Sys­te­ma­ti­sche Über­sichts­ar­beit zur Erstel­lung einer indi­ka­ti­ons­ge­rech­ten Aus­wahl­gui­de­line für die ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung mit Unterschenkelorthesen

A. Krieger, S. Matyssek, F. Capanni
Neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen können zu Lähmungen der Unterschenkelmuskulatur und dadurch zu einer Behinderung der Sprunggelenkfunktion führen. Um das pathologische Gangbild betroffener Patienten zu verbessern, werden dynamische Unterschenkelorthesen eingesetzt. Diese Hilfsmittel existieren in unterschiedlichen Ausführungen, die abhängig vom Design und vom Material verschiedene Stufen der Unterstützung bieten. Ein auf wissenschaftlichen Daten beruhender Konsens bezüglich der Auswahl einer, zur jeweiligen Indikation, passenden Orthesenausführung existiert im orthopädietechnischen Fachhandwerk bislang jedoch nicht. In diesem Fachbeitrag werden die, im Zuge einer Masterarbeit erarbeiteten, Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche über publizierte Studien zur orthopädietechnischen Versorgung mit Unterschenkelorthesen vorgestellt. Die Ergebnisse aus insgesamt 41 untersuchten Veröffentlichungen werden sodann in Form spezifischer Auswahlguidelines (in praxisgerechter grafischer Darstellung) für die Indikation ICP, Schlaganfall und Krankheiten mit schlaffen Lähmungen zusammengefasst, womit der Orthopädietechniker in die Lage versetzt wird, wissenschaftlich gestützt eine passende Orthesenversorgung auszuwählen.

Ein­lei­tung

Neben ope­ra­ti­ven und medi­ka­men­tö­sen Maß­nah­men ist die ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung mit Unter­schen­kel­or­the­sen fes­ter Bestand­teil der The­ra­pie neu­ro­lo­gi­scher Erkran­kun­gen. Eine Unter­schen­kel­or­the­se soll unter ande­rem die Sta­bi­li­tät im Sprung­ge­lenk ver­bes­sern und abnor­ma­le Bewe­gun­gen des Fußes limi­tie­ren, um die Geh­fä­hig­keit des Pati­en­ten best­mög­lich wie­der­her­zu­stel­len 1. In Stu­di­en konn­ten die posi­ti­ven Effek­te des Ein­sat­zes von Unter­schen­kel­or­the­sen nach­ge­wie­sen wer­den 2 3 4 5. Dabei gibt es die­se Hilfs­mit­tel in unter­schied­li­chen Aus­füh­run­gen, die je nach Design und Mate­ri­al ver­schie­de­ne Stu­fen der Unter­stüt­zung bie­ten 6. Die Aus­wahl der pas­sen­den Orthe­se bei der jewei­li­gen Indi­ka­ti­on obliegt dem ver­sor­gen­den Ortho­pä­die­tech­ni­ker, der sich hier­bei meist auf sei­ne Erfah­rung stützt. Ein all­ge­mein­gül­ti­ges Ver­sor­gungs­sche­ma für Unter­schen­kel­or­the­sen exis­tiert bis dato nicht. Die Rea­li­sie­rung eines auf wis­sen­schaft­li­che Daten gestütz­ten Aus­wahl­sche­mas, das die Effek­te der ver­schie­de­nen Orthe­sen­aus­füh­run­gen indi­ka­ti­ons­spe­zi­fisch mit­ein­an­der ver­gleicht und die pas­sen­de Bau­form einer spe­zi­fi­schen Indi­ka­ti­on zuord­net, ist ein ers­ter Schritt hin zu einem all­ge­mein­gül­ti­gen Ver­sor­gungs­stan­dard für die Orthe­sen­ver­sor­gung. Auf die­se Wei­se wird der Grund­stein für eine evi­denz­ba­sier­te Hilfs­mit­tel­fer­ti­gung gelegt.

Anzei­ge

Pro­blem­stel­lung und Ziel der Literaturrecherche

Ange­sichts der Viel­zahl mög­li­cher AFOs, die sich bezüg­lich Design, Mate­ri­al und ihrer gene­rel­len Funk­ti­on unter­schei­den, kann es für den Ortho­pä­die­tech­ni­ker eine Her­aus­for­de­rung dar­stel­len, jeweils die am bes­ten pas­sen­de Ver­sor­gung aus­zu­wäh­len. Dies führt zu beträcht­li­chen Unter­schie­den bei der Hilfs­mit­tel­aus­wahl zwi­schen ver­schie­de­nen ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gern 7.

Infor­ma­tio­nen aus Fach­bü­chern, Lehr­gän­gen und Semi­na­ren stel­len eine wei­te­re Res­sour­ce dar, anhand derer sich der Ortho­pä­die­tech­ni­ker bei der Aus­wahl einer Unter­schen­kel­or­the­se ori­en­tie­ren kann. Aller­dings basie­ren die­se Infor­ma­ti­ons­quel­len eben­falls auf der Erfah­rung ande­rer Exper­ten und ent­hal­ten meist nur grund­le­gen­de Vor­ge­hens­wei­sen und Prin­zi­pi­en zur AFO-Erstel­lung. Eine evi­denz­ba­sier­te Berück­sich­ti­gung ver­schie­de­ner AFO-Typen ist dar­in häu­fig nicht gege­ben. Außer­dem bil­den Fach­bü­cher auf­grund ihrer teils lang­jäh­ri­gen Bestands­zeit unter Umstän­den nicht den sich schnell ändern­den Stand der Tech­nik in der Ortho­pä­die­tech­nik ab.

Pro­dukt­spe­zi­fi­sche Ver­sor­gungs­hand­bü­cher 8 9 bestimm­ter Ortho­pä­die­tech­nik­un­ter­neh­men bie­ten zwar eine gute Mög­lich­keit für den Ein­stieg in die Ver­sor­gung bei aus­ge­wähl­ten Krank­heits­bil­dern, stel­len jedoch meist die fir­men­in­tern ent­wi­ckel­ten Sys­tem­kom­po­nen­ten (bspw. Gelen­ke) in den Fokus. Möch­ten Ortho­pä­die­tech­nik­un­ter­neh­men jedoch sys­tem­un­ab­hän­gig vor­ge­hen, kann eine spe­zi­fi­sche und evi­denz­ba­sier­te Aus­wahl­gui­de­line den Ver­sor­gungs­pro­zess mit AFOs unterstützen.

