1 Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Nottwil
2 Swiss Paraplegiker-Forschung, Nottwil
3 Institut für Physiotherapie, ZHAW Gesundheit, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur, Schweiz
4 Hochschule Luzern (HSLU), Horw, Schweiz
5 Zentrum für Schmerzmedizin, Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Nottwil
Einleitung
Chronische Schmerzen treten bei Patient:innen nach einer Rückenmarkverletzung (SCI) sehr häufig auf1. Die „International Spinal Cord Injury Pain Classification“ unterscheidet nozizeptive, neuropathische, andere und unbekannte Schmerzen2. Die Punktprävalenz chronischer neuropathischer Rückenmarkschmerzen bei Rückenmarkverletzungen beträgt 56 %3 und eine aktuelle Studie der Schweizer Bevölkerung mit Rückenmarkverletzungen ergab, dass 73 % unter chronischen Schmerzen leiden4. Trotz der hohen Prävalenz von SCIP (Spinal Cord Injury Pain) stellt die Behandlung nach wie vor eine Herausforderung dar. Jüngste Übersichtsarbeiten kommen zu dem Schluss, dass es an Belegen für die Wirkung pharmakologischer und nicht pharmakologischer Behandlungen mangelt5. Außerdem ist die medikamentöse Behandlung mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden6. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Biologie, die der SCIP zugrunde liegt, sowie die Mechanismen, die zur Chronifizierung von Schmerzen führen, nicht vollständig verstanden sind. Ein Modell, das möglicherweise relevant ist, ist das kortikale Modell des pathologischen Schmerzes7. Dieses Modell geht davon aus, dass den Schmerzen eine gestörte kortikale propriozeptive Reaktion zugrunde liegt, die durch ein Missverhältnis zwischen motorischem Output und sensorischem Feedback entsteht. Daher wurde eine innovative Therapie namens virtuelles Gehen (VW) weiterentwickelt, die auf der Arbeit von Moseley8 und den Grundsätzen der Spiegeltherapie basiert.
Ziel der Studie ist es, (1) die Machbarkeit von VW in einer kleinen Gruppe von Patient:innen mit SCIP in einem klinischen Umfeld zu bewerten, (2) die Zufriedenheit mit, die Akzeptanz von und die Adhärenz der innovativen Therapie zu untersuchen und (3) das Feedback der Patient:innen über ihre Erfahrungen und mögliche Verbesserungen des Setups zu erhalten.
Methoden
Themen
Patient:innen mit SCIP wurden von Juli bis September 2019 rekrutiert. Einschlusskriterien: ein Mindestalter von 18 Jahren; SCI seit mindestens einem Jahr; SCIP in den unteren Extremitäten oder im Rumpf seit mindestens drei Monaten; die Fähigkeit, mit einem Stift zu zeichnen, und deutsche Sprachkenntnisse. Ausschlusskriterien: jede neurologische, psychologische oder kognitive Störung, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich macht; Epilepsie und Schwangerschaft. Das Studienprotokoll wurde am 28. Juni 2019 von der zuständigen Ethikkommission geprüft und es wurde entschieden, dass keine ethische Genehmigung erforderlich ist. Dennoch stellte die Ethikkommission fest, dass alle allgemeinen ethischen Erwägungen erfüllt wurden. Alle Patient:innen wurden von einem Team, bestehend aus einem Neurologen, einer Physiotherapeutin und einer Psychologin, gescreent. Die Aufnahme in die Studie wurde in einer Teambesprechung beschlossen. Alle Patient:innen gaben vor der Teilnahme an der Studie eine schriftliche Einverständniserklärung ab.
Vorbereitungsphase
Vor Beginn der Therapie absolvierten alle Teilnehmenden eine vierwöchige Vorbereitungsphase, in der sie ihre Fähigkeit, zwischen rechter und linker Körperseite zu unterscheiden, trainierten. Die Teilnehmenden mussten die Recognise-App der Firma Noigroup (Adelaide, Australien) herunterladen. Mit der App wurden jeder/m Teilnehmenden Bilder der rechten und linken Extremitäten gezeigt und sie/er musste entscheiden, welche Körperseite abgebildet war. Es wurde vermutet, dass dies als wesentlicher Bestandteil der Behandlung mit Graded Motor Imagery (GMI) 9 die Wirksamkeit der Therapie verbessern könnte.
