OT: Arthrose ist insgesamt die häufigste Gelenkerkrankung weltweit. Auf der OTWorld wurde der Fokus auf die „Gonarthrose“ gelegt. Sehen Sie auch auf Grund der Häufigkeit des Krankheitsbildes eine gerechtfertigte Spezialisierung auf diesen Teilbereich der Arthrose oder ist der Bedarf zum Austausch in diesem Versorgungsspektrum besonders groß?
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch: Beides. Das Knie ist das am häufigsten von Arthrose betroffene Gelenk. Und der Austausch ist wichtig, weil im Moment zu sehr eindimensional therapiert wird. Das heißt, es fehlt der interdisziplinäre Ansatz, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Disziplinen.
OT: Was bedeutet das konkret?
Jerosch: Bei typischen Gonarthrose-Patient:innen bedarf es nicht nur einer klinischen Einschätzung. Auch die Hausärzt:innen müssen miteinbezogen werden, sowohl bezüglich ernährungsmedizinischer Aspekte als auch zur Abstimmung der Medikamente. Denn viele Patient:innen bekommen nicht nur nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) gegen den Arthroseschmerz, sondern auch gleichzeitig Medikamente bei Herzerkrankungen und neurologischen Erkrankungen, welche häufig kontraindiziert bei der gleichzeitigen Gabe von NSAR sind. Zudem stellt sich die Frage, welche Hilfsmittel zum Einsatz kommen können. Auch das Potential der Orthopädie-Technik wird derzeit nicht ausreichend ausgeschöpft. Eine entscheidende Rolle bei der Arthrosetherapie spielt außerdem das Bewegungstraining, das im Austausch mit Physiotherapeut:innen verfolgt werden sollte.
OT: Ein Vortrag stand unter dem Motto „Leitliniengerechtes Arthrose-Management“. Was waren zentrale Aussagen?
Jerosch: Seit Januar 2018 liegt eine Leitlinie der „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften“ (AWMF) für die Behandlung der Gonarthrose vor, welche den Wissensstand in der Behandlung der Arthrose gut widerspiegelt. Diese unterstreicht die Notwendigkeit eines multimodalen Therapieansatzes. An erster Stelle stehen dabei die Beratung und Schulung der Patient:innen. Zudem spielt deren Lebenswandel – wie Gewichtsreduktion und Muskelkräftigung – eine große Rolle. Und wie bereits erwähnt Medikamente. Sind NSAR nicht ausreichend wirksam oder kontraindiziert, wird nach der aktuellen Gonarthroseleitlinie die Verwendung von Hyaluronsäure oder Cortison empfohlen. Nicht gänzlich auszuschließen ist zudem die Therapie mit Opioiden.
OT: Ist die Leitlinie im beruflichen Alltag hilfreich?
Jerosch: Ja, das ist sie. Wir haben zum Beispiel lange Zeit die Gefahr der NSAR unterschätzt. Das Stufenschema kann Therapeut:innen bei der Bewertung und bei der Vorgehensweise helfen.
OT: Stichwort Selbstmanagement: Welche Bedeutung kommt dem Thema für den Therapieerfolg zu?
Jerosch: Das Selbstmanagement ist die erste Stufe und ein zentraler Aspekt der Therapie. Es ist wichtig, dass die Therapeut:innen darauf hinweisen und Anleitungen geben. Aus meiner Erfahrung heraus wird das allerdings zu wenig gemacht.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
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