Ein Ziel der hier vor­ge­stell­ten sys­te­ma­ti­schen Über­sichts­ar­beit besteht zunächst dar­in, alle AFO-Typen zu ermit­teln, die bei neu­ro­mus­ku­lä­ren und neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen, spe­zi­ell bei ICP und Schlag­an­fall, aktu­ell zum Ein­satz kom­men. Anschlie­ßend wird anhand einer Aus­wer­tung der Ergeb­nis­se aus der wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur eine Aus­sa­ge über die poten­zi­el­le Eig­nung bestimm­ter AFO-Typen bei einer spe­zi­fi­schen Indi­ka­ti­on getrof­fen. Die­se Ergeb­nis­se wer­den in, als Über­sichts­sche­ma kon­zi­pier­ten, Gui­de­lines zusam­men­ge­fasst, die den Ortho­pä­die­tech­ni­ker bei der Aus­wahl des geeig­ne­ten AFO-Typs zukünf­tig unter­stüt­zen soll. Bei den, in den Aus­wahl­gui­de­lines, gezeig­ten AFO-Typen han­delt es sich um exem­pla­ri­sche Abbil­dun­gen. Die­se die­nen der Ver­an­schau­li­chung und ste­hen sinn­bild­lich auch für ande­re Aus­füh­rungs­va­ri­an­ten mit glei­chem Wirkprinzip.

Metho­dik der Literaturrecherche

Als Lite­ra­tur­quel­len wur­den die Daten­ban­ken Pub­Med, Sci­ence Direct, IEEE Xplo­re und LIVIVO ver­wen­det. Zusätz­lich wur­den die ortho­pä­die­tech­nik­spe­zi­fi­schen Jour­nals „POI“ der Inter­na­tio­nal Socie­ty for Pro­sthe­tics and Ortho­tics und „ORTHOPÄDIE TECHNIK“ des Ver­lag OT im BIV-OT durchsucht.

Um rele­van­te Ver­öf­fent­li­chun­gen der ver­gan­ge­nen 15 Jah­re in den Daten­ban­ken und Jour­nals zu ermit­teln, wur­den ent­spre­chen­de Suchstrings ent­wi­ckelt. Die auf die­se Wei­se erhal­te­ne Lite­ra­tur soll­te dabei fol­gen­de Fra­ge­stel­lun­gen beant­wor­ten können:

  1. Wel­che AFO-Typen wer­den bei neu­ro­mus­ku­lä­ren und neu­ro­lo­gi­schen Indi­ka­tio­nen, spe­zi­ell bei ICP und Schlag­an­fall, verwendet?
  2. Wel­che Unter­schie­de zwi­schen ver­schie­de­nen AFO-Typen wer­den in der Lite­ra­tur genannt?
  3. Wel­cher AFO-Typ ist mög­li­cher­wei­se für eine bestimm­te Indi­ka­ti­on bes­ser geeig­net als ein ande­rer und warum?

Die Recher­che­er­geb­nis­se wur­den im Anschluss nach im Vor­feld defi­nier­ten Aus­schluss­kri­te­ri­en in einem drei­stu­fi­gen Scree­ning-Pro­zess (Abb. 1) nach Titel, Abs­tract und Voll­text gefiltert.

Ins­ge­samt wur­den auf die­se Wei­se 41 geeig­ne­te Ver­öf­fent­li­chun­gen iden­ti­fi­ziert, die für die Erstel­lung von indi­ka­ti­ons­spe­zi­fi­schen Aus­wahl­gui­de­lines benutzt wer­den kön­nen. Die ermit­tel­ten Stu­di­en tei­len sich the­ma­tisch wie folgt auf:

  • 20 Ver­öf­fent­li­chun­gen behan­deln die Effek­ti­vi­tät unter­schied­li­cher AFOs bei ICP;
  • die Wir­kung ver­schie­de­ner AFOs bei Schlag­an­fall unter­su­chen ins­ge­samt 13 Publikationen;
  • für die Indi­ka­ti­on einer ein­fa­chen schlaf­fen Läh­mung wur­den 8 Stu­di­en in die Aus­wer­tung inkludiert.

AFO-Typen

Um die in der Lite­ra­tur genann­ten AFO-Typen unter ein­heit­li­chen Begriffs­de­fi­ni­tio­nen zu kate­go­ri­sie­ren und die Ergeb­nis­se der Lite­ra­tur­re­cher­che zusam­men­zu­füh­ren, wur­den die im sys­te­ma­ti­schen Lite­ra­tur­über­blick von Abou­torabi et al. 10 benutz­ten Defi­ni­tio­nen ver­wen­det. Damit wer­den hier im Wesent­li­chen sechs Aus­füh­run­gen von Unter­schen­kel­or­the­sen unterschieden:

  1. SAFOs (Solid Ank­le-Foot Ort­ho­ses) (Abb. 2a) sind star­re, ein­tei­li­ge Unter­schen­kel­or­the­sen, die meist aus ther­mo­plas­ti­schem Kunst­stoff gefer­tigt wer­den. Sie besit­zen eine dor­sa­le, das Sprung­ge­lenk kom­plett umschlie­ßen­de Unter­schen­kel­an­la­ge, wodurch jeg­li­che Bewe­gun­gen im Sprung­ge­lenk ver­hin­dert werden.
  2. HAFOs (Hin­ged Ank­le-Foot Ort­ho­ses) (Abb. 2b) sind arti­ku­lie­ren­de, dyna­mi­sche Unter­schen­kel­or­the­sen und bestehen aus einem Fuß­teil und einem Unter­schen­kel­teil, die über ein mecha­ni­sches Gelenk mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Durch das ein­ge­setz­te Knö­chel­ge­lenk kann die Bewe­gungs­frei­heit im Sprung­ge­lenk ein­ge­stellt wer­den. Meist erlau­ben die­se AFO-Typen eine freie Dor­sal­fle­xi­on und sper­ren durch ein­ge­bau­te Anschlä­ge die Plant­ar­fle­xi­on in der Neutralstellung.
  3. PLS-Orthe­sen (Pos­te­ri­or Leaf Spring AFOs) (Abb. 2c) sind eine fle­xi­ble­re Vari­an­te der SAFOs. Durch den schma­le­ren Zuschnitt des dor­sa­len Unter­schen­kel­teils bis hin­ter die Mal­leo­len ermög­li­chen sie eine dyna­mi­sche­re Bewe­gung des Sprung­ge­lenks in Dor­sal- und Plantarflexion.
  4. FRO-Orthe­sen (Flo­or Reac­tion AFOs) (Abb. 2d) kön­nen starr oder leicht dyna­misch kon­stru­iert sein. Sie zeich­nen sich vor allem durch das ven­tral am Unter­schen­kel anlie­gen­de Unter­schen­kel­teil und die stei­fe­re Soh­len­plat­te aus. Durch die­se Bau­wei­se soll die Boden­re­ak­ti­ons­kraft beim Vor­an­schrei­ten des Gang­zy­klus län­ger vor dem Knie­ge­lenk gehal­ten wer­den, was eine ver­bes­ser­te Auf­rich­tung aus einer exzes­si­ven Knief­le­xi­on verspricht.
  5. CFOs (Car­bon Fiber Spring AFOs) (Abb. 2e) ähneln PLS-Orthe­sen; aller­dings sind sie zwei­tei­lig und ver­bin­den die Unter­schen­kel­an­la­ge über eine Blatt­fe­der aus Car­bon mit dem Innen­schuh. Die Dyna­mik die­ses AFO-Typs wird wesent­lich durch die ein­ge­setz­te Feder­stei­fig­keit bestimmt.
  6. SMOs (Supr­a­mal­leo­lar Ort­ho­ses) (Abb. 2f) besit­zen kei­ne Unter­schen­kel­an­la­ge und ermög­li­chen daher eine vol­le Bewe­gungs­frei­heit des Fußes in Plant­ar- und Dor­sal­fle­xi­on. Durch die media­le und late­ra­le Umfas­sung wird das Sprung­ge­lenk stabilisiert.

