#sys­tem­re­le­vant: Raus aus der „Kom­fort­zo­ne“

Die Coronakrise hat die Branche „gewaltig aus der Komfortzone rausgezogen“, so der Tenor der Branchenpolitik-Podien der OTWorld.connect zur Systemrelevanz am 28. Oktober. Die Betriebe seien (noch) mit einem blauen Auge davongekommen, müssten aber für mehr öffentliche Wahrnehmung sorgen und die Digitalisierung weiter vorantreiben.

„Wir müs­sen das blaue ‚S‘ – für Sani­täts­haus – nach oben hal­ten wie ande­re ihr Apotheken‑A!“, so Ben Bake, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Sani­täts­haus Aktu­ell AG, wäh­rend des Live-Stu­dio­talks „Wer­den wir wahr­ge­nom­men? Die Rele­vanz im Sys­tem“. Die Coro­na­kri­se habe die Bran­che „ganz gewal­tig aus der Kom­fort­zo­ne raus­ge­zo­gen. Aber wir haben das auch genutzt“, kon­sta­tier­te Alf Reu­ter, Prä­si­dent des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT). „Wir sind wahr­ge­nom­men wor­den, aber ich glau­be, dass wir nicht laut genug sind.“ Dass sich die Bran­che ins­ge­samt stär­ker durch­set­zen muss im viel­stim­mi­gen Chor des Gesund­heits­we­sens, dies wur­de genau­so auf der Podi­ums­dis­kus­si­on „Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung #sys­tem­re­le­vant“ deut­lich, die eben­falls vom BIV-OT prä­sen­tiert wur­de. Es habe noch nie eine so gro­ße Einig­keit gege­ben. Die müs­se man jetzt in der poli­ti­schen Arbeit ein­set­zen. Jedes Unter­neh­men soll dabei mit­zie­hen: Die Betrie­be dürf­ten sich nicht „ver­ste­cken“, sag­te Ste­phan Jeh­ring, Prä­si­dent des Zen­tral­ver­ban­des  Ortho­pä­die­schuh­tech­nik (ZVOS): „Es ist wich­tig, dass die Betrie­be aus ihrem Schne­cken­haus her­aus­kom­men und sicht­bar wer­den.“ Gera­de jetzt, wo sich im Zuge der stei­gen­den Infek­ti­ons­zah­len die Arzt­pra­xen wie­der lee­ren, müss­ten die Fir­men deut­lich kom­mu­ni­zie­ren, dass die Kun­den in den Geschäf­ten sicher ver­sorgt seien.

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(Noch) mit einem blau­en Auge davongekommen

„Wir haben Ein­bu­ßen, kom­men aber durch“ sag­ten mehr als 81 Pro­zent der Teil­neh­mer einer Schnell­um­fra­ge zu den Fol­gen der Coro­na­kri­se auf ihr Unter­neh­men wäh­rend der Podi­ums­dis­kus­si­on „Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung #sys­tem­re­le­vant“. Bis­lang sei die Bran­che mit einem blau­en Auge durch die Kri­se gekom­men, so auch das Fazit von Jens Sell­horn, Geschäfts­füh­rer der Reha­vi­tal Gesund­heits­ser­vice GmbH. Nicht zuletzt dank der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Die Coro­na­kri­se habe sich in den ein­zel­nen Betrie­ben sowie den ver­schie­de­nen Pro­dukt­be­rei­chen unter­schied­lich aus­ge­wirkt: So habe es in der Medi­zin­tech­nik, bei den Beatmungs­ge­rä­ten, Umsatz­stei­ge­run­gen geben kön­nen – sofern die Gerä­te auf dem Markt ver­füg­bar waren. In den mit Reha/Orthopädie ver­bun­de­nen Seg­men­ten dage­gen sei­en die Kun­den in den ers­ten Mona­ten der Kri­se „zu 20 bis 30 Pro­zent“ nicht gekom­men. „Bis­lang hat­ten wir die Hoff­nung, dass wir leicht unter dem Vor­jahr abschlie­ßen“, erklär­te Sell­horn. „Wir haben aber Respekt davor, was jetzt pas­siert.“ Auch für die Indus­trie hof­fe er nicht, dass nun wie­der alles ein­bre­che: „Wir sind weit weg von einer Nor­ma­li­sie­rung, weit weg von einer Auf­hol­jagd. Wir brau­chen eine Per­spek­ti­ve.“ Trotz­dem gab er sich opti­mis­tisch: „Wir haben jetzt ein paar Brems­spu­ren – das hält uns aber nicht auf!“

