Schu­lung im Umgang mit ­Exo­pro­the­sen­pass­tei­len an der obe­ren Extre­mi­tät (Arm­pro­the­sen)

A. Fürst, H.-P. Baumgärtler
Nach einer Amputation ist vor allem die Selbstständigkeit von Betroffenen sehr eingeschränkt. In allen Bereichen gibt es erhebliche Einschränkungen, seien es die Aktivitäten des täglichen Lebens, Hobbys oder berufliche Tätigkeiten. Trotz des hohen technischen Fortschritts gibt es keine Prothese, welche die menschliche Hand in allen Belangen ersetzen kann. Im Gegenteil: Aufgrund der fehlenden sensorischen Rückmeldung bleibt eine Prothese bis auf Weiteres nur eine Hilfshand. Somit gibt es auch nicht die eine Prothese, die für jeden Betroffenen geeignet ist. Es ist ein umfangreiches, standardisiertes, aber individuell anpassbares Prothesentraining notwendig, um das Maximum aus der für den Klienten geeigneten Prothesenversorgung herauszuholen. Bei der Entscheidung, welche die geeignete Prothese für den Betroffenen ist, bedarf es einer genauen Betrachtung seiner Voraussetzungen, Anforderungen und Wünsche. Dabei müssen die Bereiche des ICF (Funktion, Aktivität und Teilhabe) vollständig abgedeckt und berücksichtigt werden. Ein besagtes Prothesentraining wird nicht nur zu einer besseren Funktionalität, sprich einem besseren Verständnis der Technik und deren Handhabung führen. Auch die Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens sowie die Teilhabe im sozialen und beruflichen Umfeld werden erheblich verbessert.

Ein­lei­tung

Der unwi­der­ruf­li­che Ver­lust der kör­per­li­chen Unver­sehrt­heit, wie sie durch eine Hand- oder Arm­am­pu­ta­ti­on geschieht, stellt Betrof­fe­ne lebens­lang vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen. Die Ein­schrän­kun­gen, die sich aus einer Ampu­ta­ti­on erge­ben, zei­gen sich den Kli­en­ten in allen Lebens­be­rei­chen. Unge­ach­tet des Aus­ma­ßes einer Ampu­ta­ti­on sind das Kör­per­er­le­ben und die Funk­ti­on der betrof­fe­nen Extre­mi­tät ver­än­dert. Was zur Fol­ge hat, dass die Selbst­stän­dig­keit und auch der Selbst­wert gefähr­det sind.

Bei Kli­en­ten mit feh­len­den Glied­ma­ßen, ins­be­son­de­re an der obe­ren Extre­mi­tät, lässt sich das im Grund­ge­setz (Art. 3 GG) ver­an­ker­te Recht auf Teil­ha­be häu­fig nicht unge­hin­dert umset­zen. Das Sozi­al­ge­setz sieht hier einen best­mög­li­chen Aus­gleich der Behin­de­rung vor. Bei der Ver­sor­gung mit Exo­pro­the­sen an der obe­ren Extre­mi­tät ist es Stand der Tech­nik, Kli­en­ten mög­lichst mit myo­elek­tri­schen Pro­the­sen­pass­tei­len zu ver­sor­gen. Mit dem Bau­prin­zip der Myo­elek­trik in Kom­bi­na­ti­on mit 5 beweg­lich kon­stru­ier­ten Fin­gern kön­nen moder­ne Hand- und Arm­pro­the­sen für eine Viel­zahl ein­zel­ner Bewe­gun­gen ange­steu­ert wer­den. Aus die­ser Viel­zahl von Mög­lich­kei­ten ist es nun mög­lich, eine indi­vi­du­el­le Aus­wahl an nutz­ba­ren Grif­fen für die Kli­en­ten ein­zu­stel­len, damit sie durch die­se ihren All­tag bes­ser bewäl­ti­gen kön­nen. Die Kom­ple­xi­tät der Ansteue­rungs­mög­lich­kei­ten for­dert von den Nut­zern tech­ni­sches Ver­ständ­nis und die Fer­tig­keit, mit der ver­blie­be­nen Mus­ku­la­tur unter­schied­li­che Signa­le zur Ansteue­rung der Pro­the­se zu pro­du­zie­ren. Zum Erler­nen der Ansteue­run­gen und damit zur Umset­zung einer siche­ren Nut­zung der Pro­the­se sind die Kli­en­ten auf ein inter­dis­zi­pli­nä­res Ver­sor­gungs­team, vor allem Ortho­pä­die­tech­ni­ker und The­ra­peu­ten, angewiesen.

