„Smart Fall“: Ent­wick­lung eines Sys­tems zur Sturz- und Akti­vi­tä­ten­er­ken­nung im Smart Home

M. König, H.-J. Lakomek, A. Pörtner, D. Sprute
Das Projekt „Smart Fall“ beschäftigt sich mit einem kostengünstigen System zur Erkennung von Aktivitäten und Stürzen älterer Menschen und der Einbindung des Systems in einen Smart-Home-Kontext. Das entwickelte System umfasst zwei wesentliche Komponenten: Ein sogenanntes Wearable dient als Sensorik zur Erkennung von Stürzen und Aktivitäten einer Person, während eine Empfangskomponente zur Kopplung an das Smart Home dient. Beide Komponenten kommunizieren funkbasiert miteinander. Die Erkennung von Stürzen und eine damit verbundene Alarmierung im Notfall betrifft insbesondere ältere Menschen, die sich möglicherweise nach einem Sturz nicht mehr selbst helfen können. Das Thema hat ebenfalls eine starke Relevanz für Menschen in häuslicher Pflege und in Pflegeeinrichtungen.

Ein­lei­tung

Durch die fort­schrei­ten­de Alte­rung der gebur­ten­star­ken Jahr­gän­ge und die all­ge­mein stei­gen­de Lebens­er­war­tung der Men­schen wächst der Anteil der älte­ren Men­schen in Deutsch­land über­pro­por­tio­nal, was im Resul­tat zu gro­ßen gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen führt. Der Bedarf an medi­zi­ni­scher und pfle­ge­ri­scher Ver­sor­gung im Alter wird mit ent­spre­chen­den sozio­öko­no­mi­schen Anfor­de­run­gen an die Gesell­schaft wei­ter zuneh­men. Die Kon­se­quenz ist eine zukünf­tig wei­ter stei­gen­de Rele­vanz der Ermitt­lung des Indi­vi­du­al­be­darfs an Pfle­ge und medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung, um mit klu­gen Ent­schei­dun­gen die Selbst­hil­fe­fä­hig­keit, Mobi­li­tät, sozia­le Par­ti­zi­pa­ti­on und Lebens­qua­li­tät der älte­ren Men­schen bei sach­ge­rech­tem Res­sour­cen­ein­satz zu sichern. Alters­as­so­zi­ier­te Erkran­kun­gen wie z. B. die Osteo­po­ro­se mit dem hier­mit ver­knüpf­ten Frak­tur­ri­si­ko wer­den an Bedeu­tung noch gewinnen.

Anzei­ge

Die Fol­gen eines Stur­zes für den ger­ia­tri­schen Patienten

Had­ji et al. 1 konn­ten auf der Basis einer epi­de­mio­lo­gi­schen Unter­su­chung zur Osteo­po­ro­se von 2006 bis 2009 zei­gen, dass in Deutsch­land 6,3 Mio. Men­schen mit Osteo­po­ro­se leben, 885.000 Osteo­po­ro­se-Pati­en­ten jähr­lich neu dia­gnos­ti­ziert wer­den und mehr als die Hälf­te der Betrof­fe­nen inner­halb von 4 Jah­ren min­des­tens eine durch Osteo­po­ro­se beding­te Frak­tur erlei­det (auch sturz­be­dingt). Stür­ze stel­len damit ein bedeu­ten­des Gesund­heits­pro­blem in einer altern­den Gesell­schaft dar und belas­ten das Gesund­heits­sys­tem stark, z. B. durch sta­tio­nä­re Kran­ken­haus­auf­ent­hal­te. Der Bericht der WHO zur Sturz­prä­ven­ti­on im Alter nennt eini­ge alar­mie­ren­de Fak­ten im Zusam­men­hang mit Stür­zen 2:

  • 28 bis 35 % der Men­schen über 65 Jah­ren stür­zen jedes Jahr (stei­gen­de Quo­te mit zuneh­men­dem Alter);
  • Stür­ze sind der Grund für 10 bis 15 % aller Notaufnahmebesuche;
  • Stür­ze sind der Grund für über 50 % der ver­let­zungs­be­ding­ten Kran­ken­haus­auf­ent­hal­te bei Men­schen mit einem Alter über 65 Jahren;
  • ein durch einen Sturz ver­ur­sach­ter Kran­ken­haus­auf­ent­halt dau­ert­län ger als bei ande­ren Verletzungen;
  • 40 % aller ver­let­zungs­be­ding­ten Todes­ur­sa­chen sind auf Stür­ze zurückzuführen.

