Einleitung
Die Metatarsalgie (Mittelfußschmerzen) ist keine Diagnose, sondern ein Sammelbegriff für Beschwerden, die im Bereich des Vorfußes auftreten, insbesondere wenn er sich in einem Schuh befindet. Der Fuß im Schuh benötigt für eine korrekte Funktion einen passgerechten Raum, eine fußgerechte Form und einen belastbaren Untergrund. Bei der Untersuchung von Konfektionsschuhen zeigen sich aber oftmals Passformdefizite im Vorfußbereich, die den Stand und die Schrittabwicklung unphysiologisch beeinflussen. Zum Beispiel:
- Bei zu engem Vorfußquartier wird der Fuß komprimiert und die horizontale Ausrichtung der Metatarsalköpfchen behindert.
- Bei einer zu spitzen oder zu stark gerundeten Form wird der Vorfuß wie in eine spitze Tüte geschoben und dadurch die Zehen in eine Fehlstellung gezwungen.
- Bei nachgiebigem und gerundetem Untergrund wird dem Ballen keine formstabile Unterlage zum Abstoß zur Verfügung gestellt (Abb. 1).
Diese Bedingungen im Konfektionsschuh verursachen eine falsche Ausrichtung des Ballen- und Zehenbe-reiches und können zu Beschwerden führen. Während Stauchung und Pferchung des Vorfußes als Verursacher von Spreizfuß, Metatarsalgie und Hallux valgus viel diskutiert worden sind, wird die sogenannte Balligkeit im Schuh als weiterer Verursacher kaum beachtet.
Der Fuß leistet einen sehr wichtigen Beitrag zum Verständnis des gesamten Halte- und Bewegungsapparates. Nach Tom Myers 1 beginnen alle großen Muskelfaszienverläufe am Fuß oder umgreifen ihn. So beginnt zum Beispiel die sogenannte oberflächliche Rückenlinie an den Zehen und verläuft vom Ballen über die Fußsohle, sodann über Ferse, Wade, Oberschenkelrückseite, Rücken und Nacken über den Kopf bis zu den Augenbrauen. Sie richtet den Körper auf. Die Spirallinie dagegen zieht sich spiralig um den Körper und umfasst die anderen anatomischen Muskelfaszienzüge am Fuß (Abb. 2). Es ist leicht vorstellbar, dass Veränderungen oder Störungen im Fuß nicht nur dort, sondern auch im Verlauf der Muskelfaszienzüge zu Beschwerden führen können. So ist aus der orthopädischen Praxis bekannt, dass durch falsche Belastung des Vorfußes nicht nur Metatarsalgien, sondern auch Rückenschmerzen auftreten können.
Die Zehengrundgelenke agieren im Vorfußgefüge wie eine Einzelradaufhängung bei einem Fahrzeug: Die Köpfe der Mittelfußknochen sind nicht über Gelenke untereinander verbunden, sondern sie werden passiv über starkes Bindegewebe, fasziale Strukturen und aktiv durch Muskulatur verspannt, insbesondere durch den queren Kopf des Musculus adductor hallucis. Alle verspannenden Elemente des Ballens liegen unterhalb des Äquators der Mittelfußköpfchen (Abb. 3). Beim Gang passt sich der Ballen an den Boden an und zeigt barfüßig auf ebenem Boden ein typisches Belastungsmuster: beim Auftreffen einen hohen Druckaufbau an der Ferse, beim Abstoß einen hohen Druck in der Mitte des Ballens. Unter Beachtung der anatomischen Ausgestaltung kann sich die Ballenpartie nach dorsal wölben; die Wölbung nach plantar wird demgegenüber von der Anatomie begrenzt 2.
