OT: Wie sah der Anfang Ihres Unternehmens aus?
Thomas Pütz: Zu Beginn waren wir zu fünft. Ein Orthopädietechniker, ein Orthopädieschuhmachermeister, eine Sanitätshaus-Fachkraft sowie eine Bürokauffrau wagten mit mir gemeinsam den Start. Inzwischen haben wir 27 Mitarbeiter:innen. Auf die Idee, ein Sanitätshaus in Bad Neuenahr zu eröffnen, kam ich durch Bekannte vor Ort. Diese kannten meine Arbeit als Unternehmensberater und fragten mich, warum ich mich nicht mit meinem Know-how in der Heimat einbringen wolle.
OT: Was hat Sie an der Orthopädie-Technik gereizt?
Pütz: Mich fasziniert bis heute die Technik als solche, aber auch der Übergang von Technik und Medizin. Vor allem aber ist es reizvoll, dass wir Menschen schnell helfen können und ebenso schnell ein entsprechendes Feedback bekommen. Nicht nur mich, mein gesamtes Team spornt es an, Menschen gesund oder mobil zu machen.
Motivation und Fortbildung
OT: Worauf achten Sie bei der Wahl Ihrer Mitarbeiter:innen?
Pütz: Motivation! Fachkenntnisse kann man jederzeit erwerben. Neue Mitarbeiter:innen führen wir sanft an ihre Aufgaben, schulen sie zielgerichtet in dem Fachgebiet weiter, in dem sie eingesetzt sind. Mindestens zwei Fortbildungen bezahlen wir pro Mitarbeiter:in pro Jahr. Wir unterstützen auch darüber hinaus die Fort- und Weiterbildung: Im Moment haben wir zwei Vollzeitkräfte beschäftigt, die studieren, und einen Mitarbeiter, der einen Meisterlehrgang besucht. Natürlich arbeiten wir auch am Thema Motivation. Jedes Jahr veranstalten wir eine Reihe von Events für und mit unseren Mitarbeiter:innen. Außerdem gibt es für jeden eine betriebliche Altersvorsorge.
OT: Schlägt sich der viel beschriebene Fachkräftemangel auch bei Ihnen nieder?
Pütz: Nein. Wir erhalten im Schnitt vier bis fünf Bewerbungen pro Woche. Es scheint, dass sich unsere Art des Miteinanders in der Region rumgesprochen hat. Das liegt wohl auch daran, dass sowohl meine Mitarbeiter:innen als auch ich hier tief verwurzelt sind und über zahlreiche lokale Verbindungen verfügen.
Nähe zu Kund:innen
OT: Wie setzen Sie sich in einer Stadt mit knapp 30.000 Einwohner:innen im Wettbewerb mit zwei Filialisten durch?
Pütz: Wir punkten mit Persönlichkeit, Versorgungsqualität, ständiger Erreichbarkeit und Menschlichkeit. So betreiben wir zum Beispiel eine eigene Hotline, an der Fachpersonal sitzt, sodass Kund:innen jederzeit qualifizierte Ansprechpartner:innen persönlich erreichen. Wir haben ein persönliches Verhältnis zu unseren Kund:innen, können daher zielgerichteter versorgen, aus der Vielfalt der Möglichkeit das jeweils Passende wählen, anpassen oder selbst herstellen. Ein Filialist mit seiner im Regelfall hohen Personalfluktuation kann aus meiner Sicht diese Versorgungsqualität gar nicht leisten. Dennoch bieten wir alle Bereiche der Hilfsmittelversorgung an, indem wir sehr eng mit weiteren kleineren spezialisierten Anbietern zusammenarbeiten.
OT: Wie würden Sie Ihre Situation bis zum Hochwasser Mitte Juli beschreiben?
Pütz: Experiment gelungen: Nach dem ersten schweren Jahr konnten wir unsere Umsätze vom 2. aufs 3. und vom 3. aufs 4. Jahr jeweils verdoppeln.
Hilfsmittel verschenkt – Ladenlokal wieder in Betrieb
OT: Wie hat sich das Hochwasser auf Ihr Geschäft ausgewirkt?
Pütz: Wir hatten das große Glück, dass die Strömung an unserem Ladenlokal vorbeiging, sodass es nicht gänzlich zerstört wurde. Noch während die Flut ins Lokal floss, habe ich mich mit zwei Flaschen Bier auf die Theke gesetzt und den Schlachtplan für die Tage danach entworfen. Zwei Tage später folgte eine Besprechung mit allen Mitarbeiter:innen. Das war quasi der Startschuss für die Umsetzung: Obwohl zwei unserer Mitarbeiter:innen alles verloren hatten, teilten sich alle in Schichten auf. Halbtags versorgten sie weiter in der verdreckten Filiale die Kund:innen, halbtags schippten sie Schlamm und reinigten die Räumlichkeiten. Bereits am Montag nach dem Hochwasser konnten wir durch diese großartige Leistung des Teams die Filiale wieder in Betrieb nehmen und die Versorgung der Menschen in der Region sicherstellen.
OT: Wie haben Sie das offizielle Krisenmanagement wahrgenommen?
Pütz: Das war kein Glanzstück des offiziellen Krisenmanagements. Nach meinen Erfahrungen geht 70 bis 80 Prozent der Hilfe für die Betroffenen von Privatinitiativen aus. Ich habe beispielsweise Reha-Technik und Kompressionsware in Höhe von 60 bis 80.000 Euro aus unserem Lager innerhalb des ersten Wochenendes nach dem Hochwasser an Bedürftige in den Notfallunterkünften, Krankenhäusern und an verschiedene Hilfsdienste verteilt. Was immer die Krankenhäuser, das DRK, der ASB, die Johanniter oder Malteser benötigten, dank der Unterstützung meiner Lieferanten konnten wir die Ware beschaffen. Zudem organisiere ich täglich einen Shuttle für etwa 2.000 Helfer:innen. Mit all dem stehe ich keineswegs allein dar. Im Gegenteil. Dieser Zusammenhalt, die Menschlichkeit in der Region sowie die Hilfsbereitschaft auch aus anderen Regionen sind riesig und haben mich sehr beeindruckt! Es ist auch großartig, wie viele Kolleg:innen auf mich mit Hilfsangeboten zugekommen sind, weil sie unser aller Ziel, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, im Blick haben. Dieses Ziel wiegt mehr als jeder Wettbewerbsgedanke.
OT: Wie blicken Sie auf die Zukunft der orthopädietechnischen Versorgung in Bad Neuenahr?
Pütz: Die Orthopädie-Technik hat Zukunft, nicht nur in Bad Neuenahr. Hilfsmittel werden gebraucht! Insofern sehe ich sehr positiv in die Zukunft.
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