Sta­bi­li­sa­ti­ons­ori­en­tier­tes Kraft­trai­ning für Prothesenanwender

T. Kipping, N. Hohm
Die langjährige Betreuung paralympischer Sportler schärft den Blick dafür, dass bestimmte Trainingselemente für die Leistungsfähigkeit der Athleten sehr effektiv sein können. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob stabilisationsorientiertes Krafttraining auch für Prothesenträger ohne sportliche Erfahrung positive Effekte mit sich bringt.

Zu die­sem Zweck haben der para­lym­pi­sche Pro­fi­sprin­ter David Beh­re und der Para-Leicht­ath­le­tik-Trai­ner des TSV Bay­er 04 Lever­ku­sen Karl-Heinz Düe gemein­sam einen Trai­nings­plan ent­wi­ckelt, der sich expli­zit an Pro­the­sen­an­wen­der rich­tet. Zehn Übun­gen aus dem Trai­nings­plan wer­den in die­sem Bei­trag detail­liert in Wort und Bild vor­ge­stellt, sodass die Anwei­sun­gen als Trai­nings­grund­la­ge genutzt wer­den können.

Anzei­ge

War­um sta­bi­li­sa­ti­ons ori­en­tier­tes Kraft­trai­ning sinn­voll ist

Sobald ein bein­am­pu­tier­ter Pati­ent mit der Reha­bi­li­ta­ti­on beginnt, liegt der Fokus zumeist auf der Pro­the­sen­ver­sor­gung und der Geh­schu­le. Dabei erge­ben sich für Phy­sio­the­ra­peu­ten, Ergo­the­ra­peu­ten und Ortho­pä­die-Mecha­ni­ker häu­fig Pro­ble­me, die nicht aus­schließ­lich mit der tech­ni­schen Ver­sor­gung zu erklä­ren sind. So errei­chen vie­le Pati­en­ten oft­mals kein zufrie­den­stel­len­des Gang­bild, obwohl sie tech­nisch opti­mal ver­sorgt sind und eine umfas­sen­de Geh­schu­le absol­vie­ren. Betrach­tet man die­se Pro­ble­ma­tik genau­er, sind häu­fig eine zu schwa­che Rumpf- und Ober­kör­per­mus­ku­la­tur sowie eine man­gel­haf­te Kon­di­ti­on die Ursa­che 1.

Um eine schwach aus­ge­bil­de­te Rumpf- und Ober­kör­per­mus­ku­la­tur auf­zu­bau­en und eine dar­aus resul­tie­ren­de chro­ni­sche Fehl­sta­tik zu ver­mei­den, bie­tet sich ins­be­son­de­re ein sta­bi­li­sa­ti­ons­ori­en­tier­tes Kraft­trai­ning an. Denn es dient unter ande­rem dem Auf­bau von Kör­per­span­nung durch Hal­te­ar­beit und Kör­per­sta­tik. Des Wei­te­ren wird es für die Kräf­ti­gung und die Akti­vie­rung der loka­len bzw. gelenk­na­hen Sta­bi­li­sa­to­ren in den diver­sen Gelen­ken sowie im Rumpf­be­reich ein­ge­setzt. Auch die Zen­trie­rung der Kör­per­ach­se in unter­schied­li­chen Anfor­de­rungs­si­tua­tio­nen wird durch Sta­bi­li­sa­ti­ons­trai­ning geför­dert. Ein wei­te­res Ziel ist die Sta­bi­li­sa­ti­on und Zen­trie­rung auch bei star­ken äuße­ren Wider­stän­den und ande­ren Stör­fak­to­ren 2.

Trai­nings­ele­men­te aus dem para­lym­pi­schen Leistungssport

Das pri­mä­re Ziel des Leis­tungs­sports ist die Sicher­stel­lung einer lang­fris­tig hohen Per­for­mance durch plan­mä­ßi­ges und ziel­ge­rich­te­tes Trai­ning. Aus die­sem Grund haben sich der Trai­ner der para­lym­pi­schen Leicht­ath­le­ten Karl-Heinz Düe und der Pro­fi­sprin­ter David Beh­re bei dem Ent­wurf eines Übungs­plans an den Ele­men­ten aus dem Leis­tungs­sport ori­en­tiert, um die phy­si­sche Leis­tungs­fä­hig­keit von Pro­the­sen­an­wen­dern ohne sport­li­che Erfah­run­gen lang­fris­tig sicher­zu­stel­len. Er umfasst zehn Übun­gen aus dem sta­bi­li­sa­ti­ons­ori­en­tier­ten Kraft­trai­ning und rich­tet sich an Per­so­nen, die sich einer Majo­ram­pu­ta­ti­on an der unte­ren Extre­mi­tät unter­zie­hen muss­ten. Um das Trai­ning zu Anfang mode­rat zu gestal­ten, wird den Trai­nie­ren­den gera­ten, jede Übung drei­mal pro Woche jeweils 20 Sekun­den lang aus­zu­füh­ren und die Trai­nings­er­geb­nis­se schrift­lich fest­zu­hal­ten, um sich dadurch zusätz­lich zu motivieren.

