Stür­ze pro­the­tisch ver­sorg­ter Beinamputierter

M. Kraft, B. Westebbe, M. Zickerow, S. Bunke, J. Thiele, N. Tremer, M. Timpner, W. Flemming
Der Beitrag fasst einige Ergebnisse eines kürzlich erschienen Health Technology Assessments zum Thema „Sturzprophylaxe bei älteren Menschen in ihrer persönlichen Wohnumgebung“ (Balzer K, Bremer M, Schramm S, Lühmann D, Raspe H. Sturzprophylaxe bei älteren Menschen in ihrer persönlichen Wohnumgebung (HTA). DIMDI, Köln, 2012) hinsichtlich der Sturzrisiken zusammen, die sich auf ältere Beinprothesenträger übertragen lassen. Unter älteren Menschen werden hier alle ab einem Lebensalter von 60 Jahren verstanden. Zahlreiche altersbedingte Einschränkungen, die nachfolgend beschrieben werden, führen auch unabhängig von einer Amputation zur Erhöhung der Sturzgefahr. Weiterhin werden bisherige Untersuchungsergebnisse zur Sturzgefahr beinprothetisch versorgter Patienten zusammengefasst. Darunter ist auch eine eigene Befragung von 97 Beinprothesenträgern (Bunke S, Kraft M. Befragung von Beinamputierten zu Gefährdungssituationen im Alltag. Orthopädie Technik, 2010; 61 (1): 30). Eine aktuelle Analyse der Versorgungsdaten eines Kostenträgers unter beinamputierten Versicherten lieferte keine klar auf Sturzfolgen rückführbaren Ergebnisse. Diese Daten zeigten jedoch einige signifikante Unterschiede zwischen einer Vergleichsgruppe und Beinprothesenträgern, die im Zusammenhang mit Stürzen stehen könnten. Abschließend werden technische Lösungen und einige Studienergebnisse zur Verringerung der Sturzgefahr bzw. der Sturzfolgen von Beinprothesenträgern beschrieben.

Ein­füh­rung

Seit Men­schen den auf­rech­ten Gang gelernt haben, stür­zen sie. Selbst Lebe­we­sen, die sich auf vier oder mehr Glied­ma­ßen bewe­gen, kön­nen die Sta­bi­li­tät in ihrer Fort­be­we­gung ver­lie­ren. Die Wahr­schein­lich­keit eines Stur­zes steigt jedoch mit der Kom­ple­xi­tät der Bewe­gungs­form, also auch mit dem auf­rech­ten Gang. Um die­sen zu beherr­schen, ist neben den ent­spre­chen­den moto­ri­schen Fähig­kei­ten eine auf­wän­di­ge Bewe­gungs­ko­or­di­na­ti­on not­wen­dig. Erfol­gen Ampu­ta­tio­nen an der unte­ren Extre­mi­tät, wird nicht nur die Moto­rik auf­grund der feh­len­den Glied­ma­ßen­tei­le ein­ge­schränkt. Gleich­zei­tig fällt ein Teil der Wahr­neh­mung, u. a. des Boden­kon­tak­tes, von Boden­un­eben­hei­ten oder des Fuß­ab­roll­vor­gan­ges, weg. Ein Teil die­ser feh­len­den Wahr­neh­mung kann durch ande­re Rei­ze, z. B. die Belas­tung des Stump­fes oder eine ver­stärk­te visu­el­le Kon­trol­le, aus­ge­gli­chen wer­den. Dies erfor­dert jedoch auch die Fähig­keit des Pati­en­ten, sich an die­se ver­än­der­te und immer noch ein­ge­schränk­te Wahr­neh­mung anzu­pas­sen. Bei älte­ren Ampu­tier­ten ist die­se Kapa­zi­tät oft ein­ge­schränkt, auch die moto­ri­schen Fähig­kei­ten neh­men ab.

Anzei­ge

Mit einem Durch­schnitts­al­ter im Bereich des sie­ben­ten Lebens­jahr­zehnts bei Erst­am­pu­ta­tio­nen (Durch­schnitt von 71,7 Jah­ren bei 692 nicht­trau­ma­tisch Ampu­tier­ten 1) sind Bein­am­pu­tier­te über­wie­gend älte­re Men­schen. Für sie ist es beson­ders schwer, die für Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens not­wen­di­ge Bewe­gungs­fä­hig­keit auf­recht zu erhal­ten. Die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung stellt also, gegen­über einer alter­na­ti­ven Mobi­li­sie­rung im Roll­stuhl oder der Nut­zung von Geh­hil­fen über kur­ze Distan­zen, eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung dar.

Ande­rer­seits kann nur die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach Ampu­ta­ti­on (mit dem Poten­zi­al einer annä­hernd phy­sio­lo­gi­schen Bewe­gung) eine sehr weit­ge­hen­de Wie­der­ein­glie­de­rung ermög­li­chen. Aus­sa­gen von Betrof­fe­nen: „ohne Pro­the­se wäre ich behin­dert“ ver­deut­li­chen, was heu­te bes­ten­falls zu errei­chen ist. So soll­ten alle ver­füg­ba­ren tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten genutzt und zukünf­tig wei­ter ver­bes­sert wer­den, um auch älte­ren Ampu­tier­ten eine siche­re pro­the­ti­sche Ver­sor­gung mit einer weit­ge­hen­den Ver­rin­ge­rung der Sturz­ge­fahr und der Sturz­fol­gen zu ermög­li­chen. Nach­fol­gend wird beschrie­ben, wel­chen Risi­ken ins­be­son­de­re älte­re Bein­am­pu­tier­te aus­ge­setzt sind und wie die­sen tech­nisch wirk­sam begeg­net wer­den kann.

