Sport-Orthop­ro­the­tik – Ver­sor­gung mit einer Borggreve-Umkehrplastik

M. Seifert
Sportprothetische Versorgungen für Freizeitsportler mit Handicap werden zunehmend populärer. Erfahrungen in der Biomechanik, der Schaftformung und -funktion und im statischen Aufbau sind dabei für den betreuenden Orthopädie-Techniker hinsichtlich der Dynamik und der beim Sport auftretenden Kräfte besonders zu berücksichtigen, da sich die Anforderungen der Sportprothese von denen einer Alltagsversorgung grundlegend unterscheiden. Im folgenden Artikel wird eine sportorthoprothetische Versorgung für eine Patientin mit Borggreve-Umkehrplastik beschrieben.

Ein­lei­tung

Nicht nur bei Ober- oder Unter­schen­kel­am­pu­tier­ten ist es mög­lich, eine Sport­pro­the­sen­ver­sor­gung durch­zu­füh­ren. Auch bei Fehl­bil­dun­gen oder spe­zi­el­len Ampu­ta­tio­nen wie bei einer Borggre­ve-Umkehr­plas­tik ist eine sol­che Ver­sor­gung realisierbar.

Anzei­ge

Der fol­gen­de Arti­kel beschreibt zum einen, wel­che Erkennt­nis­se sich wäh­rend der Her­stel­lung und der Anpro­ben der Sport-Orthop­ro­the­sen­ver­sor­gung erge­ben haben – ins­be­son­de­re in Bezug auf den sta­ti­schen Auf­bau, die Bio­me­cha­nik und wich­ti­ge Merk­ma­le, wel­che die Sport­ver­sor­gung von der All­tags-Orthop­ro­the­se unter­schei­den. Zum ande­ren wer­den die pro­ble­ma­ti­schen Aspek­te einer sol­chen Ver­sor­gung dargelegt.

Beschrei­bung der Versorgung

Eine 20-jäh­ri­ge Pati­en­tin wur­de mit einer Sport-Orthop­ro­the­se ver­sorgt. Sie wur­de im Alter von acht Jah­ren nach Borggre­ve Typ A1 ampu­tiert (Abb. 1). Durch eine bila­te­ra­le mono­zen­tri­sche Gelenk­füh­rung und seit­li­che Titan­schie­nen wer­den das obe­re Sprung­ge­lenk und der Ober­schen­kel geführt. Zudem ist dadurch eine Pro- und Supi­na­ti­ons­be­we­gung des unte­ren Sprung­ge­lenks nahe­zu aus­ge­schlos­sen, um einen zusätz­li­chen Ver­schleiß des Knor­pel- und Band­ap­pa­ra­tes im Fuß zu ver­min­dern. Um den Fuß zu unter­stüt­zen, ist ein gut aus­mo­del­lier­tes Fuß­bett nötig. Hier­bei wur­de ins­be­son­de­re auf die Anstüt­zung des Längs- und Quer­ge­wöl­bes sowie auf den Zehen­steg, um den sich die Zehen klam­mern, geach­tet. Ein HTV-Sili­kon-Innent­rich­ter (Abb. 2), der druck­ent­las­ten­de und form­be­stän­di­ge Eigen­schaf­ten auf­weist, gewähr­leis­tet über­dies den Schutz des Fußes. Hygie­ni­sche Vor­tei­le kön­nen durch regel­mä­ßi­ges Aus­ko­chen des Sili­kons erzielt wer­den und damit unter ande­rem Haut­ir­ri­ta­tio­nen verringern.

Es bedarf eines fes­ten Halts der Fer­se über eine Cal­ca­neu­s­um­klam­me­rung und eine zir­ku­lä­re Fas­sung des Fußes. Die­se Fixie­rung soll den Hub des Bei­nes in der Orthop­ro­the­se ver­hin­dern. Zudem wur­de ein Keil am HTV-Sili­kon-Innent­rich­ter ange­bracht, der das Her­aus­rut­schen aus dem fes­ten Orthop­ro­the­sen­schaft hemmt. Die ver­ti­kal auf­tre­ten­den Kräf­te wer­den über eine Fer­sen­bank abge­fan­gen und durch das Sili­kon gedämpft. Eine hart/weich kom­bi­nier­te Ober­schen­kel­hül­se mit dor­sa­ler Hart­rah­men­fas­sung und fle­xi­bler ven­tra­ler Lasche dient der Sta­bi­li­sie­rung des Ober­schen­kels und ver­bes­sert den Ein­stieg in die Orthoprothese.