Virtuelles Gehen
In Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern (HSLU, Horw, Schweiz), wurde ein neues Therapiesetting entwickelt. Das Setting umfasst (1) eine große Leinwand (1,80 x 2,80 m), (2) eine eingebaute Kamera (Realsense Depth Camera D435), um die/den Teilnehmenden zu filmen, (3) einen modifizierten Rollstuhl, der in einem Abstand von 2 m von der Leinwand positioniert ist und sich in einer horizontalen Ebene um 2° nach rechts und links neigt, um die physiologische Bewegung des Beckens beim Gehen nachzuahmen, (4) ein Greenscreen-Setup, bestehend aus einem grünen Hintergrund, einem grünen Tuch zum Abdecken des Rollstuhls und des Unterkörpers der/des Teilnehmenden sowie einer Beleuchtung und (5) einen Computer mit hochentwickelter Software. Letztere erzeugte eine visuelle Täuschung, indem dem Oberkörper der von der Kamera erfassten Person gehende Beine hinzugefügt wurden. Diese wurden zuvor von gesunden männlichen und weiblichen Personen gefilmt. Diese Einstellung ermöglichte es den Patient:innen, sich selbst aus der Perspektive einer dritten Person durch einen Wald laufen zu sehen (Abb. 1). Die VW-Therapie wurde mit einem Zeitplan von (1) zwei Sitzungen pro Woche über insgesamt fünf Wochen oder von (2) fünf Sitzungen pro Woche über insgesamt zwei Wochen durchgeführt. Zwei Patient:innen wurden nach Plan 1 und zwei Patient:innen nach Plan 2 behandelt.
Von Patient:innen berichtete Outcome-Messungen
Als primärer Outcome wurde die Machbarkeit evaluiert, indem die Patient:innen gebeten wurden, nach jeder Therapiewoche die Authentizität, die Zufriedenheit, die Bereitschaft zur Fortsetzung, die Unterstützung, die Dauer, die Anzahl der Sitzungen und die Akzeptanz der Therapie anhand einer visuellen Analogskala (VAS) von 0 bis 100 mm zu bewerten. Dieser Machbarkeitsfragebogen wurde auf der Grundlage einer Vorlage des Bundesverbandes für Qualitätsentwicklung in Krankenhäusern und Kliniken entwickelt und um zusätzliche Fragen zur Akzeptanz der Dauer und Häufigkeit der Intervention erweitert10.
Außerdem wurde mit allen Patient:innen ein halbstrukturiertes Interview geführt, das die folgenden Aspekte umfasste: (1) Zufriedenheit mit und Akzeptanz der Therapie, (2) Veränderung der Schmerzen, (3) positive Aspekte der Therapie, (4) negative Aspekte der Therapie und (5) Vorschläge zur Verbesserung der Therapie. Darüber hinaus wurden die Patient:innen gebeten, drei Wochen vor und während sowie drei Wochen nach der VW-Therapie täglich ein Schmerztagebuch zu führen.
Als sekundäre Outcome-Messungen wurden die Teilnehmenden gebeten, selbstständig Fragebögen auszufüllen, um schmerzbezogene Daten zu bewerten: das Mainzer Schmerzstadiensystem (MPSS), das den Grad der Chronifizierung von Schmerzen definiert11; dieser elf Punkte umfassende Fragebogen ordnet den Schmerz in eines von drei möglichen Chronifizierungsstadien ein. Zur Beurteilung der Schmerzschwere wurde die Graded Chronic Pain Scale (GCPS) herangezogen. Sie besteht aus sieben Fragen, von denen sich drei auf die Schmerz-intensität, drei auf die schmerzbedingte Behinderung und eine Frage zur Anzahl der Beeinträchtigungstage12. Die Patient Global Impression of Change (PGIC) wurde nach Abschluss der virtuellen Walking-Sitzungen durchgeführt. PGIC spiegelt die Überzeugung der Patient:innen bezüglich der Wirksamkeit der Behandlung wider, die anhand einer siebenstufigen Bewertungsskala von „viel besser“ bis „viel schlechter“ gemessen wird13.
