OT: Herr Schwarz, haben Sie oder Herr Krauthausen das Café für Ihre erste Begegnung ausgesucht?
Benjamin Schwarz: Der Vorschlag kam von Raúl Krauthausen – es liegt in Kreuzberg, wo wir beide zu der Zeit beruflich tätig waren.
OT: Hat für Sie die Beschäftigung mit dem Buch und dem Thema Inklusion noch einmal die Sinne dafür geschärft, wo Gesellschaft und Politik noch aktiver werden müssen für ein inklusives Leben?
Schwarz: Das Thema beschäftigt mich tatsächlich schon seit vielen Jahren. Das Schärfen der Sinne und die Übersetzung dessen ins eigene Handeln, das ist etwas, was unabhängig vom Buch ständig notwendig ist. Wir sind an einem Punkt, wo wir uns von floskelhaften Dingen wie „Barrieren in den Köpfen senken“ verabschieden und stattdessen daran arbeiten müssen, wie wir Gesetzesinitiativen für mehr tatsächliche Barrierefreiheit einbringen. Ich denke da an den Arbeitsmarkt, aber auch an eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen, barrierefreie Zugänge zu ihren Produkten zu bieten.
OT: Beschreiben Sie bitte, welche „typischen“ Eigenschaften muss eine Aktivistin bzw. ein Aktivist mitbringen?
Schwarz: Den oder die typische:n Aktivist:in gibt es in dem Sinne wirklich nicht. Die meisten brennen tatsächlich für ein Thema, sind Überzeugungstäter:innen, leidenschaftlich, solidarisch, optimistisch. Heutzutage gehört sicher auch eine gewisse psychische Resilienz dazu, gerade wenn sich Aktivist:innen in sozialen Medien mit ihrer Haltung positionieren und aktiv werden.
OT: Wann ist Aktivismus erfolgreich?
Schwarz: Der Schritt zum Aktivismus ist oft schon selbst ein Erfolg. Denn er ist bereits wortwörtlich Bewegung. Bevor ich etwas in der Sache bewege, bewege ich mich selbst – zum Handeln. Und aktiv zu werden in einer politischen Sache ist für viele Menschen ein großer Schritt. Auf breiterer Ebene ist Aktivismus erfolgreich, wenn er es schafft, Forderungen in politische Entscheidungsprozesse zu bringen oder auch sie zu erzwingen.
OT: Ihr Buch soll keine wissenschaftliche Arbeit sein. Dafür – so schreiben Sie – fehle Ihnen die Objektivität. Was soll Ihr Buch leisten?
Schwarz: Das Buch soll zum einen Zugang zum politischen Engagement und Aktivismus schaffen, zum anderen ein öffentliches Bild vom Aktivismus aktualisieren, das ihn vor allem mit gewalttätigem Protest in Verbindung bringt. Er ist heute ein Sammelbegriff für intensive zivilgesellschaftliche Beteiligung an Politik. Und das Buch zeigt diverse Wege, wie das heute geschieht. Das soll Menschen inspirieren.
OT: Inklusion, Klimakrise und Hass im Internet: Sie sprechen in Ihrem Buch einige globale Themen an, die über nationalstaatliche Grenzen hinaus passieren. Haben Sie dennoch Hoffnung, dass eine Problemlösung mit den etablierten Lösungswegen von Politik und Gesellschaft möglich ist?
Schwarz: Berechtigte Hoffnung entsteht, wenn wir handeln. Wenn wir uns zurücklehnen und warten, dass andere diese enormen Krisen für uns lösen, verlieren wir das Recht, uns zu beklagen. Nein, ich habe keine Hoffnung, dass etablierte Lösungswege funktionieren. Genau deshalb tue ich das, was ich tue: Ich bin aktiv, ich bringe mich ein, ich äußere mich, ich versuche, meine Fähigkeiten konstruktiv einzusetzen, um diese Probleme gemeinsam mit vielen anderen zu lösen.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
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