Die Risi­ken von Stür­zen sind somit in Bezug auf eine altern­de Bevöl­ke­rung ein The­ma mit einem bedeu­ten­den Stel­len­wert. Stu­di­en für das Jahr 1994 leg­ten bereits hohe öko­no­mi­sche Fol­gen von bis zu 7.399 US-Dol­lar pro ver­letz­ter Per­son nahe, und Pro­jek­tio­nen las­sen auf eine Stei­ge­rung der Kos­ten bis zum Jahr 2020 um wei­te­re 60 % schlie­ßen 3. Schnel­le Hil­fe kann im Fall eines Stur­zes eine ent­schei­den­de Rol­le spielen.

Stand der Technik

Es ist somit nicht ver­wun­der­lich, dass die Erken­nung von Stür­zen ein Gebiet inten­si­ver For­schung ist. Der­zeit basie­ren die wesent­li­chen For­schungs­rich­tun­gen auf Kon­text­wahr­neh­mung (z. B. über Kame­ras 4) oder Iner­ti­al­sen­so­ren 567. Dabei spie­len neu­er­dings Smart­phone-Appli­ka­tio­nen (soge­nann­te Apps), die die Iner­ti­al­sen­so­ren der Gerä­te nut­zen, eine zuneh­men­de Rol­le 89. Die tech­ni­schen Her­aus­for­de­run­gen an eine der­ar­ti­ge Platt­form zur Erken­nung von Stür­zen sind neben dem Algo­rith­mus zur Aus­wer­tung der Sen­sor­da­ten ihre Ener­gie­ef­fi­zi­enz, eine Funk­schnitt­stel­le und eine Ein- bzw. Anbin­dung an ein Fern­alarm­sys­tem 1011.

In den intel­li­gen­ten Wohn­um­ge­bun­gen der Zukunft, den soge­nann­ten Smart Homes, spielt die Inte­gra­ti­on der genann­ten Sys­te­me eine signi­fi­kan­te Rol­le 12. Ein Trend geht hier­bei in Rich­tung leicht­ge­wich­ti­ger Lösun­gen, da die­se im Kon­text einer ein­fa­chen Instal­la­ti­on deut­li­che Vor­tei­le bie­ten 13.

Pro­jekt­zie­le

Das Pro­jekt „Smart Fall“ ver­folg­te und erreich­te als Zie­le die Ent­wick­lung eines pro­to­ty­pi­schen Sys­tems zur Sturz­er­ken­nung 14 und einer Metho­de zur auto­ma­ti­schen Aus­wer­tung von Bewe­gungs­da­ten zur Erken­nung mensch­li­cher Akti­vi­tä­ten 15. Das Sys­tem weist dabei ein soge­nann­tes Weara­ble zur Bewe­gungs­aus­wer­tung und eine Smart-Home-Schnitt­stel­le auf, wobei bei­de Sys­tem­kom­po­nen­ten über ein Funk­pro­to­koll mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren. Bei einem Weara­ble han­delt es sich um einen klei­nen Mikro­com­pu­ter, der häu­fig mit Sen­so­ren bzw. Akto­ren aus­ge­stat­tet ist („Ein­ge­bet­te­tes Sys­tem“). Wei­te­res Pro­jekt­ziel war eine Eva­lu­ie­rung von Algo­rith­men zur Sturz- und Akti­vi­tä­ten­er­ken­nung hin­sicht­lich Tref­fer­quo­te und Genauigkeit.

Im Rah­men des Pro­jekts wur­de somit ein pro­to­ty­pi­sches Sys­tem zur Erken­nung von Stür­zen eines Men­schen in einer Smart-Home-Umge­bung ent­wi­ckelt. Bei der Ent­wick­lung des Sys­tems waren eini­ge wich­ti­ge Anfor­de­run­gen zu berück­sich­ti­gen, um eine hohe Akzep­tanz bei den Anwen­dern zu gewähr­leis­ten: Bezahl­bar­keit, Bedie­nungs­freund­lich­keit (z. B. Unauf­dring­lich­keit), All­tags­taug­lich­keit (z. B. Ener­gie­ef­fi­zi­enz, Kon­nek­ti­vi­tät) und Vertraulichkeit.

