Pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach Ampu­ta­tio­nen im Fin­ger- und Hand­be­reich – Stand der Tech­nik nach dem „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extremität”

M. Schäfer, D. Dreher, F. Muders, S. Kunz
Amputationen im Bereich der Finger und der Hand können zu erheblichen Beeinträchtigungen der motorischen, sensiblen und gestikulären Aufgaben der Hand führen. Der entstehende Längen- und Volumenverlust schränkt dabei nicht nur die Oppositionsfunktion und die funktionalen Griffparameter der Hand ein, sondern reduziert auch die sensorische Rückmeldung des Tast- und Sinnesorganes Hand. Beim amputationsbedingten Verlust von Finger- und Handarealen wird in erschreckender Weise deutlich, welche unterschiedlichen Bedeutungen der Hand zukommen. Dass es nahezu allen medizinischen sowie den begleitenden therapeutischen und technischen Maßnahmen im rehabilitativen Prozess nach Finger- und Teilhandamputationen nur auf sehr unvollkommene Weise gelingt, den Verlust von Teilen der Hand zu kompensieren, veranschaulicht, welch wichtigen Stellenwert das Funktions-, Sensibilitäts- und Ausdrucksorgan Hand im Leben des Menschen einnimmt. Der folgende Beitrag soll die Varianten der prothetischen Versorgung nach Finger- und partieller Handamputation näher beleuchten und die technischen Möglichkeiten des funktionellen und ästhetischen Finger- und Handersatzes darstellen. Bewusst werden die Parallelen zum Inhalt des „Qualitäts­standards im Bereich Prothetik der oberen ­Extremität" aufgezeigt, der von den Experten des Vereins zur Qualitätssicherung in der Armprothetik erstellt wurde und in Kürze durch den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik vertrieben wird.

Ästhe­tik und Funk­ti­on in der Fin­ger- und Handprothetik

Die täg­li­che Arbeit mit fin­ger- und hand­am­pu­tier­ten Men­schen ver­an­schau­licht dem Hand- und Arm­pro­the­ti­ker in ein­drucks­vol­ler Wei­se, wel­che unter­schied­li­chen Bedürf­nis­se nach einer Fin­ger- oder Teil­hand­am­pu­ta­ti­on vor­lie­gen kön­nen. Die Mög­lich­kei­ten der funk­tio­na­len und ästhe­ti­schen Fokus­sie­rung kön­nen nicht nur von Anwen­der zu Anwen­der dif­fe­rie­ren, son­dern hän­gen zudem ent­schei­dend von der kli­ni­schen Situa­ti­on und dem Aus­maß des funk­tio­na­len und kör­per­li­chen Defi­zi­tes ab. Vor allem in der post­ope­ra­ti­ven Pha­se emp­fin­den Ampu­tier­te den Ver­lust in der Hand als sehr bedrü­ckend und lei­den unter dem sicht­ba­ren Makel. Im Unter­schied zu Ampu­ta­tio­nen an den unte­ren Extre­mi­tä­ten las­sen sich bei der Hand Ampu­ta­ti­ons­de­fek­te nicht ein­fach durch das Tra­gen geeig­ne­ten Schuh­werks kaschie­ren – spä­tes­tens im Som­mer wür­de es jedem Men­schen auf­fal­len, wenn Hand­schu­he getra­gen wür­den. Die­ser per­ma­nen­ten Sicht­bar­keit in der Umwelt ist es auch zuzu­schrei­ben, dass der Lei­dens­druck gera­de bei Pati­en­ten, die sich viel „unter Men­schen” bewe­gen, beson­ders hoch ist.

Wäh­rend sich die ästhe­ti­sche Wie­der­her­stel­lung mit den heu­ti­gen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten der Pro­the­tik bereits auf einem sehr hohen Niveau befin­det, gelingt die Kom­pen­sa­ti­on des funk­tio­na­len Ver­lus­tes in der Regel nie voll­stän­dig 1. Die Anfor­de­run­gen an eine adäqua­te pro­the­ti­sche Ver­sor­gung kön­nen sich je nach Pro­the­sen­typ und all­täg­li­chem Anfor­de­rungs­pro­fil unter­schied­lich gestal­ten. Ein Groß­teil aller Betrof­fe­nen erhebt den ver­ständ­li­chen Anspruch einer maxi­ma­len Funk­tio­na­li­tät mit dem gleich­zei­ti­gen Anspruch einer rea­lis­ti­schen und unauf­fäl­li­gen Wie­der­her­stel­lung des Kör­per­bil­des. Bei­de Anfor­de­run­gen müs­sen daher im tech­ni­schen Reper­toire des Arm­pro­the­ti­kers vor­han­den sein und kön­nen auf ver­schie­dens­te Wei­se Ein­fluss auf die Gestal­tung der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung neh­men. Dass die Fin­ger- oder Teil­hand­pro­the­se dabei auch noch den enor­men Kräf­ten und Ver­schleiß­an­for­de­run­gen des All­tags­le­bens stand­hal­ten muss, stellt die Ortho­pä­die-Tech­nik vor hohe Her­aus­for­de­run­gen. In der tech­ni­schen Rea­li­sa­ti­on hat der Werk­stoff Sili­kon in den ver­gan­ge­nen zwei Jahr­zehn­ten einen zuneh­men­den Stel­len­wert erhal­ten 2 3 und ist aus die­sen Ver­sor­gungs­ge­bie­ten nicht mehr wegzudenken.