Der Trai­nings­plan wur­de so kon­zi­piert, dass die phy­si­sche und men­ta­le Leis­tungs­fä­hig­keit der Test­per­so­nen lang­fris­tig gestei­gert wer­den kann. Zudem soll dar­aus neue Moti­va­ti­on für inten­si­ve­re Trai­nings­ein­hei­ten erwach­sen und sich nach­hal­tig auf die Lebens­qua­li­tät der Pro­the­sen­an­wen­der aus­wir­ken. Im Fol­gen­den wer­den die zehn Übun­gen mit kor­rek­ter Aus­füh­rung und Anspra­che der Mus­keln beschrieben.

Übung 1: „Die Brücke“

Die­se Übung spricht die Gesäß‑, die Ober­schen­kel­rück­sei­ten- und die unte­re Rücken­mus­ku­la­tur an. Dabei liegt der Trai­nie­ren­de auf dem Rücken, stellt die Bei­ne auf und posi­tio­niert die Füße schul­ter­breit und par­al­lel zuein­an­der. Gleich­zei­tig lie­gen die Arme ent­spannt neben dem Kör­per. Das Becken wird nun so weit geho­ben, bis Kör­per und Ober­schen­kel eine Linie bil­den. Die­se Posi­ti­on hält der Trai­nie­ren­de sta­tisch. In einem ers­ten Schritt wird ein Fuß nach vor­ne gestreckt, sodass er sich in die Linie inte­griert. In einem zwei­ten Schritt wird das Knie zum Kör­per her­an­ge­zo­gen. Die­se Bewe­gung wie­der­holt der Trai­nie­ren­de mehrmals.

Die Schwie­rig­keits­stu­fe kann erhöht wer­den, indem man das gestreck­te Bein bis knapp über den Boden absenkt und die drei bereits genann­ten Posi­tio­nen im Wech­sel durch­läuft. Danach muss das Bein gewech­selt wer­den. Beson­ders wich­tig ist bei die­ser Übung, dass die Hüf­te zu jeder Zeit sta­bil bleibt; in der Kör­per-Ober­schen­kel-Linie darf in den ers­ten Posi­tio­nen kein Knick ent­ste­hen. Zeit­gleich ist das Becken immer par­al­lel zum Boden aus­ge­rich­tet (Abb. 1a u. b).

Übung 2: „Der Käfer“

Die­se Übung bean­sprucht sowohl die gera­de als auch die schrä­ge Bauch­mus­ku­la­tur. Dabei wird ein Bein aus­ge­streckt und das ande­re Bein zum Kör­per hin ange­zo­gen. Der dem aus­ge­streck­ten Bein schräg gegen­über­lie­gen­de Arm ist nach oben gestreckt, der ande­re zeigt nach unten. Arme und Bei­ne wech­seln kon­trol­liert in die jeweils ande­re Posi­ti­on. Dabei gilt: Je tie­fer man Bei­ne und Arme Rich­tung Boden absenkt und je län­ger man in die­ser Posi­ti­on ver­harrt, des­to inten­si­ver gestal­tet sich das Trai­ning. Es muss beson­ders dar­auf geach­tet wer­den, dass der Kopf immer leicht ange­ho­ben ist und dass der Rücken fest in die Mat­te gepresst wird. Sobald sich ein Hohl­kreuz bil­det, dür­fen Arme und Bei­ne nicht so weit abge­senkt wer­den (Abb. 2).

Übung 3: „Das seit­li­che Beinheben“

Die­se Übung bean­sprucht die Mus­keln der Innen- und Außen­sei­te der Ober­schen­kel, die Rumpf- sowie die schrä­ge Bauch­mus­ku­la­tur. Dabei liegt das unte­re Bein zum Kör­per hin ange­win­kelt. Der Kopf wird auf dem unte­ren Arm posi­tio­niert oder durch die­sen gestützt. Zugleich bewegt der Trai­nie­ren­de das obe­re Bein, das in Ver­län­ge­rung des Kör­pers aus­ge­streckt ist, kon­trol­liert auf und ab. Um die Rumpf- und die schrä­ge Bauch­mus­ku­la­tur zusätz­lich zu bean­spru­chen, müs­sen bei­de Bei­ne aus­ge­streckt und die Auf- und Abbe­we­gung durch­ge­führt wer­den, ohne nach vor­ne oder hin­ten weg­zu­kip­pen. Bei die­ser Übung muss das Becken stets senk­recht zum Boden aus­ge­rich­tet sein. Ein Kip­pen nach vor­ne oder nach hin­ten ist zu ver­mei­den (Abb. 3).