Stür­ze älte­rer Menschen

Um Sturz­ri­si­ken beschrei­ben zu kön­nen, ist zunächst die Abgren­zung eines Sturz­er­eig­nis­ses von ande­ren Stö­run­gen not­wen­dig. Nach Bal­zer 2 gibt es jedoch kei­ne all­ge­mein aner­kann­te Defi­ni­ti­on eines Stur­zes, weil die­ser sehr unter­schied­li­che Ursa­chen und Fol­gen haben kann. Nach­fol­gend wer­den alle unbe­ab­sich­tig­ten Fall­si­tua­tio­nen in Anleh­nung an die ICD-Dia­gno­se­schlüs­sel W00 bis W19 nach Inter­na­tio­nal Sta­tis­ti­cal Clas­si­fi­ca­ti­on of Dise­a­ses and Rela­ted Health Pro­blems 3 als Sturz ver­stan­den, selbst wenn die­se auf der glei­chen Ebe­ne statt­fin­den, und unab­hän­gig davon, wel­che Gegen­stän­de (Möbel, Roll­stüh­le, etc.) betei­ligt waren.

Stür­ze wer­den zu den all­ge­mei­nen Lebens­ri­si­ken gezählt. Aller­dings liegt das Risi­ko, min­des­tens ein­mal im Jahr zu stür­zen, im jun­gen Erwach­se­nen­al­ter bei nur 20 % 4, wäh­rend rund 30 % der Men­schen im Alter über 65 Jah­ren min­des­tens ein­mal jähr­lich stür­zen 5 6. Ab einem Alter von 80 Jah­ren ist sogar bei jedem zwei­ten Men­schen (50 %) mit einem Sturz pro Jahr zu rech­nen 7. Die Sta­tis­tik der 9.722 sturz­be­ding­ten Todes­ur­sa­chen in Deutsch­land im Jahr 2011 zeigt eben­falls eine sehr star­ke Abhän­gig­keit vom Lebens­al­ter. Zu Hau­se leben­de älte­re Men­schen haben ein Risi­ko von 27 %, im Fol­ge­jahr min­des­tens ein­mal zu stür­zen, wäh­rend das Risi­ko von Mehr­fach­stür­zen in die­sem Zeit­raum 10 % beträgt 8. In Lang­zeit­pfle­ge­ein­rich­tun­gen kann die jähr­li­che Sturzin­zi­denz der Bewoh­ner bis zu rund 50 % betra­gen 9.

Stür­ze älte­rer Men­schen resul­tie­ren oft aus dem Zusam­men­wir­ken meh­re­rer Risi­ko­fak­to­ren. Nach Bal­zer 10 ist es sinn­voll, zwi­schen intrin­si­schen und extrin­si­schen Sturz­ri­si­ken zu unter­schei­den. Unter intrin­si­schen Fak­to­ren wer­den sol­che ver­stan­den, die im Alter einer Per­son begrün­det lie­gen und nach­weis­lich mit einem erhöh­ten Sturz­ri­si­ko in Ver­bin­dung ste­hen. Extrin­si­sche Risi­ko­fak­to­ren fas­sen äuße­re Ein­flüs­se zusam­men, die die Sturz­ge­fahr erhö­hen kön­nen. Nach­fol­gend sind die wich­tigs­ten Sturz­ri­si­ko­fak­to­ren älte­rer Men­schen zusam­men­ge­fasst 11:

Intrin­si­sche Sturzrisikofaktoren

  • Funk­ti­ons­ein­bu­ßen und Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen: mit beson­ders hoher Rele­vanz für Ampu­tier­te, denn dazu gehö­ren ins­be­son­de­re Gang­stö­run­gen neben Balan­ce­stö­run­gen, einer beein­träch­tig­ten Bewe­gungs­fä­hig­keit und ande­ren Erkran­kun­gen, die mit ver­än­der­ter Mobi­li­tät, Moto­rik und Sen­si­bi­li­tät ein­her­ge­hen (auch Mul­ti­ple Skle­ro­se, Mor­bus Par­kin­son, Apo­plex, Poly­neu­ro­pa­thie, Osteo­ar­thri­tis, onko­lo­gi­sche Erkran­kun­gen usw.),
  • Beein­träch­ti­gun­gen der Sehfunktion,
  • Beein­träch­ti­gun­gen der Kogni­ti­on und Stim­mung: Depres­si­ve Pha­sen kenn­zeich­nen oft den Beginn der Aus­ein­an­der­set­zung eines Ampu­tier­ten mit sei­ner ver­än­der­ten Lebenssituation,
  • Erkran­kun­gen, die zu kur­zer Ohn­macht füh­ren: u. a. Dia­be­tes mit Hypo­glyk­ämie (zwei Drit­tel aller Ampu­tier­ten sind Dia­be­ti­ker 12), ortho­sta­ti­sche Hypo­ten­si­on, Herz­rhyth­mus­stö­run­gen, Tran­si­to­ri­sche Ischä­mi­sche Atta­cke und Epilepsie,
  • medi­ka­men­tö­se Ein­flüs­se (Psy­cho­phar­ma­ka, Seda­ti­va und Hypnotika),
  • Aus­schei­dungs­ver­hal­ten: Sturz­ur­sa­che sind u. a. die mit häu­fi­gen oder drin­gen­den Toi­let­ten­gän­gen ein­her­ge­hen­de Eile oder Unruhe,
  • Sturz­angst und Sturz­vor­ge­schich­te: ein „Teu­fels­kreis“, wie unten bei den Sturz­fol­gen erläutert.