Ver­sor­gungs­qua­li­tät unter Druck

Vie­le Kos­ten­trä­ger ver­such­ten aller­dings, mit dem Argu­ment Coro­na die Prei­se zu drü­cken, warn­te BIV-OT-Prä­si­dent Reu­ter: „Es kann nicht sein, dass Kran­ken­kas­sen die­ses Argu­ment nut­zen, um uns in die Ecke zu drän­gen, sodass wir die Qua­li­tät redu­zie­ren müs­sen! Wir han­deln nicht mit ‚irgend­was’. Wir ver­sor­gen Men­schen!“ Statt über den Preis müs­se über einen Qua­li­täts­wett­be­werb gespro­chen wer­den, unter­strich Reha­vi­tal-Chef Sell­horn. Wäh­rend in der Dis­kus­si­on posi­tiv her­vor­ge­ho­ben wur­de, wie schnell und lösungs­ori­en­tiert der Spit­zen­ver­band Bund der Kran­ken­kas­sen (GKV-Spit­zen­ver­band) unter Kri­sen­be­din­gun­gen Ent­schei­dun­gen über Ver­wal­tungs­ver­ein­fa­chun­gen getrof­fen habe, wur­de der feh­len­de finan­zi­el­le Aus­gleich für den gestie­ge­nen Auf­wand für per­sön­li­che Schutz­aus­rüs­tung (PSA) kri­ti­siert. In die­ser Hin­sicht sei die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung bis­lang über­se­hen wor­den: „Wir haben deut­lich stei­gen­de Kos­ten. Pro Behand­lung eines Ver­si­cher­ten fal­len sie­ben bis acht Euro für PSA an. Und der Ver­si­cher­te kommt ja nicht nur ein­mal“, erklär­te Dr. Axel Frie­hoff, Lei­ter Abtei­lung Vertragsmanagement/Kassenverträge bei der Ein­kaufs­ge­nos­sen­schaft EGROH eG. Auf die­sen Zusatz­kos­ten blie­ben die Betrie­be bis­her sit­zen – im Gegen­satz bei­spiels­wei­se zu Heil­mit­tel­er­brin­gern, Ärz­ten und Kli­ni­ken. „Wir müs­sen jetzt han­deln, damit wir in den Lie­fer­ket­ten berück­sich­tigt, als sys­tem­re­le­vant ein­ge­stuft wer­den“, for­der­te Sani­täts­haus-Aktu­ell-Vor­stands­chef Bake. Des­halb müs­se auch von der OTWorld.connect das Signal aus­ge­hen: „Wir sind #sys­tem­re­le­vant, eine sys­tem­re­le­van­tes Glied in der Gesund­heits­ket­te!“ Jedes ein­zel­ne Haus sol­le dazu bei­tra­gen – nicht zuletzt über Social Media – und in sei­nem Umfeld zei­gen: „Unse­re DNA ist die wohn­ort­na­he Ver­sor­gung, das müs­sen wir nach drau­ßen tragen.“

Weni­ger Büro­kra­tie, mehr Digitalisierung

Im Büro­kra­tie­ab­bau und der Digi­ta­li­sie­rung lie­gen gro­ße Chan­cen, die Betrie­be zu ent­las­ten: „Wir haben fast 400 Ver­trä­ge zu ver­han­deln, die Ver­wal­tungs­ab­tei­lung in mei­nem Betrieb wächst und wird grö­ßer als die Werk­statt“, schil­der­te BIV-OT-Prä­si­dent Reu­ter. Dabei müss­te der Fokus eigent­lich auf dem lie­gen „was wir gelernt haben: auf der Ver­sor­gung von Men­schen“. Büro­kra­tie­ab­bau sei ein Kern­an­lie­gen, beton­te eben­so Ben Bake. So soll­ten alle Infor­ma­tio­nen, die digi­tal erfasst wer­den kön­nen, auch digi­tal ver­send­bar sein: „War­um kön­nen For­mu­la­re nicht ein­heit­lich gestal­tet wer­den, war­um wird die digi­ta­le Unter­schrift nicht akzep­tiert wie in ande­ren Bran­chen? Der Ver­wal­tungs­auf­wand in unse­ren Häu­sern nimmt so exor­bi­tant zu, das nimmt uns die Luft zum Atmen.“ Durch die Coro­na­kri­se sei die Digi­ta­li­sie­rung vor­an­ge­kom­men. Eine Chan­ce, so ZVOS-Prä­si­dent Jeh­ring. Doch eines müs­se klar sein: „Wenn der Anschluss an die Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur kommt, wenn das elek­tro­ni­sche Rezept kommt, darf es kei­nen Medi­en­bruch mehr geben, dann müs­sen wir weg vom Papier.“

Cath­rin Günzel

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