Zusätz­lich zu den oben beschrie­be­nen AFO-Typen exis­tie­ren Ver­sor­gungs­lö­sun­gen, die den Fer­sen­be­reich offen­las­sen und zumeist aus einem dün­nen oder fle­xi­blen Mate­ri­al bestehen. Durch den frei­en Kon­takt der Fer­se zum Boden ent­steht ein sen­so­mo­to­ri­sches Feed­back, das die Balan­ce und die pos­tu­ra­le Kon­trol­le der Pati­en­ten unter­stüt­zen soll 11. Meist ein­ge­setzt bei Pati­en­ten mit einer ein­fa­chen Läh­mung der fuß­he­ben­den Mus­ku­la­tur, sind die­se Ver­sor­gun­gen leich­ter und errei­chen einen höhe­ren Tra­ge­kom­fort 12. Ein Bei­spiel hier­für ist die AAFO (Ante­rior Ank­le-Foot Ortho­sis) (Abb. 3a), die durch eine ven­tra­le Anla­ge am Unter­schen­kel und einen aus ther­mo­pla­ti­schem Kunst­stoff bestehen­den Steg an der Fuß­soh­le eine patho­lo­gi­sche Dor­sal­fle­xi­on ein­schrän­ken soll. Die E‑AFO (Ela­s­tic Ank­le-Foot Ortho­sis) (Abb. 3b) sowie die AWO (Ank­le-Foot Ortho­sis mit Draht­zug) (Abb. 3c) bestehen aus Tex­til­ma­te­ri­al, in das elas­ti­sche Bän­der oder ein Draht­zug­sys­tem (Boa-Dreh­ver­schluss) ein­ge­ar­bei­tet sind. Anders als die stei­fe­re AAFO las­sen die­se Orthe­sen eine Bewe­gung im Sprung­ge­lenk zu.

Ergeb­nis­se der Lite­ra­tur­re­cher­che für den Bereich ICP

Klas­si­fi­zie­rungs­sche­ma­ta bei ICP

Bei der Ana­ly­se der recher­chier­ten Lite­ra­tur haben sich die uni­la­te­ra­le ICP (Hemi­pa­re­se) und die bila­te­ra­le ICP (Dipa­re­se) als die haupt­säch­li­chen Indi­ka­tio­nen für eine AFO-Ver­sor­gung her­aus­ge­stellt. Bei schwer­wie­gen­de­ren Aus­prä­gun­gen der ICP (Tetra- und Quad­ri­pa­re­se) sind die Betrof­fe­nen meist nicht in der Lage, sich eigen­stän­dig fort­zu­be­we­gen, wes­halb eine Ver­sor­gung mit Unter­schen­kel­or­the­sen nur in den wenigs­ten Fäl­len mög­lich ist. Sowohl auf­grund der kom­ple­xen Beein­träch­ti­gun­gen, die beim Krank­heits­bild ICP auf­tre­ten kön­nen, als auch zur genaue­ren Zuord­nung der Effek­ti­vi­tät ver­schie­de­ner AFO-Typen wur­den die Lite­ra­tur­er­geb­nis­se auf genaue­re Klas­si­fi­zie­rungs­mus­ter für ICP unter­sucht. Dabei konn­ten drei Klas­si­fi­ka­ti­ons­sche­ma­ta ermit­telt werden:

  1. Zur all­ge­mei­nen Ein­schät­zung der kör­per­li­chen Beein­träch­ti­gung wird in den meis­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen die Ein­tei­lung anhand der GMFCS-Klas­si­fi­ka­ti­on vor­ge­nom­men. Die­se lässt aller­dings nur eine Aus­sa­ge über die mög­li­che Eigen­stän­dig­keit der Fort­be­we­gung des Pati­en­ten zu und dif­fe­ren­ziert nicht genau­er zwi­schen spe­zi­fi­schen Ein­schrän­kun­gen bei ICP.
  2. Zur genaue­ren Ein­tei­lung von Pati­en­ten mit uni­la­te­ra­ler ICP wird in drei Ver­öf­fent­li­chun­gen 13 14 15 die Gang­bild­klas­si­fi­ka­ti­on nach Win­ters & Gage et al. 16 ver­wen­det. Die­se Klas­si­fi­ka­ti­on teilt das Gang­bild uni­la­te­ra­ler ICP-Pati­en­ten anhand der gezeig­ten Stel­lung von Sprung­ge­lenk, Knie und Hüf­te (in der Stand­pha­se) in vier Typen ein. Vier wei­te­re Lite­ra­tur­stel­len 17 18 19 20 dekla­rie­ren das gezeig­te Gang­bild all­ge­mein als Spitz­fuß, Fall­fuß oder Kau­er­gang – ohne Ver­wen­dung eines Klassifikationsschemas.
  3. Bei der bila­te­ra­len ICP wird das Gang­bild­klas­si­fi­ka­ti­ons­sche­ma nach Rod­da & Gra­ham 21 in drei Ver­öf­fent­li­chun­gen 22 23 24 ver­wen­det. Die­ses Gang­bild­sche­ma (Abb. 5) erwei­tert die Klas­si­fi­ka­ti­on für die uni­la­te­ra­le ICP von Win­ters & Gage et al. 25, wobei auch hier die Ein­tei­lung anhand der gezeig­ten Gelenk­stel­lun­gen in der Stand­pha­se erfolgt. Sechs wei­te­re Quel­len 26 27 28 29 30 31 beschrei­ben das Gang­bild sym­pto­ma­tisch, ohne dif­fe­ren­zier­te Ein­ord­nung in eine bestimm­te Klas­si­fi­ka­ti­on. Für die wei­te­re Zusam­men­fas­sung der gesam­ten Lite­ra­tur­er­geb­nis­se der ICP wird die Gang­bild­klas­si­fi­ka­ti­on nach Rod­da & Gra­ham 32 ver­wen­det. Stu­di­en, in denen das Erschei­nungs­bild der ICP sym­pto­ma­tisch beschrie­ben wird, wer­den der ent­spre­chen­den Gang­bild­ein­tei­lung nach Rod­da & Gra­ham zugeteilt.