Wie tief­grei­fend die Beein­träch­ti­gung der Lebens­si­tua­ti­on durch eine Ampu­ta­ti­on ist, wird in Äuße­run­gen von Kli­en­ten sicht­bar: „… das war ein ziem­li­cher Schock – ist das wirk­lich pas­siert oder ist das nur ein Traum? Ich kann mei­ne Arbeit nicht mehr machen, ich brauch im All­tag bei allem Mög­li­chen Hil­fe. Ich will zumin­dest mei­nen All­tag wie­der nor­mal machen kön­nen und kein drit­tes Kind für mei­ne Frau sein.“ Dies berich­te­te ein Betrof­fe­ner beim ers­ten Kon­takt im Anamnesegespräch.

Der Wunsch, ein ver­lo­ren gegan­ge­nes Kör­per­teil zu erset­zen, scheint so alt zu sein wie die Ent­wick­lung des tech­ni­schen Fort­schritts. So wur­de in einem ägyp­ti­schen Grab der höl­zer­ne Ersatz eines Groß­zehs gefun­den1. Die Mumie wur­de auf die Zeit etwa 950 bis 700 vor Chris­tus datiert. Die ers­te Eigen­kraft­pro­the­se für eine Hand ent­wi­ckel­te der Ber­li­ner Zahn­arzt Peter Baliff um 1812 und könn­te damit als Vor­rei­ter der moder­nen Arm­pro­the­sen bezeich­net werden.

Die Anfor­de­run­gen an eine künst­li­che Extre­mi­tät waren wohl damals eben­so anspruchs­voll wie heu­te: Die Pro­the­se soll­te die ver­lo­ren gegan­ge­ne Funk­ti­on wie­der­her­stel­len. Mit moderns­ter Tech­nik kann eine Pro­the­se mitt­ler­wei­le so kon­stru­iert wer­den, dass sie, dass sie spe­zi­el­le Grif­fe aus­führt, dass z. B. eine Com­pu­ter­maus bedie­net wer­den kann. Die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten und die Anbin­dung an unse­ren Kör­per rei­chen jedoch noch nicht aus, um einen gesun­den, funk­tio­nie­ren­den Arm oder eine Hand zu ersetzen.

Ein gro­ßes Pro­blem stellt dabei die direk­te Rück­mel­dung aus der Pro­the­se an den Benut­zer dar. Das heißt, die gesam­te Sen­si­bi­li­tät und Pro­prio­zep­ti­on (zu den aktu­el­len Posi­tio­nen in den Gelen­ken, zum Kraft­ein­satz, zur Ober­flä­chen­be­rüh­rung) kann aus der Pro­the­se noch nicht an den Kör­per zurück­ge­mel­det wer­den. Jaku­bo­witz2 berich­tet davon, dass die aktu­el­len Feed­back­sys­te­me auf einer sen­so­ri­schen Sub­sti­tu­ti­on basie­ren und somit von einer wirk­lich­keits­na­hen Rück­kopp­lungs­kon­trol­le noch weit ent­fernt sind. Die­se Defi­zi­te müs­sen die Betrof­fe­nen beim Gebrauch einer Pro­the­se kom­pen­sie­ren. So ist es not­wen­dig, dass geziel­te Bewe­gun­gen immer mit Blick­kon­takt aus­ge­führt wer­den. Jede Bewe­gung benö­tigt eine auf­wän­di­ge Bewe­gungs­pla­nung für den Ein­satz der Pro­the­se im Alltag.

