Roll­stuhl­ver­sor­gung in der Geriatrie

N. Sörensen
Einen Rollstuhl zur Fortbewegung nutzen zu müssen bedeutet immer eine erhebliche Beeinträchtigung der Mobilität. Beim Rollstuhlnutzer soll die Armkraft die Beinkraft ersetzen. Das ist immer ein schlechter Tausch, selbst für junge, kräftige Menschen. Ältere Menschen haben jedoch in der Regel eine geringere Armkraft als jüngere, denn bei ihnen kommen altersgemäße degenerative Veränderungen von Muskulatur und Skelett hinzu. Ein alter Mensch müsste demnach einen Rollstuhl erhalten, mit dem das Fahren so leicht wie nur irgend möglich ist – doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die drei wichtigsten manuellen Rollstuhltypen sind, so lauten die Begriffe im Hilfsmittelverzeichnis (HMV), der Standardstuhl, der Leichtgewichtstuhl und der Adaptivrollstuhl. Deren Unterschiede werden im Rahmen dieses Artikels aufgezeigt und diskutiert.

Ein­füh­rung

Ger­ia­tri­schen Pati­en­ten wer­den fast aus­schließ­lich Leicht­ge­wicht- (LGW) oder Stan­dard­roll­stüh­le (STD) zuge­spro­chen. Bei­de Typen sind grund­sätz­lich schwer­gän­gi­ge Roll­stüh­le, in denen man außer­dem schlecht sitzt, die also als Mobi­li­täts­hil­fe kaum geeig­net sind. Selbst die Ver­fas­se­rin die­ses Arti­kels als gesun­der 38-jäh­ri­ger Mensch ist kon­di­tio­nell nicht in der Lage, mit einem LGW einen Spa­zier­gang zu unter­neh­men oder ihre Besor­gun­gen zu erledigen.

Anzei­ge

Anders der Adap­tiv­roll­stuhl: Die­ser ermög­licht ein kraft­spa­ren­des Fah­ren und ein phy­sio­lo­gi­sches Sit­zen. Das kraft­spa­ren­de Fah­ren wird maß­geb­lich durch die hori­zon­ta­le Ver­stell­bar­keit der Hin­ter­rad­ach­se erreicht (s. die Aus­füh­run­gen unten). Ein Adap­tiv­roll­stuhl kos­tet in der Neu­an­schaf­fung jedoch etwa das Zehn­fa­che eines STD. In die­sen Kos­ten ent­hal­ten sind aller­dings zahl­lo­se Optio­nen, die in der ger­ia­tri­schen Ver­sor­gung fast nie genutzt wer­den, zum Bei­spiel etli­che Sei­ten­teil- und Fuß­bret­t­op­tio­nen, ver­schie­de­ne Front­rah­men­win­kel und Front­rah­men­op­tio­nen, eine Farb­pa­let­te von über 25 Far­ben usw. Die von älte­ren Men­schen gewünsch­te Aus­stat­tung ent­spricht dage­gen eher der, die auch beim LGW bzw. STD erhält­lich wäre (vor allem Arm­leh­nen, Trommelbremsen).

Wür­de man nun als ver­meint­li­che Lösung einen LGW auf den Markt brin­gen, bei dem die Hin­ter­rad­po­si­ti­on wie beim Adap­tiv­roll­stuhl hori­zon­tal viel­fach ver­stell­bar wäre, wür­de dies eine Abwärts­spi­ra­le für die gesam­te Roll­stuhl­ver­sor­gungs­qua­li­tät in Gang set­zen. Denn die ver­stell­ba­re Achs­po­si­ti­on ist eines der Haupt­kri­te­ri­en, die einen Roll­stuhl nach dem HMV als Adap­tiv­roll­stuhl kenn­zeich­nen. Der Kos­ten­trä­ger wäre damit in der Lage, einen „LGW mit mul­tie­in­stell­ba­rer Rad­po­si­ti­on“ SGB-kon­form als „aus­rei­chen­de Ver­sor­gung“ anstel­le eines Adap­tiv­roll­stuhls durchzusetzen.

Es wur­de bereits dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der etwa zehn­mal höhe­re Preis nicht nur in der ver­stell­ba­ren Rad­po­si­ti­on und den genann­ten Optio­nen begrün­det ist, son­dern in etli­chen tech­ni­schen Lösun­gen, die ins­ge­samt die Antriebs­kräf­te im Adap­tiv­roll­stuhl ver­rin­gern. Der Mehr­wert steckt im tech­ni­schen Detail, im Mate­ri­al, in der Ver­ar­bei­tungs­gü­te, in der Gesamt­län­ge, in der Pas­sung, in der Ver­win­dungs­stei­fig­keit usw.