Pro­blem­stel­lung

Die zen­tra­le Pro­ble­ma­tik ist der Bewe­gungs­um­fang des obe­ren Sprung­ge­len­kes, der nach Neu­tral-Null DE/PF 20/0/40 beträgt. Im Fall der Borggre­ve­Um­kehr­plas­tik über­nimmt das Knö­chel­ge­lenk ein begrenz­tes Bewe­gungs­aus­maß des Knies von Ex/Flex 0/0/90. Somit liegt der Fokus des Auf­baus in der Dyna­mik des Knö­chel- bzw. Knie­ge­lenks. Durch die ein­ge­schränk­te Fle­xi­on und die im Vor­fuß über­lan­ge J‑Feder ent­steht in der Schwung­pha­se kaum Boden­frei­heit (Abb. 3).

Um sicher­zu­stel­len, dass das obe­re Sprung­ge­lenk mit sei­ner knö­cher­nen und band­haf­ten Struk­tur den ver­stärkt auf­tre­ten­den Kräf­ten stand­hal­ten kann, dass es die not­wen­di­ge Sta­bi­li­tät auf­weist und dass die Mehr­be­las­tung kei­ne Schmer­zen ver­ur­sacht, wur­de zunächst eine Test­ver­sor­gung durchgeführt.

Bio­me­cha­nik und Aufbau

Auf­grund der Ampu­ta­ti­ons­form und eines in die­sem Fall vor­lie­gen­den Streck­de­fi­zits in der Hüf­te muss im sta­ti­schen Auf­bau die Hüft­fle­xi­on und der damit nicht phy­sio­lo­gisch lie­gen­de Knie­dreh­punkt berück­sich­tigt werden.

Durch die hori­zon­ta­le Ver­schie­bung der Feder nach dor­sal in der Sagit­tal­an­sicht ist es mög­lich, auf die­se Pro­blem­stel­lung ein­zu­ge­hen. Zusätz­lich bewirkt die Ver­schie­bung eine Ver­kür­zung in der Fle­xi­on und gewähr­leis­tet damit mehr Boden­frei­heit, um die damit ver­bun­de­ne Stol­per­ge­fahr zu umge­hen. Die durch die Ver­schie­bung ver­lo­re­ne Feder­kraft, bedingt aus einem kür­ze­ren Vor­fuß­he­bel, muss mit einer Auf­rich­tung der J‑Feder kom­pen­siert werden.

Dem gegen­über steht jedoch die not­wen­di­ge Über­län­ge der unge­stauch­ten Car­bon­fe­der von ca. 5 cm (Abb. 4), womit ein zu star­kes Ein­sin­ken im Anfangs­kon­takt des Lauf­zy­klus ver­hin­dert wird. Wäre dies nicht der Fall, müss­te das gesun­de Bein die Höhen­dif­fe­renz des Hüft­ni­veaus aus­glei­chen, was dau­er­haft zu einer unphy­sio­lo­gi­schen Über­be­las­tung füh­ren wür­de. Die Über­län­ge der Feder defi­niert sich aus dem Anwen­dungs­pro­fil des Sportlers.

Die Stel­lung der J‑Feder im Raum beein­flusst den Här­te- bzw. Weich­heits­grad: Je fla­cher die Feder steht, umso wei­cher und fle­xi­bler erscheint sie. Ent­spre­chend emp­fin­det der Nut­zer die Wir­kung der Feder umso stei­fer, je senk­rech­ter sie steht. Die jewei­li­ge Posi­ti­on der Sport­fe­der wirkt sich dem­entspre­chend auf die Kraft­einbzw. ‑aus­lei­tung aus. Die schluss­end­li­che Stel­lung muss in enger Zusam­men­ar­beit und ins­be­son­de­re nach Emp­fin­den des Anwen­ders, abhän­gig von sei­ner Kon­di­tio­nie­rung, über einen län­ge­ren Erpro­bungs­zeit­raum fest­ge­legt wer­den (Abb. 5).