Extrin­si­sche Risikofaktoren

  • Klei­dung, ins­be­son­de­re Schu­he: Das Tra­gen von Slip­pern oder Schu­hen ohne Hal­te­rie­men erhöht das Stol­per­ri­si­ko 13,
  • Gefah­ren in der Umge­bung: Inner­halb der Woh­nung oder des Hau­ses kön­nen die Beleuch­tung (z. B. zu dun­kel, zu blen­dend), Trep­pen (Stu­fen­hö­he, Sicht­bar­keit der Stu­fen­kan­ten), feh­len­de Hal­te­mög­lich­kei­ten, schlech­te Boden­be­schaf­fen­heit (z. B. Uneben­hei­ten, Kan­ten, rut­schi­ger Belag) gefah­ren­träch­tig sein, im Außen­be­reich beson­ders die Beleuch­tungs­ver­hält­nis­se sowie die Beschaf­fen­heit von Wegen und wet­ter­be­ding­te Einflüsse,
  • Risi­ko­fak­to­ren in Abhän­gig­keit von der Popu­la­ti­on: Die­se fas­sen u. a. Ein­flüs­se des Lebens­um­fel­des, alters­be­ding­ter Krank­hei­ten und der Pfle­ge­ab­hän­gig­keit zusammen,
  • Hilfs­mit­tel: Wie unten im Zusam­men­hang mit der Funk­ti­ons­wei­se pro­the­ti­scher Knie­ge­len­ke erläu­tert, kann es bei Ober­schen­kel­am­pu­tier­ten mit spe­zi­fi­schen Ver­sor­gun­gen (Knie­ge­len­ke mit mecha­ni­scher Aus­lö­sung der Stand­pha­sen­si­che­rung) zu Hilfs­mit­tel-asso­zi­ier­ten Stür­zen kom­men. Deut­lich häu­fi­ger sind jedoch bei älte­ren Men­schen ande­re Hilfs­mit­tel zur För­de­rung der Mobi­li­tät, wie z. B. Geh­hil­fen, Geh­wa­gen oder Roll­stüh­le, an Stür­zen betei­ligt. Im Jahr 2011 star­ben in Deutsch­land 111 Men­schen (davon 106 älter als 60 Jah­re) an den Fol­gen eines Stur­zes im Zusam­men­hang mit einem Roll­stuhl 14. Tra­gisch ist, dass Mobi­li­täts­hilfs­mit­tel den Betrof­fe­nen eine bes­se­re Fort­be­we­gung ermög­li­chen sol­len, jedoch auch selbst in einen Zusam­men­hang mit einem erhöh­ten Sturz­ri­si­ko gebracht wer­den müs­sen. Nach Bal­zer 15 ver­wen­den ein Drit­tel bis die Hälf­te der Nut­zer von Hilfs­mit­teln die­se falsch. Eben­so ist die Hälf­te der beim Gebrauch von Fort­be­we­gungs­hilfs­mit­teln auf­tre­ten­den Pro­ble­me auf unsach­ge­mä­ße oder gefah­ren­träch­ti­ge Nut­zung zurückzuführen.

Die Sturz­fol­gen haben kör­per­li­che und psy­cho­so­zia­le Aus­wir­kun­gen. Kör­per­li­che Sturz­fol­gen sind gerin­ge und schwe­re Ver­let­zun­gen, die bis zum Tode füh­ren kön­nen. Unter den schwe­ren Ver­let­zun­gen sind beson­ders hüft­ge­lenks­na­he Frak­tu­ren von gro­ßer epi­de­mio­lo­gi­scher und kli­ni­scher Bedeu­tung 16.

Eine psy­cho­so­zia­le Fol­ge von Stür­zen ist beson­ders die Sturz­angst. Unab­hän­gig davon, ob ein Sturz mit kör­per­li­chen Fol­gen ver­bun­den ist oder nicht, kann die Sturz­angst zu einer Ein­schrän­kung des Akti­ons­ra­di­us, zum nach­las­sen­den Ver­trau­en in die eige­nen Kräf­te und zu Ein­sam­keit füh­ren 17. Die­ses Post-Sturz-Syn­drom ist gekenn­zeich­net von Abhän­gig­keit, Ver­lust von Auto­no­mie, Immo­bi­li­tät, psy­chi­schen Ver­än­de­run­gen und Ein­schrän­kun­gen in den Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens 18. Ein Drit­tel gestürz­ter älte­rer Men­schen hat Angst vor wei­te­ren Stür­zen, nach Mehr­fach­stür­zen lei­den sogar mehr als 40 % der Betrof­fe­nen unter Sturz­angst 19 20. Tat­säch­lich haben sich vor­an­ge­gan­ge­ne Stür­ze in meh­re­ren Stu­di­en als unab­hän­gi­ger Risi­ko­fak­tor für wei­te­re Stür­ze erwie­sen 21 22. Sturz­angst kann das Risi­ko wei­te­rer Stür­ze erhö­hen sowie den Ver­lust von moto­ri­schen Funk­tio­nen, Selbst­stän­dig­keit und sozia­ler Par­ti­zi­pa­ti­on begüns­ti­gen 23. Dies ist ein selbst­ver­stär­ken­der Effekt, der eine Sturz­pro­phy­la­xe beson­ders wich­tig macht.

Nach Bal­zer 24 füh­ren 30 % bis über 70 % der Stür­ze älte­rer Men­schen zu einer Ver­let­zung, wobei der Groß­teil davon kei­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung erfor­dert. Bei zu Hau­se leben­den älte­ren Per­so­nen in Deutsch­land ist nach den Ergeb­nis­sen von Frei­ber­ger 25 bei 47 % der Stür­ze mit einer Ver­let­zung, dar­un­ter 4,5 % Frak­tu­ren, zu rech­nen. Am häu­figs­ten sind dabei hüft­ge­lenks­na­he Frak­tu­ren. In einer Erhe­bung bei Pfle­ge­heim­be­woh­nern in Deutsch­land 2007 erlit­ten rund 10 % der gestürz­ten Bewoh­ner eine behand­lungs­be­dürf­ti­ge Ver­let­zung beim Sturz, zu rund 50 % waren das hüft­ge­lenks­na­he Frak­tu­ren 26.