Der idea­le Roll­stuhl im ger­ia­tri­schen Bereich wäre folg­lich ein Grenz­gän­ger, der so im HMV nicht vor­ge­se­hen ist und der die bis­he­ri­gen Abgren­zun­gen zwi­schen den Stuhl­ty­pen durch­bricht. Die Lösung könn­te ein vier­ter Roll­stuhl­typ sein, der strin­gent auf den Ein­satz im ger­ia­tri­schen Bereich beschränkt wird – ohne aber dem ger­ia­tri­schen Pati­en­ten den Zugang zu einem Adap­tiv­roll­stuhl zu verwehren.

Die aktu­el­le Roll­stuhl­ver­sor­gung beim ger­ia­tri­schen Patienten

Die Roll­stuhl­ver­sor­gung älte­rer Men­schen nimmt, dar­auf wur­de bereits hin­ge­wie­sen, nicht genü­gend Rück­sicht auf deren Mobi­li­täts­be­dürf­nis­se. Ein heu­te 70- oder 80-jäh­ri­ger Mensch ist nicht zu ver­glei­chen mit den älte­ren Men­schen frü­he­rer Gene­ra­tio­nen. Den­noch erhält ein ger­ia­tri­scher Pati­ent in Deutsch­land nach wie vor in nahe­zu allen Fäl­len einen Leicht­ge­wicht- (LGW) oder Stan­dard­roll­stuhl (STD). Benö­ti­gen wür­den aber mehr als die Hälf­te einen höher­wer­ti­gen Stuhl: den Adap­tiv­roll­stuhl. Die Kos­ten für die Kas­se bewe­gen sich für einen LGW bzw. STD zwi­schen 250,00 und 400,00 Euro, ein Adap­tiv­roll­stuhl dage­gen ist erst ab 1.800,00 Euro erhält­lich (Abb. 1 – 3).

Bei älte­ren Men­schen lie­gen häu­fig fol­gen­de medi­zi­ni­schen Befun­de vor:

  • Eine Kypho­se ver­la­gert Schul­ter­blatt und Schul­ter­ge­lenk nach vor­ne. Ent­spre­chend müss­te das Hin­ter­rad des Roll­stuhls nach vor­ne ver­setzt wer­den, was aber bei einem LGW bzw. STD nicht mög­lich ist.
  • Eine all­ge­mein gemin­der­te Mus­kel­kraft sowie even­tu­el­le Schul­ter­ar­thro­sen und/oder Rheu­ma der Hän­de limi­tie­ren die maxi­mal auf­zu­brin­gen­de Antriebs­kraft und die Aus­dau­er. Das erfor­dert einen beson­ders leicht­gän­gi­gen Roll­stuhl. Die­se Anfor­de­rung erfül­len weder LGW noch STD.
  • Die gerin­ge­re Kör­per­grö­ße bei Frau­en ist ein zusätz­li­ches Pro­blem. Für einen LGW/STD-Stuhl ist man mit weni­ger als 1,68 m Kör­per­grö­ße bereits zu klein.

Die drei zur Kom­pen­sa­ti­on sol­cher anatomischen/pathologischen Gege­ben­hei­ten not­wen­di­gen Leis­tungs­merk­ma­le (hori­zon­tal ver­schieb­ba­re Antriebs­rad­po­si­ti­on, leich­te Fahr­bar­keit, Pas­sung für klei­ne Kör­per­grö­ßen) bie­ten weder STD noch LGW. Eine ent­spre­chen­de Ein­stell­bar­keit des Stuh­les ist nur beim Adap­tiv­roll­stuhl mög­lich. Inso­fern gilt, dass die­je­ni­gen roll­stuhl­pflich­ti­gen älte­ren Menschen,

  • die geis­tig ori­en­tiert sind,
  • die moti­viert sind, etwas zu unternehmen,
  • die im Haus und im nahen Wohn­um­feld selbst­stän­dig mobil sein möch­ten und
  • die typi­sche Alters­er­schei­nun­gen wie Mus­kel­ab­bau, eine ver­stärk­te Kypho­se der BWS sowie even­tu­ell Rheu­ma oder Arthro­sen haben, statt des LGW einen Adap­tiv­roll­stuhl erhal­ten sollten.