Psychologische Komorbiditäten wurden mit den Depressions‑, Angst- und Stressskalen (DASS) gemessen. Die DASS enthält drei Subskalen für Depression, Angst und Stress mit jeweils sieben Items14. Das katastrophisierende Denken im Zusammenhang mit der Schmerzerfahrung wurde mit der Pain Catastrophizing Scale (PCS) bewertet15. Das allgemeine Wohlbefinden wurde mit dem Spinal Cord Injury Quality of Life Basic Data Set (SCI-QoL-BDS) bewertet. Der Fragebogen enthält drei Variablen für die allgemeine Lebensqualität sowie die physische und psychische Gesundheit16.
Ergebnisse
Patient:innen
An der VW-Therapie-Machbarkeitsstudie nahmen vier querschnittgelähmte Patient:innen mit SCIP teil. Die soziodemografischen und klinischen Daten sind in Tabelle 1 aufgeführt. Das Alter reichte von 22 bis 60 Jahren, eine Teilnehmerin war weiblich, die Zeit seit der Verletzung und die Schmerzdauer reichten von 1,5 bis 37 Jahren. Die Hälfte der Patient:innen litt an einem SCIP „at-level pain“, die andere Hälfte an „below-level pain“, und alle hatten eine Läsion auf der Ebene der Brustwirbelsäule. Bei fast allen wurde eine komplette Querschnittlähmung diagnostiziert. Eine Ausnahme bildet eine Patientin, die als inkomplette eingestuft wurde und ausschließlich spastische Symptome aufwies.
Von Patient:innen berichtete Outcome-Messungen
Fragebogen zur Bewertung der Machbarkeit: Die medianen VAS-Werte der sechs Machbarkeitsfragen sind in Abbildung 2 dargestellt und zusammengefasst. „Authentizität“ wurde mit Werten zwischen 14 und 74,5 sehr heterogen bewertet. Die „Zufriedenheit“ erreichte moderate Werte zwischen 64 und 93,5. Konsistentere Ergebnisse wurden für die „Fortführung“ erzielt, die die Bereitschaft (73 bis 94), die „Dauer von Therapiesitzungen“ (70 bis 97) und „Anzahl der Sitzungen“ (67 bis 95) betrifft. „Supervision/Unterstützung“ erreichte die höchsten Werte, die zwischen 92 und 100 lagen.
Teilstrukturiertes Interview: Die Ergebnisse des teilstrukturierten Interviews werden nicht im Detail dargestellt. Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung:
- Zufriedenheit/Akzeptanz: In diesem Fall wurde die Perspektive kritisiert, weil man sich selbst aus der Perspektive der dritten Person statt aus der Ich-Perspektive sieht.
- Positive Aspekte: Bei manchen Patient:innen wurden während der Therapie starke Erinnerungen wachgerufen. Sie stellten sich vor, wie es sich anfühlte, vor der SCI durch einen Wald zu gehen. Positiv zu bewerten war auch eine Verbesserung des psychischen Wohlbefindens sowie die Tatsache, dass die Intervention eine erfolgreiche Abwechslung in den Therapieplänen war. Ein Patient berichtete, dass viele Bereiche des täglichen Lebens durch die Therapie positiv beeinflusst wurden, und ein anderer Patient erklärte, dass die Therapie sehr motivierend war.
- Negative Aspekte: Die meisten der genannten negativen Aspekte betrafen die Perspektive und die Umgebung, die als ablenkend empfunden wurden und somit ein vollständiges Eintauchen in die virtuelle Umgebung verhinderten. Es wurde vorgeschlagen, dass Virtual-Reality-Brillen besser geeignet sein könnten. Eine Person erwähnte eine sehr lange Schlafdauer nach der dritten Behandlungssitzung als mögliche Nebenwirkung und dass sie nach dem Aufwachen das Gefühl eines Blackouts oder eines Gedächtnisverlustes hatte.
