„Das kann nicht sein, denn es ist ja nicht zu erklären…“ – Dr. Kai-Uwe Kern hat aus gutem Grund sein Buch unter diesem Motto veröffentlicht. Er kann nämlich nicht immer ein gefordertes Kausalitätsbedürfnis von registrierten Vorgängen befriedigen, geschweige denn wissenschaftlich exakt erklären. Andererseits hat er in etwa 20 Jahren als Schmerztherapeut so viele Mitteilungen von Patienten
erhalten und gesammelt, so dass jetzt ein klinischer Erfahrungsschatz vorliegt, der seinesgleichen sucht. Das Ziel des Autors ist, damit Denkanstöße zur weiteren klinischen Forschung und Grundlagenforschung zu geben. Dass das auf dem Gebiet der Phantomschmerzen dringend notwendig ist, geben uns geplagte Patienten mit auf den Weg.
Nicht nur der Rezensent hat in der Vergangenheit zu dieser oder jener Feststellung Bedenken geäußert, ist aber wie der Autor davon überzeugt, dass damit Gedanken und Vorstellungen im Sinne einer konstruktiven Weiterentwicklung aufgefrischt wurden. Man kann sich sicher sein, dass vieles, was der Autor beschreibt, nicht bekannt ist. Das nun wiederum hat der Rezensent für sich selbst und in seiner 45-jährigen Arbeit mit Menschen mit Amputation erfahren müssen.
Es ist Kollegen Kern zu bestätigen, dass er diesen Spagat zwischen großer klinischer Erfahrung und dem oft noch fehlendem wissenschaftlichen Nachweis einzelner Phänomene gründlich dargestellt und sehr sachlich bewertet hat, so dass das Buch eine hervorragende Anregung zur weiteren Phantomschmerz-Forschung darstellt. So hat er öfters zu einzelnen Phänomenen bemerkt, dass man sie jetzt noch nicht erklären kann. Also Fragen gestellt, die es nun zu erklären gilt. Für den Mediziner, die Physiotherapeuten und Orthopädietechniker bedeutet das, dass das Buch auch bei noch offenen Fragen, ja gerade deshalb für eine weitere gezielte Beobachtung von Phantomschmerzen auch durch sie, zu empfehlen ist.
Das Buch ist in zwölf Kapitel und mehrere Unterkapitel gegliedert, so dass es übersichtlich und gut zu lesen ist. Dabei fällt, ebenso wie im Literaturverzeichnis, auf, dass sich das Buch stark an neurologischen, psychologischen und psychiatrischen Grundlagen orientiert. Der Autor weist auch auf metaphysische und mystische Aspekte, besonders im Phantomraum, dem sehr speziellen peripersonalen Raum durch Einflüsse von außen, hin. „Dass der Phantomraum wichtig sein könnte, legt eine Schilderung des Schweizer Neuropsychologen Peter Brugger am Beispiel einer 44-jährigen Akademikerin nahe, die ohne Unterarme und Beine geboren wurde und diese daher nie wahrgenommen hatte. Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie jedoch immer das bewusste Erlebnis von mentalen Bildern ihrer vollständigen, nichtexistierenden Extremitäten.“
Ein anderes Problem ist aus chirurgischen Sicht wesentlich an der Entstehung von Phantomschmerzen beteiligt. Bei der Amputation durchtrennen wir die Muskulatur und rauben dem Muskel die physiologische Vorspannung (Ursprung und Ansatz nähern sich an). Das bedeutet, dass keine physiologischen, afferenten Informationen aus dem Bereich des Stumpfes mehr in das Zentrale Nervensystem (ZNS) gelangen und der dafür zuständige „leere Bezirk im ZNS“ somit mit Reizen aus gesunden, benachbarten Arealen gereizt werden kann und so Phantomschmerzen erzeugt werden können. Wir achten schon seit etwa 35 Jahren darauf. Deshalb wird die Muskulatur anatomisch dargestellt und unter physiologischer Vorspannung vernäht. Der Rezensent kann berichten, dass das Allgemeinbefinden der so operierten Patienten nicht mehr durch starke Phantomschmerzen beeinträchtigt wurde. D. h. nicht, dass gar keine Phantomschmerzen mehr vorkamen; aber eben deutlich verringert. Leider sind diese Erfahrungen weder im Buch noch im Literaturverzeichnis erwähnt. Aber auch die von T. Adler gemachten ferromagnetischen Resonanz-Untersuchungen bei Patienten mit einer Sauerbruch-Kine-Plastik mit der deutlichen Reduzierung von Phantomschmerzen infolge der ständigen Bewegung des Muskelkanales konnten wir nicht finden.
Das Buch ist straff gegliedert, was dem Leser einen schnellen Überblick verschafft und das Lesen erleichtert. Letztlich ist festzustellen, dass der Autor uns auf der Basis langjähriger klinischer Erfahrung wertvolle bekannte und unbekannte Informationen über Phantomschmerzen gibt. Danke für das Engagement! Das Buch ist für alle amputierenden Ärzt/-innen, Neurolog/-innen, Psychiater/-innen,
Orthopädietechniker/-innen, Physiotherapeut/-innen und Sporttherapeut/-innen sehr zu empfehlen.
Priv.-Doz. Dr. med. habil. L. Brückner, Leipzig
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