Unter­schie­de zwi­schen den drei manu­el­len Roll­stuhl­ty­pen LGW, STD und Adaptiv

Wesent­li­che Unter­schie­de bestehen beim Gewicht, bei Maßen und Aus­stat­tung sowie bei der Hin­ter­rad­po­si­ti­on. Dazu im Einzelnen:

Gewicht

Um als Leicht­ge­wicht­roll­stuhl dekla­riert zu wer­den, muss der LGW ledig­lich aus dünn­wan­di­ge­rem Rohr gebaut sein. Da auch der STD-Stuhl heu­te kaum mehr aus Stahl­rohr mit grö­ße­rer Wand­di­cke gebaut wird, liegt das Gewicht bei­der Stuhl­ty­pen zwi­schen 13 und 15 kg. Auch der Adap­tiv­roll­stuhl erreicht bei ger­ia­trie­ty­pi­scher Aus­stat­tung (Arm­leh­nen, Trom­mel­brem­se, Anti­kipp­vor­rich­tung) ein Gewicht von 12 bis 14 kg. Das Gewicht ist im Fal­le der ger­ia­tri­schen Ver­sor­gung also kein bedeu­ten­der Dif­fe­ren­zie­rungs­fak­tor zwi­schen den drei Rollstuhltypen.

Maße und Ausstattung

LGW und STD unter­schei­den sich vom Adap­tiv­roll­stuhl in den wähl­ba­ren Maßen. So hat man bei LGW und STD die Wahl zwi­schen einer und drei Sitz­tie­fen (ST), ca. fünf Sitz­brei­ten (SB) und zwei Rücken­leh­nen­hö­hen (RH). LGW und STD haben immer Arm­leh­nen. Beim Adap­tiv­roll­stuhl sind dage­gen sämt­li­che Maße in 2‑cm-Schrit­ten wähl­bar. Dar­über hin­aus kön­nen diver­se Vari­an­ten bei Vor­der­rah­men, Fuß­ras­ten, Greif­rei­fen­art und Sei­ten­tei­len gewählt und vor allem auf Arm­leh­nen ganz ver­zich­tet wer­den. Anders als bei LGW und STD passt sich der Adap­tiv­roll­stuhl also dem Pati­en­ten an, nicht umgekehrt.

Den­noch sind auch die Aus­stat­tungs­mög­lich­kei­ten bei der ger­ia­tri­schen Ver­sor­gung nicht der aus­schlag­ge­ben­de Unter­schied zwi­schen den Stuhl­ty­pen. Denn oft ist die vom Pati­en­ten gewünsch­te Aus­stat­tung dem des LGW bzw. STD sehr ähn­lich: Arm­leh­nen, Trom­mel­brem­se und Anti­kipp­vor­rich­tung (Abb. 4). Dazu wer­den die Maße ger­ne zu groß gewählt, weil der Pati­ent es „beque­mer“ wünscht. Die Vor­tei­le der vie­len Maße und Aus­stat­tungs­va­ri­an­ten wer­den also nicht genutzt.

Die Hin­ter­rad­po­si­ti­on

Der ent­schei­den­de Unter­schied, der den Adap­tiv­roll­stuhl sehr viel leich­ter fahr­bar macht als den STD bzw. LGW, ist die ein­stell­ba­re Hin­ter­rad­po­si­ti­on. Sie kann nur beim Adap­tiv­roll­stuhl in Rela­ti­on zum Kör­per – genau­er: zu den Schul­tern – pas­send ein­ge­stellt wer­den, sowohl in der Höhe (ver­ti­kal) als auch hori­zon­tal (Abb. 5 u. 6). Die Posi­ti­on des Hin­ter­ra­des (also des Antriebs­ra­des) zu den Schul­tern ist für die Nutz­bar­keit eines Roll­stuhls so ele­men­tar wie die Erreich­bar­keit der Peda­le für das Fah­ren mit einem Fahrrad.

Wes­halb ist die Hin­ter­rad­po­si­ti­on der­art wich­tig? Dies hat zwei phy­si­ka­li­sche Grün­de. Die Hin­ter­rad­po­si­ti­on bestimmt

  1. die ergo­no­mi­sche Erreich­bar­keit des Greif­rin­ges zur Kraftaufbringung,
  2. den Schwer­punkt des Stuhls und damit des­sen Wendigkeit.

