Das Fach ist vor allem bei den Neueinsteigern in den Beruf sehr ausgeglichen, was die männlichen und weiblichen Auszubildenden angeht. Doch im Bereich des Ehrenamts sind die Männer deutlich in der Überzahl. Mit Adelheid Micke verabschiedete sich 2022 die einzige Obermeisterin (Münster) vom höchsten Ehrenamt auf Länderebene. Mit Petra Menkel als stellvertretende Obermeisterin der Innung Berlin-Brandenburg war somit eine einzige weibliche Vertreterin im Amt übrig. Statt sich über diesen Umstand zu sorgen, füllt Menkel ihr Ehrenamt mit Leben aus und geht damit als Vorbild für zukünftige weibliche Vertreterinnen in führenden Positionen voran. Im Mai 2023 wurde sie im Rahmen der Delegiertenversammlung in den Vorstand des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT) gewählt. Im Gespräch mit der OT-Redaktion legt Menkel dar, wie sie ihre Rolle ausfüllen will.
OT: Was ist Ihre persönliche Motivation, sich aktiv zu engagieren?
Petra Menkel: Mein Beruf liegt mir sehr am Herzen! Daher möchte ich Impulse setzen, um unserem Beruf den Stellenwert zu verschaffen, den er verdient. Das kann ich am bestem, indem ich versuche, meine Ideen und Vorstellungen in politischen Gremien zu platzieren und für deren Umsetzung zu kämpfen. Hier sind vor allem Überzeugungsarbeit und Geduld gefragt. Gleichzeitig will ich mein Fach als Dozentin stärken, mein Wissen und meine Erfahrung ganz praktisch in der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung oder an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik und auf der OTWorld weitergeben. Getreu meiner Devise: machen und nicht motzen. Es ergibt für mich keinen Sinn, die vom BIV-OT-Vorstand erarbeiteten Vorschläge einfach nur zu kritisieren. Wenn ich nicht einverstanden bin mit den Lösungsvorschlägen zu den wahrlich großen Herausforderungen unseres Fachs, dann muss ich mich einbringen, Alternativen aufzeigen. Deshalb habe ich für einen Platz im Vorstand kandiert. Mir ist aber auch bewusst: Ich muss aufkommende Kritik aushalten, wenn ich Dinge anders angehe. Wichtig ist aber am Ende, dass wir alle an einem Strang ziehen.
OT: Was bedeutet es Ihnen, als erste Frau in den Vorstand gewählt worden zu sein?
Menkel: Es erfüllt mich mit Stolz. Für meine Kolleginnen hoffe ich, dass ich Mut gemacht habe, meinem Beispiel zu folgen und Verantwortung für unser Fach zu übernehmen. Wichtig war mir aber auch, dass endlich wieder die Innung Berlin-Brandenburg, ob durch einen Kollegen oder eine Kollegin, im Vorstand des BIV-OT vertreten ist.
OT: Braucht das Land auch mehr Frauen in den Führungsebenen der Betriebe?
Menkel: Unbedingt! Es kann nur gut sein, wenn in der Führung der Betriebe genau wie in der Werkstatt und im Sanitätshaus Kolleginnen und Kollegen gleichberechtigt arbeiten und Karriere machen können. Wir fahren mit unserer männlichen und weiblichen Geschäftsführung seit Jahren sehr gut. Die Zeiten, in denen Frauen den Schmiedehammer schwingen können mussten, um von ihren männlichen Kollegen anerkannt zu werden, ist ja nun schon lange vorbei. Es gibt keinen Grund, männliche und weibliche Kollegen unterschiedlich zu behandeln oder Frauen nur aufgrund des Geschlechts an die Nähmaschine zu „verbannen“. Die neuen Techniken und die Digitalisierung spielen uns Frauen ebenfalls in die Hände. Hirn und Charme schlägt reine Muskelkraft. Nicht zu vergessen: Für die Gewinnung und das Halten unserer Mitarbeiter:innen im Sanitätshaus ist es enorm wichtig, dass sie unabhängig vom Geschlecht gleiche Chancen haben.
OT: In Ihrer Bewerbung für die Wahl in den BIV-OT-Vorstand kündigten Sie an, Brücken zu bauen zwischen der reinen orthopädietechnischen Werkstatt und dem Sanitätshaus. Haben Sie schon konkrete Vorstellungen von der Brückenkonstruktion?
Menkel: Mein Ziel ist es, den Kollegen aus dem BIV-Vorstand und den Innungsvorstandskollegen die Wichtigkeit des Sanitätshauses für die gesamte Versorgungkette in der Orthopädie-Technik näher zu bringen. Im Gegensatz zu den orthopädischen Werkstätten, für die wir viel Fläche für die Fertigung, Anprobe etc. und viel Raum für Logistik benötigen und für die ein Quadratmeterpreis in zentraler Lage damit unwirtschaftlich ist, findet man Sanitätshäuser durchaus in Fußgängerzonen oder Bereichen mit viel Laufkundschaft. Sie sind für unsere betroffenen Mitbürger:innen das Schaufenster für das, was wir tun. Dieses Schaufenster können wir auch nutzen, um auf unsere Bedeutung für die Gesundheit und Mobilität für uns alle hinzuweisen. Dafür möchte ich Konzepte entwickeln und auf den Weg bringen.
OT: Wird die Vielfalt der Kompetenzen und Kenntnisse der Mitarbeiter:innen im Sanitätshaus jenseits der reinen Werkstatt unterschätzt?
