Schaft­tech­nik in der Unter­schen­kel­pro­the­tik – aktu­el­ler Stand

T. Baumeister, O. Gawron, M. Schäfer
Der folgende Artikel vermittelt eine Übersicht über die aktuell gebräuchlichen Schaftsysteme in der Unterschenkelprothetik. Dabei werden unterschiedliche Haft- und Funktionsprinzipien am Amputationsstumpf unterschieden. Die Menge der geeigneten Materialtechnologien sowie die verschiedenen Möglichkeiten der Formerfassung und Formgestaltung bieten ein breites Spektrum an Systemen. Diese ermöglichen bei adäquater Auswahl und Anwendung eine sinnvolle Prothesenversorgung und eine erfolgreiche Rehabilitation von Anwendern dieses Amputationsniveaus.

Ein­lei­tung

Wie bei allen Ver­sor­gungs­ebe­nen in der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung beein­flus­sen fol­gen­de Aspek­te die Aus­wahl des Schaft­sys­tems maß­geb­lich: die indi­vi­du­el­len Wün­sche und Bedürf­nis­se des Anwen­ders, die Ver­sor­gungs­his­to­rie und natür­lich die kli­ni­schen Bedin­gun­gen. Eine ers­te Indi­ka­ti­ons­stel­lung und eine Zuord­nung des geeig­ne­ten Schaft­kon­zep­tes resul­tie­ren aus einer sys­te­ma­ti­schen Ana­mne­se 1. Dabei wird auch die zu erwar­ten­de Mobi­li­tät fest­ge­legt. Wich­ti­ge Kri­te­ri­en der durch­zu­füh­ren­den Pro­fil­erhe­bung sind fol­gen­de Aspekte:

  • die Grün­de der Amputation,
  • ver­sor­gungs­re­le­van­te Begleiterkrankungen,
  • wei­te­re Behin­de­run­gen sowie
  • spe­zi­el­le Anga­ben zum Ampu­ta­ti­ons­stumpf wie Stumpf­form, ‑län­ge und ‑beschaf­fen­heit.

Das aus­führ­li­che Bera­tungs­ge­spräch mit Abwä­gung der benö­tig­ten Gebrauchs­ei­gen­schaf­ten lie­fert wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen zur Aus­wahl der jeweils pro­ba­ten Schaft­tech­nik. Die Vor­er­fah­run­gen des Anwen­ders sind ein­zu­ho­len; zudem sind beson­de­re Eigen­hei­ten im Gebrauch und im Umgang mit der Pro­the­se zu erfra­gen. Im sel­ben Maße müs­sen die pri­va­ten wie die beruf­li­chen Anfor­de­run­gen in die Pla­nung mit ein­ge­bun­den wer­den. Nur so ist eine erfolg­rei­che Ver­sor­gung mit posi­ti­vem Ergeb­nis zu erzie­len. Neben der Aus­wahl der jeweils geeig­ne­ten Funk­ti­ons- und Struk­tur­tei­le nimmt die Bestim­mung der Schaft­tech­nik die zen­trale Rol­le in der Pro­the­sen­ver­sor­gung ein. Sie ist direk­tes Bin­de­glied zwi­schen Tech­nik und Mensch 2.

Die Anfor­de­run­gen an eine adäqua­te Schaft­tech­nik wur­den auch im inter­na­tio­na­len Kon­text durch die Norm nach ISO-Stan­dard (ISO 8548–2 ­1993–07) wie folgt definiert:

  • Über­tra­gung der axia­len Kräf­te zur Lastaufnahme
  • Über­tra­gung hori­zon­tal gerich­te­ter Kräf­te zur Steue­rung der Prothese
  • Haft­ver­mitt­lung zwi­schen Pati­ent und Prothese

Eine Ein­tei­lung der gän­gi­gen Pro­thesenschaftsysteme (Abb. 1) wird in die­sem Arti­kel anhand der unter­schied- lichen Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en vor­ge­nom­men. Dabei fin­den unter­schied­lichs­te Prin­zi­pi­en Anwendung:

  • klas­si­scher KBM-Schaft als kon­dylen­bet­ten­des Sys­tem, das mit einem Weich­wand­in­nen­schaft und unter­schied­li­chen Stumpf­strümp­fen getra­gen wird,
  • das wahr­schein­lich am häu­figs­ten ein­ge­setz­te Liner­sys­tem mit dista­ler Arre­tie­rung sowie
  • Unter­druck­sys­te­me, unter­teilt in Liner­sys­te­me mit Dicht­lip­pen und Liner­sys­te­me mit pro­xi­ma­ler Abdich­tung durch Kniekappen.

Eine ein­deu­ti­ge Zuord­nung fällt nicht immer leicht. Denn die ver­schie­de­nen Wir­kungs­wei­sen der ein­zel­nen Sys­te­me müs­sen häu­fig im Sin­ne einer adäqua­ten Ver­sor­gung mit­ein­an­der kom­bi­niert wer­den. Zum Bei­spiel kom­bi­niert der Pin-Liner mit einer Kon­dylen­bet­tung die Vor­tei­le bei­der Haft­prin­zi­pi­en: Der gefähr­li­che Zug- und Melk­ef­fekt am Stump­fen­de wird durch die Ein­fas­sung der Kon­dylen redu­ziert; er ist aber kos­me­tisch ungüns­ti­ger als ein redu­zier­ter Schaf­trand­zu­schnitt z. B. nach Söderberg.