Die schlimms­te kör­per­li­che Sturz­fol­ge ist jedoch der Tod. Die inter­na­tio­na­le Klas­si­fi­ka­ti­on der Krank­hei­ten 27 wird mit den sturz­be­zo­ge­nen Dia­gno­se­schlüs­seln W00 bis W19 in Deutsch­land aus­schließ­lich für Todes­ur­sa­chen ver­wen­det. Sie unter­schei­det Stür­ze von Unfall­ver­let­zun­gen und codiert auch den Sturz­ort und die Sturz­ur­sa­che. Am häu­figs­ten waren im Jahr 2011 (Anzahl der Todes­fäl­le in Deutsch­land) Stür­ze im Zusam­men­hang mit Bet­ten (270), von, aus oder durch Gebäu­de oder Bau­wer­ke (268), von Lei­tern (128), von einer Ebe­ne auf eine ande­re (128), im Zusam­men­hang mit Roll­stüh­len (111), mit sons­ti­gem Mobi­li­ar (61) und mit Stüh­len (47) 28. Ein­schrän­kend muss jedoch dar­auf ver­wie­sen wer­den, dass in den meis­ten sturz­be­ding­ten Todes­fäl­len die genaue Ursa­che nicht näher bezeich­net wur­de (in 68 % der Fälle).

In Abbil­dung 1 wer­den die Häu­fig­kei­ten der Sturz­or­te mit Todes­fol­ge in Deutsch­land 2011 dar­ge­stellt. Es ist der deut­lich über­wie­gen­de Anteil älte­rer Men­schen an den sturz­be­ding­ten Todes­ur­sa­chen zu erken­nen. Ent­spre­chend der Wahr­schein­lich­keit ihres Auf­ent­hal­tes ver­ster­ben die meis­ten Per­so­nen bei Stür­zen im Haus oder im Wohn­heim. Öffent­li­che Gebäu­de, Stra­ßen und Wege spie­len hier eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Auch wenn Stür­ze nicht kata­stro­phal mit dem Tod enden, kommt es zu einer Häu­fung im Wohn­um­feld (inner- und außer­häus­lich), beim Gehen und bei Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens sowie am Mor­gen und am Nach­mit­tag (in Zei­ten gro­ßer Akti­vi­tät) 29.

Stür­ze pro­the­tisch ver­sorg­ter Menschen

Die Ver­schlüs­se­lung von Dia­gno­sen in der sta­tio­nä­ren und der ambu­lan­ten Ver­sor­gung erfolgt auf der Basis der jähr­lich aktua­li­sier­ten Inter­na­tio­na­len Klas­si­fi­ka­ti­on der Krank­hei­ten. In der ICD-10-GM-Ver­si­on 2011 sind die Dia­gno­se­schlüs­sel W00–W19 für Stür­ze nicht ent­hal­ten. Sie wer­den, wie oben beschrie­ben, nur zur Kodie­rung von Todes­ur­sa­chen genutzt. So wer­den Stür­ze über etwa­ige Ver­let­zun­gen (Schlüs­sel­num­mern S00–T98) gemein­sam mit zahl­rei­chen ande­ren Ver­let­zungs­ur­sa­chen erfasst 30. In Koope­ra­ti­on mit einem Kos­ten­trä­ger (Tech­ni­ker Kran­ken­kas­se) wur­de nach signi­fi­kan­ten Unter­schie­den in der Dia­gno­se- und Behand­lungs­sta­tis­tik zwi­schen bein­am­pu­tier­ten Pati­en­ten und einer weit­ge­hend iden­ti­schen Ver­gleichs­grup­pe gesucht (die ran­do­mi­sier­te Ver­gleichs­grup­pen­bil­dung berück­sich­tig­te die Alters­klas­se, das Geschlecht und die Arz­nei­mit­tel­aus­ga­ben der Ver­sorg­ten bzw. Vergleichsgruppenversicherten).

Die Selek­ti­on aller Unter‑, Ober­schen­kel- und Knie­ex­ar­ti­ku­la­ti­ons­pro­the­sen­ver­sorg­ten erfolg­te aus den Abrech­nungs­da­ten des Kos­ten­trä­gers für alle Ver­sor­gun­gen ab dem Jahr 2008. Ein Ver­si­cher­ter galt als ver­sorgt, wenn er eine Leis­tung aus den Pro­dukt­grup­pen der drei genann­ten Ampu­ta­ti­ons­ni­veaus bezo­gen hat. Bei einer Leis­tung muss­te es sich nicht zwangs­läu­fig um eine kom­plet­te Pro­the­se han­deln. Repa­ra­tu­ren, Anpas­sun­gen oder ande­re Ser­vice­leis­tun­gen, die auf­grund ihrer Hilfs­mit­tel-Pro­dukt­grup­pen­num­mer einen Rück­schluss auf eine Pro­the­sen­ver­sor­gung zulie­ßen, wur­den eben­so berück­sich­tigt. In die Ana­ly­sen wur­den auch Ver­sorg­te ein­be­zo­gen, die im Lau­fe des betrach­te­ten Zeit­rau­mes durch Tod oder Kas­sen­wech­sel das Ver­si­che­rungs­ver­hält­nis mit dem Kos­ten­trä­ger been­det haben und somit nicht durch­gän­gig ver­si­chert waren. Für jeden Ver­sorg­ten wur­den die ihm im sta­tio­nä­ren und ambu­lan­ten Bereich gestell­ten Dia­gno­sen ab 1. Janu­ar 2008 selektiert.

In einer ers­ten Aus­wer­tung sind auf ICD 3‑Stel­ler-Ebe­ne Häu­fig­keits­ver­tei­lun­gen erstellt wor­den. Ggf. mehr­fach vor­kom­men­de Dia­gno­sen wur­den hier­bei nur ein­fach für jeden Ver­sorg­ten berück­sich­tigt. In einem wei­te­ren Ana­ly­se­schritt wur­den die­se Häu­fig­kei­ten den­je­ni­gen gegen­über­stellt, die im Rah­men der Ver­gleichs­grup­pen­aus­wer­tung ermit­telt wur­den. Ziel war es, zu prü­fen, ob bestimm­te für die Unter­su­chung rele­van­te Dia­gno­sen in der Grup­pe der Ver­sorg­ten sta­tis­tisch signi­fi­kant häu­fi­ger oder sel­te­ner auf­tre­ten als in der Ver­gleichs­grup­pe mit den Unver­sorg­ten. Der Ver­gleich der Häu­fig­keits­ver­tei­lung erfolgt mit­tels eines Chi-Qua­drat Tests (P<0,05). Unter den 3.316 Bein­am­pu­tier­ten des Kos­ten­trä­gers (seit 2008) wur­den signi­fi­kan­te Unter­schie­de gegen­über der Ver­gleichs­grup­pe für ver­schie­de­ne ICD gefun­den, die im Zusam­men­hang mit Stür­zen ste­hen könn­ten. Die­se sind in Tabel­le 1 dargestellt.