Ästhe­ti­sche Aspek­te in der Fin­ger- und Handprothetik

Die Bedürf­nis­se der Betrof­fe­nen hin­sicht­lich einer mög­lichst unauf­fäl­li­gen Wie­der­her­stel­lung der Extre­mi­tät kön­nen auf ver­schie­de­nen Ursa­chen basie­ren. Wäh­rend es Betrof­fe­ne gibt, die z. B. mit einer ver­schmä­ler­ten Hand in ihrem Lebens­all­tag und einem ent­spre­chen­den All­tags­pro­fil her­vor­ra­gend zurecht­kom­men und über­haupt kei­ne pro­the­ti­sche Ver­sor­gung bean­spru­chen, kann z. B. für einen Mul­ti­in­stru­men­ta­lis­ten, der mit sei­nen 10 Fin­gern ver­schie­de­ne Instru­men­te bedient, nach einer erfolg­ten Klein­fin­ger-End­glie­d­am­pu­ta­ti­on eine Welt zusam­men­bre­chen. Bei­de Reak­tio­nen müs­sen aner­ken­nend und mit dem nöti­gen Ver­ständ­nis behan­delt wer­den. Eine Rei­he wei­te­rer Ein­fluss­fak­to­ren wie z. B. die Per­sön­lich­keits­struk­tur des Ein­zel­nen, sei­ne beruf­li­che Situa­ti­on, das fami­liä­re Umfeld, Hob­bys und Inter­es­sen sowie reli­giö­se und kul­tu­rel­le Zuge­hö­rig­keit kön­nen sich auf den Ver­sor­gungs­pro­zess nach­hal­tig aus­wir­ken. Das Gleich­zie­hen mit Nicht­am­pu­tier­ten, die Reinte­gra­ti­on in das sozia­le Umfeld sowie die Ver­mei­dung von psy­chi­scher Belas­tung und Stig­ma­ti­sie­rung sind Kern­auf­ga­ben der kör­per­li­chen Wie­der­her­stel­lung durch eine Pro­the­sen­ver­sor­gung. Im „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” wer­den die­se Teil­ha­be-Aspek­te in den Kapi­teln 1.1 und 2.1, wel­che die Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­le defi­nie­ren, expli­zit aufgeführt.

Zur Erfül­lung der ästhe­ti­schen Anfor­de­rung an eine pro­the­ti­sche Wie­der­her­stel­lung des Kör­per­bil­des müs­sen Form, Far­be und ober­fläch­li­che Struk­tur der Pro­the­se frei zu gestal­ten sein (Abb. 1). Hier­für haben sich Werk­stof­fe, die im addi­ti­ons­ver­net­zen­den poly­me­ren Ver­fah­ren ver­ar­bei­tet wer­den, bes­tens eta­bliert, da man vor der Durch­füh­rung der Ver­net­zung oder auch bereits im ver­netz­ten Zustand Farb­pig­men­te unter­schied­li­cher Cou­leur bei­mi­schen kann.

Grund­sätz­lich kön­nen alle Farb­tö­ne aus den drei Grund­far­ben Rot, Grün und Blau sowie die unbun­ten Far­ben Schwarz und Weiß erzeugt wer­den. In der Pra­xis hat sich beglei­tend die Ver­wen­dung ver­schie­dens­ter natür­li­cher Braun­tö­ne, die der mensch­li­chen Haut nahe­kom­men, bewährt. Ent­spre­chen­de Struk­tu­ren der Haut­ober­flä­che kön­nen durch beglei­ten­den For­men­bau mit Struk­tur­scha­blo­nen rea­li­siert wer­den. Als beson­ders wich­tig kann im Rah­men der wie­der­her­stel­len­den Pro­the­tik die Gestal­tung des Fin­ger­na­gels bezeich­net wer­den. Die­ser kann in allen erdenk­li­chen Farb­kom­bi­na­tio­nen erstellt wer­den und steht als sicht­ba­res Merk­mal am Ende des Fin­gers und der Pro­the­se im beson­de­ren Blick­fang der betrach­ten­den Umwelt. Grund­sätz­lich kom­men Nägel aus kalt­po­ly­me­ri­sie­ren­dem Acryl oder hoch­tem­pe­ra­tur­ver­net­zen­dem Sili­kon zum Ein­satz, die aus 4 bis 8 Far­ben bestehen und eine ana­lo­ge Farb- und For­mi­mi­ta­ti­on zu den noch vor­han­de­nen Fin­gern bil­den. Der Ver­zicht auf einen Fin­ger­na­gel bei einer Fin­ger- oder Teil­hand­pro­the­se, wie es auch in heu­ti­gen Zei­ten immer wie­der von Kos­ten­trä­ger­sei­te ange­fragt wird, ist gera­de vor dem Hin­ter­grund der ästhe­tisch wie­der­her­stel­len­den Funk­ti­on nicht sinn­voll und soll­te daher ledig­lich bei rei­nen Funk­ti­ons­aus­glei­chen, die kei­nen Anspruch auf eine unauf­fäl­li­ge Wie­der­her­stel­lung der Kör­per­form haben, dis­ku­tiert werden.

Funk­tio­na­le Aspek­te nach Fin­ger- und Handamputationen

Aus bio­me­cha­ni­scher Sicht stellt die Hand das kom­pli­zier­tes­te Organ des mensch­li­chen Kör­pers dar 4. Wenn die Funk­ti­on der Hand im Fokus steht, müs­sen bei der Abwä­gung und Bestim­mung des The­ra­pie­zie­les idea­ler­wei­se alle mög­li­chen funk­ti­ons­ver­bes­sern­den Ansät­ze der jewei­li­gen Dis­zi­pli­nen (Medi­zin, The­ra­pie und Ortho­pä­die-Tech­nik) zusam­men­ge­tra­gen und gemein­sam das best­mög­li­che Vor­ge­hen im Ein­zel­fall abge­wo­gen wer­den. Wäh­rend von the­ra­peu­ti­scher Sei­te die früh­funk­tio­na­le post­ope­ra­ti­ve Mobi­li­sa­ti­on und Beübung der noch vor­han­de­nen Funk­ti­ons­ein­hei­ten wesent­li­che Funk­tio­na­li­tä­ten an der Hand sichert, kön­nen oft­mals auch nach einer fina­len Ampu­ta­ti­on von Fin­gern oder Tei­len der Hand noch funk­ti­ons­ver­bes­sern­de chir­ur­gi­sche Maß­nah­men in Erwä­gung gezo­gen wer­den. Hier­zu zäh­len Hand­ver­schmä­le­run­gen, Seh­nen­ver­la­ge­run­gen zur funk­tio­na­len Sta­bi­li­sie­rung der Hand­si­tua­ti­on und Erhalt des mus­ku­lä­ren Gleich­ge­wich­tes sowie loka­le Lap­pen zum Extre­mi­tä­ten- und Funktionserhalt.