Stumpf­bet­tung durch Linersysteme

In die­sem Zusam­men­hang sind ins­be­son­de­re Sili­kon­li­ner, TPE-/Co­po­ly­mer­li­ner und Poly­ure­than­li­ner rele­vant 3 (Abb. 2). Im Ein­zel­nen sind hier zu nennen:

Sili­kon­li­ner

Das häu­fig gewähl­te Liner­ma­te­ri­al Sili­kon ist in ver­schie­dens­ten Aus­füh­run­gen und Shore­här­ten erhält­lich. Dabei gilt die gro­be Faust­for­mel „Wei­cher Stumpf – fes­ter Liner, fes­ter Stumpf – wei­cher Liner“. Ein wei­cher Stumpf pro­fi­tiert dem­nach von einem rigi­de­ren Liner, der den Stumpf formt und ihm Sta­bi­li­tät ver­leiht. Der knö­cher­ne, atro­phe Stumpf bevor­zugt die Eigen­schaf­ten eines nie­der­sho­ri­gen Sili­kons zur Stoß­dämp­fung und Bet­tung. Erhöh­ten Belas­tun­gen auf das Gewe­be und die knö­cher­nen Struk­tu­ren kann damit vor­ge­beugt wer­den. Stümp­fen lang­jäh­ri­ger Pro­the­sen­trä­ger sieht man die dar­aus fol­gen­den Haut­schä­di­gun­gen in der Regel deut­lich an 4.

Eine Vor­kom­pri­mie­rung erfolgt durch die auf das elas­ti­sche Grund­ma­te­ri­al Sili­kon auf­ge­brach­te Kaschie­rung. Deren Vor­tei­le bestehen in einer direk­te­ren Ansteue­rung der Pro­the­se und einem redu­zier­ten pseud­arthro­ti­schen Längs­hub. Sili­kon­li­ner wie auch alle ande­ren Liner mit dista­lem Anschluss sol­len gene­rell mit einer Ma­trix oder einer ver­stärk­ten Kaschie­rung im dista­len Anteil ver­se­hen sein. Die Elon­ga­ti­on von Stumpf und Liner in der Schwung­pha­se wird dadurch redu­ziert. Im Bereich des Knies emp­fiehlt sich eine hohe Längs- sowie Que­r­elas­ti­zi­tät mit redu­zier­ter Kom­pres­si­on. Dadurch wird der Kraft­auf­wand beim Flek­tie­ren des Gelenks so gering wie mög­lich gehal­ten. Zudem wird star­ker Druck auf die Patel­la durch Zug­span­nung des Liners vermieden.

Der Ver­sor­gungs­all­tag zeigt, dass der Umgang mit dem bestän­di­gen und reak­ti­ons­trä­gen Mate­ri­al Sili­kon ein brei­tes Anfor­de­rungs­spek­trum abdeckt. Die hygie­ni­sche Anfor­de­rung einer gerin­gen Keim­be­las­tung des Stump­fes wird durch die­ses Mate­ri­al sehr gut erfüllt. Abla­ge­run­gen durch Schweiß­ein­wir­kung, Abrieb der Haut­ober­flä­che und wei­te­re Aus­schei­dun­gen wer­den mit­tels Sei­fe und Was­ser gerei­nigt. Wei­ter­hin ist Sili­kon des­in­fi­zier­bar und ste­ri­li­sier­bar. Der­ma­to­lo­gisch emp­find­li­che Anwen­der berich­ten davon, ihre Liner in der Maschi­ne zu waschen oder sie von Zeit zu Zeit in sie­den­des Was­ser zu legen. Dabei über­zeugt das Mate­ri­al mit hoher Stand­fes­tig­keit. Es hat bei durch­schnitt­li­cher Belas­tung eine Lebens­dau­er von etwa einem Jahr. Ein Wech­sel­li­ner soll­te aller­dings stets zur Ver­fü­gung ste­hen, um die Trock­nungs­dau­er der Kaschie­rung zu über­brü­cken. Sili­kon­li­ner ste­hen in den unter­schied­lichs­ten Aus­füh­run­gen zur Ver­fü­gung. Sie wer­den für fol­gen­de Zwe­cke ver­wen­det: zum Haut­schutz, zur Haft­ver­mitt­lung und zur Form­sta­bi­li­sie­rung des Stump­fes. Dabei kom­men unter­schied­li­che Haft­prin­zi­pi­en wie dista­le Arre­tie­rung oder Dicht­lip­pen und Knie­kap­pen zur Gewähr­leis­tung eines akti­ven oder pas­si­ven Unter­drucks zum Einsatz.

TPE-/Co­po­ly­mer­li­ner

Ein Copo­ly­mer­li­ner bie­tet gegen­über einem Sili­kon­li­ner den Vor­teil einer aus­ge­präg­ten Scher­kraft­re­du­zie­rung und Druck­spit­zen­ent­las­tung. Anwen­der mit ein­ge­schränk­ter Weich­teil­ver­schieb­lich­keit (z. B. bei meshgraft­gedeckten Stümp­fen oder star­ken Ver­nar­bun­gen) pro­fi­tie­ren von die­sen Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten. Eini­ge Model­le kön­nen nach­träg­lich ther­mo­plas­tisch an die Stumpf­si­tua­ti­on ange­passt wer­den. Die kon­fek­tio­nier­ten Liner las­sen sich bei koni­schen Stumpf­for­men über ange­fer­tig­te For­mungs­mo­del­le tem­pern. Auf die­se Wei­se kön­nen sie indi­vi­du­ell ange­passt wer­den 5.