Unter­such­te Stu­di­en­pa­ra­me­ter bei ICP

In den ermit­tel­ten Publi­ka­tio­nen wer­den ver­schie­de­ne Ergeb­nis­pa­ra­me­ter zur Bewer­tung der Effek­te der AFO-Typen ver­wen­det. Haupt­säch­lich wer­den kine­ma­ti­sche und kine­ti­sche Para­me­ter für das Hüft‑, Knie- und Sprung­ge­lenk durch eine drei­di­men­sio­na­le Gang­ana­ly­se in Kom­bi­na­ti­on mit der Auf­zeich­nung der Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te aus­ge­wer­tet, um die Gang­än­de­rung bzw. Gang­ver­bes­se­rung zu ana­ly­sie­ren. Außer­dem wer­den spa­tio­tem­po­ra­le Gang­pa­ra­me­ter wie Geh­ge­schwin­dig­keit, Kadenz, Schritt- und Dop­pel­schritt­län­ge betrach­tet 33 34 35 36 37. Auch die Unter­su­chung des Ener­gie­auf­wands wäh­rend des Gehens wird in man­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen her­an­ge­zo­gen, um mög­li­che posi­ti­ve Effek­te unter­schied­li­cher AFOs ermit­teln zu kön­nen 38 39 40 41 42.

Aus­wer­tung der Lite­ra­tur und Erstel­lung der Aus­wahl­gui­de­line für die uni­la­te­ra­le ICP (Abb. 4)

Gang­ty­pen I und II

Bei der uni­la­te­ra­len ICP wer­den für die Gang­ty­pen I und II, die pri­mär einen fixier­ten Spitz­fuß mit einer Knie­ex­ten­si­on auf­wei­sen, dyna­mi­sche AFOs mit dor­sa­ler Unter­schen­kel­an­la­ge ein­ge­setzt. Dabei kom­men HAFOs 43 44 45 46, PLS-AFOs 47 48 und CFOs 49 50 51 52 53 zum Ein­satz. Das Ziel des Ein­sat­zes dyna­mi­scher Orthe­sen ist dabei die Kor­rek­tur des spas­ti­schen Spitz­fu­ßes bei gleich­zei­ti­gem Erhalt eines Rest­be­we­gungs­um­fangs. Die Kor­rek­tur der Fehl­stel­lung im Sprung­ge­lenk ver­bes­sert die Fuß­an­he­bung wäh­rend der Schwung­pha­se und für den initia­len Fer­sen­kon­takt. Außer­dem soll mit der Ver­bes­se­rung der exzes­si­ven Plant­ar­fle­xi­on die Belas­tung des Knie­ge­lenks durch eine über­mä­ßi­ge Knie­stre­ckung ver­rin­gert wer­den. Obwohl das all­ge­mei­ne Gang­bild durch alle drei AFOs ver­bes­sert wird, beein­träch­ti­gen sie auf­grund ihres restrik­ti­ven Designs stets den RoM („ran­ge of moti­on“) des Sprung­ge­lenks 54. Spe­zi­ell in der ter­mi­na­len Stand­pha­se (Push-off) sind die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen erkenn­bar 55.

Ver­gleicht man die AFO-Typen mit­ein­an­der, ver­bes­sern alle drei die spa­tio­tem­po­ra­len Gang­pa­ra­me­ter. Dies zeigt sich durch eine erhöh­te Gang­ge­schwin­dig­keit, Schritt- bzw. Dop­pel­schritt­län­ge und eine erhöh­te Gang­sta­bi­li­tät 56 57 58. Betrach­tet man die Ergeb­nis­se für eine HAFO und eine PLS-AFO, erreicht Letz­te­re eine ver­bes­ser­te Knie- und Sprung­ge­lenk­ki­ne­ma­tik, eine Erhö­hung der Push-off-Ener­gie sowie einen ver­bes­ser­ten Tra­ge­kom­fort auf­grund des schlan­ke­ren Designs 59 60. PLS-Orthe­sen und CFO-Orthe­sen sind ver­gleich­bar bezüg­lich der spa­tio­tem­po­ra­len Gang­pa­ra­me­ter; aller­dings zeigt sich der mar­kan­tes­te Unter­schied in der ter­mi­na­len Stand­pha­se: Hier erreicht die CFO eine wesent­lich höhe­re Ener­gie­er­zeu­gung für den Push-off, was in einem deut­lich ver­rin­ger­ten Ener­gie­auf­wand wäh­rend des Gehens resul­tiert 61 62 63 64.

Schluss­fol­ge­run­gen

Für die Ver­sor­gung von Gang­typ I und II bei uni­la­te­ra­ler ICP (Abb. 4) bie­tet die CFO die meis­ten Vor­tei­le. Sie ver­bes­sert die funk­tio­nel­len Gang­pa­ra­me­ter und die Kine­ma­tik des Sprung­ge­lenks in der Schwung­pha­se und beim initia­len Boden­kon­takt. Zusätz­lich erlaubt sie einen ver­bes­ser­ten RoM des Sprung­ge­lenks in der Stand­pha­se und die höchs­te Ener­gie­er­zeu­gung beim Push-off. Durch ihr schlan­kes Design bewirkt sie zudem ein posi­ti­ves Tra­ge­ver­hal­ten bei kind­li­chen ICP-Pati­en­ten. Beson­ders durch die indi­vi­du­el­le Anpas­sungs­mög­lich­keit der Car­bon­fe­der­stei­fig­keit kann sie noch indi­vi­du­el­ler auf den Pati­en­ten abge­stimmt wer­den 65 66.

