Untersuchungsgegenstand:
Das Outsourcing von Orthopädie-Technik-Leistungen am konkreten Beispiel der orthopädischen Fußeinlagen (Produktgruppe PG 08), die unter anderem bei schmerzhaften und fehlgestellten Fußformen ärztlich verschrieben werden, dazu gehören Fersensporn, Deformitäten in den Sprunggelenken bzw. Fehlstellungen mit Auswirkungen auf die gesamte Körperstatik wie Knick- oder Knick-Senkfuß, Klump- oder Hohlfuß, Achsabweichungen und schmerzhafte Arthrose in den Gelenken. Bei Krankheitsbildern wie dem Diabetischen Fußsyndrom (DFS) und den damit verbundenen Risiken für chronische Wunden und Amputationen kommen orthopädische Fußeinlagen ebenso zum Einsatz. Insgesamt umfasst die PG 08 über 30 Indikationen. Outsourcing bedeutet in dem durch das Gutachten untersuchten Fall: gänzliche Online-Versorgung auf dem Versandweg mit Selbstvermessung durch die Patientenschaft – ohne fachliche Kontrolle oder klinische Abnahme.
Fazit:
Dieses Outsourcing von Orthopädie-Technik-Leistungen ist gesetzeswidrig, verstößt gegen nationale sowie europarechtliche Vorschriften, wird bereits rudimentären medizinischen Standards und grundlegenden Anforderungen der Hilfsmittelversorgung nicht gerecht und läuft den gesundheitlichen Bedürfnissen der Patientenschaft zuwider. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen erlauben nicht, orthopädische Versorgungen über Online-Plattformen und damit im reinen Onlinehandel zu vertreiben. Die medizinisch notwendigen Gefahrverhütungskapazitäten sind durch die vorliegenden digitalen Möglichkeiten nicht gegeben. Allein durch Fernkontakt ist nicht gewährleistet, dass die medizinisch notwendigen Schritte bei der Versorgung mit orthopädischen Einlagen fachgemäß erfolgen, woraus mit hoher Wahrscheinlichkeit Gesundheitsschäden resultieren können.
Einzelbefunde:
Vorschriften, die durch das im Gutachten untersuchte Outsourcing von Orthopädie-Technik-Leistungen unter anderem verletzt werden:
– Verstoß gegen die Hilfsmittelrichtlinie: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G‑BA) legt in seiner Hilfsmittelrichtlinie fest, was bei der Verordnung von Hilfsmitteln beachtet werden muss, um die Sicherung der Versorgung nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse zu gewährleisten. Und das muss bei vielen Schritten durch Fachpersonal persönlich geschehen. Die verordnende Ärzteschaft muss sich auf die Einhaltung der in der Hilfsmittelrichtlinie hinterlegten Versorgungsprozesse verlassen können – was bei dem begutachteten Outsourcing nicht gegeben ist.
– Verstoß gegen Handwerksordnung: Orthopädietechniker- und Orthopädieschuhmacherhandwerk sind gefahrengeneigte Handwerke, bei denen aufgrund der drohenden Gefahr von Gesundheitsschäden bei Fehlversorgungen erhöhte Anforderungen an die Meisterpräsenzpflicht bestehen. Dazu gehören ebenfalls die persönliche Anwesenheit, um in den Versorgungsprozess jederzeit eingreifen zu können – ob bei der Behandlung, also Beratung, Vermessung, Abtastung, Ganganalyse etc., der Abgabe bzw. Anprobe des Hilfsmittels sowie der Bestimmung eventueller nachträglicher Anpassungen. Die Meisterpräsenzpflicht wird allein schon durch die Abdruckmethode beim begutachteten Outsourcing-Verfahren verletzt: Auf Basis eines eingesendeten, durch die Versicherten selbst erstellten Abdrucks auf Kohlepapier ist keine Fertigung eines ordnungsgemäßen Hilfsmittels möglich, gesundheitliche Schäden sind nicht auszuschließen.