Grenzen der Verformung des Fußes
Mit einem Laserscanner wurde ermittelt, wie stark das vordere Quergefüge invertiert werden kann. Anhand der Vorfußbreite lässt sich dessen prozentuale Verformungsfähigkeit ermitteln. Im Mittel scheint sich der Vorfuß um ca. 10 % der Vorfußbreite durchbiegen zu können. Hierbei spielen jedoch viele Faktoren wie Genetik, Ligamente, Muskeln, Trainingszustand und Alter eine Rolle. Bei einem jungen, trainierten Mann (Fußballer) betrug beispielsweise die Durchbiegungsfähigkeit 6,8 mm und war damit wesentlich geringer als bei einem älteren Probanden von 70 Jahren, dessen Vorfuß sich 15 mm in die Balligkeit ausrundete, da bei ihm schon strukturelle degenerative Veränderungen vorhanden waren und die stabilisierenden Elemente an Festigkeit verloren hatten.
An gebrauchten Schuhen (Abb. 4) 2lässt sich die Vorfußbelastung gut erkennen: Entsprechend der pedografischen Messung braucht sich die Sohle im zentralen Ballenbereich auf, das Material für die Lastaufnahme unter dem Vorfuß wird reduziert, und der Fuß kommt in eine Rinne zu liegen. Dieser Effekt wird verstärkt, wenn in diesen Bereich des Schuhbodens weiche Dämpfungsmaterialien eingebracht werden (Abb. 1).
Aber nicht nur gebrauchte Schuhe zeigen eine Hohllegung des Ballenbereiches, sondern auch neue Schuhe sind im Ballenbereich schon primär gerundet. So ergab eine computertomografische Untersuchung neuer unbenutzter Schuhe 2, dass bei allen Exemplaren der Ballenbereich in seiner Mitte tiefergelegt ist (Abb. 5).
Die Kontur des Schuhunterbaus wird im Leisten festgelegt. Verschiedene Leisten unterschiedlicher Hersteller wurden daraufhin vermessen. Keiner der untersuchten Leisten war eben, sondern jeder wies eine Balligkeit unterschiedlichen Ausmaßes auf; die Ballenmitte war bis zu 7 mm tiefergelegt (Abb. 6), bei gebrauchten Schuhen konnten Auskehlungen von über 10 mm gemessen werden.
Testunterlagen wurden entsprechend den ermittelten Balligkeiten ausgeschliffen und das Verhalten des Fußes computertomografisch untersucht. Dabei zeigte sich: Bei balligem Untergrund dreht sich der mediale Strahl nach außen, und der Großzehenstrahl wird supiniert. Die Metatarsalköpfchen 2, 3 und 4 treten tiefer, und der Ballenbereich rundet sich aus. Dagegen steht beim planen Untergrund der mediale Strahl regelrecht proniert und das Großzehengrundgelenk in der Linie der Metatarsaliaköpfchen (Abb. 7a u. b). Als planer Untergrund wurde eine Platte aus gewelltem Federstahl von 0,26 mm Dicke über die Versuchsanordnung gelegt und belastet. Diese Platte ist in querer Richtung stabil, in Längsrichtung jedoch flexibel. Sie wurde für weitere Versuche in Einlagen und als Brandsohle in Schuhe eingebaut 3.
Um das Verhalten des Fußes in der Schrittabwicklung zu ermitteln, wurde die ausgeschliffene Testrinne in Würfel geschnitten, gehbar gemacht und der Druckaufbau im Ballenbereich untersucht 3: Während sich das Vorfußgefüge auf ebenem, planem Untergrund abflacht und ein Druck im Bereich der Ballenmitte entsteht, ändert sich die Art des Druckaufbaus im Vorfuß bei definierter balliger Unterlage. In der Terminal-Stance-Phase wird zwar im Klein- und Großzehenbereich Kontakt aufgenommen, dann aber senkt sich das Vorfußgefüge und nimmt zum Abdruck – trotz invertierten Ballens – in der Mitte des Ballens Druck auf, um Kraft zur Vorwärtsbewegung auf den Boden zu übertragen. Daraus ergeben sich folgende Überlegungen:
- Eine erzwungene permanent gleichförmige Verformung führt auf Dauer zu einer Schädigung der Fußstrukturen.