Wie auch Meine­cke-Alle­kot­te3 berich­tet, ist es für ein best­mög­li­ches Out­co­me unum­gäng­lich, die Kli­en­ten früh­zei­tig auf die Nut­zung einer Pro­the­se vor­zu­be­rei­ten und neu zu erler­nen­de Fähig­kei­ten zu trai­nie­ren. Hier spielt unter ande­rem die enge Zusam­men­ar­beit mit einem erfah­re­nen Ortho­pä­die­tech­ni­ker eine aus­schlag­ge­ben­de Rol­le. In enger Abstim­mung zwi­schen Ortho­pä­die­tech­nik und The­ra­pie kön­nen die Fein­ab­stim­mun­gen der Kom­po­nen­ten an der Pro­the­se und deren Ansteue­run­gen ent­spre­chend dem Mus­kel­po­ten­zi­al des Stump­fes vor­ge­nom­men werden.

Mitt­ler­wei­le sind auf dem Hilfs­mit­tel­markt eine Viel­zahl unter­schied­li­cher myo­elek­tri­scher Pro­the­sen erhält­lich. Jede Pro­the­se ver­folgt ein eige­nes Kon­struk­ti­ons­kon­zept. Die Berück­sich­ti­gung der indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se und Wün­sche zum Pro­the­sen­ge­brauch4 ist not­wen­dig, damit die geeig­ne­te Pro­the­se für den jewei­li­gen Betrof­fe­nen aus­ge­wählt wer­den kann. Um mit der eige­nen Pro­the­se best­mög­lich umge­hen zu kön­nen, ist es unum­gäng­lich, dass Pati­en­ten in der Bedie­nung und Anwen­dung inten­siv geschult wer­den. Je kom­ple­xer eine Pro­the­se kon­stru­iert ist, umso anspruchs­vol­ler gestal­ten sich die Bedie­nung und das Training.

Ein feh­len­des Pro­the­sen­trai­ning kann auch zur Ableh­nung des Kli­en­ten gegen­über der Pro­the­se füh­ren. Laut Biddiss et al. 5 ist die­se Ableh­nung ein kom­ple­xes The­ma und abhän­gig von per­sön­li­chen, kon­tex­tu­el­len und tech­ni­schen Fak­to­ren. Roes­ch­lein und Dom­holdt6 zei­gen, dass einer der Ableh­nungs­fak­to­ren ein feh­len­des Trai­ning nach einer Pro­the­sen­an­pas­sung ist. Drome­rick et al. 7 ergän­zen zudem, dass inten­si­ves Trai­ning zur Pro­the­sen­be­nut­zung die Leis­tun­gen der obe­ren Extre­mi­tät ver­bes­sert. Dies bedeu­tet, dass man die­ser Ableh­nung durch geziel­te The­ra­pie und inter­pro­fes­sio­nel­le Zusam­men­ar­beit ent­ge­gen­wir­ken kann und soll­te. Auch Weeks, Ander­son und Wal­lace8 emp­feh­len, so bald wie mög­lich nach der Ampu­ta­ti­on eine Pro­the­se anzu­pas­sen und mit dem Trai­ning zu beginnen.

Ein mög­lichst gutes Out­co­me für den Betrof­fe­nen ist mit bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen ver­bun­den. Neben einer abge­schlos­se­nen Nar­ben­hei­lung, einer guten Stumpf­sta­bi­li­tät und Stumpf­form sind auch das sozia­le Umfeld, eine not­wen­di­ge Medi­ka­ti­on sowie psy­chi­sche oder phy­si­sche Begleit­erkran­kun­gen zu beach­ten. Die Ein­bin­dung von ande­ren betrof­fe­nen Per­so­nen, soge­nann­ten Peers, kann einen sehr posi­ti­ven Effekt auf die Ver­ar­bei­tung und Akzep­tanz der Situa­ti­on haben.