Zu 1. Greifbereich

Ein Roll­stuhl wird über die Hin­ter­rä­der ange­trie­ben. Die Flä­che des Greif­rin­ges, die wäh­rend eines Antrieb­vor­gangs vom Nut­zer erreicht wer­den kann, nennt man „Greif­be­reich“. Der Greif­be­reich ist also der­je­ni­ge Bereich, der über­haupt mit Antriebs­kraft ver­se­hen wer­den kann. Je grö­ßer der Greif­be­reich, des­to mehr Kraft pro Arm­zug kann über­tra­gen werden:

Kraft × Weg = Geschwindigkeit.

Der Greif­be­reich ist dann opti­mal, wenn die locker hän­gen­den Arme mit aus­ge­streck­ten Fin­gern bei­der­seits die Rad­na­be berüh­ren. Damit ist ein mög­lichst gro­ßer Greif­be­reich gewähr­leis­tet; zudem wird erreicht, dass sich die Rad­na­be weni­ge Zen­ti­me­ter vor dem Schul­ter­ge­lenk befin­det, was das Antrei­ben ergo­no­mi­scher macht. Sie soll­te nicht hin­ter dem Schul­ter­ge­lenk lie­gen und nicht zu weit davor. Denn auf die­se Wei­se stimmt der Greif­be­reich mit der natür­li­chen Gelenk­be­weg­lich­keit der Schul­ter über­ein (Abb. 7).

Lässt man dage­gen in einem LGW oder STD die Arme locker hän­gen, befin­den sich die Hän­de bereits eine gan­ze Hand­breit vor der Rad­na­be, bei einem kypho­ti­schen Rücken schon zwei Hand­breit oder sogar nur noch auf dem vor­de­ren Bereich des Greif­rei­fens (Abb. 8). Zudem sind die Hän­de auch ver­ti­kal nicht auf Höhe der Rad­na­be posi­tio­niert, son­dern bei auf­ge­rich­te­tem Rücken dar­über, bei Vor­lie­gen einer Kypho­se dar­un­ter. All das ver­klei­nert den Greif­be­reich und macht das Antrei­ben unökonomisch.

Ein unphy­sio­lo­gi­scher Greif­be­reich bringt die Schul­tern immer in Innen­ro­ta­ti­on und Pro­trak­ti­on. Dabei wird die Rota­to­ren­man­schet­te in ihrer Funk­ti­on der Schul­ter­ge­lenk­zen­trie­rung über­be­an­sprucht. Gleich­zei­tig gera­ten nach Ansicht der Ver­fas­se­rin Bizeps, Tri­zeps und Del­to­ide­us in eine nicht arbeitsachsge­rech­te Aus­gangs­po­si­ti­on, wodurch sie per­ma­nent geschwächt und über­an­strengt werden.

Zu 2. Schwer­punkt, Dreh­ach­se, Fliehkraft

Auf der hori­zon­ta­len Linie zwi­schen bei­den Mit­tel­punk­ten der Antriebs­rä­der steht die Dreh­ach­se des Roll­stuhls. Je näher der Kör­per­schwer­punkt an die­ser Ach­se liegt, des­to wen­di­ger ist der Stuhl, weil dann das Gewicht des Kör­pers nicht mit einem lan­gen Hebel auf die Dreh­ach­se wirkt, son­dern sich gleich­mä­ßig um die­se verteilt.

Beim LGW bzw. STD befin­det sich die Dreh­ach­se des Stuh­les hin­ter der Rücken­leh­ne. Der Kör­per­schwer­punkt eines sit­zen­den Men­schen befin­det sich aber weit davor, näm­lich kurz vor den Tube­ra ischia­di­ca. Bei einem kypho­tisch sit­zen­den Men­schen liegt der Kör­per­schwer­punkt nicht sel­ten sogar in der Mit­te der Ober­schen­kel. Das heißt, in bei­den Fäl­len ist davon aus­zu­ge­hen, dass das gesam­te Nut­zer­ge­wicht weit vor der Dreh­ach­se des Stuh­les liegt.

Am Bei­spiel einer Pirou­et­ten dre­hen­den Eis­läu­fe­rin wird deut­lich, wel­che Aus­wir­kung es hat, wenn sich Gewicht von einer Dreh­ach­se ent­fernt befin­det: Die Eis­läu­fe­rin dreht sich schnel­ler, wenn sie Arme und Bei­ne eng an den Kör­per zieht, und ent­schleu­nigt sich durch das Stre­cken eines Bei­nes und der Arme.