Nach­dem durch die Test­ver­sor­gung die für die Pati­en­tin opti­ma­le Stel­lung der Car­bon­fe­der in Phy­sio­lo­gie und Dyna­mik im Kon­text des Orthop­ro­the­sen­auf­baus ermit­telt wur­de, erfolg­te eine Stel­lungs­über­tra­gung für die Defi­ni­tiv-Ver­sor­gung. Aller­dings trägt der ver­wen­de­te Pro­be­ad­ap­ter nach dor­sal ca. 3 cm auf. Daher muss­te beim Defi­ni­tiv­auf­bau die Feder wie­der auf hori­zon­ta­ler Ebe­ne nach ven­tral ver­scho­ben wer­den, um so nah wie mög­lich am Orthop­ro­the­sen­schaft posi­tio­niert wer­den zu kön­nen (Abb. 6).

Die oben beschrie­be­ne Pro­blem­stel­lung der ein­ge­schränk­ten Knief­le­xi­on tritt hier erneut in Erschei­nung. Eine Ver­schie­bung der Feder nach ven­tral muss mit einer im Ver­hält­nis ste­hen­den Stei­ler­stel­lung kom­pen­siert wer­den. Mit Hil­fe des L.A.S.A.R. Pos­tu­re wur­de abschlie­ßend die Fein­jus­tie­rung der Feder­stel­lung vor­ge­nom­men und der Lot­auf­bau der Ver­sor­gung über­prüft (Abb. 7).

Fazit

Eine ver­gleich­ba­re sport­or­thop­ro­the­ti­sche Ver­sor­gung für eine Borggre­ve-Umkehr­plas­tik ist nicht für jeden Pati­en­ten geeig­net. Die sta­bi­li­sie­ren­den mus­ku­lä­ren und band­haf­ten Vor­aus­set­zun­gen in Hüft- und Knie­ge­lenk (bzw. Knö­chel­ge­lenk) müs­sen gege­ben sein.

Der Tech­ni­ker steht beim Auf­bau vor fol­gen­den Her­aus­for­de­run­gen: Die Stel­lung des ver­än­der­ten Knö­chel­ge­len­kes als Knie ist für die beim Sport auf­tre­ten­den Kräf­te ana­to­misch nicht aus­ge­legt. Eine kor­rek­te Fuß­bet­tung und Sta­bi­li­sie­rung bil­den die Basis der sport­or­thop­ro­the­ti­schen Ver­sor­gung. Über­dies muss die opti­ma­le Feder­po­si­ti­on ermit­telt wer­den, die den Schnitt­punkt zwi­schen Phy­sio­lo­gie und Dyna­mik ver­eint und eben die­se Posi­ti­on mit der vor­ge­ge­be­nen Orthop­ro­the­sen­si­tua­ti­on in Ein­klang bringt.

In dem hier beschrie­be­nen Fall waren alle not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen gege­ben, um ein posi­ti­ves End­ergeb­nis zu erzie­len (Abb. 8). Um die­se fili­gra­nen Ein­stel­lun­gen vor­neh­men zu kön­nen, bedarf es eines gro­ßen Erfah­rungs­schat­zes in der Biomechanik.

Dank­sa­gung

An die­ser Stel­le bedan­ke ich mich ganz herz­lich bei mei­nem Kol­le­gen Mar­cus Stimpf­ig für sei­ne Unterstützung.

Die Autorin:
Mona Sei­fert
Dipl.-Orthopädietechnikermeisterin
Sei­fert Tech­ni­sche Ortho­pä­die GmbH
Tul­pen­baum­al­lee 2a
79189 Bad Krozingen
m.seifert@seifert-to.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Sei­fert M. Sport-Orthop­ro­the­tik – Ver­sor­gung mit einer Borggre­ve-Umkehr­plas­tik. Ortho­pä­die Tech­nik, 2015; 66 (8): 25–27
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