Um den poten­zi­el­len Zusam­men­hang die­ser Ver­let­zun­gen mit Stür­zen genau­er zu unter­su­chen, erfolg­te eine wei­te­re Ana­ly­se der Daten auf der ICD 4‑Steller Ebe­ne. Dabei wur­de die Grup­pe der Ver­sorg­ten auf Ober­schen­kel- und Knie­ex­ar­ti­ku­la­ti­ons­pro­the­sen­ver­sorg­te begrenzt (kei­ne Unter­schen­kel­am­pu­tier­ten). So redu­zier­te sich die Grö­ße der Ver­sorg­ten­grup­pe (und damit auch der Ver­gleichs­grup­pe) auf 1.580 Ver­si­cher­te. Die Metho­dik zur Ana­ly­se (Ver­gleichs­grup­pen­bil­dung, Signi­fi­kanz­tests) ent­sprach der oben beschrie­be­nen. Es fan­den sich erneut eini­ge signi­fi­kan­te Unter­schie­de gegen­über der Ver­gleichs­grup­pe unter den Dia­gno­se­stel­lun­gen, die im Zusam­men­hang mit Stür­zen ste­hen könn­ten, wie in Tabel­le 2 gelistet.

Aller­dings gab es auch zahl­rei­che signi­fi­kan­te Abwei­chun­gen bei ver­let­zungs­be­ding­ten Dia­gno­sen zwi­schen der Grup­pe der Ver­sorg­ten und der Ver­gleichs­grup­pe, die durch die Ampu­ta­ti­on und nicht durch einen Sturz oder sons­ti­ge Ereig­nis­se bedingt sind. Es war auch in die­ser zwei­ten Ana­ly­se kei­ne bes­se­re Sturz­fol­gen­auf­klä­rung mög­lich, die genann­ten Indi­zi­en las­sen kei­ne gesi­cher­ten Schlüs­se zu.

Die Ergeb­nis­se die­ser Daten­ana­ly­se in Koope­ra­ti­on mit einem Kos­ten­trä­ger waren also in der Sum­me weni­ger auf­schluss­reich als die oben zitier­te Sta­tis­tik sturz­be­ding­ter Todes­ur­sa­chen (ohne Bezug auf Pro­the­sen­ver­sor­gun­gen) und die Ergeb­nis­se einer in den Jah­ren 2009/2010 mit Unter­stüt­zung des Bun­des­ver­ban­des „Ampu­tier­ten – Initia­ti­ve e. V.“ durch­ge­führ­ten und bereits publi­zier­ten eige­nen Stu­die 31. In die­se pos­ta­li­sche, tele­fo­ni­sche und Online-Befra­gung waren 370 Bein­pro­the­sen­trä­ger ein­ge­schlos­sen, von denen wir 97 Rück­mel­dun­gen (26,2 %) erhiel­ten. Das Alter der Betei­lig­ten lag zwi­schen 30 und 82 Jah­ren, der Mit­tel­wert lag bei 60,2 Jah­ren (40 % waren älter als 65 Jah­re, 30 % waren zwi­schen 50 und 65 Jah­re alt und bei wei­te­ren 30 % lag das Alter zwi­schen 30 und 50 Jah­ren). 63 % der Befrag­ten waren männ­lich und 37 % weib­lich, 17 % waren berufs­tä­tig, 70 % waren im Ruhe­stand und 13 % gin­gen kei­ner Tätig­keit nach. Der Zeit­punkt der Ampu­ta­ti­on lag zwi­schen 10 Mona­ten und 60 Jah­ren zurück. Das Ampu­ta­ti­ons­ni­veau war bei 40 % trans­ti­bi­al, bei 49 % trans­fe­mo­ral, bei 7 % eine Knie­ex­ar­ti­ku­la­ti­on. 58,5 % der Betei­lig­ten tru­gen die Pro­the­se mehr als zehn Stun­den am Tag, 65,9 % tru­gen ihre Pro­the­se mehr als vier Stun­den außer­halb der Wohnung.

Es gaben 59,8 % der Befrag­ten an, dass sie in dem zurück­lie­gen­den Jahr mehr als ein­mal mit ihrer Pro­the­se gestürzt sind. Damit stür­zen sie unge­fähr dop­pelt so häu­fig wie älte­re Men­schen ins­ge­samt (sie­he oben) und drei­fach so oft wie jün­ge­re Erwach­se­ne. Die­se Daten decken sich weit­ge­hend mit den Ergeb­nis­sen ande­rer Autoren. Mil­ler 32 befrag­te 435 Ampu­tier­te (27 % mit Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on, 73 % mit Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on) nach ihren Stur­z­er­fah­run­gen. 52 % berich­te­ten, dass sie im letz­ten Jahr gefal­len sind. Angst vor dem Fal­len hat­ten 49 % der Befrag­ten. Grei­temann 33 befrag­te 71 Ampu­tier­te (47 % mit Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on, 40 % mit Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on) nach ihren Stur­z­er­fah­run­gen. 46,5 % gaben min­des­tens einen Sturz und 42 % von ihnen 2–10 Stür­ze im Jahr an. Ein ein­zel­ner Pati­ent stürz­te sogar 15-mal. Gaut­hi­er-Gagnon stell­te in einer Befra­gung von 396 trans­ti­bi­al bzw. trans­fe­mo­ral Ampu­tier­ten fest, dass inner­halb eines Monats 50 % der Pati­en­ten gestürzt waren 34.

Die Mehr­heit der von uns befrag­ten Ampu­tier­ten 35 stürz­te wäh­rend des Gehens auf ebe­nem Unter­grund (Abb. 2).

