Laut Koalitionsvertrag unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ sollen unter anderem zukunftsorientierte Rahmenbedingungen für einen wettbewerbsfähigen Mittelstand und ein starkes Handwerk geschaffen werden. Die Fachkräftesicherung im Handwerk ist ebenfalls ein erklärtes Ziel. Doch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und die daraus resultierende Energiekrise haben sämtliche Pläne durchkreuzt und die Bundesregierung vor unerwartete neue Herausforderungen gestellt. Zudem galt es, weiterhin die Folgen der Corona-Pandemie zu managen.
Inzwischen ist die Ampelkoalition seit zwei Jahren im Amt – Grund für den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), zur Halbzeit einen Rückblick zu wagen und Wünsche für die Zukunft zu adressieren. Dem Handwerk brennen in erster Linie die Themen Energiepreise, Fachkräftemangel und Bürokratieabbau unter den Nägeln. So hatte ZDH-Präsident Jörg Dittrich am 13. Oktober 2023 rund 300 Vertreter:innen aus der Handwerksorganisation zum ZDH-Forum nach Berlin geladen, um mit Politiker:innen der Koalition wie auch der Opposition zu diskutieren. Die Ausgangsfrage lautete: „Wie viel Fortschritt hat die Ampel für den Wirtschaftsstandort Deutschland gewagt?“ Auf dem Podium saßen neben Jörg Dittrich Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, Emily May Büning, Politische Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, sowie Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär.
Kühnert stellte den Umgang mit der Energiekrise – hier vor allem die Einrichtung der Preisbremse – sowie die Stärkung im Bereich der Ausbildung als Erfolge der Bundesregierung heraus, musste zugleich aber eingestehen, dass man zwar gute Politik gemacht, diese aber schlecht kommuniziert habe. Zudem habe man sich mehrfach selbst im Wege gestanden und Verfahren zur Lösungsfindung hätten zu lange gedauert. Büning betonte, dass wichtige Schritte eingeleitet worden seien, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen und unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu werden. Linnemann warf der Bundesregierung vor, die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland falsch einzuschätzen, und sieht den Mittelstand in großer Gefahr. Djir-Sarai wies nachdrücklich darauf hin, dass viele der aktuellen Probleme nicht in den vergangenen zwei Jahren entstanden seien, sondern ein Erbe aus vorherigen Legislaturperioden darstellten.
Umfragen im Plenum ergaben, dass 50 Prozent der Handwerksvertreter:innen mit der Arbeit der Bundesregierung gar nicht und auch 48 Prozent mit der Arbeit der Opposition weniger zufrieden sind. ZDH-Präsident Dittrich bestätigte, dass die Stimmung im Land schlecht sei, lenkte den Blick aber nach vorne. Er forderte, den vielen politischen Ankündigungen endlich Taten folgen zu lassen und zu handeln: Ziel aller politischen Entscheidungen müsse es sein, die Standortbedingungen in Deutschland langfristig zu verbessern, Initiativen zur Fachkräftesicherung nachhaltig zu stärken und Belastungen spürbar abzubauen. „Es ist wieder Agenda-Zeit: Statt homöopathisch Symptome zu bekämpfen, braucht es einen Ruck und endlich eine echte mittelstandsfreundliche Standortpolitik. Es ist Zeit für Pragmatismus, Realpolitik und echte Reformen“, mahnte er.
Das Handwerk sei bereit, bei den großen Aufgaben mit anzupacken – das beweise es täglich. Aber das Handwerk könne als die Schlüsselbranche für eine erfolgreiche Transformation und Modernisierung des Landes nur dann seinen Beitrag leisten, wenn bei den Entlastungen endlich ernst gemacht werde: Dazu zähle ein deutlicher Bürokratieabbau. Das angekündigte vierte Bürokratieentlastungsgesetz gehe zwar in die richtige Richtung, hätte jedoch deutlich früher kommen und umfangreicher sein müssen.
Für die zentrale Herausforderung der Fachkräftesicherung sei ein umfassendes Gesamtkonzept nötig, das alle inländischen Potenziale nutze und eine praktikable arbeitsmarktorientierte Zuwanderung ermögliche. Für zwingend erforderlich hält Dittrich eine Bildungswende, um genügend Fachkräfte für die Zukunft zu generieren, die Transformation zu bewältigen und das Handwerk zu stärken. Politik müsse die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung endlich gesetzlich festschreiben, so der Handwerkspräsident.
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