- Es entsteht eine unnötige zusätzliche Wegstrecke: z. B bei 5 mm Balligkeit pro Bodenkontakt (1 cm pro Doppelschritt) ergeben bei 10.000 Bodenkontakten 100 m.
- Energie-Mehrverbrauch: Da der Fuß jeweils aus dem „Loch“ wieder herausgeholt werden muss, entsteht Ermüdung.
- Es ergibt sich eine längere Bodenreaktionszeit, da der Fuß erst absinken muss, um sich wieder abstoßen zu können.
- Stabilität im Vorfuß geht verloren, weil eine kleinere Bodenkontaktfläche provoziert wird. Das führt zu Instabilität beim Stand und in der Bewegung.
- Die unphysiologische Auflagefläche sorgt für eine unnatürliche und damit größere Belastung für den Fuß.
- Es entsteht eine undefinierte Auflagefläche für Fußbettungen bzw. orthopädische Einlagen.
Die Balligkeit im Vorfußbereich von Leisten und Schuhen steht im Widerspruch zur Anatomie des Fußes: Dem Vorfuß steht im Konfektionsschuh keine ebene und formstabile Auflagefläche zur Verfügung. Die Köpfchen der Metatarsalia 2, 3 und 4 und die entsprechenden Zehengrundgelenke sinken tiefer; im Gegensatz dazu wird der Großzehenstrahl angehoben sowie außenrotiert und damit das pronatorische Eindrehen des medialen Strahls mit Tieferlegen des Großzehengrundgelenks verhindert – der Vorfuß wird instabil. Das hat negative Auswirkungen auf den Fuß – in Form einer Metatarsalgie — und beeinflusst den ganzen Halte- und Bewegungsapparat im Sinne der kinetischen Kette. Zwar kann sich der Fuß in der Balligkeit deformieren – dafür ist er ja so beweglich ausgestaltet –, aber eine permanente Fehlstellung in der Balligkeit, zusätzlich zum knappen Raumangebot im Vorfußquartier, führt zu einer Überforderung der stabilisierenden Strukturen, zu Metatarsalgien, zu Spreizfuß, Krallen- und Hammerzehen, zu einer Begünstigung des Hallux valgus und zu einer negativen Beeinflussung des gesamten Halte- und Bewegungsapparates.
Um das Invertieren zu verhindern, sollte der Vorfuß im Schuh auf einen ebenen Untergrund gestellt werden, der während der gesamten Tragezeit des Schuhs plan bleibt. Wird die Balligkeit entfernt, muss das entfernte Volumen dem Leisten wieder zurückgegeben werden. Dadurch verändert sich bei gleichem Volumen die Geometrie und damit auch der Umfang an den relevanten Messpunkten: er nimmt zu. Dieses Volumen muss umverteilt werden, entweder unter dem Leisten, an den Rändern und/oder auf den Leisten. Beim hier besprochenen Versuch wurde ein Leisten umgebaut (Abb. 8a u. b); der neue Leisten erhielt daraufhin einen geraden Boden und eine optisch erkennbare Veränderung. Diese Leistenform ermöglicht eine fußgerechte barfußähnliche Belastung im Schuh.
