Tho­mas Pütz: Kri­sen­ma­nage­ment in Eigenregie

Maschinenbauer, Medizintechniker und Betriebswirt – der 39-jährige Thomas Pütz hat einen ungewöhnlichen Weg zum Sanitätshausinhaber zurückgelegt. Nach Jahren in der Autoindustrie und als Unternehmensberater für orthopädische Produkte gründete er im Mai 2017 die Firma Pedics mit Sitz in seiner Heimatstadt Bad Neuenahr. Im Gespräch mit der OT-Redaktion spricht Thomas Pütz über den Reiz der Orthopädie-Technik, die Bedeutung der Mitarbeitermotivation sowie den Umgang mit dem Hochwasser.

OT: Wie sah der Anfang Ihres Unter­neh­mens aus?

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Tho­mas Pütz: Zu Beginn waren wir zu fünft. Ein Ortho­pä­die­tech­ni­ker, ein Ortho­pä­die­schuh­ma­cher­meis­ter, eine Sani­täts­haus-Fach­kraft sowie eine Büro­kauf­frau wag­ten mit mir gemein­sam den Start. Inzwi­schen haben wir 27 Mitarbeiter:innen. Auf die Idee, ein Sani­täts­haus in Bad Neu­en­ahr zu eröff­nen, kam ich durch Bekann­te vor Ort. Die­se kann­ten mei­ne Arbeit als Unter­neh­mens­be­ra­ter und frag­ten mich, war­um ich mich nicht mit mei­nem Know-how in der Hei­mat ein­brin­gen wolle.

OT: Was hat Sie an der Ortho­pä­die-Tech­nik gereizt?

Pütz: Mich fas­zi­niert bis heu­te die Tech­nik als sol­che, aber auch der Über­gang von Tech­nik und Medi­zin. Vor allem aber ist es reiz­voll, dass wir Men­schen schnell hel­fen kön­nen und eben­so schnell ein ent­spre­chen­des Feed­back bekom­men. Nicht nur mich, mein gesam­tes Team spornt es an, Men­schen gesund oder mobil zu machen.

Moti­va­ti­on und Fortbildung

OT: Wor­auf ach­ten Sie bei der Wahl Ihrer Mitarbeiter:innen?

Pütz: Moti­va­ti­on! Fach­kennt­nis­se kann man jeder­zeit erwer­ben. Neue Mitarbeiter:innen füh­ren wir sanft an ihre Auf­ga­ben, schu­len sie ziel­ge­rich­tet in dem Fach­ge­biet wei­ter, in dem sie ein­ge­setzt sind. Min­des­tens zwei Fort­bil­dun­gen bezah­len wir pro Mitarbeiter:in pro Jahr. Wir unter­stüt­zen auch dar­über hin­aus die Fort- und Wei­ter­bil­dung: Im Moment haben wir zwei Voll­zeit­kräf­te beschäf­tigt, die stu­die­ren, und einen Mit­ar­bei­ter, der einen Meis­ter­lehr­gang besucht. Natür­lich arbei­ten wir auch am The­ma Moti­va­ti­on. Jedes Jahr ver­an­stal­ten wir eine Rei­he von Events für und mit unse­ren Mitarbeiter:innen. Außer­dem gibt es für jeden eine betrieb­li­che Altersvorsorge.

OT: Schlägt sich der viel beschrie­be­ne Fach­kräf­te­man­gel auch bei Ihnen nieder?

Pütz: Nein. Wir erhal­ten im Schnitt vier bis fünf Bewer­bun­gen pro Woche. Es scheint, dass sich unse­re Art des Mit­ein­an­ders in der Regi­on rum­ge­spro­chen hat. Das liegt wohl auch dar­an, dass sowohl mei­ne Mitarbeiter:innen als auch ich hier tief ver­wur­zelt sind und über zahl­rei­che loka­le Ver­bin­dun­gen verfügen.

Nähe zu Kund:innen

OT: Wie set­zen Sie sich in einer Stadt mit knapp 30.000 Einwohner:innen im Wett­be­werb mit zwei Filia­lis­ten durch? 