– Verstoß gegen Qualitätssicherung: Das Sozialgesetzbuch SGB V schreibt fest, dass nur solche Leistungserbringer bzw. Hilfsmittellieferanten Vertragspartner von gesetzlichen Krankenkassen sein dürfen, die grundlegende qualitätssichernde Voraussetzungen ihres Faches erfüllen und zur ausreichenden, zweckmäßigen und funktionsgerechten Versorgung mit Hilfsmitteln in der Lage sind – und dies in jeder Betriebsstätte oder Zweigstelle. Von einem Onlinehändler lässt sich aus der Ferne grundsätzlich nicht beurteilen, ob das Hilfsmittel tatsächlich ausreichend und zweckmäßig ist. Der Beratungspflicht, die dem Leistungserbringer nach SGB V obliegt, wirdgenauso wenig Genüge getan.
– Verstoß gegen Herstellerpflichten, Transport- und Dokumentationsvorschriften der Europäischen Union (EU): Bei den orthopädischen Einlagen im Sinne des erstellten Gutachtens handelt es sich um Medizinprodukte der Klasse I. Außerdem können sie Sonderanfertigungen gemäß der EU-Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) sein, verbunden mit weiteren Herstellerpflichten zur Dokumentation, Einpassung und Nachsorge wie klinischer Nachbeobachtung. Den gesamten Bestell- und Kommunikationsprozess in den rein digitalen Handel zu verlegen, verstößt grundlegend gegen die MDR und das vorgeschriebene Verfahren. Denn es reicht nicht, lediglich ein Gipsmodell, Maße und/oder einen Scan zu nutzen und Patient oder Patientin nie gesehen zu haben. MDR-Vorgaben zum Patientenschutz werden missachtet. Nach der Medizinprodukte-Verordnung müssen produktspezifische Transportbedingungen eingehalten werden, die gelieferte Ware muss den Vorgaben entsprechend im qualitätsgerechten Zustand ankommen – das lässt sich beim Versand über den Onlinehandel nicht feststellen.
– Verstoß gegen Mindestanforderungen im Hilfsmittelverzeichnis (HMV): Das HMV und sein Kriterienkatalog führen Anforderungen an die Qualität orthopädischer Einlagen und der damit verbundenen Versorgung auf. Das vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) erstellte HMV liegt den Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zugrunde. Eine reine Online-Versorgung mit orthopädischen Einlagen lässt die Mindestanforderungen im HMV außer Acht. So wird beispielsweise für Einlagen eine Trittspur (Blauabdruck) oder ein 2D-Fußscan gefordert, vereinzelt sind 3D-Fußscan bzw. dreidimensionale Verfahren wie der Schaumabdruck notwendig. Ein Kohlepapierabdruck ist eine veraltete Technik, die von Laien schon gar nicht ausführbar ist, da sie zusätzlich die Kennzeichnung anatomisch relevanter Stellen erfordert. Nicht zuletzt sind die Einlagen von Fachpersonal in einen dafür vorgesehenen Schuh einzupassen – bei reiner Onlineversorgung schlicht unmöglich.
– Verstoß gegen allgemeinen Stand der Technik: Die Hilfsmittelversorgung ist grundsätzlich Teil eines Therapiekonzepts, das auf medizinischen Indikationen basiert sowie orthopädische, biomechanische und neurophysiologische Fachkenntnisse voraussetzt. Zwingend sind die individuelle und persönliche orthopädietechnische Untersuchung, Funktions- sowie Nachkontrolle. Die Do-it-yourself-Modellierung ohne Aufsicht genügt diesen Anforderungen nicht. Besondere Nachteile erleiden ältere, seh- oder hörbehinderte und in ihren motorischen Fähigkeiten eingeschränkte Menschen.
– Verstoß gegen wohnortnahe Versorgung: Laut SGB V hat die Versorgung bei Hilfsmitteln mit Beratungsbedarf wohnortnah zu erfolgen – also zum Beispiel die Anpassung. Der Kontakt über eine Website entspricht dem nicht.
– Verstoß gegen Fürsorgepflicht: Die Krankenkassen müssen ihre Versicherten gemäß SGB V bei zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern unterstützen. Dem widerspricht der Abschluss eines Versorgungsvertrags mit einem allein online agierenden Leistungserbringer. Durch die Auslagerung der Vermessung der Füße an die Versicherten findet eine Haftungsverlagerung statt, was die Durchsetzung von Ansprüchen im Zweifel erschwert.
Hinweis:
Auch wenn andere Versorgungsbereiche bei diesem Gutachten nicht explizit berücksichtigt wurden, sind die Schlussfolgerungen bezogen auf Online-Modelle, die fachliche Kompetenz auf Laien auslagern, übertragbar.
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