In einer einfach verblindeten randomisierten Studie an 33 fußgesunden Probanden 4wurde untersucht, ob ein fester planer Untergrund gegenüber einem nachgiebigen planen Untergrund zu einer Komforteinbuße führt. Dazu erhielten die Teilnehmer der Studie einen fabrikneuen Schuh (Sneaker, gleiches Fabrikat, gleiche Machart, gleiche Serie). Die darin vorliegende Einlegesohle wurde mit einer quersteifen, längsflexiblen Federstahl-Einlegesohle im Crossover-Vergleich getestet. Die Einlegesohlen sahen identisch aus, sodass optisch kein Unterschied zu erkennen war (Abb. 9a u. b). Wie zu erwarten, führte die Queraussteifung zum gleichen Druck in der Mitte des Ballens wie beim Barfußgang über die Druckmessplatte. Der Druck beim Gang mit der Original-Einlegesohle war jedoch gegenüber dem Barfußgang aufgrund der balligen Verformung der Einlegesohle und der Laufsohle – und damit auch des Vorfußes – reduziert. Die quersteife Federstahleinlage führte nicht zu einer Beeinträchtigung des Tragekomforts, und die Probanden favorisierten den Schuh mit der quersteifen Federstahleinlage.
Fazit
Um die funktionelle Einheit Fuß/Schuh zugunsten des Fußes auszurichten, ist eine plane Unterlage für den Vorfuß wichtig. Das ist für alle Schuhträger jedes Alters sinnvoll, insbesondere auch unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung in Europa, die eine Überalterung der Gesellschaft zeigt und damit auch eine Überalterung der Füße, die an ihre Leistungsgrenze gelangt sind. Um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, ist ein funktionierender Fuß jedoch unabdingbar. Es ist unzweifelhaft, dass ein Schuhwerk, das die Physiologie des Fußes zu wenig berücksichtigt, die Lebensqualität beeinträchtigt und den Alterungsprozess der Füße vorantreibt. Die Folgen liegen nahe: Knick-Senkfuß, Spreizfuß und Metatarsalgie sind die häufigsten klinischen Erscheinungsbilder bei Fußdeformitäten. Verschiedene Faktoren wie Übergewicht, Bandlaxität und insbesondere ungeeignetes Schuhwerk können die Ausprägung von Fehlstellungen verstärken und schließlich von einer flexiblen in eine kontrakte Form mit sekundärer Veränderung der Fußskelett-Anatomie führen.
Unter Beachtung dieser Überlegungen sollte ein Schuh die folgenden Forderungen erfüllen, um Metatarsalgien zu vermeiden: Er soll ausreichend lang, ausreichend breit und weit sein. Darüber hinaus soll er eine anatomisch orientierte Spitze besitzen und sich an die Dynamik des Fußes anpassen. Der Schuh sollte Raum für eine Einlegesohle bzw. für Korrekturen zur Verfügung stellen. Insbesondere soll er eine plane formstabile Ballenpartie besitzen und diese über die gesamte Tragezeit des Schuhs erhalten, um dem Fuß einen korrekten belastungsfähigen Untergrund zu bieten.
Für die Autoren:
Dr. med. Norbert L. Becker
Priv. Institut für angewandte Biomechanik Tübingen
Wilhelmstraße 134, 72074 Tübingen
norbert.becker@uni-tübingen.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Becker N, Obens T. Plane Vorfußauflage zur Prävention und Therapie von Vorfußbeschwerden. Orthopädie Technik, 2018; 69 (3): 52–56
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- Myers TW. Anatomy Trains: Myofasziale Leitbahnen für Manual- und Bewegungstherapeuten. 2. Aufl. München: Urban & Fischer, 2010
- Becker N, Flick S, Obens T, Weißer J. Grundlegendes zum Einfluss einer queraussteifenden Einlage auf Fuß und Schuh. Orthopädie-Schuhtechnik, 2014; 1: 22–28. https://www.ostechnik.de/images/stories/documents/becker_n_queraussteifende_einlage.pdf (Zugriff am 31.01.2018)
- Becker N, Grau S, Obens T . Vorfußdeformierung bei planem und balligem Untergrund. Orthopädie-Schuhtechnik, 1994; 1: 20–23
- Becker N, Obens T, Weisser J, Flick D. Querstabilität im Konfektionsschuh durch Federstahleinlagen: Eine pedobarographische Wirkungsstudie mit Anwendungsbeobachtung. Orthopäde, 2014; 1:1–8