Übung 4: „Der Unterarmstütz“

Die­se Übung för­dert vor allem eine sta­bi­le Rumpf­mus­ku­la­tur. Dabei wird der Kör­per auf die Unter­ar­me und die Zehen­spit­zen gestützt. Die Arme lie­gen schul­ter­breit, die Füße ste­hen etwa hüft­breit aus­ein­an­der. Der Trai­nie­ren­de hält die­se Posi­ti­on. Der Schwie­rig­keits­grad kann deut­lich erhöht wer­den, indem man abwech­selnd ein Bein anhebt. Bei die­ser Übung ist es beson­ders wich­tig, dass der Kör­per nicht durch­hängt und kei­nen Tun­nel bil­det, son­dern in einer Linie gehal­ten wird. Sobald das Bein geho­ben wird, darf sich die Hüf­te nicht ver­dre­hen (Abb. 4a u. b).

Übung 5: „Der Seitstütz“

Bei die­ser Übung wird die Rumpf‑, die Bauch- und die seit­li­che Bein­mus­ku­la­tur gefor­dert. Dabei hebt der Trai­nie­ren­de den Kör­per in Sei­ten­la­ge an, wobei er sich auf Unter­arm und Fuß­kan­te auf­stützt. Zeit­gleich ist der nach oben zei­gen­de Arm ent­we­der Rich­tung Decke aus­ge­streckt oder locker auf die Hüf­te gelegt. Die­se Posi­ti­on wird gehal­ten. Im Anschluss wech­selt man die Sei­te. Der Schwie­rig­keits­grad kann erhöht wer­den, indem das obe­re Bein zusätz­lich ange­ho­ben wird. Beim „Seit­stütz“ befin­den sich Kör­per, Kopf und Bei­ne stets in einer Linie (Abb. 5a u. b).

Übung 6: „Der Stütz rückwärts“

Die­se Übung bean­sprucht Rumpf‑, Gesäß- und Bein­mus­ku­la­tur. Dabei wird das Gesäß in Rücken­la­ge vom Boden geho­ben, sobald sich der Trai­nie­ren­de auf Ellen­bo­gen und Fer­sen stützt. Auch bei die­ser Übung bil­det der Kör­per eine Linie (Abb. 6).

Übung 7: „Der Superman“

Beim „Super­man“ wer­den Rücken‑, Gesäß- und Bein­mus­ku­la­tur ange­spro­chen. Die­se Übung wird im Vier­füß­ler­stand aus­ge­führt. Dabei streckt der Trai­nie­ren­de einen Arm nach vor­ne aus und hebt das schräg gegen­über­lie­gen­de Bein nach hin­ten. Aus die­ser Posi­ti­on wer­den Ellen­bo­gen und Knie unter dem Kör­per zusam­men­ge­führt. Im Anschluss nimmt man wie­der die Aus­gangs­po­si­ti­on ein. Auch bei die­ser Übung erfolgt ein Sei­ten­wech­sel. Beim „Super­man“ liegt der Fokus auf der Kör­per­li­nie, die sich aus Arm, Kopf, Kör­per und Bein zusam­men­setzt. In der zusam­men­ge­zo­ge­nen Posi­ti­on ist dar­auf zu ach­ten, dass die Balan­ce gehal­ten wird (Abb. 7).

Übung 8: „Arm- und Beinheben“

Die­se Übung för­dert die gesam­te Rücken‑, Gesäß- und hin­te­re Bein­mus­ku­la­tur. Bei ange­ho­be­nem Kopf und auf dem Bauch lie­gend wer­den Arme und Bei­ne gestreckt und vom Boden geho­ben. Im Anschluss hebt der Trai­nie­ren­de einen Arm und das schräg gegen­über­lie­gen­de Bein gleich­zei­tig so hoch wie mög­lich. Die­se Posi­ti­on wird kurz gehal­ten. Dann wer­den Bein und Arm wie­der abge­senkt und die Bewe­gung mit den ande­ren Extre­mi­tä­ten wie­der­holt. Dabei gilt es zu beach­ten, dass die Bewe­gun­gen lang­sam und koor­di­niert aus­ge­führt wer­den. In kei­nem Fall darf die Übung mit Schwung umge­setzt wer­den (Abb. 8).