Die Her­stel­ler wei­sen aus­drück­lich auf den Ein­satz eines Wech­sel­li­ners hin, um die Stand­fes­tig­keit zu erhal­ten und den Nut­zungs­zeit­raum zu ver­län­gern. Wär­me und Scher­kraft­ein­wir­kung füh­ren zur Auf­schmel­zung und Ver­for­mung des Mate­ri­als 6. Das Mate­ri­al wird sich schnel­ler als Sili­kon aus­deh­nen und die Vor­kom­pres­si­on auf den Stumpf ver­lie­ren. Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen der Schaft­pass­form, her­vor­ge­ru­fen durch die Form­ver­än­de­rung und den Kom­pres­si­ons­ver­lust eines ver­schlis­se­nen Liners, müs­sen erkannt wer­den. Der Anwen­der muss auf die­ses Mate­ri­al­ver­hal­ten hin­ge­wie­sen wer­den, um recht­zei­tig das Bean­tra­gungs­ver­fah­ren für den Ersatz ver­brauch­ter Liner ein­zu­lei­ten. TPE-Liner sind preis­güns­ti­ger als Sili­kon­li­ner. Erfah­rungs­wer­te aus der Pra­xis zei­gen, dass eine gründ­li­che Pfle­ge des Liners sowie des Stump­fes bei die­sem Liner­ma­te­ri­al bedeut­sa­mer als bei Sili­ko­nen ist. Eine Beson­der­heit bie­ten dün­ne Schutz­hül­len bzw. gel­be­schich­te­te Stumpf­strümp­fe. Die­se ent­fal­ten vor allem in kon­dylen­ein­fas­sen­den Sys­te­men ihre Vor­tei­le durch einen aus­ge­präg­ten Haut­schutz und ein ange­neh­me­res Tragegefühl.

Poly­ure­than­li­ner

Eine Son­der­rol­le spielt der PUR-Liner, der mit hoch fließ­fä­hi­gen Eigen­schaf­ten aus­ge­stat­tet ist. Somit ermög­licht er ein hydro­sta­ti­sches Schaft­kon­zept im Sin­ne eines Voll­be­las­tungs­schaf­tes. Durch eine spe­zi­el­le Abdruck- und Fer­ti­gungs­tech­nik wird die Kör­per­last auf die kom­plet­te Ober­flä­che des Stump­fes gleich­mä­ßig ver­teilt. Die akti­ve Unter­druck­tech­nik ist bei die­sem Sys­tem unum­gäng­lich und hat ein sta­bi­le­res Stumpf­vo­lu­men zur Fol­ge 7.

Das Mate­ri­al ist in der Lage, Flüs­sig­keit in Form von Schweiß auf­zu­neh­men. Die Pfle­ge die­ser Liner mit Was­ser und Sei­fe ist aller­dings sehr anspruchs­voll. Nur auf die­se Wei­se kann die Ver­kei­mung im Mate­ri­al und die Keim­be­las­tung auf der Haut so gering wie mög­lich gehal­ten wer­den. Ein Wech­sel­li­ner ist aus hygie­ni­schen Grün­den ab Ver­sor­gungs­be­ginn not­wen­dig. Bei man­geln­der Hygie­ne ver­fär­ben sich die Liner gelb und begin­nen unan­ge­nehm zu riechen.

Form­er­fas­sung und Modellierphilosophie

Im Anschluss an die Aus­wahl des geeig­ne­ten Liners folgt die Maß­nah­me mit anschlie­ßen­der Form­er­fas­sung. Hier konn­ten sich in den letz­ten Jah­ren neue Abdruck­tech­ni­ken eta­blie­ren, die unter ande­rem eine Form­erfassung unter Belas­tung ermög­li­chen (Abb. 3).

Die klas­si­sche Gips­ab­druck­tech­nik legt das Augen­merk auf die defi­nier­ten Be- und Ent­las­tungs­zo­nen. Geziel­te Kor­rek­tu­ren und Mani­pu­la­tio­nen wer­den in das Modell ein­ge­bracht. Dies zeigt sich vor allem bei beson­de­ren Stumpf­for­men und Anfor­de­run­gen als Mit­tel der Wahl. In die­sem Zusam­men­hang sind beson­ders fol­gen­de Indi­ka­tio­nen zu nennen:

  • Neu­ro­me unter der Hautoberfläche,
  • druck­emp­find­li­che Tibia- und Fibula-Knochenenden,
  • locke­res Bin­de­ge­we­be mit Weich­teil­über­hän­gen sowie
  • form­ver­än­dern­de Stumpf­si­tua­tio­nen bei Muskelkontraktionen.

In der Fol­ge wer­den die­se Abdrü­cke in Gips aus­ge­gos­sen und durch manu­el­le Modi­fi­ka­tio­nen zu einer Posi­tiv­form geführt. Die zweck­ori­en­tier­te Schaft­form ver­folgt eine voll­kon­tak­ti­ge Schaftbettung.