- Vorschläge zur Verbesserung: Zwei Verbesserungsvorschläge wurden bereits während des Behandlungszeitraums angepasst. Der erste war, die Beckenbewegung und das Video gleichzeitig zu starten. Die zweite war, Waldgeräusche einzuspielen, da der Motor des Rollstuhls relativ laut ist.
Schmerztagebuch und Schmerzzeichnung: Die Schmerzintensität als sekundäres Ergebnis war unterschiedlich. Ein Patient hatte eine Schmerzreduktion um VAS 31 mm, die anderen drei eine leichte, klinisch nicht relevante Zunahme um VAS 1–7 mm (Abb. 3). Ein Patient zeigte eine geringe Schmerzverbesserung unter VW, bei einem Patienten fehlten Werte während der Therapie. Ein Patient berichtete über besseren Schlaf nach der Therapie. Veränderungen in der Schmerzverteilung waren bei allen Patient:innen zu beobachten. Veranschaulicht wird dies durch die Schmerzzeichnungen (Abb. 4). VW‑1 zeigte nur marginale bis keine Veränderung der Schmerzen, VW‑2 zeigte eine Verringerung der Schmerzen am Oberschenkel ventral, dem Unterschenkel dorsal sowie an den Fußsohlen. VW‑3 zeigte die größte Verringerung der Schmerzverteilung durch vollständiges Aufhören der Schmerzen im Bein ventral sowie im Fußrücken und eine starke Verringerung der Schmerzen im Oberschenkel dorsal und in den Unterschenkeln. Bei VW‑4 war die Schmerzverteilung vor und nach der VW-Therapie fast gleich.
Schmerzbezogene Daten und psycho-soziale Komorbidität: Der MPSS zeigte das höchste Stadium der Schmerzchronifizierung bei VW‑2–4 und Stadium 2 in VW‑1 (Fragebögen in Tabelle 2).
VW‑3 und VW‑4 wiesen vor der Therapie den höchsten Grad der chronischen Schmerzschwere auf dem GCPS auf, VW‑1 und VW‑2 den niedrigsten. Nach der Therapie wurden bei VW‑1 und VW‑4 keine Veränderungen gemessen. VW‑2 zeigte einen Anstieg auf Grad 3 und VW‑3 einen Rückgang auf Grad 3.
Der PGIC-Wert nach der Behandlung lag bei VW‑2 bei 4, bei VW‑1 und VW‑4 bei 5 und am höchsten bei VW‑3 mit dem Höchstwert von 7.
Der DASS als psychologisches Ergebnismaß zeigte im Bereich Angst bei VW‑1 und VW‑2 normale Werte < 6. VW‑3 und VW‑4 zeigten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein einer ausgeprägten Belastung durch Angststörungen vor der Therapie. Im Bereich Depression zeigten sich zu Beginn der Therapie bei VW‑1 und VW‑2 normale Raten < 10 und bei VW‑3 und VW‑4 eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer ausgeprägten Belastung durch eine depressive Störung. VW‑1, VW‑2 und VW‑4 zeigten keine klinisch relevanten Veränderungen. Im Bereich Stress zeigte sich bei drei Patient:innen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer ausgeprägten Belastung durch eine Stressstörung. Nur VW‑1 hatte Normalwerte < 10. VW‑1 und VW‑4 veränderten sich nach der Therapie nicht, während sich VW‑2 von zwölf Punkten bei Ausgangswert auf neun Punkte nach der Behandlung veränderte. VW‑3 zeigte nach der Behandlung in allen drei Bereichen eine klinische Verringerung gegenüber dem Ausgangswert. Die PCS zeigte bei drei Patient:innen eine relevante Verringerung der schmerzbedingten Katastrophisierung. VW‑4 wies jedoch auf eine Zunahme der Katastrophisierung hin. Der SCI-QoL-BDS zeigte bei allen Patienten keine relevanten Veränderungen.
Diskussion
Unser VW-Setting verwendet eine grüne Leinwand, einen kippbaren Rollstuhl und eine natürliche Umgebung auf einer großen Leinwand. Ein solches Setting wurde unseres Wissens noch nicht verwendet. In einigen Studien wurde ein Spiegel mit einer Videoprojektion von gehenden Beinen verwendet17 18 19 20, in anderen bestanden die Gehstimuli aus einem Video einer Schauspielerin bzw. eines Schauspielers, die/der in der Ich-Perspektive einen Weg entlangging21 22, und in der letzten Studie betrachteten die Teilnehmenden ihre virtuellen Arme und Beine in der Ich-Perspektive in einer virtuellen Welt durch eine Virtual-Reality-Brille23.