Auch der Zehen­trans­fer kann bei ent­spre­chend vor­han­de­nen Grund­be­din­gun­gen eine funk­ti­ons­ver­bes­sern­de chir­ur­gi­sche Maß­nah­me dar­stel­len 5. Er erfüllt jedoch in vie­len Fäl­len nicht die Anfor­de­rung an die ästhe­ti­sche Wie­der­her­stel­lung der Kör­per­form und des unauf­fäl­li­gen Aus­se­hens. Der ope­ra­ti­ve Ein­griff eines Zehen­trans­fers wird daher zumeist mit dem Ziel einer Ver­bes­se­rung der Hand­funk­ti­on durch­ge­führt und erfolgt über­wie­gend bei Betrof­fe­nen mit ange­bo­re­nen Fehl­bil­dun­gen. Die Ent­schei­dung zur Durch­füh­rung einer wei­te­ren Ampu­ta­ti­on am Fuß wird hin­ge­gen von den meis­ten trau­ma­tisch ampu­tier­ten Pati­en­ten ent­schie­den abge­wie­sen. Eine Aus­nah­me bil­den hier­bei Zehen­trans­fers auf die Dau­men­sei­te, die sowohl funk­tio­nell als auch ästhe­tisch ein anspre­chen­des Ergeb­nis dar­stel­len können.

Eine Dif­fe­ren­zie­rung der funk­tio­na­len Betrach­tung kann es im Ver­gleich zur pro­the­ti­schen Ver­sor­gung nicht geben. Auch die­se hat sich an den Bewer­tun­gen des funk­tio­nel­len Zuge­win­nes zu ori­en­tie­ren. Funk­tio­nel­ler Zuge­winn bedeu­tet im Leben eines fin­ger- und teil­hand­am­pu­tier­ten Pro­the­sen­an­wen­ders, dass er auf­grund der Pro­the­se in der Lage ist, wie­der­keh­ren­de Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens durch­zu­füh­ren, die er ohne Pro­the­se nicht durch­füh­ren könn­te. Eine ent­spre­chen­de Bewer­tung kann nach unter­schied­li­chen Kri­te­ri­en erfol­gen 6, zum Beispiel:

  • Zunah­me der ges­ti­ku­lä­ren Funktionen
  • Wie­der­her­stel­lung von Hal­te- und Füh­rungs­funk­tio­nen der Hand
  • Unter­stüt­zung bima­nu­el­ler Arbeitsprozesse
  • Wie­der­her­stel­lung und Ver­grö­ße­rung der Fin­ger­län­ge, der Griff­flä­che und des Kraft­schlus­ses der Hand
  • Zuge­winn an Griff­ar­ten und Greif­for­men im täg­li­chen Leben (Abb. 2). Hier emp­fiehlt sich die Dif­fe­ren­zie­rung der Griff­ar­ten nach Kapan­dij 7 in sta­ti­sche Grif­fe, Grif­fe unter dem vor­wie­gen­den Ein­fluss der Schwer­kraft und dyna­mi­sche Griffe.

Als ent­schei­den­de Ein­fluss­fak­to­ren auf das funk­tio­na­le Out­co­me mit der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung kön­nen die kli­ni­schen Grund­be­din­gun­gen (Haut­zu­stand, erhal­te­ne Mus­kel­funk­tio­nen, erhal­te­ne Gelenk­funk­tio­nen) sowie die zur Ver­fü­gung ste­hen­den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung genannt werden.

Prä­pro­the­ti­sche Maßnahmen

Zur Ver­mei­dung post­ope­ra­ti­ver Funk­ti­ons­ver­lus­te noch vor­han­de­ner Bewe­gun­gen und Mus­kel­kräf­te sowie zur Gewähr­leis­tung eines opti­ma­len Reha­bi­li­ta­ti­ons­ver­lau­fes soll­te im Ide­al­fall und umge­hend nach Durch­füh­rung der Ampu­ta­ti­on und Ent­fer­nung der Fäden ein früh­funk­tio­na­les post­ope­ra­ti­ves Behand­lungs­kon­zept durch erfah­re­ne Hand­the­ra­peu­ten ein­ge­lei­tet wer­den. Wesent­li­che Bestand­tei­le die­ser Behand­lung müs­sen stets mit dem behan­deln­den Fach­arzt abge­stimmt wer­den und kön­nen sich in Abhän­gig­keit von der Ampu­ta­ti­ons­si­tua­ti­on wie folgt dar­stel­len 8:

  • Nar­ben­be­hand­lung, Ver­mei­dung von Kel­oiden und Pfle­ge der Nar­be (Mas­sa­ge)
  • Ödem­be­hand­lung und Ein­lei­tung einer Kom­pres­si­ons­the­ra­pie zur Kon­so­li­die­rung der Stumpfverhältnisse
  • Mobi­li­sa­ti­on der noch vor­han­de­nen Gelenk­funk­tio­nen in Fin­gern und Hand
  • Desen­si­bi­li­sie­rungs­maß­nah­men am Ampu­ta­ti­ons­be­reich (Druck­emp­find­lich­keit, Berüh­rung, Tem­pe­ra­tur­emp­fin­den, Abhärtung)
  • Schmerz­be­hand­lung (tro­phi­sche Schmer­zen, Neu­rom­schmer­zen, Phantomschmerzen)

Eine pro­the­ti­sche Ver­sor­gung mit elas­ti­scher Sili­kon-Voll­kon­takt-Schaft­tech­nik, wie sie seit Jah­ren dem Ver­sor­gungs­stan­dard nach Fin­ger- und Hand­am­pu­ta­tio­nen ent­spricht, bewirkt bei fast allen Ampu­ta­ti­ons­si­tua­tio­nen – selbst bei Stümp­fen, deren ope­ra­ti­ve Stumpf­bil­dung bereits Jah­re zurück­liegt – Form­än­de­run­gen und Volu­men­re­duk­tio­nen. Dies liegt zum einen an der kom­pres­si­blen und ent­stau­en­den Wir­kung der elas­ti­schen Schaft­bet­tung, zum ande­ren jedoch auch an der zuneh­men­den Kraft­ein­wir­kung durch die Pro­the­sen­nut­zung im All­tag. Daher soll­te bereits im Rah­men der früh­funk­tio­na­len Behand­lung eine Kom­pres­si­ons­the­ra­pie ein­ge­lei­tet wer­den. Steht zu die­sem Zeit­punkt bereits fest, dass der Ampu­tier­te eine pro­the­ti­sche Ver­sor­gung benö­ti­gen wird, soll­te die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie mit for­man­ge­pass­ten Sili­kon-Kom­pres­si­ons­ele­men­ten erfol­gen. Die­se begüns­ti­gen gera­de in der sen­si­blen post­ope­ra­ti­ven Pha­se eine Schmerz­re­duk­ti­on und unter­stüt­zen auf­grund ihrer Schmutz- und Feuch­tig­keits­re­sis­tenz den funk­tio­nel­len Ein­satz der Hand im Lebens­all­tag (Abb. 3). Die kon­se­quen­te Kom­pres­si­ons­the­ra­pie erfolgt in Abhän­gig­keit von der Stumpf­si­tua­ti­on über einen Zeit­raum von ca. 3 bis 6 Wochen ­beglei­tend zu den the­ra­peu­ti­schen Maßnahmen.

Pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach Finger-Amputationen

Die von Schä­fer im Jah­re 2002 erstell­te und 2008 ergänz­te Klas­si­fi­ka­ti­on 3 9 der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung nach Fin­ger­am­pu­ta­tio­nen hat sich über Jah­re hin­weg im All­tag bewährt und ori­en­tiert sich an der Zuord­nung der Län­ge des Fin­ger­stump­fes und den dar­aus resul­tie­ren­den Anfor­de­run­gen an die Kon­struk­ti­on einer adäqua­ten fin­ger­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung (Abb. 4). Wesent­li­chen Ein­fluss auf das funk­tio­na­le Out­co­me nimmt die Funk­ti­on und Kraft­ent­fal­tung noch vor­han­de­ner und an den Fin­ger­stumpf angren­zen­der Struk­tu­ren (Gelen­ke und Mus­ku­la­tur). Eben­so wir­ken sich Stumpf­län­ge und Stumpf­ver­hält­nis­se maß­geb­lich auf Funk­tio­na­li­tät und Ästhe­tik des End­pro­duk­tes aus.

Mit der Klas­si­fi­ka­ti­on und Zuord­nung der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung nach Stumpf­län­gen und Funk­tio­nen noch vor­han­de­ner Gelen­ke lässt sich die fin­ger­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung auch nach dem „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” sys­te­ma­tisch abbil­den. Die im Rah­men der fin­ger­pro­the­ti­schen Klas­si­fi­ka­ti­on bereits beschrie­be­nen Kon­struk­ti­ons­stan­dards 3 9 wer­den an die­ser Stel­le nicht wie­der­holt, hin­ge­gen sol­len zur Dar­stel­lung des Qua­li­täts­stan­dards wesent­li­che Kon­struk­ti­ons­merk­ma­le der fin­ger­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung dar­ge­stellt werden:

Schaft­for­men und Schaft­ge­stal­tungs­va­ri­an­ten in der Fingerprothetik

Zir­ku­lä­rer Voll­kon­takt-Kom­pres­si­ons­schaft (Abb. 5, links oben)

Der zir­ku­lä­re Voll­kon­takt-Kom­pres­si­ons­schaft aus HTV-Sili­kon ist die am häu­figs­ten vor­kom­men­de Schaft­ge­stal­tungs­va­ri­an­te in der Fingerprothetik.

Lap­pen­schaft­tech­nik zur Befes­ti­gung der Fin­ger­pro­the­se (Abb. 5, rechts oben)

Die­se Schaft­tech­nik kommt aus­schließ­lich bei ultra­kur­zen Fin­ger­stümp­fen oder Exar­ti­ku­la­tio­nen im MCP, wenn also kei­ne Haf­tung durch eine zir­ku­lä­re Kom­pres­si­on zu errei­chen ist, zum Ein­satz. Die Haf­tung wird in die­sem Fall durch Anwen­dung eines medi­zi­ni­schen Haut­kle­bers erreicht, wodurch eine groß­vo­lu­mi­ge­re Schaft­ge­stal­tung mit zir­ku­lä­rer Fix­a­ti­on der Mit­tel­hand ver­mie­den wer­den kann.

Zir­ku­lä­rer Mit­tel­hand­schaft mit einem Fin­ger (Abb. 5, links unten)

Die­se kon­struk­ti­ve Vari­an­te kommt vor­nehm­lich bei der Dau­men-Gegen­griff­pro­the­se mit ultra­kur­zem bis gar kei­nem Stumpf­an­satz zum Tragen.

Varia­ble Här­te­be­rei­che in der Schaft­kon­struk­ti­on (Abb. 5, rechts unten)

Über die Shore-Här­te des Sili­kons (Shore-Här­te-Bereich A 20 — 50) kön­nen die Fes­tig­keits- und Haf­tungs­ei­gen­schaf­ten des Pro­the­sen­schaf­tes zusätz­lich gesteu­ert wer­den. Die Erfah­rung zeigt, dass es sinn­voll ist, den Schaft bei wei­chen Fin­ger­stümp­fen in einer höhe­ren Shore-Här­te zu wäh­len, wäh­rend fes­te und sen­si­ble Fin­ger­stümp­fe die Bet­tung in wei­che­ren Sili­ko­nen bevor­zu­gen. Bei erhöh­ten Fes­tig­keits­an­for­de­run­gen, wie dies z. B. beim Auf­bau der Dau­men-Griff­kraft gefor­dert ist, hat sich die Inte­gra­ti­on bila­te­ra­ler hoch­sho­ri­ger Sili­kon-Sta­bi­li­sa­to­ren bewährt.

Bet­tungs­tech­ni­ken, Haft­me­cha­nis­men, Befestigungen

Inte­gra­ti­on von par­ti­el­len Ent­las­tungs­area­len und Gelbettungen

Bei Fin­ger­pro­the­sen kom­men par­ti­el­le Ent­las­tungs­area­le in Form von Gel­bet­tun­gen am Stump­fen­de vor. Dies ist dann ange­zeigt, wenn der Fin­ger­stumpf eine spär­li­che Stumpf­de­ckung auf­weist und beim Klop­fen auf einen har­ten Unter­grund Schmer­zen auslöst.

Hohl­raum­in­te­gra­ti­on

Die Inte­gra­ti­on von Hohl­räu­men ist nur bei der Sili­kon-Fin­ger­pro­the­se Typ IIIa+b sinn­voll, da erst bei die­sem pro­the­ti­schen Län­gen­aus­gleich genü­gend Innen­raum zur Ver­fü­gung steht. Der Hohl­raum kann zum einen zur Erhö­hung der Haf­tungs­ei­gen­schaf­ten die­nen. Hier­zu wird zwi­schen Pro­the­sen­schaft und Hohl­raum ein fei­ner Ver­bin­dungs­ka­nal her­ge­stellt. Zum ande­ren fin­det die Inte­gra­ti­on eines Hohl­rau­mes ver­mehrt Ein­satz, wenn es bei ultra­kur­zen Fin­ger­stümp­fen dar­um geht, das Gewicht der Pro­the­se auf ein Mini­mum zu redu­zie­ren und somit eine gute Füh­rung und sta­bi­le Fin­ger­po­si­ti­on beim Tra­gen der Pro­the­se sicherzustellen.