Moder­ne berüh­rungs­lo­se Formerfas­sungen des Stump­fes via Scan­tech­no­lo­gie kön­nen sowohl mit als auch ohne Liner in sei­ner exak­ten Form – repro­du­zier­bar – erfasst wer­den. Über Land­mar­ken auf dem Stumpf wer­den knö­cher­ne Struk­tu­ren, Belas­tungs- und Ent­las­tungs­zo­nen, kon­dy­lä­re Ein­fas­sun­gen und wei­te­re Beson­der­hei­ten für die anschlie­ßen­de CAD-Model­lie­rung mit­tels geeig­ne­ter Soft­ware dar­ge­stellt. Wei­ter­füh­ren­de Kon­troll­scans kön­nen mit dem Aus­gangs­scan ver­gli­chen und für eine not­wen­di­ge Form­ana­ly­se her­an­ge­zo­gen werden.

Simu­lie­ren­de Form­er­fas­sungs­tech­nik hat die Auf­ga­be, die Mani­pu­la­ti­on des Stump­fes wäh­rend der Erfas­sung bzw. des Abdru­ckes umzu­set­zen. Die anschlie­ßen­de Model­lie­rung wird dadurch erleich­tert. Die Sys­te­me bie­ten den Vor­teil einer hohen Repro­du­zier­bar­keit. Das Abdruck­sys­tem „Sym­pho­ny VC“ baut durch sei­nen mit Was­ser gefüll­ten Zylin­der einen hydro­sta­ti­schen Druck auf. Damit wird der Ampu­ta­ti­ons­stumpf bei der Abdruck­tech­nik unter Voll­be­las­tung erfasst. Die volu­men­ori­en­tier­te Form wird durch gleich­mä­ßi­ge Reduk­ti­on auf das gewünsch­te Umfangs­maß ange­passt – je nach Weich­teil­be­schaf­fen­heit und Aktivität.

Schaft­tech­nik – Haftprinzipien

Kon­dylen­bet­ten­de Sys­te­me (Abb. 4)

Der Stumpf wird zum Bei­spiel mit einem TPE-beschich­te­ten Haut­schutz­strumpf ein­ge­fasst und leicht vor­kom­pri­miert. Die Weich­tei­le wer­den dadurch gefes­tigt und auf die Pro­the­se vor­be­rei­tet. Durch einen Schlitz am Ende des Innen­schaf­tes wird der Stumpf mit Hil­fe eines Per­lon­schlau­ches in den Innen­schaft ein­ge­zo­gen. Bei bir­nen­för­mi­gen Stümp­fen kann der Innen­schaft an einer geeig­ne­ten Stel­le – zum Bei­spiel seit­lich – geöff­net wer­den. Dadurch wer­den die Weich­tei­le ohne Auf­stau­en elon­giert in den Schaft ein­ge­zo­gen. Der Gewe­be­schlauch wird über die Außen­sei­te des Innen­schaf­tes zurück­ge­schla­gen, um eine Gleit­hil­fe für den sta­bi­len äuße­ren Con­tai­ner zu bil­den. Die Ver­rie­ge­lung zwi­schen Innen- und Außen­schaft erfolgt durch die medio­la­te­ra­le Ein­fas­sung über den Kon­dylen. Eine Maß­dif­fe­renz von ca. ein­ein­halb Zen­ti­me­tern zwi­schen dem kon­dy­lä­ren und dem supra­kon­dy­lä­ren Maß erweist sich in der Pra­xis als geeig­ne­ter Anhalts­punkt für eine siche­re Ver­rie­ge­lung. Bei beson­de­ren Stumpf­for­men wer­den ent­spre­chen­de Aus­glei­che auf den Innen­schaft auf­ge­bracht. Wei­ter­hin kön­nen indi­vi­du­ell geform­te Stump­fendkis­sen in unter­schied­lich fes­ten Mate­ria­li­en gefer­tigt wer­den. Damit kann auf die jewei­li­gen Gege­ben­hei­ten ein­ge­gan­gen wer­den; zudem kön­nen spä­te­re Anpas­sun­gen nach Form­ver­än­de­run­gen vor­ge­nom­men wer­den. Bei der Wahl des Mate­ri­als für den Innen­schaft ist dar­auf zu ach­ten, dass ein sinn­vol­ler Kom­pro­miss zwi­schen Pols­ter­wir­kung und Stand­fes­tig­keit gewählt wird. Zu wei­che Mate­ria­li­en müs­sen dick aus­ge­führt wer­den, damit die nöti­ge Sta­bi­li­tät zum Ein­stei­gen in den Außen­schaft vor­liegt. Abhil­fe schaf­fen hier par­ti­el­le Ver­stär­kungs­ele­men­te, zum Bei­spiel Kap­pen­ma­te­ri­al aus der Schuh­tech­nik. Das spä­te­re kos­me­ti­sche Resul­tat pro­fi­tiert von einem wohl­do­sier­ten Materialeinsatz.

Die Ein­fas­sung der Kon­dylen über­nimmt hier­bei die Fixie­rung der Pro­the­se in der Schwung­pha­se. Vor allem bei Erst­ver­sor­gun­gen nach Ampu­ta­ti­on spielt die­ses Sys­tem sei­ne Vor­tei­le aus:

  1. Die Ampu­ta­ti­ons­re­gi­on wird nicht unnö­tig belastet.
  2. Durch Ein­kle­ben von Pelot­ten kann Volu­men­re­duk­tio­nen ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den, ohne die Mate­ri­al­ober­flä­che zu ver­än­dern und die damit ver­bun­de­ne Ober­flä­chen­haf­tung zu ver­lie­ren. Die­se kön­nen sich nega­tiv auf das Tra­ge­ge­fühl und den Halt auswirken.
  3. Der Schaf­trand kann durch moder­ne Mate­ri­al­tech­nik und opti­mier­te Zuschnit­te federnd gestal­tet wer­den. Dadurch wird beim Flek­tie­ren des Knie­ge­len­kes ein Ver­kip­pen zwi­schen Stumpf und Schaft durch die Dreh-Gleit-Bewe­gung redu­ziert 8.