Unbe­merk­te Hin­der­nis­se gaben 21 % unse­rer Umfra­ge­teil­neh­mer als Haupt­ur­sa­chen für Stür­ze an (Abb. 3), 16 % der Befrag­ten benann­ten die eige­ne Unauf­merk­sam­keit und 14 % eine Fehl­ein­schät­zung des Unter­grun­des 36.

Eini­ge Pati­en­ten (12,50 %) führ­ten ihren Sturz direkt auf eine Fehl­funk­ti­on oder das Ver­sa­gen der Pro­the­se zurück, ande­re sahen die Ursa­che auch im Zusam­men­hang mit der Pro­the­se, jedoch eher bei sich, indem sie das Pro­the­sen­ver­hal­ten falsch ein­schätz­ten (9,50 %). Hier erge­ben sich direkt Ansatz­punk­te für die Ver­rin­ge­rung der Sturz­ge­fahr. Zusätz­lich sind auch zahl­rei­che Stür­ze auf­grund ande­rer Ursa­chen (z. B. Stol­pern nach Kon­takt mit unbe­merk­ten Hin­der­nis­sen) durch eine opti­ma­le Reak­ti­on der Pro­the­se ver­meid­bar 37.

Wäh­rend Unter­schen­kel­pro­the­sen rela­tiv ein­fach auf­ge­baut sind (aus Fuß, Schaft und Struk­tur­ele­men­ten bestehend), benö­ti­gen höher am Bein ampu­tier­te Pati­en­ten ein exo­pro­the­ti­sches Knie­ge­lenk. Des­sen Funk­ti­on hat einen wesent­li­chen Ein­fluss auf die Sturz­ge­fahr. Die­se Gelen­ke sol­len, sofern sie nicht in der ein­fachs­ten Aus­füh­rung mit Knie­sper­re genutzt wer­den, einer­seits eine siche­re Stand­pha­se und ande­rer­seits eine natür­li­che Schwung­pha­se ermög­li­chen. Dazu ist es erfor­der­lich, dass die Gelen­ke in der Stand­pha­se einen hohen Fle­xi­ons­wi­der­stand auf­brin­gen und in der Schwung­pha­se die Fle­xi­ons- und anschlie­ßen­de Exten­si­ons­be­we­gung steu­ern. Das Umschal­ten zwi­schen hohem Fle­xi­ons­wi­der­stand in der Stand­pha­se und gerin­gem Wider­stand in der Schwung­pha­se kann last‑, situa­tions- oder gang­pha­sen­ab­hän­gig erfol­gen und ist bei kon­ven­tio­nel­len exo­pro­the­ti­schen Knie­ge­len­ken kon­struk­ti­ons­be­dingt fest­ge­legt. Bei mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken erfolgt eine Aus­wer­tung von Sen­sor­si­gna­len, anhand derer die aktu­el­le Pha­se im Gang­zy­klus berech­net wird 38. Im Gegen­satz zu kon­ven­tio­nel­len Knie­ge­len­ken bie­tet eine Mikro­pro­zes­sor­steue­rung die Mög­lich­keit, den Schwung­pha­sen­wi­der­stand dyna­misch den Bedürf­nis­sen anzu­pas­sen und zusätz­lich auf Unre­gel­mä­ßig­kei­ten wie z. B. Stol­pern geeig­net zu reagie­ren. Feh­ler in der Aus­lö­sung der knie­si­chern­den Funk­ti­on eines kon­ven­tio­nel­len mecha­ni­schen Knie­ge­lenks (z. B. infol­ge einer zu gerin­gen oder falsch gerich­te­ten Belas­tung) wer­den bei mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken vermieden.

Nach der Ein­füh­rung der ers­ten mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ke mit Stand- und Schwung­pha­sen­steue­rung stan­den ein har­mo­ni­sche­rer Gang, ein ver­rin­ger­ter Ener­gie­ver­brauch und eine erhöh­te Geh­ge­schwin­dig­keit im Vor­der­grund der Unter­su­chun­gen 39 40. Im Jah­re 2001 stell­te Köcher 41 bei einer Befra­gung von Pati­en­ten und Ortho­pä­die-Tech­ni­kern fest, dass der Sicher­heits­zu­wachs durch die Ver­sor­gung mit dem mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­lenk C‑Leg (Fa. Otto Bock Health­Ca­re, Duder­stadt) zu angst­frei­er Akti­vi­tät führt. In der Fol­ge wur­den ver­schie­de­ne Unter­su­chun­gen zur Sicher­heit von exo­pro­the­ti­schen Knie­ge­len­ken durchgeführt.

Die Stu­die von Köcher 42 unter­such­te 108 der ers­ten 150 mit dem C‑Leg ver­sorg­ten Pati­en­ten. Dabei gaben 40 Pati­en­ten bei der all­ge­mei­nen Fra­ge nach Ver­bes­se­run­gen eine erhöh­te Sicher­heit an. Drer­up 43 konn­te bei der Mehr­heit von 58 Ampu­tier­ten einen Zuge­winn des Sicher­heits­ge­fühls mit dem C‑Leg gegen­über kon­ven­tio­nel­ler Ver­sor­gung fest­stel­len. Ins­be­son­de­re Pati­en­ten der Akti­vi­täts­klas­se 2 und 3 pro­fi­tie­ren dem­nach von der erhöh­ten Sicher­heit. In einer Stu­die von Michael/Orendurff et al. 44 gaben alle acht Ampu­tier­ten­die Sturz­prä­ven­ti­on beim Stol­pern als wich­tigs­te Eigen­schaft des C‑Legs an.