Pütz: Wir punk­ten mit Per­sön­lich­keit, Ver­sor­gungs­qua­li­tät, stän­di­ger Erreich­bar­keit und Mensch­lich­keit. So betrei­ben wir zum Bei­spiel eine eige­ne Hot­line, an der Fach­per­so­nal sitzt, sodass Kund:innen jeder­zeit qua­li­fi­zier­te Ansprechpartner:innen per­sön­lich errei­chen. Wir haben ein per­sön­li­ches Ver­hält­nis zu unse­ren Kund:innen, kön­nen daher ziel­ge­rich­te­ter ver­sor­gen, aus der Viel­falt der Mög­lich­keit das jeweils Pas­sen­de wäh­len, anpas­sen oder selbst her­stel­len. Ein Filia­list mit sei­ner im Regel­fall hohen Per­so­nal­fluk­tua­ti­on kann aus mei­ner Sicht die­se Ver­sor­gungs­qua­li­tät gar nicht leis­ten. Den­noch bie­ten wir alle Berei­che der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung an, indem wir sehr eng mit wei­te­ren klei­ne­ren spe­zia­li­sier­ten Anbie­tern zusammenarbeiten.

OT: Wie wür­den Sie Ihre Situa­ti­on bis zum Hoch­was­ser Mit­te Juli beschreiben?

Pütz: Expe­ri­ment gelun­gen: Nach dem ers­ten schwe­ren Jahr konn­ten wir unse­re Umsät­ze vom 2. aufs 3. und vom 3. aufs 4. Jahr jeweils verdoppeln.

Hilfs­mit­tel ver­schenkt – Laden­lo­kal wie­der in Betrieb

OT: Wie hat sich das Hoch­was­ser auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

Pütz: Wir hat­ten das gro­ße Glück, dass die Strö­mung an unse­rem Laden­lo­kal vor­bei­ging, sodass es nicht gänz­lich zer­stört wur­de. Noch wäh­rend die Flut ins Lokal floss, habe ich mich mit zwei Fla­schen Bier auf die The­ke gesetzt und den Schlacht­plan für die Tage danach ent­wor­fen. Zwei Tage spä­ter folg­te eine Bespre­chung mit allen Mitarbeiter:innen. Das war qua­si der Start­schuss für die Umset­zung: Obwohl zwei unse­rer Mitarbeiter:innen alles ver­lo­ren hat­ten, teil­ten sich alle in Schich­ten auf. Halb­tags ver­sorg­ten sie wei­ter in der ver­dreck­ten Filia­le die Kund:innen, halb­tags schipp­ten sie Schlamm und rei­nig­ten die Räum­lich­kei­ten. Bereits am Mon­tag nach dem Hoch­was­ser konn­ten wir durch die­se groß­ar­ti­ge Leis­tung des Teams die Filia­le wie­der in Betrieb neh­men und die Ver­sor­gung der Men­schen in der Regi­on sicherstellen.

OT: Wie haben Sie das offi­zi­el­le Kri­sen­ma­nage­ment wahrgenommen?

Pütz: Das war kein Glanz­stück des offi­zi­el­len Kri­sen­ma­nage­ments. Nach mei­nen Erfah­run­gen geht 70 bis 80 Pro­zent der Hil­fe für die Betrof­fe­nen von Pri­vat­in­itia­ti­ven aus. Ich habe bei­spiels­wei­se Reha-Tech­nik und Kom­pres­si­ons­wa­re in Höhe von 60 bis 80.000 Euro aus unse­rem Lager inner­halb des ers­ten Wochen­en­des nach dem Hoch­was­ser an Bedürf­ti­ge in den Not­fall­un­ter­künf­ten, Kran­ken­häu­sern und an ver­schie­de­ne Hilfs­diens­te ver­teilt. Was immer die Kran­ken­häu­ser, das DRK, der ASB, die Johan­ni­ter oder Mal­te­ser benö­tig­ten, dank der Unter­stüt­zung mei­ner Lie­fe­ran­ten konn­ten wir die Ware beschaf­fen. Zudem orga­ni­sie­re ich täg­lich einen Shut­tle für etwa 2.000 Helfer:innen. Mit all dem ste­he ich kei­nes­wegs allein dar. Im Gegen­teil. Die­ser Zusam­men­halt, die Mensch­lich­keit in der Regi­on sowie die Hilfs­be­reit­schaft auch aus ande­ren Regio­nen sind rie­sig und haben mich sehr beein­druckt! Es ist auch groß­ar­tig, wie vie­le Kolleg:innen auf mich mit Hilfs­an­ge­bo­ten zuge­kom­men sind, weil sie unser aller Ziel, die Ver­sor­gungs­si­cher­heit zu gewähr­leis­ten, im Blick haben. Die­ses Ziel wiegt mehr als jeder Wettbewerbsgedanke.

OT: Wie bli­cken Sie auf die Zukunft der ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung in Bad Neuenahr?

Pütz: Die Ortho­pä­die-Tech­nik hat Zukunft, nicht nur in Bad Neu­en­ahr. Hilfs­mit­tel wer­den gebraucht! Inso­fern sehe ich sehr posi­tiv in die Zukunft.

 

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