Liner­sys­te­me mit dista­ler Arre­tie­rung (Abb. 5)

Bei der Wahl eines Liner­sys­tems muss die Topo­gra­phie des Stump­fes beach­tet wer­den. Fol­gen­de Aspek­te sind Aus­schluss­kri­te­ri­en für einen Liner mit dista­ler Arre­tie­rung: knö­cher­ne Stump­fen­den, Über­län­gen der Fibu­la, Neu­ro­me im Stump­fendbe­reich oder locke­res Bin­de­ge­we­be. Wäh­rend der Schwung­pha­se wird das Gewicht der Pro­the­se auf das Stump­fen­de über­tra­gen. Dies sorgt für eine Elon­ga­ti­on von Stumpf und Liner. Die Pra­xis zeigt eine nega­ti­ve Ver­än­de­rung des sub­ku­ta­nen Gewe­bes nach lang­jäh­ri­gem Pin­ge­brauch. Ein gro­ßer Vor­teil dista­ler Arre­tie­run­gen ist die simp­le Bedie­nung des Sys­tems. Die Ver­schluss­sys­te­me mit Pin las­sen sich in zwei Kate­go­rien ein­tei­len: soge­nann­te Clutch­locks und soge­nann­te Shut­tle­locks. Nach dem Ein­glei­ten des Stump­fes in den Schaft zieht das Schne­cken­ge­trie­be des Shut­tle­lock den Liner auto­ma­tisch nach distal bis zum voll­stän­di­gen End­kon­takt. Durch die ent­ste­hen­de Vor­span­nung auf die Liner­ma­trix redu­ziert sich die ver­ti­ka­le Pseud­arthro­se zwi­schen Stumpf und Schaft. Ein zu lan­ger Schaft erhöht die ohne­hin schon star­ke Stump­fendbe­las­tung und muss ver­hin­dert wer­den. Der Ras­ten­ver­schluss des Shut­tle­lock wird mit der axia­len Stumpf­be­las­tung über­wun­den. Somit dringt der Pin in den Ver­schluss ein. Die akus­ti­sche Rück­mel­dung bestä­tigt dem Anwen­der die Ver­rie­ge­lung und somit die siche­re Ver­bin­dung zur Pro­the­se. Je nach Anfor­de­rung an das Sys­tem muss also die Wahl des geeig­ne­ten Ver­bund­sys­tems getrof­fen wer­den. Klas­si­sche Kor­del­ein­zü­ge oder Boa-Sys­te­me spa­ren Auf­bau­hö­he und ermög­li­chen eine ange­pass­te Vor­span­nung auf das dista­le Stump­fen­de. Wei­te­re Funk­ti­ons­ein­hei­ten wie Ein­zieh­hil­fen in Form von Dreh­knöp­fen oder Ein­zieh­schlüs­sel kön­nen die Bedie­nung – zum Bei­spiel durch das Pfle­ge­per­so­nal – erleichtern.

Vor dem Ein­stei­gen in den Schaft schiebt der Anwen­der den auf links gewen­de­ten Liner auf den Stumpf. Das Gewe­be soll­te dabei mit dem Liner­tel­ler nach ven­tral über das dista­le Tibiaen­de gescho­ben wer­den. Dadurch wird unnö­ti­ger Stress durch die Elon­ga­ti­on der Weich­tei­le beim Anle­gen des Liners auf die Kno­chen­kan­te ver­mie­den. Der Liner­tel­ler steht recht­wink­lig zur Stumpf­mit­tel­ach­se, um das Ver­kip­pen des Pins beim Ein­füh­ren in die Pin­auf­nah­me zu ver­hin­dern. Das kor­rek­te Anle­gen des Liners wird mit dem Anwen­der aktiv geübt. In der Regel sind die Liner mit einer Kaschie­rung oder einer Beschich­tung auf dem Sili­kon ver­se­hen. Dadurch wird ein Ein­glei­ten in den äuße­ren Pro­the­sen­schaft (Con­tai­ner) mit gerin­gen Adhä­si­ons­kräf­ten gewähr­leis­tet. Strümp­fe mit einer ein­ge­ar­bei­te­ten Öff­nung für den Pin kön­nen bei Volu­men­ver­än­de­run­gen über den Liner ange­zo­gen wer­den. Oft müs­sen Anwen­der über den Tag ein bis zwei Strümp­fe unter­schied­li­cher Dicke nach­le­gen. Damit wird die übli­che Volu­men­re­duk­ti­on des Stump­fes zum Abend hin ausgeglichen.

Bei stark atro­phen oder koni­schen Stumpf­for­men kön­nen indi­vi­du­el­le oder kon­fek­tio­nier­te soge­nann­te Distal­cups ein­ge­setzt wer­den. Sie die­nen als Aus­gleich und zusätz­li­che Bet­tung. Unge­woll­te Luft­ein­schlüs­se, die durch Kon­den­sa­ti­on der Kör­per­wär­me zu Schweiß füh­ren, kön­nen so ver­mie­den wer­den. Gera­de bei Nar­ben­ein­zü­gen sorgt der aggres­si­ve Schweiß für Pro­ble­me an den Haut­flan­ken. Durch das Ein­brin­gen eines indi­vi­du­el­len RTV-Sili­kon-Aus­gleichs­rings oder eines form­ad­ap­tier­ten Stump­fendkis­sens wer-den die Ein­zü­ge geschlos­sen. Dies führt zu einem Voll­kon­takt zum Liner.