Ein Schwer­punkt war die Ent­wick­lung einer kos­ten­güns­ti­gen und bedie­nungs­freund­li­chen Lösung. Ins­be­son­de­re für eine mög­li­che Markt­ein­füh­rung des beschrie­be­nen Sys­tems eig­net sich eine aus Anwen­der­sicht (also aus Sicht der sturz­ge­fähr­de­ten Per­so­nen) güns­ti­ge und ein­fach zu bedie­nen­de Lösung bes­ser als eine hoch­spe­zia­li­sier­te tech­ni­sche Umset­zung; ent­spre­chen­de Wege fin­det man der­zeit auch bei Smart-Home-Umset­zun­gen. Um das Vor­ha­ben durch­zu­füh­ren, wur­de daher pri­mär auf die Ver­wen­dung preis­güns­ti­ger Elek­tronik­kom­po­nen­ten und die Ent­wick­lung einer Soft­ware gesetzt. Wei­ter­hin muss das Sys­tem, ins­be­son­de­re das Weara­ble, unauf­dring­lich sein, d. h., das Tra­gen des Weara­bles darf sich nur mini­mal auf den Nut­zer auswirken.

Um All­tags­taug­lich­keit zu erzie­len, ist eine hohe Ver­füg­bar­keit not­wen­dig. Ins­be­son­de­re das Weara­ble muss daher sehr ener­gie­spar­sam arbei­ten, um Aus­fall­zei­ten wegen lee­rer Ener­gie­spei­cher oder auf­grund von Lade­zy­klen bzw. eines Bat­te­rie­wech­sels zu mini­mie­ren. Zudem ist sicher­zu­stel­len, dass durch­ge­hend eine sta­bi­le und siche­re Funk­ver­bin­dung zwi­schen Weara­ble und Smart Home besteht. Wei­ter­hin ist natür­lich Robust­heit gegen Stö­ße zu gewährleisten.

Sys­te­me mit Moni­to­ring- und Assis­tenz­funk­tio­nen befin­den sich gene­rell im Kon­flikt­feld „Pri­vat­sphä­re und Sicher­heit“. Ein fort­wäh­ren­des Moni­to­ring wird von Per­son zu Per­son indi­vi­du­ell ver­schie­den wahr­ge­nom­men: Die eine Per­son nimmt es posi­tiv auf, da hier­durch ein Gefühl der Sicher­heit erzeugt wird, dass bei einem Sturz schnell Hil­fe geru­fen wird. Eine ande­re Per­son reagiert nega­tiv dar­auf, da sie sich dadurch dau­er­haft über­wacht fühlt. Die­sem psy­cho­lo­gi­schen Fak­tor muss tech­nisch durch Schutz der Ver­trau­lich­keit Rech­nung getra­gen werden.

Ent­wi­ckel­ter Pro­to­typ im Pro­jekt „Smart Fall“

Das Weara­ble wird am Gür­tel des Benut­zers befes­tigt, wäh­rend die Smart-Home-Kom­po­nen­te ein klei­nes ein­ge­bet­te­tes Sys­tem ist, das an die Gebäu­de­au­to­ma­ti­on gekop­pelt ist (Abb. 1). Neben der Erken­nung von Stür­zen ist auch die Detek­ti­on von Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens (ATL), z. B. Ruhen und Schla­fen oder Bewe­gung, rele­vant, da hier­durch die Sen­si­ti­vi­tät des Sys­tems gegen­über Stür­zen mit­tels einer geeig­ne­ten Vor­fil­te­rung der Akti­vi­tä­ten ver­bes­sert wer­den kann. Um die Umge­bung adäquat ein­zu­bin­den, müs­sen die­se Daten an die Smart-Home-Kom­po­nen­te über­mit­telt wer­den. Die­se Kom­mu­ni­ka­ti­on wird per Funk (genau­er: „Blue­tooth Low Ener­gy“) rea­li­siert, wobei ein Fokus auf der ener­gie­ef­fi­zi­en­ten Über­tra­gung liegt. Zur Erken­nung mensch­li­cher Akti­vi­tä­ten wer­den die Beschleu­ni­gungs­da­ten des am Gür­tel befes­tig­ten Weara­bles herangezogen.