Übung 9: „Zie­hen“

Hier­bei bean­sprucht der Trai­nie­ren­de beson­ders den obe­ren und mitt­le­ren Teil der Rücken­mus­ku­la­tur. Die­se Übung wird in Bauch­la­ge durch­ge­führt. Der Kopf sowie die gestreck­ten Arme und Bei­ne wer­den leicht vom Boden abge­ho­ben. Anschlie­ßend zieht man die Arme unter Mus­kel­an­span­nung in Rich­tung der Schul­ter­blät­ter, wobei der Ober­kör­per wei­ter vom Boden ent­fernt wird. Wich­tig ist hier­bei, dass sich der Kopf in Ver­län­ge­rung der Wir­bel­säu­le befin­det und nicht in den Nacken gewor­fen wird (Abb. 9).

Übung 10: „Rudern“

Die­se Übung för­dert Kon­zen­tra­ti­on, Gleich­ge­wichts­sinn und Bauch­mus­ku­la­tur. Dabei wer­den die Bei­ne in einer sit­zen­den Posi­ti­on ange­zo­gen. Die Füße löst man vom Boden, wäh­rend die Arme nach vor­ne gestreckt sind. Hat der Trai­nie­ren­de die Balan­ce gefun­den, wer­den die Bei­ne nach vor­ne aus­ge­streckt. Zeit­gleich neigt sich der Ober­kör­per nach hin­ten, und die Arme wer­den wie beim Rudern nach hin­ten geführt. Die­se Posi­ti­on hält man kurz und kehrt anschlie­ßend in die Aus­gangs­po­si­ti­on zurück. Hier­bei gilt es zu beach­ten, dass sich die Übung umso inten­si­ver und effek­ti­ver gestal­tet, je lang­sa­mer und kon­trol­lier­ter sie umge­setzt wird (Abb. 10a u. b).

Fazit und Ausblick

Sta­bi­li­sa­ti­ons­ori­en­tier­tes Kraft­trai­ning eig­net sich beson­ders gut, um eine schwach aus­ge­bil­de­te Rumpf und Ober­kör­per­mus­ku­la­tur auf­zu­bau­en und eine dar­aus resul­tie­ren­de chro­ni­sche Fehl­sta­tik zu ver­mei­den. Zudem kann es lang­fris­tig zu einer Ver­bes­se­rung des Gang­bil­des füh­ren. Der Trai­nings­plan wur­de auf einer leis­tungs­sport­ori­en­tier­ten Basis kon­zi­piert, um die Pro­prio­zep­ti­on sowie die all­ge­mei­ne kör­per­li­che und men­ta­le Fit­ness von Pro­the­sen­an­wen­dern zu stei­gern, die sich erst vor kur­zem einer Ampu­ta­ti­on unter­zie­hen muss­ten. Ein zwei­ter Bei­trag mit zusätz­li­chen Übun­gen und einem Erfah­rungs­be­richt zum hier prä­sen­tier­ten Trai­ning ist geplant.

Der Autor:
Tho­mas Kip­ping, OTM
APT Ser­vice GmbH
Im Diehl­stein 1
56459 Sto­ckum-Püschen
t.kipping@apt-prothesen.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Kip­ping T., Hohm N. Sta­bi­li­sa­ti­ons­ori­en­tier­tes Kraft­trai­ning für Pro­the­sen­an­wen­der. Ortho­pä­die Tech­nik, 2019; 70 (8): 58–62
  1. Reh­bein MR. Mus­kel­auf­bau­trai­ning nach Majo­ram­pu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät. Vor­trags­ma­nu­skript, 2008: 4. https://www.beinamputiert-was-geht.de/reha-und-sport/physiotherapie (Zugriff am 11.07.2019)
  2. Kan­dolf W. Fit­ness­trai­ning (A) – gesund­heits­ori­en­tier­tes Fit­ness­trai­ning mit den Schwer­punk­ten Kraft- und Koor­di­na­ti­ons­trai­ning, Teil 1. Vor­le­sungs­skript, Insti­tut für Sport­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Inns­bruck, Win­ter­se­mes­ter 2011/2012: 23. http://sport1.uibk.ac.at/lehre/lehrbeauftragte/Kandolf%20Werner/Fitnesstraining/lernunterlage%201112%20aktualisiert.pdf (Zugriff am 11.07.2019)
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