Alle Teilnehmenden nahmen die Therapie gut an und hielten sich an die einzelnen Sitzungen. Es traten keine dauerhaften Nebenwirkungen auf. Nur ein Patient war müder als sonst. Bislang wurde nur in einer Studie24 über Nebenwirkungen wie Stress und erhöhte Schmerzintensität bei einem Patienten berichtet.
In unserer Studie zeigten sich die Teilnehmenden sehr zufrieden und akzeptierten das Angebot. Unterstützung, Dauer und Anzahl der Sitzungen wurden als gut empfunden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die VW in unserem Setting aus der Dritte-Person-Perspektive für Patient:innen mit SCIP durchführbar ist. Manche Teilnehmende waren nicht in der Lage, sich vollständig in die Situation hineinzuversetzen, und stellten vor allem die Dritte-Person-Perspektive infrage. In der aktuellen Literatur wurde noch kein Vergleich zwischen der Dritten-Person- und der Ersten-Person-Perspektive beschrieben. Die Dritte-Person-25 26 27 28 wie die Erste-Person-Perspektive29 30 31 wurden bereits angewendet und beschrieben. Aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns und der Heterogenität der Proband:innen bleibt die Frage offen, welche Perspektive am hilfreichsten ist, da dies von verschiedenen Faktoren abhängt.
In unserer Studie wurde eine hohe Therapietreue festgestellt. Es wurde über eine geringe Adhärenz bei Übungsprogrammen bei Patient:innen mit SCI ohne Schmerzen berichtet32. In den verschiedenen Studien zu VW wurde die Therapieadhärenz nicht diskutiert33 34 35 36 37 38 39 .
Der mit PGIC gemessene Glaube der Patient:innen an die Wirksamkeit der Behandlung war auch bei jenen, die eine leichte Zunahme der Schmerzintensität erlebten, hoch. Ähnliche Ergebnisse wurden bereits berichtet40.
Die Rückmeldungen der Patient:innen zu rollstuhlbedingten Geräuschen werden in weiteren Studien berücksichtigt mit dem Ziel, diese zu verbessern.
Darüber hinaus nahm die Schmerzintensität bei allen Teilnehmenden leicht zu, mit Ausnahme eines Teilnehmers, welcher einen „at-level pain“ hatte. Eine Verringerung der Schmerzverteilung wurde bei einem Teilnehmer festgestellt. Der Teilnehmende mit den besten Ergebnissen hatte von allen die längste Zeit seit der Querschnittlähmung und wurde als Patient mit starken Schmerzen eingestuft. Dieses Ergebnis ähnelt einer früheren Studie, in der ein Patient mit „at-level pain“ und der längsten Zeit seit der Querschnittlähmung ebenfalls am meisten von der Therapie profitierte41 42.
Daher ist es unklar, welche Art von SCI am meisten von VW profitieren wird43. Der erwähnte Patient mit den besten Ergebnissen bei der Schmerzreduktion zeigte einen starken Rückgang in allen in den Fragebögen aufgeführten Bereichen mit Ausnahme des SCI-Qol-BDS, der keine Veränderung zeigte. Der Depressionswert dieses Patienten veränderte sich signifikant. In einer früheren Studie wurde über einen Rückgang der Depression berichtet44. Dies ist jedoch die einzige Studie, die die depressive Symptomatik untersuchte. In dieser Studie wurde die Ich-Perspektive verwendet. Es ist bekannt, dass VW in dieser Perspektive ein bewährtes Instrument zur akuten Affektmodulation und akuten Schmerzlinderung ist45 46. Möglicherweise ergeben sich je nach Perspektive unterschiedliche Ergebnisse. Bei den Patient:innen, die nicht auf VW ansprachen, wurden keine bemerkenswerten Veränderungen in den Fragebögen vor und nach der Therapie festgestellt.