Gang­ty­pen III und IV

Die Gang­ty­pen III und IV der uni­la­te­ra­len ICP zeich­nen sich vor allem durch eine zusätz­li­che Knief­le­xi­on und eine Fle­xi­on und Adduk­ti­on der Hüf­te aus 67. Da die Lite­ra­tur­aus­wer­tung für die uni­la­te­ra­le ICP nur Ergeb­nis­se bezüg­lich der Wir­kung ver­schie­de­ner AFOs bei Gang­typ I und II erbrach­te, kann eine ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge über pas­sen­de AFO-Typen hier nicht getrof­fen wer­den. Rod­da et al. 68 emp­feh­len für Gang­typ III eine HAFO oder eine SAFO und für Gang­typ IV eine HAFO, SAFO oder FRO, abhän­gig von der Inte­gri­tät der Plant­ar­fle­xi­ons-Knie­ex­ten­si­ons-Kopp­lung. Das bio­me­cha­ni­sche Wirk­prin­zip der PF-KE-Kopp­lung ist zustän­dig für die Kon­trol­le des Vek­tors der Boden­re­ak­ti­ons­kraft wäh­rend des Gang­zy­klus. Ist die Waden­mus­ku­la­tur intakt, kon­trol­liert sie die Plant­ar­fle­xi­on des Fußes wäh­rend der Stand­pha­se und rich­tet den Boden­re­ak­ti­ons­vek­tor ante­rior zum Knie aus, wodurch das Knie gestreckt wird. Wren et al.  69 unter­such­ten die Effek­te von HAFOs und PLS bei uni­la­te­ra­len ICP-Pati­en­ten mit exzes­si­ver Knief­le­xi­on (ver­gleich­bar mit Gang­typ III und IV) und gelan­gen zu dem Schluss, dass sowohl die HAFO als auch die PLS-AFO nicht in der Lage sei­en, die Knief­le­xi­on auf­zu­rich­ten. Bei­de Orthe­sen konn­ten aller­dings die spa­tio­tem­po­ra­len Gang­pa­ra­me­ter verbessern.

Schluss­fol­ge­run­gen

Zur Ver­sor­gung der Gang­ty­pen III und IV bei uni­la­te­ra­ler ICP schei­nen stei­fe­re Orthe­sen wie SAFO oder FRO geeig­ne­ter zu sein, da sie vor allem das Sprung­ge­lenk sta­bi­li­sie­ren und die Vor­wärts­be­we­gung der Tibia über den Fuß in der Stand­pha­se kon­trol­lie­ren. Ist die Waden­mus­ku­la­tur in der Lage, die Plant­ar­fle­xi­on in der Stand­pha­se aus­rei­chend zu kon­trol­lie­ren, kann in ein­zel­nen Fäl­len auch eine dyna­mi­sche­re AFO ein­ge­setzt wer­den. Nach den Erkennt­nis­sen der ver­wen­de­ten AFO-Ver­sor­gun­gen für die Gang­ty­pen I und II soll­ten hier die Vor­tei­le einer CFO aus­ge­nutzt wer­den 70.

Aus­wer­tung der Lite­ra­tur und Erstel­lung der Aus­wahl­gui­de­line für die bila­te­ra­le ICP (Abb. 5)

Für die bila­te­ra­le ICP unter­schei­den Rod­da & Gra­ham ins­ge­samt vier Gang­ty­pen 71:

  • Betrof­fe­ne mit Gang­typ I („True Equi­nus“) zei­gen einen Spitz­fuß mit dem Knie in Exten­si­on oder Hyperextension;
  • Gang­typ II („Jump Gait“) zeigt eben­falls einen Spitz­fuß, aller­dings mit Knie- und Hüftflexion;
  • die Gang­ty­pen III und IV ent­spre­chen dem soge­nann­ten Kau­er­gang, bei dem das Sprung­ge­lenk eine zuneh­men­de bis hin zu einer exzes­si­ven Dor­sal­fle­xi­on auf­weist und zusätz­lich Knie- und Hüft­fle­xio­nen stär­ker zunehmen.

Gang­ty­pen I und II

Die Daten­la­ge für die Gang­ty­pen I und II (Abb. 5) mit Spitz­fuß­gang bei bila­te­ra­ler ICP zeigt in man­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen, dass sowohl dyna­mi­sche AFOs (HAFO und PLS) als auch eine stei­fe SAFO die spa­tio­tem­po­ra­len Gang­pa­ra­me­ter ver­bes­sern, aber kaum Ein­fluss auf das kine­ma­ti­sche Gang­bild haben 72 73 74. Eini­ge Publi­ka­tio­nen 75 76 77 78 79 emp­feh­len den Ein­satz einer HAFO bei ICP-Pati­en­ten mit einer guten Kon­trol­le über Hüft- und Knie­ge­lenk. Durch die freie Beweg­lich­keit in Dor­sal­fle­xi­on ermög­licht die­se Orthe­se ein funk­tio­nel­le­res Gang­mus­ter, kom­ple­xe­re Bewe­gun­gen im All­tag und ver­mei­det das Vor­an­schrei­ten von Plant­ar­fle­xi­ons­de­for­mi­tä­ten. CFOs wer­den in kei­ner Publi­ka­ti­on über die bila­te­ra­le ICP mit­ein­an­der ver­gli­chen. Bezieht man aller­dings die Vor­tei­le einer CFO aus den Ergeb­nis­sen der uni­la­te­ra­len ICP mit in die Beur­tei­lung ein, soll­te bei den Gang­ty­pen I und II der bila­te­ra­len ICP eben­falls eine Car­bon-Unter­schen­kel­or­the­se ver­wen­det wer­den. Denn im Gegen­satz zu einer HAFO kann dabei durch die indi­vi­du­el­le Ein­stell­bar­keit der Feder­stei­fig­keit die Vor­wärts­be­we­gung der Tibia über den Fuß in der mitt­le­ren Stand­pha­se bes­ser kon­trol­liert wer­den 80.

Gang­ty­pen III und IV

Für die bila­te­ra­len Gang­ty­pen III und IV mit Kau­er­gang (Abb. 5) erge­ben die Lite­ra­tur­da­ten die Nut­zung stei­fe­rer Orthe­sen wie SAFO und FRO 81 82 83, wobei die FRO mit ihrer ven­tra­len Unter­schen­kel­an­la­ge und stei­fe­ren Soh­len­plat­te bevor­zugt wird 84 85 86 87 88. Obwohl Ries et al. 89 kei­nen Unter­schied zwi­schen bei­den AFOs fest­stell­ten, bie­tet die FRO jedoch wesent­li­che Vor­tei­le gegen­über der SAFO. Die Ergeb­nis­se von Ker­kum et al. 90 91 zei­gen, dass eine FRO mit indi­vi­du­ell an den Pati­en­ten ange­pass­ter Stei­fig­keit die patho­lo­gi­sche Knief­le­xi­on beim Kau­er­gang und den Ener­gie­auf­wand beim Gehen signi­fi­kant ver­bes­sert 92. Die Mög­lich­keit zur pati­en­ten­in­di­vi­du­el­len Ein­stel­lung der Stei­fig­keit ist bei der Bau­wei­se einer SAFO nicht gege­ben. Zudem kann durch die ven­tra­le Unter­schen­kel­an­la­ge einer FRO die Vor­wärts­be­we­gung des Unter­schen­kels in der mitt­le­ren Stand­pha­se bes­ser kon­trol­liert wer­den 93. Die Ein­stell­bar­keit der FRO-Stei­fig­keit kann durch dyna­mi­sche Knö­chel­ge­len­ke oder durch eine ven­tra­le Car­bon­fe­der erreicht wer­den. Die Effek­ti­vi­tät von FROs ist im Wesent­li­chen von der Aus­prä­gung der Dor­sal­fle­xi­on im Sprung­ge­lenk abhän­gig: je stär­ker die Dor­sal­fle­xi­on, des­to effek­ti­ver die Auf­rich­tung des Kau­er­gangs 94. Kon­tra­in­di­ka­tio­nen sind Hüft- und/ oder Knief­le­xi­ons­kon­trak­tu­ren 95 96 97 98 99.