Dem all­ge­mein hohen Kos­ten­druck fol­gend ver­kür­zen sich die Zei­ten des sta­tio­nä­ren Auf­ent­halts, wohin­ge­gen die Ver­let­zun­gen kom­ple­xer und die Pro­the­sen­be­die­nung kom­pli­zier­ter wer­den. Grif­ka und Kus­ter9 haben bereits 2011 dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Ent­schei­dun­gen, wel­che Pro­the­se für den Betrof­fe­nen am bes­ten ist, vom indi­vi­du­el­len Nut­zen für den Ampu­tier­ten abhän­gig gemacht wer­den. Die­sem indi­vi­du­el­len Nut­zen ist auch ein indi­vi­du­ell abge­stimm­tes Pro­the­sen­trai­ning gegen­über­zu­set­zen. Aus die­sem Grund war es uns ein Anlie­gen, ein effi­zi­en­tes Trai­ning zu kon­zi­pie­ren, das den ICF-Ansprü­chen genau­so ent­spricht wie den moder­nen medi­zi­nisch-reha­bi­li­ta­ti­ven Anforderungen.

Pro­the­sen­trai­ning

Die Behand­lung nach Ampu­ta­ti­on kann in 2 Pha­sen unter­teilt wer­den. Pha­se 1 ist das prä­pro­the­ti­sche Trai­ning. Pha­se 2, die Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung, beinhal­tet das Erler­nen der Grund­funk­tio­nen der Pro­the­se, das Anwen­den der Pro­the­se bei ein­zel­nen Akti­vi­tä­ten und ein Teilhabetraining.

Das prä­pro­the­ti­sche Trai­ning beinhaltet:

  • Nar­ben­be­hand­lung
  • Aus­ein­an­der­set­zung mit dem ver­än­der­ten Kör­per­bild bzw. dem bestehen­dem Phantomgefühl
  • Behand­lung von Phantomschmerzen
  • Behand­lung des Stumpfes
  • Ein­hän­der­trai­ning
  • Trai­ning der Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens (AdLs) – ohne Prothese
  • Myotestung/Myotraining

Um fest­zu­stel­len, wel­che Pro­the­sen­art indi­vi­du­ell anwend­bar ist und wel­ches Steue­rungs­sys­tem eine betrof­fe­ne Per­son umset­zen kann, wird bereits sehr früh eine Myo­tes­tung durch­ge­führt (Abb. 1). Unter Myo­tes­tung ver­steht man die gra­phi­sche Abbil­dung der vor­han­de­nen Mus­kel­po­ten­zia­le, die zur Steue­rung einer Pro­the­se ver­wen­det wer­den könn­ten. Mit die­ser soft­ware­un­ter­stütz­ten Dar­stel­lung kann den Pati­en­ten die Mus­kel­kon­trak­ti­on visua­li­siert wer­den. Mit der visu­el­len Rück­mel­dung ist es den Kli­en­ten mög­lich, Mus­keln selek­tiv anzu­steu­ern und so zu trai­nie­ren, dass die­se dau­er­haft repro­du­ziert wer­den kön­nen. Dies kann zum einen mit 2 EMG-Elek­tro­den zur Mus­kel­si­gnal­su­che durch­ge­führt wer­den. Sind die Mus­kel­si­gna­le so schwach, dass eine 2‑Elektrodensteuerung nicht mög­lich ist, kann zum ande­ren mit­hil­fe von „Elek­tro­den­man­schet­ten“ eine Eva­lua­ti­on für kom­ple­xe­re Steue­rungs­sys­te­me durch­ge­führt werden.

Die Myo­tes­tung wird in enger Zusam­men­ar­beit von Ergo­the­ra­pie und Ortho­pä­die­tech­nik durch­ge­führt. Die Ergeb­nis­se aus Myo­tes­tung, den Fähig­kei­ten des Pati­en­ten und dem Anfor­de­rungs­pro­fil (ICF-basiert: Kör­per­funk­ti­on, Teil­ha­be, Umwelt­fak­to­ren sowie per­so­nen­be­zo­ge­ne Fak­to­ren) (sie­he Kas­ten und Abb. 2) zur gewünsch­ten Pro­the­sen­nut­zung, stel­len die Grund­la­ge (Wei­chen­stel­lung) für eine pro­the­ti­sche Ver­sor­gung dar.