Abbil­dung 2 zeigt exem­pla­risch Beschleu­ni­gungs­da­ten für die ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten. Jedes ein­zel­ne Dia­gramm visua­li­siert die Beschleu­ni­gung ent­lang der drei Ach­sen im Raum (x = blau, y = rot, z = gelb) sowie die kom­bi­nier­te Beschleu­ni­gung ent­lang aller Ach­sen (vio­lett). Es wird deut­lich, dass es sowohl sta­ti­sche (Lie­gen, Stehen/Sitzen) als auch dyna­mi­sche (Gehen, Trep­pe herauf/herunter) Akti­vi­tä­ten gibt. Ein beson­de­rer Fall ist dabei die Sturz-Akti­vi­tät, die sich aus meh­re­ren ver­schie­de­nen Pha­sen zusam­men­setzt. Der ers­te Indi­ka­tor für einen Sturz ist der (freie) Fall, sodass sich die Beschleu­ni­gung einem Wert von 0 g annä­hert. Dem Fall folgt ein star­ker Auf­prall auf dem Boden, der sich durch eine kom­bi­nier­te Beschleu­ni­gung von oft­mals mehr als 5 g kennt­lich macht. Danach schwankt die Beschleu­ni­gung für einen kur­zen Zeit­raum, bevor sich eine sta­bi­le Pha­se ein­stellt. Die­se ist dadurch cha­rak­te­ri­siert, dass die Lage des Sen­sors, die sich aus den drei­ach­si­gen Beschleu­ni­gungs­wer­ten errech­nen lässt, hori­zon­tal ist – die Per­son also liegt.

Um die­se ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten auto­ma­tisch zu unter­schei­den, wer­den die Beschleu­ni­gungs­da­ten mit­tels Metho­den des maschi­nel­len Ler­nens ana­ly­siert. Ein beson­de­rer Fokus die­ses Pro­jekt­vor­ha­bens liegt auf der Por­tie­rung der Algo­rith­men des maschi­nel­len Ler­nens auf das Weara­ble. Sol­che Algo­rith­men zeich­nen sich oft­mals durch eine hohe Kom­ple­xi­tät aus und benö­ti­gen für ihre Anwen­dung eine gro­ße Rechen­leis­tung. Das Weara­ble steht auf­grund sei­ner Aus­stat­tung, bei­spiels­wei­se des klei­nen Rechen­pro­zes­sors und der damit ver­bun­de­nen Anfor­de­run­gen an einen gerin­gen Ener­gie­be­darf, im kla­ren Gegen­satz zur Kom­ple­xi­tät eini­ger Algo­rith­men. Daher wur­den ver­schie­de­ne Algo­rith­men und Merk­ma­le zur Beschrei­bung der unter­schied­li­chen Akti­vi­tä­ten eva­lu­iert und anschlie­ßend lokal auf dem Weara­ble imple­men­tiert. Die­ses Vor­ge­hen hat den Vor­teil, dass kei­ne Daten zur Aus­wer­tung an einen ande­ren Com­pu­ter bzw. in die „Cloud“ über­mit­telt wer­den müs­sen, was den Aspekt der Pri­vat­sphä­re und Ver­trau­lich­keit der Daten unter­stützt sowie den Ener­gie­ver­brauch des Sys­tems auf­grund der nicht benö­tig­ten per­ma­nen­ten Ver­bin­dung minimiert.