Ergeb­nis­se der Lite­ra­tur­re­cher­che im Bereich Schlaganfall

Klas­si­fi­zie­rungs­sche­ma­ta für die Indi­ka­ti­on Schlaganfall

Als ein­zi­ges Klas­si­fi­ka­ti­ons­sche­ma für Schlag­an­fall konn­te die N.A.P.-Klassifikation (Neu­ro­or­tho­pä­di­sche Akti­vi­täts­ab­hän­gi­ge Plas­ti­zi­tät) ermit­telt wer­den 100 101. Die­ses Sche­ma betrach­tet die Stel­lung von Knie und Fuß des Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten in der mitt­le­ren Stand­pha­se, um eine Unter­tei­lung vor­zu­neh­men. Obwohl die­se Klas­si­fi­ka­ti­on ein viel­ver­spre­chen­des Kon­zept dar­stellt, wird es bei der Erstel­lung der Aus­wahl­gui­de­line nicht als Klas­si­fi­ka­ti­ons­sche­ma ein­ge­setzt, da kei­ne der rest­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen das Gang­bild der Pro­ban­den genau­er beschreibt. Dies erschwert die mög­li­che Zuord­nung der Ergeb­nis­se der Orthe­sen in die Gang­ty­pen der N.A.P.-Klassifikation. Die AFO-Vor­schlä­ge in der Aus­wahl­gui­de­line (Abb. 6) sind des­halb in drei Grup­pen unter­teilt und rich­ten sich nach dem Aus­maß der Beein­träch­ti­gung der Plant­ar- und Dorsalflexormuskelgruppen.

Unter­such­te Stu­di­en­pa­ra­me­ter bei Schlaganfall

Die Ana­ly­se der Effek­ti­vi­tät von Unter­schen­kel­or­the­sen bei Schlag­an­fall erfolgt unter ande­rem durch eine 3D-Gang­ana­ly­se. Kine­ma­tik- und Kine­tik­pa­ra­me­ter sowie spa­tio­tem­po­ra­le Gang­pa­ra­me­ter wer­den hier haupt­säch­lich betrach­tet 102 103 104 105 106 107 108. Drei Paper betrach­ten außer­dem die Mus­kel­ak­ti­vi­tät durch EMG-Mes­sun­gen 109 110 111. Bei Orthe­sen­ty­pen mit offe­nem Fer­sen­be­reich (AAFO, E‑AFO, AWO) wird beson­ders die Ver­bes­se­rung der sta­ti­schen Balance­fä­hig­keit und die Balan­ce bei der bila­te­ra­len Gewichts­ver­la­ge­rung unter­sucht 112 113 114 115.

Aus­wer­tung der Lite­ra­tur und Erstel­lung der Aus­wahl­gui­de­line für die Indi­ka­ti­on Schlag­an­fall (Abb. 6)

Für eine ein­fa­che, iso­lier­te Dor­sal­flex­or­läh­mung (iso­lier­ter Foot-Drop) ergibt die Lite­ra­tur­re­cher­che den Ein­satz einer vor­kon­fek­tio­nier­ten CFO. Vor allem für eine frü­he Mobi­li­sie­rung ist ein vor­kon­fek­tio­nier­tes Hilfs­mit­tel, das pri­mär die Fuß­he­bung beim Gehen wie­der­her­stellt, aus­rei­chend 116. Ver­gleicht man die vor­kon­fek­tio­nier­te CFO mit der eben­falls anwend­ba­ren PLS-AFO, zeigt die CFO-Orthe­se eine bes­se­re Mus­kel­ak­ti­vi­tät der Dor­sal­flex­o­ren 117 118 119. Die­se Eigen­schaft unter­stützt die Ver­mei­dung des Vor­an­schrei­tens der Mus­kel­schwä­che. Die­je­ni­gen AFO-Typen, die sich durch ein sen­so­ri­sches Feed­back an der Fer­se aus­zeich­nen (AAFO, E‑AFO, AWO), sind eine viel­ver­spre­chen­de Alter­na­ti­ve zu den her­kömm­li­chen Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten – beson­ders für Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten mit ein­fa­chem „Foot-Drop“. Da die Ver­öf­fent­li­chun­gen zu die­sen Hilfs­mit­teln 120 121 122 123 124 haupt­säch­lich die Ver­bes­se­rung der Balance­fä­hig­keit und Gewichts­ver­la­ge­rung unter­su­chen, aber nicht die Aus­wir­kun­gen die­ser Hilfs­mit­tel auf den Gang der Pro­ban­den ana­ly­sie­ren, sind sie nur schwer mit den her­kömm­li­chen AFOs zu ver­glei­chen. Da als pri­mä­res Ziel einer Schlag­an­fall­re­ha­bi­li­ta­ti­on stets die Ver­bes­se­rung der Fort­be­we­gungs­mög­lich­keit des Pati­en­ten gel­ten soll­te, wer­den sie des­halb nicht in die Aus­wahl­gui­de­line integriert.

Bei schlaf­fen Dor­sal­flex­o­ren und mode­rat spas­ti­schen Plant­ar­flex­o­ren mit aus­rei­chen­der Bewe­gungs­frei­heit im Sprung­ge­lenk erzie­len HAFOs laut den Ergeb­nis­sen aus der Lite­ra­tur gute Ergeb­nis­se. Durch ihre Bewe­gungs­frei­heit in Dor­sal­fle­xi­on ermög­li­chen sie ein funk­tio­na­le­res Gang­bild als SAFOs 125 und kor­ri­gie­ren aus­rei­chend die patho­lo­gi­sche Fuß­stel­lung 126. Außer­dem erhö­hen die­se Orthe­sen das Wohl­be­fin­den Wohl­be­fin­den des Pati­en­ten und ermög­li­chen dyna­mi­sche­re Auf­ga­ben wie Trep­pen­stei­gen 127. Bezieht man die Vor­tei­le einer CFO mit dor­sa­ler Unter­schen­kel­an­la­ge gegen­über einer HAFO aus den Lite­ra­tur­er­geb­nis­sen zur Infan­ti­len Zere­bral­pa­re­se mit ein, ist hier eine indi­vi­du­ell an den Pati­en­ten ange­pass­te CFO zu emp­feh­len, um die ter­mi­na­le Stand­pha­se durch eine erhöh­te Ener­gie beim Push-off zu opti­mie­ren und gleich­zei­tig die Vor­wärts­be­we­gung der Tibia in der mitt­le­ren Stand­pha­se bes­ser zu kontrollieren.