Ein ger­ia­tri­scher Pati­ent im LGW/STD hat nicht nur Bein und Arme, son­dern sei­nen gesam­ten Kör­per vor die Dreh­ach­se „gestreckt“ und ist damit hin­sicht­lich der Wen­dig­keit des Stuhls voll­stän­dig „ent­schleu­nigt“.

Auf die­se Wei­se ist er prak­tisch immo­bil, denn das all­täg­li­che Roll­stuhl­fah­ren besteht zum größ­ten Teil nicht aus Gera­de­aus­fah­ren, son­dern aus Dreh­be­we­gun­gen. Das muss nicht das deut­li­che Ändern der Fahrt­rich­tung sein, son­dern das stän­dig not­wen­di­ge Kor­ri­gie­ren der Gera­de­aus­fahrt, das Aus­weich­ma­nö­ver um Fuß­gän­ger, Erhö­hun­gen und Schlag­lö­cher, das Gera­de­zie­hen an leicht schrä­gen Bord­stei­nen, das Um- und Anfah­ren von Tischen, Rega­len, Wasch­be­cken, Toi­let­te, Gegen­sprech­an­la­ge etc. Somit gilt: Ist das Wen­den schwer, ist die aus­dau­ern­de Roll­stuhl­nut­zung schwer bis unmöglich.

Nur beim Adap­tiv­roll­stuhl kann das Antriebs­rad in die Posi­ti­on gebracht wer­den, die dem indi­vi­du­el­len ana­to­misch benö­tig­ten Greif­be­reich und dem indi­vi­du­el­len Schwer­punkt des Nut­zers ent­spricht. So wird für einen all­ge­mein schwä­che­ren ger­ia­tri­schen Pati­en­ten das län­ge­re selbst­stän­di­ge Fah­ren oft über­haupt erst möglich.

Hat der Nut­zer nicht den Anspruch, sich selbst­stän­dig außer­halb des Hau­ses fort­zu­be­we­gen, mag ein LGW aus­rei­chend sein. Für einen akti­ven Men­schen benö­tigt man aus den dar­ge­stell­ten phy­si­ka­li­schen Grün­den einen Adaptivrollstuhl.

Umgang mit einer Kyphose

Eine abso­lu­te Min­dest­an­for­de­rung für eine adäqua­te ger­ia­tri­sche Ver­sor­gung mit einem Roll­stuhl sind eine anpass­ba­re Rücken­be­span­nung und ein Sitz­ge­fäl­le (Sitz­flä­che vor­ne höher als hin­ten). Bei­des ist beim STD nicht erhält­lich, wohl aber beim LGW und natür­lich beim Adaptivrollstuhl.

Der kypho­ti­sche Mensch hat bei nicht anpass­ba­rer Rücken­leh­ne und feh­len­dem Sitz­ge­fäl­le ein ähn­li­ches Pro­blem wie ein Bech­te­rew-Pati­ent im Ste­hen: Sei­ne Blick­ach­se ist auf den Boden gerich­tet statt nach vorn. Da eine per­ma­nen­te Hyper­lor­do­sie­rung des Nackens ers­tens nicht gehal­ten wer­den kann und zwei­tens zu Schluck­be­schwer­den und Schmer­zen führt, rutscht der kypho­ti­sche Pati­ent meist im Stuhl nach vor­ne unten, bis die Blick­ach­se wie­der hori­zon­tal ist (Abb. 9). Die­ses Manö­ver ver­schiebt den Kör­per­schwer­punkt sehr weit vor die Roll­stuhl­dreh­ach­se. Es ver­än­dert auch die Posi­ti­on der Schul­ter gegen­über dem Hin­ter­rad nach­tei­lig: Der Greif­be­reich ver­schiebt sich in einen bio­me­cha­nisch nicht mehr nutz­ba­ren Bereich nach hin­ten oben.

Es kommt dann zu der typi­schen Fort­be­we­gungs­art, die wir bei alten Men­schen im (unpas­sen­den) Roll­stuhl sehen: Mini­mal­be­we­gun­gen am Greif­ring, die nur aus den Hand­ge­len­ken kom­men, die Hän­de schlei­fen am Greif­ring, die Knie sind stark ange­win­kelt, und die Last des Ober­kör­pers liegt auf dem Sacrum. Die Geschwin­dig­keit ist äußerst gering, der Roll­stuhl­nut­zer häu­fig extrem unglück­lich, er hat Rücken­schmer­zen, ein rotes Kreuz­bein, will ins Bett. Der Laie hält die­se absur­de Sitz­po­si­ti­on für krank­heits­be­dingt – tat­säch­lich aber ist es der Stuhl, der nicht passt.