Side-by-Side-Ankopp­lung einer Sili­kon-Fin­ger­pro­the­se (Abb. 6, links)

Die­se Vari­an­te kann bei einer Mehr­fin­ger­ver­sor­gung zum Ein­satz kom­men, wenn ein Fin­ger zu kur­ze Stumpf­ver­hält­nis­se für eine aus­rei­chen­de Befes­ti­gung des Pro­the­sen­schaf­tes auf­weist. In die­sem Fall kann die dazu­ge­hö­ri­ge Pro­the­se mit einem Hohl­raum ver­se­hen und mit einer „Sili­kon-Brü­cke” zum Nach­bar­fin­ger ver­bun­den werden.

Ring­be­fes­ti­gung einer Pro­the­se (Abb. 6, rechts)

Die Befes­ti­gung einer Pro­the­se an einem Ring der benach­bar­ten Fin­ger stellt eben­falls eine unter­stüt­zen­de Befes­ti­gungs­maß­nah­me bei unge­nü­gen­den Befes­ti­gungs­mög­lich­kei­ten dar. Beglei­tend zur Ring­be­fes­ti­gung kann man die Haf­tung durch Ver­wen­dung eines medi­zi­ni­schen Haut­kle­bers im Schaft­füh­rungs­be­reich nutzen.

Pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach par­ti­el­len Ampu­ta­tio­nen im Bereich der Hand

Man spricht immer dann von par­ti­el­len Hand­am­pu­ta­tio­nen, wenn ein­zel­ne Fin­ger nach der Ampu­ta­ti­on noch vor­han­den sind und der Ampu­ta­ti­ons­de­fekt über das Niveau der Fin­ger hin­aus bis in die Mit­tel­hand und/oder Hand­wur­zel hin­ein­reicht. Pro­the­ti­sche Kon­struk­tio­nen schlie­ßen in der Regel Mit­tel­hand und Hand­wur­zel mit ein. In Anleh­nung an die Aus­füh­run­gen von Beas­ley zu Beginn der 80er Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts hat sich in der kli­ni­schen Dif­fe­ren­zie­rung die Unter­tei­lung in trans­ver­sa­le Hand­am­pu­ta­tio­nen (Abb. 7, links oben), zen­tra­le oder mit­tel­stän­di­ge Hand­am­pu­ta­tio­nen (Abb. 7, links unten), lon­gi­tu­di­na­le ulnare Hand­am­pu­ta­tio­nen (Abb. 7, rechts oben) sowie lon­gi­tu­di­na­le radia­le Hand­am­pu­ta­tio­nen (Abb. 7, rechts unten) bewährt 10 11.

Die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung par­ti­el­ler Hand­am­pu­ta­tio­nen kann als größ­te Her­aus­for­de­rung in der Hand­pro­the­tik bezeich­net wer­den, da es gilt, noch vor­han­de­ne Funk­ti­ons­ein­hei­ten, Fin­ger­strah­len und Gewöl­be zu berück­sich­ti­gen, da kei­ne Beein­träch­ti­gung die­ser Rest­funk­tio­nen durch die pro­the­ti­sche Kon­struk­ti­on erfol­gen darf. Gemäß dem Mot­to „Form fol­lows func­tion” wer­den die Pro­the­sen­schäf­te im güns­ti­gen Fall aus Sili­kon und Pre­preg gestal­tet, mit dem Ziel, der noch vor­han­de­nen Hand maxi­ma­le Frei­räu­me und sen­so­risch fle­xi­ble Bet­tungs­be­rei­che zu bieten.

In Anleh­nung an die funk­tio­na­len Eigen­schaf­ten emp­fiehlt es sich, die Pro­the­sen­ar­ten in der Par­ti­al­hand­pro­the­tik in 4 Kate­go­rien ein­zu­tei­len 11:

Habi­tus­pro­the­sen sind pas­si­ve Pro­the­sen, denen die Auf­ga­be zukommt, die Erschei­nung, die Kör­per­hal­tung sowie die äuße­re Gestalt der ampu­tier­ten Glied­ma­ße wie­der herzustellen.

Unglück­li­cher­wei­se wird der Begriff „pas­siv” häu­fig mit „funk­ti­ons­los” asso­zi­iert. Eine moder­ne Habi­tus­pro­the­se hat jedoch nichts mehr mit der alt­her­ge­brach­ten „PVC-Reiß­ver­schluss-Schmuck­pro­the­se” zu tun. Die­se weder funk­tio­na­le noch ästhe­ti­sche Vari­an­te der frü­hen Teil­hand­ver­sor­gung soll­te mit der end­gül­ti­gen Abschaf­fung der Bun­des­pro­the­sen­lis­te eben­falls ad acta gelegt wer­den. Viel­mehr sind die Kon­struk­ti­ons­be­stand­tei­le der Habi­tus­pro­the­se auf die best­mög­li­che Wie­der­her­stel­lung von Kör­per­form und Ästhe­tik aus­ge­rich­tet. Die pas­si­ven Habi­tus­pro­the­sen kön­nen jedoch viel­fa­che Auf­ga­ben der bima­nu­el­len All­tags­tä­tig­kei­ten wie das Hal­ten, Füh­ren und Bewe­gen von Gegen­stän­den erfüllen.

Zusätz­li­che Gelenk­sys­te­me kön­nen den pas­si­ven Habi­tus­pro­the­sen arre­tier­ba­re, beweg­li­che und teil­fi­xier­te Fin­ger­po­si­tio­nen ermög­li­chen, die sich durch ein­fa­ches Aus­lö­sen per Zug- und/oder Druck­me­cha­nis­men in unter­schied­li­che Stel­lun­gen manö­vrie­ren las­sen (Abb. 9) und somit auch der pas­si­ven Hand ein „Mehr” an Funk­ti­on ver­lei­hen. Ein akti­ves Grei­fen ist mit die­ser Pro­the­sen­art jedoch nicht möglich.