Bei schwer­wie­gen­de­ren Fuß­in­sta­bi­li­tä­ten oder Spastiken/Tonus der Plant­ar­flex­o­ren sind stei­fe­re AFOs wie SAFOs und FROs indi­ziert. Bei­de Orthe­sen­ty­pen kön­nen Ein­fluss auf das Knie­ge­lenk neh­men 128. Eine FRO mit dyna­mi­schem Knö­chel­ge­lenk hat dabei ein­deu­ti­ge Vor­tei­le gegen­über einer SAFO. So lässt sich durch die Ein­stel­lungs­mög­lich­kei­ten des Knö­chel­ge­lenks sowohl eine Hyper­ex­ten­si­ons­stel­lung als auch eine Hyper­fle­xi­ons­stel­lung im Knie durch die genaue Anpas­sung der Funk­ti­on des Fer­sen­kipp­he­bels aus­glei­chen 129. Zudem ver­rin­gert die ven­tra­le Unter­schen­kel­an­la­ge der FRO-Bau­form eine Hyper­ex­ten­si­on im Knie­ge­lenk und ver­mit­telt den Betrof­fe­nen eine höhe­re Sicher­heit und Sta­bi­li­tät, da die­se sich in die Anla­ge hin­ein­leh­nen kön­nen. Bestehen­de Fuß­de­for­mi­tä­ten kön­nen mit ent­spre­chen­den Fuß­bet­tun­gen in der FRO ver­bes­sert wer­den 130.

Schlaf­fe Lähmungen

Schlaf­fe Läh­mun­gen der Unter­schen­kel­mus­ku­la­tur tre­ten bei Krank­heits­bil­dern auf, die das zwei­te moto­ri­sche Neu­ron (peri­phe­res Neu­ron) betref­fen 131. In die­se Kate­go­rie fal­len Indi­ka­tio­nen wie Spi­na bifi­da, Polio­mye­li­tis, her­edi­tä­re moto­risch-sen­si­ble Neu­ro­pa­thien (z. B. Mor­bus Char­cot-Marie-Tooth) oder pero­nea­le Nervenschädigungen.

Ver­wen­de­te AFO-Typen bei Krank­heits­bil­dern mit schlaf­fen Lähmungen

In der Lite­ra­tur wird in die­sem Zusam­men­hang über den Ein­satz von SAFOs, HAFOs mit Ein­schrän­kung der Dor­sal­fle­xi­on sowie PLS-Orthe­sen und vor­kon­fek­tio­nier­te CFOs mit ven­tra­ler Unter­schen­kel­an­la­ge berich­tet. Außer­dem wer­den fle­xi­ble­re Orthe­sen aus Sili­kon und E‑AFOs mit elas­ti­schen Bän­dern beschrie­ben, die vor allem bei einer ein­fa­chen Fall­fuß-Sym­pto­ma­tik den Fuß anheben.

Klas­si­fi­zie­rungs­sche­ma­ta für Krank­heits­bil­der mit schlaf­fen Lähmungen

Die Lite­ra­tur­re­cher­che ergab kein ein­deu­ti­ges Klas­si­fi­zie­rungs­sche­ma für Indi­ka­tio­nen mit schlaf­fen Läh­mun­gen. In eini­gen Papern wird aller­dings der MRC-Score zur Bewer­tung der ver­blei­ben­den Kraft eines Mus­kels oder einer Mus­kel­grup­pe her­an­ge­zo­gen 132 133 134 135. Für die in die­sem Bei­trag dar­ge­stell­te Aus­wahl­gui­de­line für Indi­ka­tio­nen mit schlaf­fen Läh­mun­gen (Abb. 7) dient das Aus­maß der Beein­träch­ti­gung der Plant­ar- und Dor­sal­flex­o­ren zur Kate­go­ri­sie­rung der AFOs.

Unter­such­te Ergebnisparameter

Um die Effek­te der ver­schie­de­nen AFO-Typen zu ana­ly­sie­ren, wird in den meis­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen eine Gang­ana­ly­se durch­ge­führt, mit der Kine­ma­tik- und Kine­tik­pa­ra­me­ter sowie spa­tio­tem­po­ra­le Gang­pa­ra­me­ter unter­sucht wer­den 136 137 138 139 140 141 142. In drei Publi­ka­tio­nen wird zudem der Ener­gie­auf­wand wäh­rend des Gehens zur Beschrei­bung der Effek­ti­vi­tät einer Ver­sor­gung ver­wen­det 143 144 145.

Aus­wer­tung der Lite­ra­tur und Erstel­lung der Aus­wahl­gui­de­line für Krank­heits­bil­der mit schlaf­fen Läh­mun­gen (Abb. 7)

Anhand der Ana­ly­se der ermit­tel­ten Stu­di­en lässt sich fest­stel­len, dass für eine iso­lier­te schlaf­fe Läh­mung der Dor­sal­flex­or­mus­ku­la­tur (Tibia­lis ante­rior) ohne eine zusätz­li­che Beein­träch­ti­gung der Waden­mus­ku­la­tur fle­xi­ble AFOs wie eine Sili­kon­or­the­se oder eine E‑AFO gut geeig­net sind, um das Fuß­he­ber­de­fi­zit aus­zu­glei­chen. Dabei ermög­li­chen die­se Hilfs­mit­tel eine freie­re Bewe­gung im Sprung­ge­lenk, sind kom­for­ta­bler als die stei­fe­ren Orthe­sen-Aus­füh­run­gen (bspw. SAFO, CFO) und kön­nen auf­grund des zuge­las­se­nen sen­so­ri­schen Feed­backs die Sta­bi­li­tät und das Sicher­heits­ge­fühl des Pati­en­ten unter­stüt­zen 146 147 148 149.