ICF: Klas­si­fi­ka­ti­on von Funk­ti­ons­fä­hig­keit, Behin­de­rung und Gesundheit
Die ICF (Inter­na­tio­nal Clas­si­fi­ca­ti­on of Func­tio­ning, Disa­bi­li­ty and Health der WHO) klas­si­fi­ziert im Unter­schied zur ICD (Inter­na­tio­nal Sta­tis­ti­cal Clas­si­fi­ca­ti­on of Dise­a­ses and Rela­ted Health Pro­blems) die Aus­wir­kun­gen einer Ver­let­zung oder Erkran­kung in Bezug auf die Kör­per­funk­tio­nen, die Akti­vi­tä­ten und die Teil­ha­be einer Person.
Sowohl der Begriff der Funk­ti­ons­fä­hig­keit als auch der der Behin­de­rung beschrei­ben die Fol­gen, die sich für einen Men­schen mit einem Gesund­heits­pro­blem in Bezug zu sei­nen Umwelt- und sei­nen per­so­nen­be­zo­ge­nen Fak­to­ren (Kon­text­fak­to­ren) erge­ben. Die Grund­la­ge für die­se Sicht­wei­se stellt das bio­psy­cho­so­zia­le Modell dar10.
In Anleh­nung an die­se Sys­te­ma­tik gehen wir davon aus, dass Kli­en­ten mit einer Arm­pro­the­se in ihrer Teil­ha­be­fä­hig­keit pro­fi­tie­ren, je bes­ser sie die Funk­tio­nen einer Pro­the­se in ein­zel­nen Akti­vi­tä­ten ein­set­zen kön­nen. Aus die­sem Gedan­ken her­aus ergibt sich für uns die Auf­tei­lung der Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung in Funktions‑, Akti­vi­täts- und Teilhabetraining. 

 

Sobald fest­steht, wel­che Pro­the­sen­aus­füh­rung mit wel­chem Steue­rungs­sys­tem aus­ge­führt wer­den kann, wird mit dem Myo­trai­ning begon­nen. Dabei sol­len die in der Tes­tung gefun­de­nen Signa­le ver­in­ner­licht und wei­ter ver­bes­sert wer­den. Bei man­chen Sys­te­men ist es not­wen­dig, zwi­schen meh­re­ren Kom­po­nen­ten (Hand öffnen/schließen, Hand dre­hen, Ellen­bo­gen) umzu­schal­ten. Hier­zu müs­sen ver­schie­de­ne Vari­an­ten ein­stu­diert wer­den. Mög­lich­kei­ten hier­bei sind z. B. 2 oder 3 schnel­le Mus­kel­kon­trak­tio­nen, ein lan­ger Mus­kel­im­puls oder eine Kokon­trak­ti­on (die mög­lichst gleich­zei­ti­ge Anspan­nung eines Mus­kels [Ago­nist] mit sei­nem Gegen­spie­ler [Ant­ago­nist], z. B. M. biceps- und M. tri­ceps brachii).

Die Elek­tro­den kön­nen in ihrer Emp­find­lich­keit, bzw. Sen­si­ti­vi­tät ver­än­dert wer­den. Je bes­ser und zuver­läs­si­ger das Mus­kel­si­gnal repro­du­zier­bar ist, umso gerin­ger kann spä­ter die Sen­si­ti­vi­tät der Elek­tro­den ein­ge­stellt wer­den. Wenn die Elek­tro­de sehr emp­find­lich ein­ge­stellt ist, reicht bereits ein sehr gerin­ger Mus­kel­im­puls zur Ansteue­rung der Pro­the­se. Dies kann jedoch auch zu unge­woll­ten Bewe­gun­gen füh­ren. Dadurch sol­len unge­woll­te Bewe­gun­gen der Pro­the­se mini­miert werden.

Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung

Hier wird zuerst mit dem Erler­nen der Grund­funk­tio­nen begon­nen. Die Betrof­fe­nen sol­len den Umgang mit der Pro­the­se erler­nen. Zu Beginn wer­den sämt­li­che Bedien­funk­tio­nen erklärt. Dazu zäh­len neben allen tech­ni­schen Gege­ben­hei­ten, wie z. B. das Ein- und Aus­schal­ten der Pro­the­se, das Akku-Manage­ment oder die Maxi­mal­las­ten der Kom­po­nen­ten, auch hygie­ni­sche Vor­ga­ben bzw. Rei­ni­gungs­hin­wei­se. Anschlie­ßend wird das selbst­stän­di­ge An- und Aus­zie­hen der Pro­the­se erlernt. Vor allem bei Mehr­fach­am­pu­ta­tio­nen kön­nen ver­schie­de­ne Hilfs­mit­tel zum Ein­satz kom­men. Die Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung umfasst auf­ein­an­der aufbauend:

–             Funk­ti­ons­trai­ning

  •   Öffnen/Schließen der Hand
  •   Umschal­ten zwi­schen den Kom­po­nen­ten (Ellbogen/Hand/Unterarmrotation)

–             Akti­vi­täts­trai­ning:

  •   Grei­fen von Gegen­stän­den, Holzwürfel/Schaumstoffwürfel

–             Teil­ha­be­trai­ning:

  •   Beid­hän­di­ges Essen
  •   Bila­te­ra­le Haushaltstätigkeiten
  •   Hobbys
  •   Beruf­li­che Tätigkeiten

Funk­ti­ons­trai­ning

Je nach Pro­the­sen­art und ‑kom­po­nen­ten sind ver­schie­de­ne Funk­tio­nen mög­lich (Hand öffnen/schließen, Hand­ro­ta­ti­on, Ellen­bo­gen beugen/strecken). Ziel ist es, die Pro­the­se gezielt und will­kür­lich ohne Stör­si­gna­le und Fehl­im­pul­se bedie­nen zu kön­nen. Wie oben (Myotestung/Myotraining) beschrie­ben, müs­sen die Umschalt­va­ri­an­ten zwi­schen den jewei­li­gen Kom­po­nen­ten bei einer Pro­the­sen­steue­rung mit­tels 2 Elek­tro­den erlernt wer­den. Die­se gilt es eben­so will­kür­lich und ohne Stör­si­gna­le dau­er­haft repro­du­zie­ren zu können.

Akti­vi­täts­trai­ning

Die erlern­ten Funk­tio­nen wer­den in ein­fa­che Tätig­kei­ten inte­griert. Hier gilt zu beach­ten, dass die Belas­tung von ein­fa­chen zu schwe­ren Tätig­kei­ten lang­sam gestei­gert wer­den soll. So begin­nen wir bei­spiels­wei­se mit gro­ßen, fes­ten Gegen­stän­den und tas­ten uns lang­sam an klei­ne, wei­che oder teils auch zer­brech­li­che Gegen­stän­de her­an. Um für die Betrof­fe­nen eige­ne Ver­gleichs­wer­te zu gene­rie­ren, nut­zen wir unter ande­rem den „Box and Block Test“ (Abb. 3). Die­se Wer­te wer­den in einer Ver­laufs­do­ku­men­ta­ti­on fest­ge­hal­ten und kön­nen zur Beur­tei­lung der Lern­fort­schrit­te der Kli­en­ten genutzt wer­den. Hier­bei soll der Betrof­fe­ne inner­halb einer Minu­te so vie­le Holz­blö­cke wie mög­lich von der einen Sei­te der Box auf die ande­re Sei­te legen. Dabei kön­nen ver­schie­de­ne Griff­va­ri­an­ten genutzt wer­den. Dies ist von Kli­ent zu Kli­ent unterschiedlich.