Die­ses Her­ab­rut­schen zur Kor­rek­tur der Blick­ach­se kann (und muss!) durch zwei ein­fa­che Maß­nah­men ver­hin­dert wer­den, die bereits der LGW bietet:

  1. durch die Ein­stel­lung des Stuhls auf eine leicht schräg nach hin­ten abfal­len­de Sitz­nei­gung sowie
  2. durch die Ver­wen­dung einer mit Ein­zel­gur­ten anpass­ba­ren Rückenbespannung.

Alle Gur­te im kypho­ti­schen Bereich müs­sen weit geöff­net wer­den, so dass der Ober­kör­per aus­rei­chend Platz nach hin­ten erhält. Die Kypho­se wird auf die­se Wei­se in die Rücken­form des Stuhls ein­ge­bet­tet. Zusam­men mit dem Sitz­ge­fäl­le nach hin­ten wird die Blick­ach­se auf die­se Wei­se auf­ge­rich­tet, ohne die Fahr- und Sit­zei­gen­schaf­ten zu kom­pro­mit­tie­ren. Eine sol­che anpass­ba­re Rücken­be­span­nung trifft man bei der aktu­el­len Ver­sor­gungs­pra­xis in der Ger­ia­trie aller­dings so gut wie nie an. Basis jed­we­der Posi­tio­nie­rung eines Men­schen im Roll­stuhl ist schließ­lich, dass das Sitz­kis­sen gegen Rut­schen gesi­chert ist. Auch die­se Min­dest­an­for­de­rung wird im ger­ia­tri­schen Bereich so gut wie nie erfüllt.

Fazit

Im Fol­gen­den wer­den die wesent­li­chen Ergeb­nis­se der Unter­su­chung the­sen­ar­tig zusammengefasst:

    1. Ein Stan­dard-Roll­stuhl (STD) soll­te bei alten Men­schen im Fal­le eines täg­lich mehr­stün­di­gen Gebrauchs über­haupt nicht ein­ge­setzt wer­den. Er ist eigent­lich nur für Trans­port­stre­cken geeig­net, weder für das Selbst­fah­ren noch für lan­ge Sitz­zei­ten. Das ist bereits im HMV ver­merkt, fin­det aber sel­ten Beachtung.
    2. Sobald ein ger­ia­tri­scher Pati­ent die über­wie­gen­de Zeit im Roll­stuhl sitzt, benö­tigt er zumin­dest einen LGW mit Sitz­ge­fäl­le, anpass­ba­rer Rücken­be­span­nung und einem gegen Rut­schen gesi­cher­ten Sitzkissen.
    3. Ist der Pati­ent noch aktiv und moti­viert, sich außer­halb des Hau­ses fort­zu­be­we­gen, soll­te er bereits ohne wei­te­re Begrün­dung mit einem Adap­tiv­roll­stuhl ver­sorgt werden.

Hat der Pati­ent dar­über hin­aus bereits vor­ge­schä­dig­te Schul­tern, eine gerin­ge Arm- bzw. Hand­kraft, eine gerin­ge Kör­per­grö­ße, eine Hemi­ple­gie oder trip­pelt er mit dem Stuhl, ist der Adap­tiv­roll­stuhl die ein­zig adäqua­te Rollstuhlversorgung.

Einen Adap­tiv­roll­stuhl für einen ger­ia­tri­schen Pati­en­ten zu erhal­ten ist mit einem gut geschul­ten und enga­gier­ten Hilfs­mit­tel­be­ra­ter, einer aus­führ­li­chen medi­zi­ni­schen Begrün­dung und dem nöti­gen Durch­set­zungs­ver­mö­gen sei­tens Pati­ent und Arzt zwar auf­wen­dig, aber mög­lich. Die Suche nach einem Roll­stuhl im Wie­der­ein­satz erhöht die Chan­cen auf Kos­ten­über­nah­me beträcht­lich. Denn im Wie­der­ein­satz kos­tet der Adap­tiv­roll­stuhl die Kas­se den sel­ben Betrag wie ein LGW per Fallpauschale.

Die Autorin:
Nina Sören­sen
Physiotherapeutin/Hilfsmittelberaterin
Stey­ler Stra­ße 15
44267 Dort­mund
nina.soerensen@web.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper
Zita­ti­on
Sören­sen N. Roll­stuhl­ver­sor­gung in der Ger­ia­trie. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (10): 42–47
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