Bei einer schlaf­fen Läh­mung der Plant­ar­flex­o­ren (Waden­mus­ku­la­tur) kann die Vor­wärts­be­we­gung des Unter­schen­kels in der Stand­pha­se nicht mehr kon­trol­liert wer­den. Es ent­steht eine exzes­si­ve Dor­sal­fle­xi­on im Sprung­ge­lenk und dadurch auch eine patho­lo­gi­sche Fle­xi­on im Knie 150. Um dies zu kom­pen­sie­ren, emp­fiehlt die ein­schlä­gi­ge Lite­ra­tur stei­fe­re Unter­schen­kel­ver­sor­gun­gen. Dabei wird auf die Vor­tei­le einer CFO gegen­über einer PLS-Orthe­se oder einer SAFO hin­ge­wie­sen 151 152 153 154. Durch die Car­bon­fe­der wird der Ener­gie­auf­wand (durch Ver­bes­se­rung des Push-offs) bei den Pati­en­ten ver­rin­gert. Eine ven­tra­le Unter­schen­kel­an­la­ge soll­te eben­falls ver­wen­det wer­den, um einen unkom­for­ta­blen Druck auf das Schien­bein zu ver­mei­den 155. Durch eine stei­fe­re Soh­le kann die Boden­re­ak­ti­ons­kraft wäh­rend der Stand­pha­se bes­ser auf die ven­tra­le Unter­schen­kel­an­la­ge über­tra­gen wer­den und streckt so das Knie 156.

Dis­kus­si­on

Anhand der vor­ge­stell­ten sys­te­ma­ti­schen Lite­ra­tur­ana­ly­se konn­ten unter­schied­li­che AFO-Typen für die Krank­heits­bil­der ICP und Schlag­an­fall sowie für Indi­ka­tio­nen mit schlaf­fen Läh­mun­gen iden­ti­fi­ziert wer­den. Durch den, auf Basis der Recher­che beru­hen­den, Ver­gleich die­ser AFO-Typen hin­sicht­lich ihrer Effek­ti­vi­tät konn­ten ent­spre­chen­de Aus­wahl­gui­de­lines erstellt wer­den. Die­se Gui­de­lines sind in der Lage, den Ortho­pä­die­tech­ni­ker anhand indi­ka­ti­ons­spe­zi­fi­scher Klas­si­fi­ka­ti­ons­sche­ma­ta zu einer geeig­ne­ten AFO-Aus­wahl zu führen.

Bei der Lite­ra­tur­ana­ly­se fiel jedoch die unein­heit­li­che Doku­men­ta­ti­on der in den Ver­öf­fent­li­chun­gen vor­ge­stell­ten For­schungs­er­geb­nis­se auf. Feh­len­de Infor­ma­tio­nen zu Pro­banden­grup­pen oder die unzu­rei­chen­de Beschrei­bung des Designs der AFOs erschwe­ren eine adäqua­te Zusam­men­füh­rung der Ergeb­nis­se. Auch eine genaue Dar­stel­lung des vor­lie­gen­den Krank­heits­bilds und eine ein­heit­li­che Ein­tei­lung ver­schie­de­ner Indi­ka­tio­nen anhand bereits eta­blier­ter Klas­si­fi­ka­ti­ons­mus­ter wur­de nicht in allen Stu­di­en durch­ge­führt. Außer­dem zeig­ten sich unter den Lite­ra­tur­er­geb­nis­sen teils unter­schied­li­che Vor­ge­hens­wei­sen bei der Ver­suchs­durch­füh­rung. Die­se Män­gel in der Doku­men­ta­ti­on und Qua­li­tät der Stu­di­en über Ver­glei­che ver­schie­de­ner AFO-Ver­sor­gun­gen wer­den auch in den sys­te­ma­ti­schen Reviews von Rid­ge­well et al. 157, Figuei­re­do et al. 158 und Pour­hoss­eing­ho­li et al. 159 beschrie­ben. Die Autoren gelan­gen zu dem Schluss, dass eine ein­heit­li­che Report-Gui­de­line für die Unter­su­chung der Effek­ti­vi­tät von Unter­schen­kel­or­the­sen erstellt wer­den müs­se, um die Ver­gleich­bar­keit der Ergeb­nis­se ver­schie­de­ner For­schungs­grup­pen zu ermög­li­chen und um ein­heit­li­che, evi­denz­ba­sier­te Ver­sor­gungs­stan­dards in der Ortho­pä­die-Tech­nik zu etablieren.

Für die erstell­ten Aus­wahl­gui­de­lines bedeu­tet das, dass sie als Ori­en­tie­rung zur Hilfs­mit­tel­aus­wahl ver­wen­det wer­den können.

Die hier getrof­fe­nen Aus­sa­gen, zur Effek­ti­vi­tät der indi­ka­ti­ons­spe­zi­fisch zuge­ord­ne­ten AFO-Typen, soll­ten jedoch durch wis­sen­schaft­li­che Ver­öf­fent­li­chun­gen mit ver­gleich­ba­rer Qua­li­tät in Doku­men­ta­ti­on, Ver­suchs­durch­füh­rung und Ergeb­nis­dar­stel­lung wei­ter vali­diert werden.

In Zukunft sind wei­ter­füh­ren­de Recher­chen mit Fokus auf neu­en Erkennt­nis­sen zur Effek­ti­vi­tät bestehen­der, sowie mög­li­cher neu­er AFO-Typen not­wen­dig. Beson­ders im Zuge der Digi­ta­li­sie­rung hal­ten neue Mate­ria­li­en und Fer­ti­gungs­tech­no­lo­gien immer stär­ker Ein­zug in den Ver­sor­gungs­all­tag der Ortho­pä­die-Tech­nik. Dadurch kön­nen sich neue AFO-Designs eta­blie­ren, die sich mög­li­cher­wei­se als bes­se­re Alter­na­ti­ve her­aus­stel­len. Um sicher­zu­ge­hen, dass die Gui­de­lines wei­ter­hin dem Stand der Tech­nik ent­spre­chen, soll­ten in regel­mä­ßi­gen Abstän­den neue Publi­ka­tio­nen recher­chiert und aus­ge­wer­tet wer­den. Auf die­se Wei­se kön­nen ein­heit­li­che­re Ver­sor­gungs­pro­zes­se in der Ortho­pä­die­tech­nik wis­sen­schaft­lich und evi­denz­ba­siert umge­setzt werden.

Für die Autoren:
Alex­an­der Krie­ger, M. Eng.
Entwicklungsingenieur/Digitale Fer­ti­gung
For­schung und Entwicklung
Häuss­ler Tech­ni­sche Ortho­pä­die GmbH
Jäger­stra­ße 6
89081 Ulm
alexander.krieger@haeussler-ulm.de

Begut­ach­te­ter Artikel/reviewed paper

Zita­ti­on
Krie­ger A, Matyssek S, Capan­ni F. Sys­te­ma­ti­sche Über­sichts­ar­beit zur Erstel­lung einer indi­ka­ti­ons­ge­rech­ten Aus­wahl­gui­de­line für die ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung mit Unter­schen­kel­or­the­sen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (11): 32–45

 

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