Des Wei­te­ren bie­tet der „Clo­thes-pin Relo­ca­ti­on Test“ eine Mög­lich­keit, die Nut­zung der Pro­the­se in allen Ebe­nen und mit Ein­schluss aller Kom­po­nen­ten zu über­prü­fen (Abb. 4). Dabei muss mit Wäsche­klam­mern, die einen unter­schied­lich star­ken Wider­stand haben, in ver­schie­de­nen Posi­tio­nen han­tiert wer­den. Somit muss der Ell­bo­gen teil­wei­se gestreckt oder gebeugt, die Hand gedreht sowie auf- und zuge­macht werden.

Teil­ha­be­trai­ning

In dem zu Beginn aus­ge­füll­ten Anfor­de­rungs­pro­fil ste­hen die Tätig­kei­ten, die der Betrof­fe­ne mit der Pro­the­se im All­tag aus­füh­ren möch­te, und somit auch die nächs­ten The­ra­pie­schrit­te (Abb. 5). Hier­für wird oft eine län­ge­re Trai­nings­pha­se benö­tigt, da hier die geeig­ne­ten Griff­va­ri­an­ten gefun­den wer­den müs­sen. Ziel ist es, dass der Kli­ent Erfah­run­gen sam­melt, mit wel­chen Griff­va­ria­tio­nen er die für ihn not­wen­di­gen Tätig­kei­ten am bes­ten durch­füh­ren kann. Im Lau­fe der Zeit sam­melt man als The­ra­peut Erfah­run­gen, wel­che Grif­fe für die jewei­li­gen Tätig­kei­ten geeig­net sind, dies kann aller­dings nicht ver­all­ge­mei­nert wer­den. So nut­zen man­che Betrof­fe­ne zum Grei­fen von klei­nen Gegen­stän­den eher einen Spitz­griff, ande­re hin­ge­gen prä­fe­rie­ren den Dreipunktgriff.

Fazit

Durch die Ver­sor­gung mit einer Exo­pro­the­se haben Kli­en­ten die Mög­lich­keit, ihre Selbst­stän­dig­keit zu ver­bes­sern. Nach unse­rer Über­zeu­gung kann die Inte­gra­ti­on die­ses tech­ni­schen Hilfs­mit­tels nur in enger Zusam­men­ar­beit spe­zia­li­sier­ter Ortho­pä­die­tech­ni­ker und The­ra­peu­ten stattfinden.

Mit einer früh ein­set­zen­den Pro­the­sen­ge­brauchs­schu­lung schafft man für Kli­en­ten die Vor­aus­set­zun­gen, ihre ver­blie­be­nen Fähig­kei­ten maxi­mal zu nut­zen, die Akzep­tanz für eine Pro­the­se zu för­dern und früh­zei­tig Lebens­per­spek­ti­ven zu schaf­fen. Unse­re Erfah­rung hat gezeigt, dass ein abge­stuf­tes Trai­ning, ange­lehnt an die ICF, die The­ra­pie­pla­nung erleich­tern und eine Gewöh­nung an die Pro­the­se för­dern kann.

Unse­re Emp­feh­lung ist, sämt­li­che Ergeb­nis­se aus durch­ge­führ­ten Assess­ments zusam­men mit einer aus­führ­li­chen Video­do­ku­men­ta­ti­on dem Kos­ten­trä­ger als Ent­schei­dungs­hil­fe vorzulegen.

 

Die Autoren:
Alex­an­der Fürst
Ergo­the­ra­peut
Berufs­ge­nos­sen­schaft­li­che Unfall­kli­nik Murnau
Prof.-Küntscher-Straße 8
82418 Mur­nau am Staffelsee
alexander.fuerst@bgu.murnau.de
0151/18313399

Hans-Peter Baum­gärt­ler
Lei­tung Ergotherapie
Berufs­ge­nos­sen­schaft­li­che Unfall­kli­nik Murnau
Prof.-Küntscher-Straße 8
82418 Mur­nau am Staffelsee
hans.baumgaertler@bgu-murnau.de

 

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Fürst A, Baum­gärt­ler HP. Schu­lung im Umgang mit Exo­pro­the­sen­pass­tei­len an der obe­ren Extre­mi­tät (Arm­pro­the­sen). Ortho­pä­die Tech­nik. 2024; 75 (5):74–79

 

 

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