Auf­ga­ben der Smart-Home-Kom­po­nen­te sind der Emp­fang von Mit­tei­lun­gen des Weara­bles und die Anbin­dung und Nut­zung von Funk­tio­nen der intel­li­gen­ten Umge­bung. Die­se Funk­tio­nen sind bei­spiels­wei­se die Bestim­mung der Posi­ti­on des Weara­bles und damit einer gege­be­nen­falls gestürz­ten Per­son im Gebäu­de 16 sowie die Fil­te­rung von Akti­vi­tä­ten und die Anwen­dung von Regeln bei einer emp­fan­ge­nen Mit­tei­lung. Dadurch wird in ers­ter Linie eine schnel­le Hil­fe bei einem Sturz erreicht, indem eine Per­son zur Ret­tung geru­fen und mit­tels des Gebäu­des zum Sturz gelei­tet wer­den kann. Die Smart-Home-Kom­po­nen­te regelt zudem die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit einer mög­li­chen Gebäu­de­au­to­ma­ti­on, um gege­be­nen­falls Fens­ter zu öff­nen, Lich­ter zu akti­vie­ren bzw. zu deak­ti­vie­ren oder Ther­mo­sta­te zu regeln. Abbil­dung 3 stellt das Sze­na­rio sche­ma­tisch dar. Somit gehen die Mög­lich­kei­ten des Sys­tems über die zu erzie­len­de schnel­le Hil­fe (Sicher­heit) hin­aus, indem auch Ein­fluss auf das Wohl­füh­len der Per­so­nen und deren Kom­fort erfol­gen kann. Als zukünf­ti­ge Erwei­te­rungs­mög­lich­kei­ten sind eine wei­ter­ge­hen­de Auto­ma­ti­sie­rung des Gebäu­des sowie eine zusätz­li­che Unter­stüt­zung durch Ser­vice­ro­bo­ter denkbar.

Aus­wer­tung

Bis­her wur­de die Sturz- und Akti­vi­tä­ten­er­ken­nung zum einen mit­tels Kreuz­va­li­die­rung und zum ande­ren in einem 5‑minütigen Live-Test mit einer Per­son eva­lu­iert. Die 10-fache Kreuz­va­li­die­rung basiert auf einem selbst auf­ge­nom­me­nen Trai­nings­da­ten­satz, der aus etwa 600 Trai­nings­bei­spie­len und deren dazu­ge­hö­ri­gen Akti­vi­tä­ten besteht. Der Daten­satz ist aus­ba­lan­ciert, sodass jede der sechs ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten glei­cher­ma­ßen im Daten­satz ver­tre­ten ist. Die Ergeb­nis­se der Kreuz­va­li­die­rung sind in Abbil­dung 4 als Kon­fu­si­ons­ma­trix dar­ge­stellt. Hier­bei gibt jede Zei­le die tat­säch­li­che Akti­vi­tät und jede Spal­te die vom Algo­rith­mus erkann­te Akti­vi­tät an. Die Zel­len auf der Haupt­dia­go­na­len stel­len somit die Über­ein­stim­mung zwi­schen tat­säch­li­cher und erkann­ter Akti­vi­tät dar und wei­sen im Ide­al­fall einen hohen Wert auf. Im kon­kre­ten Fall des Stur­zes wird von 97 Stür­zen nur ein Sturz nicht erkannt und fälsch­li­cher­wei­se als „Trep­pe her­un­ter“ klas­si­fi­ziert. Dies ent­spricht einer Tref­fer­quo­te von 99,0 %. Zudem wer­den ande­re Akti­vi­tä­ten nicht fälsch­li­cher­wei­se als Sturz klas­si­fi­ziert, was einer Genau­ig­keit von 100 % gleich­kommt. Ins­ge­samt besitzt der Algo­rith­mus eine Tref­fer­quo­te und Genau­ig­keit von 96,4 %.

Der zuvor per Kreuz­va­li­die­rung aus­ge­wer­te­te Algo­rith­mus wur­de zusätz­lich in einem 5‑minütigen Live-Test mit einer gesun­den Per­son eva­lu­iert. Die Per­son wur­de ange­wie­sen, mög­lichst natür­lich die ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten in einem Zeit­raum von 5 Minu­ten aus­zu­füh­ren, wobei ein Sturz nur best­mög­lich simu­liert wer­den kann. Wäh­rend der Aus­füh­rung der Akti­vi­tä­ten trug die Per­son das ent­wi­ckel­te Weara­ble am Gür­tel an der Hüf­te und zeich­ne­te die aus­ge­ge­be­nen Akti­vi­tä­ten des Algo­rith­mus auf. Die­se wur­den im Anschluss mit den tat­säch­li­chen Akti­vi­tä­ten verglichen.