Auf­grund der Anzahl an Stu­di­en­teil­neh­mer ist die Stu­die von Ber­ry 45 mit 358 Teil­neh­mern her­aus­ra­gend. Hin­sicht­lich ihrer Angst vor einem unbe­ab­sich­tigt ein­kni­cken­den Knie­ge­lenk im Ste­hen emp­fan­den 69,4 % der Befrag­ten eine Ver­bes­se­rung mit dem C‑Leg gegen­über der kon­ven­tio­nel­len Ver­sor­gung. 9,4 % der Befrag­ten fühl­ten sich hin­ge­gen auf dem kon­ven­tio­nel­len Knie­ge­lenk siche­rer. 58 von Drer­up 46 befrag­te C‑Leg-Trä­ger gaben einen Rück­gang der Sturz­er­eig­nis­se an, ohne dass dies genau­er quan­ti­fi­ziert wur­de. Zu einem ähn­li­chen Ergeb­nis kam Swan­son 47 bei der Befra­gung von 8 Pro­ban­den, 50 % der Befrag­ten gaben eine Ver­bes­se­rung der Sicher­heit an, 3 Pro­ban­den berich­te­ten von einer Reduk­ti­on der Sturz­häu­fig­keit. Haf­ner 48 führ­te eine Stu­die an 21 Ober­schen­kel­am­pu­tier­ten durch, in der die Aus­wir­kun­gen eines Wech­sels von einem kon­ven­tio­nell mecha­ni­schen Knie­ge­lenk auf das mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te C‑Leg unter­sucht wurde.

Die Pro­ban­den­be­fra­gung ergab eine signi­fi­kan­te (p<0,05) Ver­rin­ge­rung von Stol­per- und Sturz­er­eig­nis­sen. Kah­le 49 und Haf­ner 50 quan­ti­fi­zier­ten die Anzahl der Sturz­er­eig­nis­se, dabei stell­te Haf­ner mit dem C‑Leg eine Reduk­ti­on von Stol­pe­rern, semi-kon­trol­lier­ten Stür­zen und unkon­trol­lier­ten Stür­zen von 20 bis 80 % fest. Auf­grund der gro­ßen Streu­ung war die­ses Ergeb­nis nur für unkon­trol­lier­te Stür­ze der Akti­vi­täts­klas­se 2 (n=8) bzw. der Ver­ei­ni­gung der bei­den Akti­vi­täts­klas­sen 2 und 3 (n=17) signi­fi­kant. Kah­le konn­te bei einer Unter­su­chung mit 19 Pro­ban­den eine signi­fi­kan­te Reduk­ti­on der Stol­per- und Sturz­er­eig­nis­se fest­stel­len. Die mitt­le­re Reduk­ti­on die­ser Ereig­nis­se betrug 59 bzw. 64 Pro­zent 51.

Für ande­re mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Knie­ge­len­ke als das C‑Leg ist die Stu­di­en­la­ge zur Sturz­pro­phy­la­xe weni­ger umfang­reich. Grei­temann konn­te in einer Befra­gung von 12 Pro­ban­den beim Wech­sel von einem kon­ven­tio­nell mecha­ni­schen Knie­ge­lenk auf das mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Rheo Knee (Fa. Össur, Reykja­vík, Island) eine Erhö­hung des Sicher­heits­ge­fühls fest­stel­len 52. Baty führ­te nach Ver­sor­gun­gen mit dem mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Plié 2.0 (Fa. Free­dom Inno­va­tions, Irvi­ne, USA) eine Befra­gung von 40 Ampu­tier­ten durch 53. Beim Wech­sel von einem kon­ven­tio­nell mecha­ni­schen Knie­ge­lenk auf das Plié 2.0 (n=31) mel­de­ten 95 % der Befrag­ten eine Ver­rin­ge­rung von Stol­per- und Sturzereignissen.

Blu­men­tritt führ­te eine Stu­die durch, in der die dyna­mi­sche Sicher­heit von ver­schie­de­nen kon­ven­tio­nell mecha­ni­schen und mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken mit­ein­an­der ver­gli­chen wur­de 54. Vier All­tags­si­tua­tio­nen, die Pro­the­sen­trä­ger als sturz­kri­tisch ein­stu­fen, konn­ten im Gang­la­bor nach­ge­stellt wer­den: plötz­li­ches Stop­pen beim Gehen, Tre­ten auf ein nicht wahr­ge­nom­me­nes Hin­der­nis, Hän­gen­blei­ben wäh­rend der Schwung­pha­se der Pro­the­se und Trep­pen hin­ab­ge­hen. Mit 11 Pro­ban­den wur­den fünf kon­ven­tio­nell mecha­ni­sche und vier mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Knie­ge­len­ke (C‑Leg der Fa. Otto Bock Health­Ca­re, Duder­stadt, Rheo Knee der Fa. Össur, Adap­ti­ve 2 der Fa. Endo­li­te, Miamis­burg, USA, Hybrid Knee der Fa. Nab­tes­co, Kobe, Japan) getes­tet, wobei nicht jeder Pro­band mit allen Gelen­ken lief. Bis auf das Adap­ti­ve 2 Knie­ge­lenk waren die mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten den kon­ven­tio­nell mecha­ni­schen Knie­ge­len­ken in allen Tests über­le­gen, wobei auch zwi­schen den rest­li­chen MPKs Unter­schie­de fest­ge­stellt wer­den konn­ten. Das C‑Leg wur­de als das Knie­ge­lenk mit der höchs­ten Sicher­heit identifiziert.

In einer wei­te­ren Stu­die ver­gleicht Blu­men­tritt das mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Geni­um Knie­ge­lenk (Fa. Otto Bock Health­Ca­re, Duder­stadt) mit dem C‑Leg 55. Neben einer erwei­ter­ten Funk­tio­na­li­tät konn­te in Tests an 11 Ampu­tier­ten auch ein ver­grö­ßer­tes Sicher­heits­po­ten­zi­al fest­ge­stellt wer­den. Durch eine ver­bes­ser­te Schwung­pha­sen­re­ge­lung ermög­licht das Geni­um eine grö­ße­re Boden­frei­heit beim Gehen in der Ebe­ne und auf Schrä­gen und schützt den Ampu­tier­ten dadurch vor dem Stol­pern. Außer­dem konn­ten das Umschalt­ver­hal­ten beim klein­schrit­ti­gen Gehen und beim Rück­wärts­ge­hen ver­bes­sert wer­den. Das Ste­hen auf schrä­gem Unter­grund ist mit die­sem Gelenk pro­blem­los möglich.