Schließlich sind bei der Interpretation der vorliegenden Studie einige Einschränkungen zu beachten. Aufgrund der geringen Stichprobengröße lassen sich die Ergebnisse möglicherweise nicht für die gesamte SCI-Gemeinschaft verallgemeinern. Dennoch gab es keine negativen Anmerkungen oder Hinweise darauf, dass die Durchführbarkeit nicht gegeben ist.
Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass die Therapie für Patient:innen mit neuropathischen Schmerzen nach einer Querschnittlähmung durchführbar ist. Alle Teilnehmenden akzeptierten die Therapie und hielten sich an die einzelnen Sitzungen. Um Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit und das therapeutische Outcome bei Schmerzen zu ziehen, ist eine weitere Studie mit mehr Patient:innen erforderlich.
Hinweis:
Dieser Artikel erschien mit einer CCC-Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0) in ähnlicher Form und auf Englisch in der Zeitschrift Spinal Cord Series and Cases: https://doi.org/10.1038/s41394-024–00667‑w
Für die Autorinnen:
Karina Ottiger-Böttger
Leiterin Schmerzphysiotherapie
Schweizer Paraplegiker-Zentrum
Guido A. Zäch Strasse 1
6207 Nottwil
Schweiz
karina.ottiger@paraplegie.ch
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Landmann G et al. Virtuelle Gehtherapie bei neuropathischen Schmerzen nach Rückenmarkverletzungen: eine Machbarkeitsstudie. Orthopädie Technik, 2025; 76 (1): 38–44
Tab. 1 Sozio-demographische and klinische Charakteristika der Patient:innen.
SCIP: Spinal Cord Injury Pain; AIS: American Spinal Injury Association Impairment Scale;
VW‑1–4: Patientencodierung
Patient | Alter | Geschlecht | Jahre seit der Verletzung | Schmerzdauer (Jahre) | Schmerzart (SCIP) | Höhe der Wirbelsäulenläsion | AIS | Spastik |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
VW‑1 | 22 | weiblich | 1,5 | 1,5 | at-level | Th10 | C | ja |
VW‑2 | 39 | männlich | 4 | 4 | below-level | Th7 | A | nein |
VW‑3 | 60 | männlich | 37 | 37 | at-level | Th11 | A | nein |
VW‑4 | 45 | männlich | 6 | 6 | below-level | Th4 | A | nein |
Tab. 2 Ergebnisse der von den Patient:innen ausgefüllten Fragebögen.
GCPS-Skala für chronische Schmerzen; DASS-Skala für Depressionen, Angst und Stress; MPSS-Mainzer-Staging-System für Schmerzen; PCS-Skala für Schmerzkatastrophisierung; PGIC-Skala für den globalen Eindruck des Patienten bzgl. Veränderungen (nur nach dem virtuellen Gehen); SCI-QoL-BDS-Datensatz für die Lebensqualität bei Rückenmarkverletzungen: allgemein, physisch und psychisch; k. A.: keine Angabe.
Bewertung (Wertereichweite) | VW‑1 vorher/nacher | VW‑2 vorher/nacher | VW‑3 vorher/nacher | VW‑4 vorher/nacher | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
MPSS-Stadium (1–3) | 2/k. A. | 3/k. A. | 3/k. A. | 3/k. A. | |||||
GCPS-Grad (0–4) | 1/1 | 1/3 | 4/3 | 4/4 | |||||
PGIC (1–7) | k. A./5 | k. A./4 | k. A./7 | k. A./5 | |||||
DASS (0–21) | |||||||||
Angst | 2/5 | 3/3 | 13/1 | 5/6 | |||||
Depression | 2/5 | 6/3 | 16/3 | 20/20 | |||||
Stress | 7/8 | 12/9 | 14/2 | 14/16 | |||||
PCS (0–52) | 16/11 | 21/17 | 29/8 | 35/40 | |||||
SCI-QoL-BDS (0–10) | |||||||||
Leben | 7/7 | 4/5 | 7/5 | 1/2 | |||||
Körper | 6/7 | 0/2 | 7/6 | 1/2 | |||||
Stimmung | 8/8 | 1/6 | 6/6 | 1/2 |
Quellenverzeichnis
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