Par­ti­al­hand-Arbeits­pro­the­sen sind aus­schließ­lich auf Funk­ti­on und Belas­tung aus­ge­legt. Die Wie­der­her­stel­lung des Kör­per­bil­des spielt bei die­ser Pro­the­sen­bau­art zumeist eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Hin­ge­gen for­dert der pro­the­ti­sche Auf­bau häu­fig robus­te und belast­ba­re Konstruktionen.

Mit Par­ti­al­hand-Arbeits­pro­the­sen kön­nen schwe­re Gegen­stän­de getra­gen wer­den, es wird damit Sport getrie­ben, und von ihnen kön­nen auch mul­ti­funk­tio­na­le Nut­zungs­ei­gen­schaf­ten und Befes­ti­gungs­mög­lich­kei­ten gefor­dert werden.

Da Arbeits­pro­the­sen häu­fig mit Schmutz und Feuch­tig­keit kon­fron­tiert sind, emp­fiehlt sich auch hier in Teil­be­rei­chen der Ein­satz von Sili­kon. Aller­dings wer­den die Sili­ko­ne hier im Wesent­li­chen in einer sehr hohen und mecha­nisch belast­ba­ren Shore-Här­te aus­ge­wählt und bil­den zumeist nicht die tra­gen­den Schaft­kon­struk­tio­nen, son­dern wer­den zur feuch­tig­keits­re­sis­ten­ten Umman­te­lung der robus­ten, oft­mals unter Ver­wen­dung von Car­bon, Edel­stahl und Nylon-Kom­po­nen­ten her­ge­stell­ten Schaft­kon­struk­tio­nen verwendet.

Für den Ein­satz von Arbeits­werk­zeu­gen ver­schie­dens­ter Berufs­grup­pen kön­nen die Pro­the­sen mit mul­ti­funk­tio­na­len Adap­tern zum Aus­tau­schen der unter­schied­lichs­ten Arbeits­ge­rä­te aus­ge­stat­tet wer­den (Abb. 10).

Par­ti­al­hand-Eigen­kraft­pro­the­sen (Abb. 8, rechts oben)

Par­ti­al­hand-Eigen­kraft­pro­the­sen ermög­li­chen die Durch­füh­rung einer grob­mo­to­ri­schen akti­ven Greif­be­we­gung unter Aus­nut­zung vor­han­de­ner kör­per­ei­ge­ner Funk­tio­nen. Wird das Hand­ge­lenk als Kraft­quel­le gewählt, muss die Pro­the­sen­kon­struk­ti­on unter­arm­lang aus­ge­führt wer­den. Bei der direk­ten Bewe­gungs­steue­rung wer­den die funk­tio­nals­ten Ergeb­nis­se erzielt. Die kon­struk­ti­ven Greif­ele­men­te müs­sen einen rigi­den Auf­bau beinhal­ten, da ansons­ten der Kraft­ver­lust beim Grei­fen zu hoch wird. Par­ti­al­hand-Eigen­kraft­pro­the­sen mit Zug- oder hebel­ge­steu­er­ten Bewe­gungs­me­cha­nis­men (z. B. M‑Finger, X‑Finger) ermög­li­chen zwar den Antrieb arti­ku­lie­ren­der Fin­ger­ein­hei­ten 11, jedoch ent­wi­ckeln die­se Sys­te­me eine nur beschei­de­ne Griff­kraft, wodurch sie in vie­len Anwen­dun­gen den Rang einer funk­tio­na­len Pro­the­sen­ver­sor­gung nicht errei­chen. Mit etwas Weh­mut blickt man auf die eigen­kraft­ge­steu­er­ten Sau­er­bruch­pro­the­sen zurück, die neben einer dosier­ba­ren funk­tio­na­len Rück­mel­dung auch noch sen­si­ble Infor­ma­tio­nen trans­por­tie­ren konn­ten, und fragt sich, wo die­se Tech­no­lo­gie mit den heu­ti­gen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ste­hen könnte.

Par­ti­al­hand-Fremd­kraft­pro­the­sen (Abb. 8, rechts unten)

Die Par­ti­al­hand-Fremd­kraft­pro­the­tik ist jenes Gebiet, dem in der funk­tio­na­len pro­the­ti­schen Ver­sor­gung von par­ti­el­len Hand­de­fek­ten aktu­ell von den ver­schie­de­nen Par­tei­en der tech­ni­schen Ortho­pä­die, der For­schung und Ent­wick­lung sowie der ortho­pä­di­schen Indus­trie ver­mehr­te Auf­merk­sam­keit geschenkt wird. Die Mög­lich­keit, mit einer Par­ti­al­hand-Pro­the­se eine will­kür­li­che akti­ve Bewe­gung mit pro­por­tio­na­lem Griff­kraft­ver­hal­ten anzu­steu­ern, bie­tet in der funk­tio­na­len Bewer­tung einen hohen Nut­zen: Der Anwen­der ist weder auf einen gro­ßen Bewe­gungs­um­fang vor­han­de­ner Gelen­ke noch auf die Mus­kel­kraft zur Ansteue­rung aktiv grei­fen­der Fin­ger ange­wie­sen. Aktu­ell sind zwei Sys­te­me am Markt erhält­lich: das Pro­di­git-Sys­tem von Touch­bio­nics und das Vin­cent-Fin­ger­sys­tem 12, das von dem deut­schen Start-up-Unter­neh­men Vin­cent Sys­tems ver­trie­ben wird. Bei­de Sys­te­me dür­fen nur nach inten­si­ver Schu­lung und Zer­ti­fi­zie­rung des erfah­re­nen Arm­pro­the­ti­kers zur Anwen­dung kom­men, was bei der Kom­ple­xi­tät die­ses Ver­sor­gungs­ge­bie­tes sehr sinn­voll ist.