Die Ergeb­nis­se sind in Abbil­dung 5 gra­fisch dar­ge­stellt. Die rote Linie gibt die tat­säch­li­chen Akti­vi­tä­ten in Abhän­gig­keit vom zeit­li­chen Ver­lauf an, wäh­rend die blau­en Stie­le die vom Algo­rith­mus aus­ge­ge­be­nen Akti­vi­tä­ten ange­ben. Wenn die End­punk­te der blau­en Stie­le und die rote Linie über­ein­lie­gen, wur­de die Akti­vi­tät rich­tig erkannt. Dies erfolg­te in 83,3 % der Fäl­le. Die Akti­vi­tä­ten „Sturz“, „Trep­pe her­un­ter“, „Lie­gen“ und „Stehen/Sitzen“ wer­den zuver­läs­sig erkannt. Klei­ne­re Pro­ble­me gibt es bei der Unter­schei­dung der Akti­vi­tä­ten „Trep­pe her­auf“ und „Gehen“, da sich die­se stark ähneln, was auch in Abbil­dung 2 zu erken­nen ist. Ein Opti­mie­rungs­an­satz besteht in der zusätz­li­chen Ein­be­zie­hung wei­te­rer Sen­so­rik, um bei­spiels­wei­se den Höhen­un­ter­schied beim Trep­pen­stei­gen zu erfassen.

Aus­blick

Das in die­sem Pro­jekt ent­wi­ckel­te Sys­tem zur Erken­nung von Stür­zen und Akti­vi­tä­ten zeigt bereits die diver­sen Mög­lich­kei­ten im nicht­kli­ni­schen All­tags­ein­satz auf. Dar­über hin­aus ist auch ein Ein­satz im kli­ni­schen Umfeld, bei­spiels­wei­se zur Mobi­li­täts­kom­pe­tenz­ana­ly­se ger­ia­tri­scher Pati­en­ten, denk­bar. Der­zei­ti­ge Dia­gno­se­ver­fah­ren sind häu­fig qua­li­ta­ti­ver Natur und somit sehr auf­wen­dig. Im Rah­men der Initia­ti­ve der Deut­schen Gesell­schaft für Inne­re Medi­zin (DGIM) „Klug ent­schei­den“ wur­den auch die Deut­sche Gesell­schaft für Ger­ia­trie (DGG) und die Deut­sche Gesell­schaft für Geron­to­lo­gie und Ger­ia­trie (DGGG) gebe­ten, gemein­sam fünf Emp­feh­lun­gen für die Über- und Unter­ver­sor­gung in Deutsch­land zu benen­nen. Bei vier der fünf Posi­tiv-Emp­feh­lun­gen steht auch das Sturz­ri­si­ko direkt oder indi­rekt im Fokus 17:

  1. Ent­schei­dun­gen über dia­gnos­ti­sche und the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men im höhe­ren Lebens­al­ter sol­len an ein Funk­ti­ons­as­sess­ment und nicht an das kalen­da­ri­sche Alter gekop­pelt werden.
  2. Stür­ze und Sturz­ri­si­ko im höhe­ren Lebens­al­ter sol­len dia­gnos­tisch und inter­ven­tio­nell Beachtung
    finden.
  3. Man­gel­er­näh­rung bei ger­ia­tri­schen Pati­en­ten soll dia­gnos­tisch und inter­ven­tio­nell Beach­tung finden.
  4. Osteo­po­ro­se als Erkran­kung des höhe­ren Lebens­al­ters soll­te dia­gnos­ti­ziert und behan­delt werden.