Menkel: Was die Wahrnehmung der Qualifikationen in Sachen Hilfsmittelversorgung betrifft, werden Sanitätshäuser oft unterbewertet. Ein Beispiel ist das aktuelle Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz. Der Gesetzgeber ist nicht in der Lage, zwischen einem Medizinprodukt, einem Hilfsmittel und seiner Versorgung zu unterscheiden. Natürlich sind in einem Pharmazie-Studium Elemente enthalten, die sich um die Besonderheiten wie Lagerung bzw. Temperaturbeständigkeit in Räumen, Hygiene etc. drehen. Daher werden auch Anforderungen an Medizinprodukte abgedeckt. Hilfsmittel sind aber auch als Produkt nur eine Unterform der Hilfsmittelversorgung. Gänzlich davon zu unterscheiden ist hingegen die Ausbildung für die Versorgung mit Hilfsmitteln. Bei der Kompressionstherapie muss man zwar den Rund- vom Flachstrick unterscheiden können, die Kompetenz liegt dann aber in der leitliniengerechten Versorgung. Also im Wissen über den Lymphfluss und wie man ihn durch Kompression beeinflussen kann. Diese Hilfsmittelversorgung kommt bei einer Ausbildung zum Apotheker nicht vor. Wenn sie also in den Curricula und der Approbationsordnung den Begriff „Hilfsmittel“ oder sogar „Hilfsmittelversorgung“ suchen, werden Sie genau null Treffer erhalten. Oder um einen Vergleich zu bemühen, nur weil in der Apothekerausbildung Physik und physikalische Chemie erlernt wird, dürfen sie ihre Patienten noch nicht röntgen. Die Unterschiede zwischen Medizinprodukt, Hilfsmittel und Hilfsmittelversorgung müssen klar sein. Wenn die Politik die nicht kennt: Es gibt Spezialist:innen, die darin ausgebildet sind. Dazu zählen nicht nur Jurist:innen, sondern auch Sanitätshäuser und ihre Fachverbände. Die hätte der Gesetzgeber fragen sollen, bevor er alles in einen Topf geworfen hat.
OT: Wie könnte das Fach der Unterbewertung der Kompetenzen im Sanitätshaus begegnen?
Menkel: Wir sollten unser Wissen und unsere Erfahrungen an junge, engagierte Kolleg:innen weitergeben. Sie müssen nicht jeden Fehler selbst machen, sie können auch auf erfahrene Kolleg:innen zugreifen und von ihnen lernen. Das gilt natürlich ebenso für unsere Sanitätshausmitarbeitende. Wir müssen bedenken, dass diese heute sehr viel mehr können und leisten als noch vor 15 Jahren. Die Sanitätshausmitarbeitende bewältigen täglich vielfältige und komplexe Aufgaben wie Qualitätsmanagement, Präqualifizierung, europäische Medizinprodukteverordnung, Kassenabrechnungen mit unzähligen unterschiedlichen Verträgen oder den Umgang mit immer höher werdenden Ansprüchen unserer Kund:innen. Bei aller Kompetenz und Erfahrung der Mitarbeitende steigt dennoch deren Unsicherheit angesichts der Vielschichtigkeit ihrer Aufgaben. Auch die Unsicherheit, nicht zu wissen, wer mit welchem Anliegen in den Laden kommt, ist für viele jüngere Kollegen eine echte Herausforderung und führt dazu, dass im Sanitätshaus mehr Mitarbeiter:innen fehlen als in der Werkstatt. Wir müssen als Firmenlenker lernen, auch diese Mitarbeitende zu pflegen und zu fördern. Schulungen, Supervision und mehr Anerkennung ihrer Arbeit werden immer wichtiger. Darüber möchte ich reden, wann immer ich die Gelegenheit dazu bekomme, um meinen Kolleg:innen die Wichtigkeit des Themas bewusst zu machen. Wir müssen uns kümmern und verhindern, dass wir eines Tages unsere Sanitätshäuser nicht mehr mit genügend Personal ausstatten können. Die Gefahr besteht, dass Onlinehändler oder Apotheken in die Lücken springen.
OT: Worauf freuen Sie sich besonders in der Vorstandsarbeit der kommenden drei Jahre?
Menkel: Ich freue mich riesig auf den kollegialen Austausch und die Chance, etwas zu verändern oder auf den Weg zu bringen, was unser Fach nach vorne bringt. Wie handeln die Kollegen, die ich ja nur aus den Delegiertenversammlungen kenne, in der Vorstandsarbeit? Welche unserer vielen Themen werden wie gewichtet werden? Wie kann ich mich praktisch einbringen? Was können wir gemeinsam politisch bewegen? Das ist gerade ein besonders spannender Abschnitt in meinem Leben und das finde ich gut so!
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Die 58-jährige Bandagistenmeisterin Petra Menkel ist geschäftsführende Gesellschafterin der Paul Schulze Orthopädie & Bandagen GmbH Berlin. Sie engagiert sich seit Jahrzehnten als Ausbilderin im eigenen Betrieb sowie als Dozentin in der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) und an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa) sowie als Vorsitzende in einem Gesellenprüfungsausschuss. Seit 2008 sitzt sie im Vorstand des Fachverbandes für Orthopädietechnik und Sanitätsfachhandel Nordost e. V. und seit 2009 im Vorstand der Landesinnung für Orthopädietechnik Berlin-Brandenburg. Vor vier Jahren wurde sie zur Vorsitzenden des Fachverbandes und zur stellvertretenden Obermeisterin der Landesinnung gewählt.
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