Wäh­rend das Pro­di­git-Sys­tem in einem rei­nen funk­tio­na­len Zustand und mit Sili­kon-Fin­ger­schutz­kap­pen ver­trie­ben wird, hat sich Vin­cent Sys­tems einer kos­me­ti­schen Gesamt­lö­sung ange­nom­men: Neben trans­pa­ren­ten und bun­ten Kos­me­tik­über­zü­gen, die auf­grund der unter­schied­li­chen Form­auf­bau­ten und Geo­me­trien der Par­ti­al­hand-Fremd­kraft­pro­the­sen nur nach indi­vi­du­el­ler Abfor­mung oder Scan der Pro­the­se gefer­tigt wer­den, sind auch ästhe­ti­sche, in Form und Far­be abge­stimm­te Sili­kon­kos­me­ti­ken ver­füg­bar. Gerin­ge­re Auf­bau­hö­hen und eine schlan­ke­re Bau­wei­se ermög­li­chen den erwei­ter­ten Ein­satz auch bei län­ge­ren Mit­tel­hand­stümp­fen und stel­len dem ver­sier­ten Arm­pro­the­ti­ker eine Viel­zahl unter­schied­lichs­ter Ver­sor­gungs­op­tio­nen zur Verfügung.

Welt­weit haben sich Exper­ten­teams gebil­det, die sich mit der Ver­sor­gung durch sol­che Sys­te­me inten­siv aus­ein­an­der­ge­setzt haben 11 13 14. Resul­tie­rend aus den 7‑jährigen Erfah­run­gen in der Ver­sor­gung mit myo­elek­tri­schen Fin­ger­sys­te­men kön­nen zum heu­ti­gen Zeit­punkt die fol­gen­den Aus­sa­gen getrof­fen werden:

Ein­hal­tung der Hand­grö­ße und Geometrie

Die Ein­hal­tung der Hand­grö­ße und vor allem der Hand­ar­chi­tek­tur soll­te als unbe­ding­tes „Muss” in der fremd­kraft­be­trie­be­nen Par­ti­al­hand­pro­the­tik Berück­sich­ti­gung fin­den (Abb. 11). Eine Inter­net-Recher­che zum The­ma zeigt viel­fa­che Ver­sor­gun­gen, in denen weder ange­pass­te Fin­gerend­län­gen noch ana­lo­ge Hand­grö­ßen (im Ver­gleich zur kon­tra­la­te­ra­len Hand­sei­te) gewählt wur­den. Leicht grö­ße­re Volu­mi­na kön­nen kon­struk­ti­ons­be­dingt zwar nicht immer ver­mie­den wer­den. Eine Ver­län­ge­rung der indi­vi­du­el­len Hand­län­ge ist jedoch nur dann tole­ra­bel, wenn alle 5 Fin­ger pro­the­tisch zu erset­zen sind und die Griff­geo­me­trien dadurch erhal­ten wer­den. Gera­de vor dem Hin­ter­grund, dass bei den Par­ti­al­hand-Fremd­kraft­pro­the­sen oft­mals noch ein­zel­ne Fin­ger­strah­len mit vol­len Bewe­gungs­um­fän­gen vor­han­den sind, sind Miss­ach­tun­gen im Auf­bau der Kör­per­form sowie eine Über­län­ge der pro­the­ti­schen Fin­ger­auf­bau­ten aus ortho­pä­die­tech­ni­scher Sicht inakzeptabel.

Aus­wahl der geeig­ne­ten Sensorik

In der Par­ti­al­hand-Fremd­kraft­pro­the­tik kön­nen unter­schied­li­che Sen­so­ren zur Ansteue­rung der Hand­funk­tio­nen zum Ein­satz kom­men. Grund­sätz­lich wer­den Elek­tro­den, wel­che die Akti­ons­po­ten­zia­le der Mus­ku­la­tur auf­grei­fen und via Con­trol­ler in pro­por­tio­nal gesteu­er­te Hand­be­we­gun­gen umset­zen, bevor­zugt. Ent­schei­dend ist hier­bei jedoch, dass die gewähl­ten Myo­si­gna­le ein­deu­tig zu defi­nie­ren sind und ein kom­pen­sa­to­ri­sches Aus­lö­sen bei beglei­ten­den Bewe­gun­gen noch vor­han­de­ner Gelen­ke (Fin­ger- und Hand­ge­lenk) aus­ge­schlos­sen ist. Da der­ar­ti­ge ein­deu­ti­ge Signal­ge­bun­gen nicht bei allen Par­ti­al­hand­stümp­fen vor­zu­fin­den sind, kön­nen wahl­wei­se auch FSR-Sen­so­ren (soge­nann­te Touch­pads) oder Bie­ge­sen­so­ren zum Ein­satz kommen.

Akku­ma­nage­ment

Die Wahl der Akku­grö­ßen hängt ent­schei­dend von der All­tags­nut­zung des Anwen­ders sowie der Anzahl der anzu­steu­ern­den Fin­ger ab. In der Regel kom­men Lithi­um-Ionen- oder Lithi­um-Poly­mer-Zel­len zum Ein­satz, die für den Ein­satz in Medi­zin­ge­rä­ten geprüft und frei­ge­ge­ben wur­den. Für 4- bis 5‑fingrige Par­ti­al­hand-Fremd­kraft­pro­the­sen soll­ten Akku-Kapa­zi­tä­ten von min­des­tens 1.900 mAh zur Ver­fü­gung ste­hen. Kom­men weni­ger Myo­fin­ger zum Ein­satz, kön­nen die benö­tig­ten Akku-Kapa­zi­tä­ten ent­spre­chend redu­ziert werden.

Unter­arm­freie Partialhand-Fremdkraftprothesen-Versorgung

Bei par­ti­el­len Hand­am­pu­ta­tio­nen mit ver­blei­ben­den län­ge­ren Stumpf­ver­hält­nis­sen wie auch bei klei­nen Hän­den muss die Tech­nik, d. h. Con­trol­ler und Akku­ma­nage­ment, in den Unter­arm ver­legt wer­den. Hier­für eig­nen sich tech­ni­sche Man­schet­ten aus Sili­kon, Neo­pren und Nylon, die den Akku­zel­len ent­spre­chend Schutz bie­ten sowie zug­sta­bil und fle­xi­bel mit dem Par­ti­al­hand-Pro­the­sen­schaft in Ver­bin­dung stehen.

Las­sen Ampu­ta­ti­ons­hö­hen die Inte­gra­ti­on der Tech­nik (Con­trol­ler, Akku, Elek­tro­de, Ladeste­cker) im Hand­be­reich zu und kann dies tech­nisch rea­li­siert wer­den, soll­te die­se Ver­sor­gungs­va­ri­an­te stets prä­fe­riert wer­den (Abb. 12). Denn dadurch wird der vol­le Bewe­gungs­um­fang des Hand­ge­len­kes ermög­licht und das tech­ni­sche Ver­sor­gungs­sys­tem kom­plett in der Hand belassen.