In einer kürz­lich publi­zier­ten Stu­die unter­such­ten Mer­bold et al. die Ver­sor­gung von 10 akti­ven Pati­en­ten (Mobi­li­täts­grad 3), die mit einer Kom­bi­na­ti­on aus mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­tem Knie­ge­lenk und mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­tem Fuß (Sym­bio­nic Leg der Fa. Össur) ver­sorgt wur­den 56. Im Ver­gleich mit der vor­aus­ge­hen­den Ver­sor­gung (Kar­bon­fe­der­fuß, ver­schie­de­ne Knie­ge­len­ke) konn­ten signi­fi­kan­te Ver­bes­se­run­gen im Timed-Up-and-Go-Test erreicht wer­den, der zur Abschät­zung eines Sturz­ri­si­kos dient. Wei­ter­hin ver­bes­ser­te sich das Sicher­heits­emp­fin­den der Pati­en­ten um durch­schnitt­lich 11,3 % 57.

Die zitier­ten Stu­di­en zu Stür­zen bzw. zur Sturz­ge­fahr von trans­fe­mo­ral Ampu­tier­ten bele­gen, dass mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Sys­te­me die Sicher­heit des Pro­the­sen­trä­gers ver­bes­sern kön­nen. Da jedoch die Kos­ten von mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken höher als die kon­ven­tio­nel­ler mecha­ni­scher Gelen­ke sind, ist auch die Auf­wand-Nut­zen-Rela­ti­on im Zusam­men­hang mit unter­schied­li­chen Mobi­li­täts­gra­den betrof­fe­ner Pati­en­ten zu berück­sich­ti­gen. Eini­ge aktu­el­le Stu­di­en haben sich mit dem The­ma der opti­ma­len Ver­sor­gung von Ampu­tier­ten mit gerin­ger Mobi­li­tät beschäf­tigt 58 59 60 61 62. Die Grup­pe der Ampu­tier­ten gerin­ger Mobi­li­täts­gra­de (Level‑2 in den USA) ist sehr hete­ro­gen 63. Thee­ven stell­te in einer Stu­die mit 31 uni­la­te­ral, trans­fe­mo­ral Ampu­tier­ten gerin­ger Mobi­li­täts­gra­de fest, dass Alter, Gewicht und die Ampu­ta­ti­ons­ur­sa­che und gerin­ger Mobi­li­tät ent­schei­den­de Fak­to­ren für die Akti­vi­tät eines Pati­en­ten sind 64. Pati­en­ten mit vas­ku­lä­rer Ampu­ta­ti­ons­ur­sa­che und gerin­ger Mobi­li­tät hat­ten beson­ders oft Pro­ble­me, sich an mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Knie­ge­len­ke zu gewöh­nen. Aller­dings wur­den ihnen von Thee­ven 65 nur zwei Stun­den Ein­ge­wöh­nungs­zeit zuge­stan­den, wes­halb eine Ver­all­ge­mei­ne­rung die­ser Ergeb­nis­se ein­ge­schränkt ist.

In einer wei­te­ren Stu­die mit 30 Pati­en­ten gerin­gen Mobi­li­täts­gra­des (Level‑2, uni­la­te­ral, trans­fe­mo­ral) unter­such­te Thee­ven 66 u. a. die Akti­vi­tät bei Ver­sor­gung mit kon­ven­tio­nell mecha­ni­schen und ver­schie­de­nen mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken, jedoch konn­ten kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de gefun­den wer­den. 11 der 14 Pro­ban­den (Level‑2, uni­la­te­ral, trans­fe­mo­ral, vas­ku­lä­re Ampu­ta­ti­ons­ur­sa­che), die Del­vin befrag­te 67, bevor­zug­ten ein gesperr­tes gegen­über einem frei­schwin­gen­den Knie­ge­lenk und begrün­de­ten die­se Ent­schei­dung unter ande­rem damit, dass sie sich siche­rer fühl­ten und sie sich nicht so stark kon­zen­trie­ren müssten.

Die letzt­ge­nann­ten Stu­di­en zeig­ten, dass auch sperr­ba­re Knie­ge­len­ke für Pati­en­ten gerin­ger Mobi­li­täts­gra­de Vor­tei­le haben kön­nen. Sie wer­den bei unvor­her­ge­se­he­nen Ereig­nis­sen nie insta­bil. Aller­dings ist mit ihnen kein har­mo­ni­sches Gang­bild erreich­bar. Das not­wen­di­ge Anhe­ben der Hüf­te für das Durch­schwin­gen des (stei­fen) Pro­the­sen­beins ist mit der Gefahr insta­bi­ler Situa­tio­nen in der Schwung­pha­se (bei Boden­be­rüh­rung) ver­bun­den und bei län­ge­ren Geh­stre­cken nicht tolerierbar.

Fazit

Zahl­rei­che Ursa­chen kön­nen zu einem Sturz füh­ren. Ampu­tier­te sind in beson­de­rer Wei­se sturz­ge­fähr­det, jedoch steht eine Viel­falt tech­ni­scher Lösun­gen zur Ver­rin­ge­rung der Sturz­ge­fahr bzw. der Sturz­fol­gen von pro­the­tisch ver­sorg­ten Ampu­tier­ten zur Ver­fü­gung. Deren Aus­wahl muss in Abhän­gig­keit von der Indi­ka­ti­ons­stel­lung erfol­gen. Wäh­rend trans­fe­mo­ral ampu­tier­te Pati­en­ten mit sehr gerin­gen Mobi­li­täts­gra­den die Sicher­heit eines gesperr­ten Knie­ge­lenks schät­zen, kön­nen mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Knie­ge­len­ke die Sturz­ge­fahr akti­ver Pati­en­ten verringern.

Für die Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Marc Kraft
Fach­ge­biet Medizintechnik
Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät Berlin
Dove­stra­ße 6
10587 Ber­lin
marc.kraft@tu-berlin.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
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