlichen und weitere Informationen zur Umsetzung der MDR zur Verfügung stellen. Die Leistungen der Arbeitsgruppe MDR des DGIHV würdigte Kirsten Abel, die Sprecherin des Präsidiums des BIV-OT, mit den Worten: „Mit der Zusammenarbeit mit den Niederlanden, Belgien und Österreich hat die Arbeitsgruppe einen Maßstab für Europa gesetzt.“
Axel Sigmund betonte dennoch: „Wir haben noch viele kleine Baustellen, sind aber gut aufgestellt, schließlich arbeiten wir bereits seit eineinhalb Jahren mit den entsprechenden Behörden und Partnern zusammen, mit denen wir auch weiterhin im Gespräch sein werden.“ Er ergänzte: „Am Ende ist es mehr Dokumentationsaufwand, der bleibt.“ Das gut gemeinte Gesetz zur Patientensicherheit binde in der Umsetzung viele Kapazitäten, die in der Kontrolle der Versorgung besser aufgehoben wären. „Nur Kontrolle verhindert Skandale“, sagte Sigmund mit Hinweis auf die fehlerhaften Silikonbrustimplante, die ein Anlass für die Entwicklung der MDR waren.
Wer bezahlt die Mehrkosten der OT-Betriebe?
Noch spitzer formulierte Alf Reuter, Präsident des BIV-OT, die Situation: „Dass der administrative Wust der MDR noch oben draufkommt, ist geradezu Wahnsinn. Es kann nicht sein, dass die Abteilung Verwaltung gleich groß ist wie die der Werkstatt.“ Die Ressourcen sollten lieber den Patienten und nicht der Verwaltung zugute kommen. Zudem tragen alleine die Betriebe die Kosten für den enormen Dokumentationsaufwand, den die MDR erfordere. „Wer bezahlt uns das?“, fragte der Orthopädietechnik-Meister mit Blick auf Frank Rudolf. Der Referatsleiter Fallmanagement des AOK-Bundesverbandes empfahl, dass die Prozesskosten, die durch die Dokumentation entstünden, dargestellt werden sollten, und der BIV-OT damit in die Verhandlungen mit den Kostenträgern gehen solle. Das habe er bereits versucht, sagte Reuter: „Ich habe nur negative Antworten bekommen.“
Hier hakte Tim Krögel vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ein. „Gerade Handwerksbetriebe profitieren weniger vom EU-Binnenmarkt, sind aber an den Kosten beteiligt, so der Bereichsleiter/Leiter der ZDH-Vertretung bei der EU. „Wir werden auf jeden Fall versuchen, mittelfristig Verbesserungen der MDR zu erzielen.“ Er betonte, dass ein geeintes Europa eine gemeinsame Gesetzgebung brauche. Leider würden dabei die Bedingungen handwerklicher Betriebe oft nicht mitbedacht.
Steigende Produktkosten
Aus Sicht von Frank Rudolf gibt es bei der MDR zwei Knackpunkte: Die Anforderungen für Hochrisikoprodukte sind gleich groß wie für Produkte, die seit 50 Jahren ohne Vorfall auf dem Markt sind. Das ergebe keinen Benefit für die Patienten. Außerdem bereite ihm Sorge, dass Hersteller teils die Nutzungsdauer für ihre Produkte absenken, weil sie durch die MDR stärker in der Haftung seien. „Das führt zu mehr Kosten und der Entwicklung eines Müllberges“, so Rudolf.
Darauf angesprochen, betonte Oda Hagemeier, dass es nur verständlich sei, wenn sich die Hersteller absichern wollten. „Wenn Prozesskosten steigen, steigen auch die Preise“, so die Geschäftsführerin. Sie gehe von einer Kostensteigerung von mindestens zehn Prozent aus, da viel Personal für die Umsetzung der MDR eingeplant werden müsse. Die MDR habe aber zumindest den positiven Nebeneffekt, dass alle jetzt gemerkt hätten, wie lange der Weg sei, Medizinprodukte auf den Weg zu bringen.
Grundsätzlich positiv bewertete Thomas Lippke, Leitung Geschäftsbereich Systeme und Präqualifizierung bei MDC – Medical Device Certification, die MDR. „Die MDR ist sinnvoll und gut. Die alte Gesetzgebung aus dem Jahre 1993 war technologisch überholungsbedürftig und musste erneuert werden“, sagte er und fügte schmunzelnd hinzu, dass er mit Freude beobachte, dass sich die Branchen zusammentun und miteinander reden angesichts des gemeinsamen Feindes, der wahrscheinlich die MDR sei.
Ruth Justen
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