Durch die mecha­ni­sche Ver­rie­ge­lung am Schaft­bo­den sind der Gestal­tung im pro­xi­ma­len Bereich mehr Mög­lich­kei­ten gege­ben als bei den kon­dylen­bet­ten­den Sys­te­men. Der Schaft- rand­zu­schnitt kann auf unter­schied­li­chen Ebe­nen gewählt wer­den: Es eig­nen sich sowohl Trimm­li­ni­en in klas­si­scher Form als auch redu­zier­te Zuschnit­te nach Söder­berg 9 oder Mer­bold, die eine enge A‑P-Füh­rung des Stump­fes erlau­ben. Jedoch soll­te die Redu­zie­rung der medio­ven­tra­len Anla­ge­flä­che mit der Stumpf­leis­tungs­fä­hig­keit zusam­men­spie­len. Dadurch wird eine Über­las­tung des Knie­ap­pa­ra­tes ver­mie­den 10.

Bei Inte­rims­ver­sor­gun­gen sind dista­le Ver­schluss­sys­te­me gänz­lich zu ver­mei­den, da die Gefahr besteht, das OP-Ergeb­nis zu ver­let­zen. Durch die gro­ße Aus­wahl an unter­schied­li­chen Liner­ty­pen sowie Ver­schluss­tech­ni­ken sind vie­le Anwen­der im gerin­gen bis mitt­le­ren Mobi­li­täts­be­reich mit die­sen Sys­te­men adäquat ver­sorgt. Zudem ist das kos­me­ti­sche Out­co­me durch den Ver­zicht auf hohe Schaft­rän­der vor allem beim Sit­zen positiv.

Liner-Unter­druck­sys­te­me mit Knie­kap­pen (Abb. 6)

Liner­sys­te­me mit pas­si­vem oder akti­vem Unter­druck und Knie­kap­pe bie­ten im Hin­blick auf die axia­le Bewe­gung zwi­schen Stumpf und Schaft aus bio­me­cha­ni­scher Sicht die wir­kungs­volls­te Fixie­rung. Durch den ent­ste­hen­den Unter­druck zwi­schen Knie­kap­pe und Line­ren­de im pro­xi­ma­len Bereich wirkt die­ser über die gesam­te Stumpf­ober­flä­che. Er nimmt dem­zu­fol­ge auch über das gesam­te Are­al die Gewichts­kraft der Pro­the­se auf. Dies redu­ziert bei kor­rek­ter Aus­füh­rung der Schaft­tech­nik im Unter-schied zum dista­len Arre­tie­rungs­sys­tem die loka­le Belas­tung am Stumpfende.

Die Liner wer­den als Bet­tungs­li­ner in allen unter­schied­li­chen Mate­ria­li­en wie Sili­kon, TPE und PUR – idea­ler­wei­se ohne form­vor­ge­ben­de Liner­tas­sen – ange­bo­ten. Auch hier kann mit einem indi­vi­du­el­len oder kon­fek­tio­nier­ten Aus­gleich auf beson­de­re Situa­tio­nen ein­ge­gan­gen wer­den. Durch zusätz­li­che Strümp­fe kann ein akti­ves Volu­men­ma­nage­ment betrie­ben wer­den. Eine Beson­der­heit sind die akti­ven Unter­druck­sys­te­me. Die­se reagie­ren durch den erhöh­ten Unter­druck im Schaft posi­tiv auf den Volu­men­ver­lust. Beim Harmony®-System ist die­ser Effekt durch Stu­di­en belegt 11.

Der erhöh­te Unter­druck wird auf unter­schied­li­che Wei­se erzeugt. Dazu gibt es ent­spre­chen­de Struk­tur­bau­tei­le wie bei­spiels­wei­se die Harmony®-Pumpe von Otto­bock oder die Unity®-Systeme von Össur als Appli­ka­ti­on für Car­bon­fe­der­fü­ße. Zudem sind elek­tro­ni­sche Sys­te­me wie die eHarm­o­ny-Pum­pe von Otto­bock oder die Pum­pe Lim­bLo­gic® von Wil­low­Wood zu nen­nen. Anwen­der berich­ten, dass sie dadurch die Beschaf­fen­heit des Unter­grun­des direk­ter spü­ren und sich weni­ger auf das Pro­the­sen­tra­gen kon­zen­trie­ren müssen.