Posi­tiv-Emp­feh­lung 1 fin­det über die Erhe­bung von Funk­ti­ons­as­sess­ments eine brei­te Berück­sich­ti­gung sowohl in der Erfas­sung der Mobi­li­tät als auch des Sturz­ri­si­kos beim älte­ren Men­schen. Das Geh­ver­mö­gen bzw. die Geh­ge­schwin­dig­keit älte­rer Men­schen weist auf den Grad der (Im-)Mobilität hin und stellt zudem einen Indi­ka­tor dar, wie hoch die Sturz­ge­fahr und das Risi­ko einer frak­tur­be­ding­ten Pfle­ge­be­dürf­tig­keit sind 18. So füh­ren auch Stu­den­ski et al. 19 aus, dass eine Gang­ge­schwin­dig­keit von 0,8 m/s im Alter von 75 Jah­ren mit einer mitt­le­ren Lebens­er­war­tung kor­re­liert, wäh­rend eine Gang­ge­schwin­dig­keit von 1,0 m/s und mehr als Zei­chen einer über­durch­schnitt­li­chen Lebens­er­war­tung ange­se­hen wer­den kann. In einer zwei­ten Arbeit berich­tet die glei­che Arbeits­grup­pe, dass der oft ein­ge­setz­te Timed-up-and-go-Test (TUG) – Assess­ment für Sturz und Sturz­ri­si­ko – im Ver­gleich zur frei gewähl­ten Gang­ge­schwin­dig­keit als Assess­ment hin­sicht­lich der Vor­her­sa­ge­kraft für Stür­ze, all­ge­mei­ne Gesund­heit oder Abnah­me der ATL-Fähig­kei­ten gleich­wer­tig war 20. Eine Wei­ter­ent­wick­lung des vor­ge­stell­ten Weara­bles für die Durch­füh­rung sol­cher Assess­ments ist geplant.

Hin­sicht­lich Posi­tiv-Emp­feh­lung 2 der ger­ia­tri­schen Fach­ge­sell­schaf­ten in Deutsch­land wird der Ein­satz von Weara­bles zukünf­tig nicht nur die Mini­mie­rung von Sturz­ri­si­ken, son­dern auch die Früh­erken­nung von Stür­zen bei allein­le­ben­den Men­schen bewirken.

Posi­tiv-Emp­feh­lung 3 nimmt Bezug auf das erhöh­te Risi­ko der Man­gel­er­näh­rung im Alter mit dar­aus resul­tie­ren­der Sar­ko­pe­nie und Frail­ty, wor­aus häu­fig Stür­ze resul­tie­ren. Die Mobi­li­tät der Älte­ren wird zudem bei Abnah­me der Kogni­ti­on ein­ge­schränkt. So zei­gen kogni­tiv ein­ge­schränk­te Per­so­nen eine nied­ri­ge­re frei gewähl­te Gang­ge­schwin­dig­keit im Ver­gleich zu kogni­tiv Gesun­den 21. Mit der zukünf­ti­gen Ver­wen­dung von Weara­bles bei sturz­ge­fähr­de­ten ger­ia­tri­schen Pati­en­ten könn­te zudem erkannt wer­den, inwie­weit die Tages­zeit, die Umge­bung und auch die All­tags­si­tua­ti­on zusätz­lich Risi­ken für ein Sturz­er­eig­nis dar­stel­len, wor­aus sich viel­fäl­ti­ge Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men für den Pati­en­ten ablei­ten ließen.

Posi­tiv-Emp­feh­lung 4 weist auf die Wich­tig­keit der Erfas­sung und sach­ge­rech­ten Behand­lung der Osteo­po­ro­se-Krank­heit hin. Tech­ni­sche Lösun­gen wie die kon­ti­nu­ier­li­che Über­wa­chung von Sturz­ri­si­ko und Stür­zen bei betrof­fe­nen Pati­en­ten könn­ten zukünf­tig die Pro­gno­se bei Osteo­po­ro­se deut­lich verbessern.

Für die Autoren:
Prof. Dr. Dr.-Ing. Mat­thi­as König
Embedded Soft­ware Engineering
Fach­hoch­schu­le Bielefeld,
Cam­pus Minden
Artil­le­rie­stra­ße 9
32427 Min­den
matthias.koenig@fh-bielefeld.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
König M, Lako­mek H‑J, Pört­ner A, Spru­te D. „Smart Fall“: Ent­wick­lung eines Sys­tems zur Sturz- und Akti­vi­tä­ten­er­ken­nung im Smart Home. Ortho­pä­die Tech­nik, 2017; 68 (9): 30–35
  1. Had­ji P, Klein S, Gothe H, Häuss­ler B, Kless T, Schmidt T, Stein­le T, Ver­he­yen F, Lin­der R. The Epi­de­mio­lo­gy of osteo­po­ro­sis – Bone Eva­lua­ti­on Stu­dy (BEST). Dtsch Ärz­tebl Int, 2013; 110 (4): 52–57
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