Pro­tek­to­ren und ästhe­ti­sche Hand­schu­he für Partialhand-Fremdkraftprothesen

Die Gestal­tung ästhe­ti­scher Hand­schuh­va­ri­an­ten zu die­sen Ver­sor­gungs­ar­ten stellt eine gro­ße Her­aus­for­de­rung dar: Einer­seits müs­sen die­se Pro­tek­to­ren das ästhe­ti­sche Bild der Hand wie­der­her­stel­len und das Ein­drin­gen von Schmutz und Feuch­tig­keit ver­hin­dern, ande­rer­seits gilt es, die gro­ßen Bewe­gungs­um­fän­ge in den Fin­ger- und Meta­car­pal­ge­len­ken zu ermög­li­chen. Auf­grund der unter­schied­li­chen Geo­me­trien der pro­the­ti­schen Kon­struk­tio­nen kön­nen die­se Anfor­de­run­gen aus­schließ­lich durch indi­vi­du­ell ange­fer­tig­te, form­ad­ap­tier­te und hoch­elas­ti­sche Hand­schu­he erfüllt wer­den. Die pro­the­ti­schen Fin­ger­auf­bau­ten wer­den an druck­sen­si­blen Berei­chen mit addi­ti­ven Pro­tek­to­ren aus Sili­kon geschützt. Die Hand­schu­he soll­ten am pro­xi­ma­len Ende der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung abschlie­ßen, wobei bei den Kom­plett­hand­va­ri­an­ten ohne Unter­arm­füh­rung in die­sem Bereich das Anbrin­gen einer dich­ten­den Sili­kon­lip­pe emp­feh­lens­wert ist (Abb. 13).

Ver­sor­gungs­ab­lauf, Ser­vice und War­tung, Qualitätssicherung

Grund­sätz­lich soll­te im Vor­feld der defi­ni­ti­ven pro­the­ti­schen Ver­sor­gung eine Pro­be­pro­the­se ange­fer­tigt wer­den. Die­se dient zum einen zur Län­gen- und Volu­men­be­stim­mung der Fin­ger- oder Par­ti­al­hand­pro­the­se, zum ande­ren kann damit die funk­tio­na­le Posi­ti­on und Stel­lung der Pro­the­se bestimmt wer­den. Die Pro­be­pro­the­se ist in dem defi­ni­ti­ven Schaft­ma­te­ri­al anzu­fer­ti­gen, sodass bereits im Rah­men der Pro­be­ver­sor­gung Mate­ri­al­un­ver­träg­lich­kei­ten, die Druck­ver­träg­lich­keit der Haut sowie der Tra­ge­kom­fort durch den Pati­en­ten eva­lu­iert wer­den kön­nen. Erst nach Erfül­lung der genann­ten Vor­ga­ben und nach aus­gie­bi­ger Test­pha­se der Pro­be­pro­the­se soll­te mit der Anfer­ti­gung der defi­ni­ti­ven Fin­ger- oder Par­ti­al­hand­pro­the­se begon­nen werden.

Die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung soll­te im jähr­li­chen Tur­nus gewar­tet wer­den. Dabei wird die Funk­ti­ons­tüch­tig­keit über­prüft, ver­schlis­se­ne Berei­che wie z. B. die Stumpf­bet­tung und Fin­ger­er­satz­tei­le repa­riert oder ggf. erneu­ert. Fremd­kraft­be­trie­be­ne Par­ti­al­hand­pro­the­sen bean­spru­chen auf­grund ihres kom­ple­xen Auf­baus, der erfah­rungs­ge­mäß hohen Bean­spru­chung sowie der noch nicht vor­lie­gen­den Lang­zeit­er­fah­run­gen eine erhöh­te Auf­merk­sam­keit. Daher sind gera­de in den Anfangs­jah­ren die­ser Ver­sor­gungs­va­ri­an­te etwa­ige her­stel­ler­be­zo­ge­ne Garan­tie­er­wei­te­run­gen für die elek­tri­schen Funk­ti­ons­kom­po­nen­ten zu empfehlen.

Im Zuge einer pro­the­ti­schen Erst­ver­sor­gung soll­te zeit­nah nach Abga­be der Defi­ni­tiv­pro­the­se ein Kon­troll­ter­min ange­setzt wer­den, der zur Sicher­stel­lung der Pass­form und Nut­zung der Pro­the­se dient. Zur Qua­li­täts­si­che­rung wer­den die kli­ni­schen Daten, die Ver­sor­gungs­pla­nung, die Ver­sor­gungs­ab­läu­fe (Pro­be- und Defi­ni­tiv­pro­the­se) sowie die Abnah­me­pro­to­kol­le anhand der Form­blät­ter des „Qua­li­täts­stan­dards im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” 15, Kapi­tel 1.15 und 2.15, dokumentiert.

Fazit

Die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach par­ti­el­len und tota­len Ampu­ta­tio­nen im Fin­ger- und Hand­be­reich stellt an den geschul­ten Arm­pro­the­ti­ker hohe Anfor­de­run­gen. Ästhe­ti­sche Aspek­te müs­sen eben­so wie funk­tio­na­le Anfor­de­run­gen beur­teilt und tech­nisch umge­setzt wer­den. Neu­ar­ti­ge funk­tio­na­le Erwei­te­run­gen und elek­tro­ni­sche Bau­tei­le spie­len dabei eine eben­so wich­ti­ge Rol­le wie die Rea­li­sa­ti­on mini­ma­lis­ti­scher, indi­vi­du­ell ange­pass­ter Stumpfbettungsvarianten.

Das neue Werk „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” unter­stützt die­se Bestre­bun­gen und defi­niert einen gere­gel­ten Ver­sor­gungs­ab­lauf mit allen dazu­ge­hö­ri­gen qua­li­ta­ti­ven Para­me­tern zur Siche­rung einer adäqua­ten und zeit­ge­mä­ßen pro­the­ti­schen Ver­sor­gung. Die Betrof­fe­nen wer­den hier­von in ihrem Lebens­all­tag profitieren.

Für die Autoren:
Micha­el Schä­fer, OTM, GF
Poh­lig GmbH
Gra­ben­stät­ter Stra­ße 1
83278 Traun­stein
M.Schaefer@Pohlig.net

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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