Eine funk­tio­nal wich­ti­ge Rol­le nimmt die Knie­kap­pe ein. Die­se wird über den Schaft bis zum Ober­schen­kel gerollt und ist zur Abdich­tung wie zum Auf­bau des Unter­dru­ckes not­wen­dig. Die Beu­gung im Knie­ge­lenk soll­te dabei so wenig wie mög­lich beein­träch­tigt wer­den. Dafür emp­fiehlt sich ein Schaf­trand­zu­schnitt mit redu­zier­ten Anla­ge­flä­chen. Wei­ter­hin muss sicher­ge­stellt sein, dass die Kon­dylen auf­grund der Dreh­gleit­be­we­gung genü­gend Raum im ven­tra­len Schaf­trand­be­reich zur Ver­fü­gung haben 12. Durch die Ver­wen­dung eines „Gai­tor Slee­ve“, der als Gleit­schicht über den Schaft­rän­dern dient, wird die Beu­ge­fä­hig­keit der Knie­kap­pen erhöht und der Ver­schleiß redu­ziert. Der Ein­satz fle­xi­bler Innen­schäf­te aus PE-Kunst­stof­fen bie­tet den Vor­teil adap­ti­ver fle­xi­bler Schaft­rän­der. Die­se wir­ken sich posi­tiv auf die Halt­bar­keit der Knie­kap­pen aus, z. B. bei stär­ke­rem Kon­takt zu einer Tisch­kan­te oder beim Knien. Pass­form­än­de­run­gen kön­nen zwi­schen Con­tai­ner und Innen­schaft aus­ge­führt wer­den, ohne die Beschaf­fen­heit der Ober­flä­chen im Innen­schaft zu ver­än­dern 13.

Ver­liert das Sys­tem den akti­ven oder pas­si­ven Unter­druck, hat das weit­rei­chen­de Fol­gen bis hin zum Funk­ti­ons­ver­lust der Pro­the­se. Dies kann zum Bei­spiel durch ein defek­tes Aus­stoß­ven­til oder durch ein Loch in der Knie­kap­pe gesche­hen. Es kommt dadurch zu ver­mehr­ter Bewe­gung zwi­schen Stumpf und Schaft. Die knö­cher­nen Struk­tu­ren ver­kip­pen auf­grund des Unter­druck­ver­lus­tes im Schaft. Sie kön­nen als Druck­stel­len, her­vor­ge­ru­fen durch eine man­geln­de Schaft­pass­form, fehl­in­ter­pre­tiert wer­den. Die Anwen­der müs­sen auf die­sen Fall vor­be­rei­tet und in der Lage sein, die Knie­kap­pe selbst zu wech­seln. Die durch­schnitt­li­che Halt­bar­keit einer sol­chen Man­schet­te liegt weit unter der eines Liners. Auch hier ist eine recht­zei­ti­ge Aus­stat­tung mit Wech­sel­ein­hei­ten unbe­dingt ratsam.

Bei der defi­ni­ti­ven Bau­wei­se einer der­ar­ti­gen Ver­sor­gung müs­sen die Mate­ria­li­en sinn­voll gewählt wer­den: Ein klas­si­scher PMMA-Guss wird nicht in der Lage sein, den Unter­druck des Test­schaf­tes aus einem PETG-Mate­ri­al zu hal­ten. Dies ist auf sei­ne per­me­ablen Eigen­schaf­ten zurück­zu­füh­ren. Es emp­fiehlt sich daher ent­we­der der Ein­satz ver­dich­ten­der Armie­rungs­ma­te­ria­li­en wie Dacron, um eine saug­dich­te Ober­flä­che zu erzeu­gen, oder die Ver­wen­dung von Epoxid­harz­sys­te­men. Aus kos­me­ti­scher Per­spek­ti­ve erzeugt die Ver­sor­gung mit einer Knie­kap­pe ein anspre­chen­des Finish: Die Knie­kap­pe wirkt als Ban­da­ge und über­deckt die Schaft­rän­der. Die Anwen­der müs­sen dafür in Kauf neh­men, lan­ge Hosen erst her­un­ter­zu­zie­hen, um die Knie­kap­pe auf- oder abzurollen.

Außer­dem muss der geeig­ne­te Anwen­der den tech­ni­schen Anfor­de­run­gen gewach­sen sein. Ein Pro­the­sen­trä­ger mit Rheu­ma in den Hän­den ist auf Hil­fe beim Bedie­nen des Sys­tems ange­wie­sen. Aus bio­me­cha­ni­scher Sicht – im Sin­ne der Fixie­rung beim Gehen, der Pro­prio­zep­ti­on und einer ver­bes­ser­ten Leis­tungs­fä­hig­keit – wird er wahr­schein­lich pro­fi­tie­ren. Jedoch müs­sen die Anfor­de­run­gen an den Anwen­der klar und deut­lich bespro­chen wer­den. Kurz­um: Der Anwen­der muss zum Sys­tem passen.

Liner­sys­te­me mit Dicht­lip­pe (Abb. 7)

In den letz­ten Jah­ren haben sich Sili­kon­li­ner mit Dicht­lip­pen­sys­te­men in unter­schied­li­chen Aus­füh­run­gen auf dem Markt eta­bliert. Ziel die­ser Sys­te­me ist es, die Vor­tei­le des Unter­drucks ohne die Nach­tei­le der Knie­kap­pen­sys­te­me umzu­set­zen. Die Vor­tei­le des Sili­kons in Bezug auf Pfle­ge und Halt­bar­keit blei­ben bestehen; die Anzieh­tech­nik bei die­sen Linern ist aber erschwert. Meis­tens sind die Anwen­der auf eine Anzieh­hil­fe auf Alko­hol­ba­sis ange­wie­sen. Dadurch wird die Adhä­si­ons­kraft beim Auf­rol­len auf den Stumpf und beim Ein­glei­ten in den Schaft gering gehal­ten. Durch indi­vi­du­ell posi­tio­nier­ba­re Dichtlippen­elemente lässt sich der Unter­druck­raum ein­stel­len. Bei der Aus­wahl einer zu weit distal lie­gen­den Dicht­lip­pe erfolgt die Fixie­rung durch den Unter­druck – das Sys­tem wirkt dann wie ein „pneu­ma­ti­scher Pin“: Die Belas­tung auf das Stump­fen­de erhöht sich ver­gleich­bar zu einem dista­len Ver­schluss­sys­tem. Bei einer zu hoch ange­ord­ne­ten Dicht­lip­pe besteht aber die Gefahr eines plötz­li­chen Abrei­ßens des Unter­drucks durch ein­fal­len­de Weich­tei­le. Um einem Funk­ti­ons­ver­lust ent­ge­gen­zu­wir­ken, darf eine Dicht­lip­pe das Fibu­lar­köpf­chen nicht über­de­cken. Durch den Ver­zicht auf einen Liner­tel­ler wird der Stress auf das dista­le Stumpf- ende auch bei ecki­gen Quer­schnit­ten gering gehalten.

Nach dem Auf­rol­len des Liners auf den Stumpf eva­ku­iert der Anwen­der durch sei­ne Kör­per­last die Luft über ein Zwei-Wege-Aus­stoß­ven­til aus dem Schaft. Klei­ne Ven­til­öff­nun­gen, raue Ober­flä­chen und redu­zier­te Schaft­vo­lu­mi­na ver­lan­gen einen hohen Kraft­auf­wand zum Ein­füh­ren des Stump­fes. Die dabei auf­stau­en­den Weich­tei­le erhö­hen die Span­nung auf den Röh­ren­kno­chen und kön­nen Schmer­zen ver­ur­sa­chen. Die Innen­schaft­flä­chen soll­ten daher glatt gefer­tigt sein. Dem Ein­satz fle­xi­bler PE-Innen­schäf­te soll­te man bei zylin­dri­schen oder lan­gen Stümp­fen auf­grund der hohen Frik­ti­on beim Ein­stei­gen in den Schaft skep­tisch gegen­über­ste­hen. Wei­ter­hin muss die Ver­bin­dung des Aus­stoß­ven­tils mit Ent­lüf­tungs­funk­ti­on sou­ve­rän mit dem PE-Schaft durch­ge­führt wer­den. Auf­grund der Gang­zy­klen und des Kalt­flus­ses im PE-Mate­ri­al unter­liegt die Ver­bin­dung einer hohen Bean­spru­chung und kann undicht wer­den. Ver­kle­bun­gen von Ven­ti­len mit dem Con­tai­ner­schaft müs­sen mit Epoxid­kle­ber, Sili­kon oder struk­tu­rel­len Kleb­stof­fen, die luft­un­durch­läs­sig sind, durch­ge­führt wer­den. Um das Ein­drin­gen von Luft zu ver­hin­dern, gibt es zwei tech­ni­sche Lösungs­an­sät­ze: dünn gezo­ge­ne PETG-Innen­schäf­te in Kom­bi­na­ti­on mit PMMA-Har­zen oder Dacron-­In­nen­la­gen in Ver­bin­dung mit Epoxidsystemen.

Das Liner­sys­tem mit Dicht­lip­pe spart wie auch das Liner­sys­tem mit pro­xi­ma­ler Knie­kap­pe wert­vol­len Platz in der Auf­bau­hö­he. Dadurch muss z. B. bei Lang­stumpf­ver­sor­gun­gen nicht auf funk­tio­nel­le hoch­auf­bau­en­de Car­bon­fe­der­fü­ße oder sons­ti­ge Struk­tur- und Funk­ti­ons­bau­tei­le wie Pump­mo­du­le ver­zich­tet wer­den. „Unity®“-Vakuummembranen bie­ten eine leich­te und funk­tio­nel­le Ergän­zung zu den Össur-Fuß­mo­du­len. Damit lässt sich gleich­zei­tig eine ele­gan­te und kos­me­tisch anspre­chen­de Ver­sor­gung umsetzen.

Fazit

Zusam­men­fas­send zeigt der Arti­kel, dass eine adäqua­te Aus­wahl unter den vie­len unter­schied­li­chen Schaft­sys­te­men eine anspruchs­vol­le Auf­ga­be dar­stellt. Die Indi­vi­dua­li­tät der Anwen­der mit all ihren per­sön­li­chen Ver­sor­gungs­vor­aus­set­zun­gen bedarf sorg­fäl­ti­ger Berück­sich­ti­gung. Ver­sor­gungs­leit­pfa­de und Indi­ka­ti­ons­lis­ten, die inner­betrieblich nach Kun­den­struk­tur und hand­werk­li­chem Schwer­punkt erstellt wer­den, unter­stüt­zen die Bera­tung. Die Wahl des geeig­ne­ten Sys­tems zeigt sich auch bei inten­si­ver Beschäf­ti­gung damit erst nach erfolg­rei­cher Test­ver­sor­gung – zum Teil sogar erst nach mehr­mo­na­ti­ger Adap­ti­ons­zeit. Letzt­lich bewer­tet der Pro­the­sen­trä­ger die Ver­sor­gung, auch wenn aus ortho­pä­die­tech­ni­scher Sicht alle Indi­ka­tio­nen gegen ein ent­spre­chen­des Schaft­kon­zept spre­chen. Ziel ist es, die Bedürf­nis­se des Anwen­ders zu erfül­len und nicht die „gefühlt bes­te“ tech­ni­sche Umset­zung zu präferieren.

Für die Autoren:
Tim Bau­meis­ter, OTM
Poh­lig GmbH
Gra­ben­stät­ter Str. 1, 83278 Traunstein
T.Baumeister@pohlig.net

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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